Laura Stocco: Wenn es dort funktioniert, funktioniert es überall

Interview: Dörte Welti
Übersetzt aus dem Englischen von Sara Almeida Rodrigues
Photo: Tomek Gola

Ladies Drive No 65. Laura Stocco: Wenn es dort funktioniert, funktioniert es überall
Ladies Drive Magazine
Laura Stocco, Mitgründerin und CMO von Openversum, ist die Gewinnerin des Recognition Award 2023, den sie im vergangenen Jahr bei unserem 6. Female Innovation Forum 2023 im BMW Group Brand Experience Center in Dielsdorf entgegennahm.

Für unser Interview nach der Preisverleihung trafen wir Laura im Bio-Technopark in Schlieren, Zürich, einem Wissenschaftspark mit Laboren, Produktions- und Büroflächen, der von der ETH Zürich entwickelt und an über 50 Unternehmen und 30 akademische Institutionen vermietet ist, darunter auch das Start-up-Unternehmen Openversum.


Es fühlt sich ein wenig an wie das Fort Knox der Wissenschaft, wenn man versucht, den Eingang zum Haus 12 des Bio-Technoparks zu finden, dem glänzenden Turm in Schlieren auf dem ehemaligen Gelände einer Eisenbahnwaggon- und Aufzugsfabrik. Hier muss es viele Geheimnisse geben, die Türen sind gesichert, Kameras verfolgen jede deiner Bewegungen. Laura Stocco empfängt mich in der Lobby, ohne sie käme ich nicht weiter. Sie zeigt mir ihr kleines Büro, so unspektakulär wie die meisten Büros, die ich bei Interviews mit Wissenschaftlern aller Art kennengelernt habe. Die Magie findet in den Köpfen und Laboren statt, nicht in der Auslage wichtiger Schreib- tische und Designerbüros. Laura ist eine dieser jungen, energischen Frauen, die nicht nur sehen, was getan werden muss, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, sondern auch aktiv werden. Die gebürtige Genferin studierte Umweltingenieurwesen an der EPFL in Lausanne, wurde Expertin für WASH – Wasserhygiene, Sanitärversorgung und feste Abfälle – an der Eawag (Eidgenössische Wasserforschungsanstalt) und Expertin für Sanitärversorgung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Ursprünglich wollte Laura die Ozeane retten, sie war – und ist immer noch – leidenschaftlich daran interessiert, das Verschmutzungsproblem zu lösen. Aber anscheinend interessierte sich niemand an der Fakultät für die Ozeane, zudem ist Laura „schrecklich seekrank“, wie sie zugibt. Laura belegte ein paar Kurse in Entwicklungstechnik, die als „an einkommensschwache Umgebungen angepasstes Engineering“ bezeichnet wurden. Erst dann erfuhr sie, dass der Mangel an sauberem Wasser ein grosses Problem sei und dass die Verschmutzung, bedingt durch Bakterien und im Wasser gelöste Chemikalien und Schwermetalle, die Ursache sei. Ihr aktuelles Projekt: Micro-Franchising von Trinkwasserfiltern auf Haushaltsniveau mit modernster Membrantechnologie. Produktion: Kolumbien.

Ladies Drive: Laura, weshalb haben Sie Kolumbien ausgesucht?

Laura Stocco: Mein Mitgründer Olivier Gröninger hat als Student einige Jahre in Kolumbien gelebt. Dort lernte er seine Frau kennen, heute leben sie hier in der Schweiz. Als er seine Doktorarbeit machte, schaute er sich unsere Idee und Technologie von Wasserfiltern an und überlegte, wo er sich vorstellen könnte, sie zuerst und so schnell wie möglich zu liefern. Er hat ein fantastisches Netzwerk in Kolumbien, er kennt die Situation dort mit der grossen Anzahl von Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Wasser haben, und wir haben beschlossen, es dort zu tun. So haben wir angefangen. Dann haben wir unseren dritten Mitgründer aufgenommen, Lorenzo Donadio, er ist in Kolumbien geboren und aufgewachsen, bis er für sein Studium in die Schweiz gezogen ist, wir haben zusammen an der EPFL in Lausanne studiert und er hat auch ein tolles Netzwerk in Kolumbien.

Gibt es neben all den grossen Netzwerkvorteilen auch Nachteile?

Kolumbien ist ein schwieriger Ort zum Arbeiten. Ungewissheit alle zwei Monate, wie beispielsweise komplett gesperrte Strassen aufgrund von Wetterereignissen. Aber wir dachten, wenn wir zeigen können, dass es dort funktioniert, wird es überall funktionieren.

Sie haben also einen Filter entwickelt, ihn an Menschen in Kolumbien verkauft, und das war’s?

Nein. Im Grunde genommen sind wir diese Art von globalen Herausforderungen in den letzten Jahrzehnten so angegangen, dass wir mit NGOs zusammenkommen, Hilfe leisten und gleich verlassen, also einfach Lösungen liefern und dann wieder gehen. Eine kurzfristige Lösung, die grossartig ist, aber wenn man kostenlose Waren liefert, zerstört man lokale Märkte, man nimmt auch einigen Menschen die Lebensgrundlage weg. In verzweifelten Situationen, in denen Menschen buchstäblich kein Geld und keine Lösungen haben, zum Beispiel Katastrophenhilfe, Slums, ist NGO-Arbeit enorm wichtig. Aber in einkommensschwachen Gebieten sind diese Lösungen oft kurzfristig und führen zu einem Abhängigkeitsverhältnis. Wenn man sich grosse Projekte wie die Beschaffung von Filtern ansieht, die häufig von grossen NGOs geliefert werden, ist es meist ein nachhaltiges Modell, das in ihrem Ansatz oft fehlt! Sie kommen in ein Land, an einen Ort, liefern den Filter, prüfen seine Auswirkungen, berichten und gehen wieder. Wenn der Filter kaputtgeht, gibt es kein Material, um ihn zu ersetzen, niemand weiss, wie man ihn repariert. Auf diese Weise haben wir eine neue Art von Abhängigkeit geschaffen. Das ist das Problem. Die Ärmsten brauchen diese Lösungen, aber wir bieten ihnen keine Lösungen, die es ihnen ermöglichen, unabhängig zu werden und sich diese in irgendeiner Weise zu eigen zu machen.

Was machen Sie von Openversum also besser?

Wir müssen verstehen, dass man immer diese Art von Grassroots-Ansatz haben und mit den Einheimischen zusammenarbeiten oder für die Einheimischen arbeiten muss, um die Lösungen zu finden, die wirklich an das lokale Geschäft angepasst sind.

Aber?

Nun, da ist zum Beispiel diese Geschichte über Frauen in Indien. Sie arbeiten hart, um Wasser zu holen. Eine kleine Firma kam ins Land und bot ihnen Wasserkioske an – im Grunde zentralisierte Brunnen für sicheres Wasser im Dorfzentrum. Was fantastisch ist. Aber die Frauen sagten, die einzige Zeit, in der wir unter Frauen sein und reden können, ist, wenn wir Wasser holen gehen. Sie wollten nicht die nur eine simple, einfachere Lösung. Wir nutzen immer unser westliches Denken, um Lösungen für Menschen zu finden, von denen wir glauben, dass sie das Gleiche wollen und gleich funktio- nieren. Gute Absichten, das ist einfach die Art und Weise, wie wir es angehen. Nachhaltig für uns, aber nicht für die Menschen, denen sie helfen wollen. Was machen wir also mit Openversum? Zunächst einmal haben wir Trinkwasserprodukte entworfen, und wir haben sie so konzipiert, dass sie vor Ort produziert und vor Ort montiert werden können (Laura zeigt einen Prototyp). Wie Sie sehen, können Sie alles abschrauben. Sie haben den Filter, den Sie einfügen, und der besteht aus drei Ebenen. Dadurch wird das Wasser gefiltert und dann Bakterien, Schwermetalle und Mikroverunreinigungen entfernt. Das Wasser, das herauskommt, kann bedenkenlos getrunken werden. Es gibt andere Filter, doch unserer ist besser, schneller und billiger. Aber das ist nicht der Punkt, an dem wir wirklich den Unter- schied machen wollen. Wir wollen den Unterschied machen, indem wir es tatsächlich nachhaltig für Menschen machen, die sich keine Lösungen leisten können oder einfach keinen Zugang zu Lösungen haben, wie wir es tun. Wir beschäftigen einheimische Frauen und bringen ihnen bei, wie man den All-in-One-Trinkwasserfilter in ihren Gemeinden zusammenbaut, verkauft und wartet, damit sie zu lokalen Wasserexperten in ihrer Gemeinde werden, die ihr eigenes nachhaltiges Geschäft führen und ein Einkommen generieren.

Wie gehen Sie mit Problemen wie Korruption um?

Wir versuchen, das mit den Unternehmern selbst zu klären. Wir bemühen uns um eine anonyme Meldung von Korruption, damit wir sie in irgendeiner Weise nachvollziehen können. In der Entwicklungswelt wird derzeit viel geforscht. Wie können wir Korruption quantifizieren, denn das ist der erste Schritt zur Lösung, und dann wie damit umgehen? Was wir bereits wissen: Man kann versuchen, es so weit wie möglich zu vermeiden, aber es wird wahrscheinlich dennoch irgendwann passieren, und ich denke, ein Schlüssel ist, einfach transparent damit umzugehen. Sie brauchen starke Partner vor Ort, Partner wie andere NGOs, die bereits an dem Problem arbeiten und Ihnen helfen können, es weitmöglichst zu umgehen.

Wasserfilter Openversum
Wasserfilter Openversum

Das Trinkgut ist aus Plastik – ist das eine gute Idee?

Es ist lebensmittelechter Kunststoff, weil wir in der Lage sein wollen, sehr abgelegene Gebiete zu erreichen. Daher muss man viel reisen. Wir wollten etwas, das langlebig, einfach zu transportieren, leicht und billig ist.

Sie wollten die Ozeane retten, indem Sie versuchen, das Verschmutzungsproblem zu lösen – könnten Sie Ocean Plastic verwenden, um die Wassertrinkfunktion herzustellen?

Das könnten wir, vielleicht. Wir arbeiten mit sauberem Wasser, und um zu zertifizieren, dass wir das tun, müssen wir zertifizierte Materialien verwenden. Und tatsächlich war ich gestern bei einem Vortrag von einem wirklich coolen indischen Start-up, bei dem es darum geht, Plastik aus den Ozeanen zu holen und neue Objekte herzustellen. Aber im Moment haben sie nicht die Zertifizierungen, die besagen, dass es für mich sicher ist, es in allem zu verwenden, was ich essen oder trinken werde. Aber das ist etwas, das wir erforschen wollen, einschliesslich recycelter Kunststoffe.

Sie haben den Recognition Award 2023 erhalten. Hatte das Auswirkungen auf Ihre Arbeit?

Was uns guttut, wenn wir in der Schweiz eine solche Anerkennung bekommen, ist, dass sie uns Glaubwürdigkeit verleiht. Es ist sehr gut für unsere Sichtbarkeit. Die Leute denken, dass wir einen guten Job machen – was ich natürlich hoffe –, und wenn Experten sagen, dass wir das Richtige tun, führt das zu noch mehr Glaubwürdigkeit. Mehr davon wird hoffentlich zu mehr Investoren führen und wir werden zu globalen Veranstaltungen eingeladen, um unsere Lösung zu präsentieren. Es ist wie ein Ticket, um mehr Türen zu öffnen.

Mehr Informationen unter:

https://www.openversum.com

Veröffentlicht am April 30, 2024

Bitte teilen Sie diesen Beitrag

Weitere Artikel aus der Ladies Drive No 65 (Frühling 2024) Ausgabe
Ladies Drive No. 65: Rezepte für Gestresste & Ideenlose

Ladies Drive No. 65: Rezepte für Gestresste & Ideenlose

Roher, marinierter Spargelsalat mit Sesam-Granola und Onsen-Ei
Warum inklusive Führung so wichtig ist

Warum inklusive Führung so wichtig ist

Wir am CCDI haben eine Vision: Wir wollen die Gesellschaft gerechter machen.
Audi SQ8 e-tron: Superstarker Stromer

Audi SQ8 e-tron: Superstarker Stromer

Auch wenn es noch immer viele Fragezeichen gibt: Die Verkaufszahlen von Elektroautos sprechen eine eigene Sprache. Audi zum Beispiel konnte im vergangenen Jahr 58 (!) Prozent mehr Elektroautos als im Vorjahr verkaufen. Einen – noch – kleinen Anteil daran hat der Audi SQ8 e-tron. Wir haben ihn gefahren.
Ungeteilt statt umverteilt

Ungeteilt statt umverteilt

Bentley Gt V8 Azure
Wicca Botanica

Wicca Botanica

Die Kraft der Heilkräuter
Die Crash-Dummys werden weiblich

Die Crash-Dummys werden weiblich

Ein Verkehrsunfall – der Horror jeder Autofahrerin und jedes Autofahrers. Mercedes-Benz forscht federführend seit über 60 Jahren an der Unfallsicherheit. Dabei kommen sogenannte Crash-Dummys zum Einsatz.
NFTs: Pioneering a Sustainable and Kind Economy

NFTs: Pioneering a Sustainable and Kind Economy

The rise of NFTs (Non-Fungible Tokens) has sparked both excitement and controversy in the world of digital assets.
Annina Menzi: Steward Ownership

Annina Menzi: Steward Ownership

Auch das gehört zur Kindness Economy: wie es funktioniert.
Dr. Med. Evelyn Mauch: Mayday! Mayday!

Dr. Med. Evelyn Mauch: Mayday! Mayday!

Wieso das Gehirn und unser Körper bei Stress die Kindness verlieren.
Patti Basler: Be Kind

Patti Basler: Be Kind

Die Sprachspielerin in mir übersetzt diese einfache Aufforderung mit: „Sei ein Kind!“ Dabei ist es ein Aufruf zu Freundlichkeit. Wir alle spielen verschiedene Rollen, wir alle tragen im Geschäftsleben unterschiedliche Masken.
ESG: Ein wichtiger Teil der Kindness Economy

ESG: Ein wichtiger Teil der Kindness Economy

Interview mit Alexie Duncker Grosse, ESG Analyst bei S&P Global in Zürich.
Ladies Drive No. 65: Beauty Must Haves

Ladies Drive No. 65: Beauty Must Haves

Eure Beauty Must Haves im Frühling 2024.
Fashion in Ladies Drive No. 65: Inspirational Woman Designers

Fashion in Ladies Drive No. 65: Inspirational Woman Designers

Meet the inspiring woman designers: Ida Gut, Dea Kudibal, Waldorf Zurich, and Kristina Ferenchuk.
Ist Kindness Economy mehr als ein Hype?

Ist Kindness Economy mehr als ein Hype?

Wie man nett und erfolgreich sein kann.
Women of Iran

Women of Iran

“I am a 34-year-old woman who was born in Tehran, Iran, and hold a master’s degree in renewable energy engineering. Despite my educational background, I have followed my passion for art and now work as a painting instructor. I give this interview anonymously.”
Josef Zotter: BIOnier der Kindness Economy

Josef Zotter: BIOnier der Kindness Economy

Josef Zotter zählt zu den besten 25 Chocolatiers der Welt. Er ist bis heute einer der wenigen in Europa, der ausschliesslich bio und fair produziert. Seine wilden, verrückten und provokativen Kreationen bereiten nicht nur Gaumenfreuden.
Dayo Okewale: Against All Odds

Dayo Okewale: Against All Odds

Dayo Okewale was born and raised in Hackney, East London. He lived a street away from “Murder Mile”, in a neighbourhood that we might call “underprivileged”. His talent, curiosity, divine alignment and Pina Coladas at a beach in the Cayman Islands opened many doors: his current role is senior advisor in the House of Lords in the United Kingdom.
Start-up Stories #5: OiOiOi

Start-up Stories #5: OiOiOi

Das Leih-Abo für nachhaltige Baby- und Kinderkleidung.
Money – The Killer of Feelings & Kindness? Dr. Mara Catherine Harvey

Money – The Killer of Feelings & Kindness? Dr. Mara Catherine Harvey

When it comes to money, friendship ends, is a very common saying, money kills feelings. So how could the endeavour for kindness economy ever coexist with money and the world of investments?
Patrick Stäuble: A Kind Place

Patrick Stäuble: A Kind Place

Was das Shoppi Tivoli in Spreitenbach so erfolgreich macht.
The Kind Country – ความเมตตา

The Kind Country – ความเมตตา

Wenn wir über Kindness Economy sprechen, müssen wir unbedingt auch über Thailand reden. Für mich eines der Länder, wo Dienstleistung im wahrsten Sinne des Worte gelebt wird.
Ladies Drive No 65 Fotoshooting: All About Kindness Economy

Ladies Drive No 65 Fotoshooting: All About Kindness Economy

Weshalb und wie es zu unserem neuen Wirtschaftswunder führt.
Sara Aduse: Wohlergehensmaximierung

Sara Aduse: Wohlergehensmaximierung

Sara Aduse porträtiert und interviewt zum Thema „All about Kindness Economy” im Ladies Drive Magazin Vol. 65 (Frühlingsausgabe 2024).
Morgan Van Overbroek: Truthfulness

Morgan Van Overbroek: Truthfulness

Morgan Van Overbroek porträtiert und interviewt zum Thema „All about Kindness Economy” im Ladies Drive Magazin Vol. 65 (Frühlingsausgabe 2024).
Patrycja Pielaszek: Uplifting

Patrycja Pielaszek: Uplifting

Patrycja Pielaszek porträtiert und interviewt zum Thema „All about Kindness Economy” im Ladies Drive Magazin Vol. 65 (Frühlingsausgabe 2024).

Ladies Drive Magazin

4x pro Jahr.

Werde Teil der Business Sisterhood und des Ladies Drive Soultribes.
Bestelle einfach eine Schnupperausgabe in unserem Shop.

Ladies Drive Magazin Vol. 65 - Frühlingsausgabe 2024

Folgt uns in den sozialen Medien, um in Kontakt zu bleiben und erfährt mehr über unsere Business Sisterhood!

#BusinessSisterhood     #ladiesdrive

Möchtet Ihr mehr News über die Sisterhood & alle Events?