Patrick Stäuble: A Kind Place

Interview: Sandra-Stella Triebl
Fotos: Shoppi Tivoli Presse

Ladies Drive Magazin Vol. 65. Patrick Stäuble.
Ladies Drive Magazine
Was das Shoppi Tivoli in Spreitenbach so erfolgreich macht.

1.400 Mitarbeitende. 160 Stores. 6,7 Millionen Besucherinnen und Besucher jedes Jahr. Flächenmässig ist es das grösste Einkaufszentrum der Schweiz. Doch wer denkt, hier gehts nur um Marge, Umsatz, Gewinn, Kaufen, Kaufen, Kaufen, der irrt sich. Denn in diesem grossen Haus verdienen auch Familienunternehmen und Kleinunternehmen ihren Lebensunterhalt.

An der Spitze des Unternehmens: Patrick Stäuble, der das Shoppi Tivoli behandelt, als wäre es sein eigenes Baby. Und das spürt nicht nur jede und jeder, der das Center als Gast betritt, sondern auch alle, die dort arbeiten. Es ist für uns ein wunderschönes Beispiel einer Kindness Economy, bei der es um Wertschätzung und Werte geht. Wo der Mensch im Zentrum steht, wo er eigentlich schon immer hingehörte. Wo der CEO eine konsequente Kindness-Kultur vorlebt, die durch die Gänge des meist wuseligen Einkaufszentrums weht. Dabei bringt er die unterschiedlichsten Entrepreneure und Unternehmen zusammen – vom Tätowierer über den Zahnarzt und den familiengeführten Imbiss bis zu internationalen Modeketten.

Patrick Stäuble über René Benko, Konsum, aufrechte Zugewandtheit und Respekt sowie einen Shitstorm, der alles auf den Kopf stellte.

Mit natürlicher Kindness zum Erfolg: Shoppi Tivoli-CEO Patrick Stäuble verzeichnet jedes Jahr satte 6,7 Millionen Besucherinnen und Besucher.
Mit natürlicher Kindness zum Erfolg: Shoppi Tivoli-CEO Patrick Stäuble verzeichnet jedes Jahr satte 6,7 Millionen Besucherinnen und Besucher.

Ladies Drive: Wenn man im Moment in die Welt hinausschaut, geschehen ja einige eigenartige Dinge, wo man sich verwundert die Augen reibt. Zum Beispiel der Fall René Benko. Bewegen Sie die Schlagzeilen rund um die Signa oder den Globus in Zürich?

Patrick Stäuble: Es bewegt mich nicht so arg, wenn es um René Benko geht. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber am Schluss ist er ein Finanzheini. Ich weiss nicht, wie viel Herzblut und Liebe fürs Retailgeschäft vorhanden ist. Im Retail sind wir alle wie eine eigene Familie. Ich war Verkaufsleiter bei der Coop oder Lumimart, dann Business Unit Leiter K Kiosk bei Valora. Und wenn ich etwas am Retail liebe, dann sind es die Menschen. Mir tun die Leute, die in den vielen Einkaufshäusern arbeiten, die nun in Schieflage geraten sind oder bereits ein Konkursverfahren eingeleitet haben, einfach extrem leid. Das sind die Opfer. Der Banker, der Finanzhai, das ist kein Opfer.

Dann frag ich andersrum: Was bewegt Sie, wenn Sie in die Branche schauen?

Wenn ich den Confiseur Bachmann anschaue, der in der zweiten Generation ist, mit diesen zwei jungen Leuten. Das ist Liebe. Die machen das mit Überzeugung. Aber auch ein Jörg Weber, der Chicorée aufgebaut hat, macht das mit voller Hingabe, besucht die Läden, zahlt einen 14. Monatslohn an alle Mitarbeitende, wenn das Geschäft gut läuft. Das sind nur zwei Beispiele von vielen. Wenn wir uns jetzt in Zürich die so berühmte Bahnhofstrasse anschauen – besteht die aus lauter Finanzleuten. Die wollten möglichst grosse Profite. Und wenn ich jetzt das Shoppi Tivoli anschaue, muss ich ehrlicherweise natürlich sagen, dass auch wir Profite wollen und brauchen. Aber ich muss ja für das ganze Haus schauen, für alle 160 Läden, die unter unserem Dach sind. Bei uns sind Ladenflächen noch leistbar. Der kleinste Laden misst zwölf Quadratmeter und ist ein Familien­unternehmen, welches Schokoladenfrüchte herstellt. Ich muss also nicht jede Fläche auf Teufel komm raus an den Meistbietenden verschachern. Wir können uns das leisten und wollen es auch genau so. Ich hab ein Stück weit Angst um die Zürcher Bahnhofstrasse – aber der Grund für vieles, was im Argen liegt, ist, dass man nur den Quadratmeterpreis im Kopf hat und nicht mehr die Vielfalt. Und das ist falsch. Denn ich bin überzeugt, dass die Vielfalt ein grosser Teil unseres Erfolgs ist. Wenn wir aussehen wie die Bahnhofstrasse oder genau gleich wie ein anderes Center, wieso sollen die Menschen dann zu uns kommen?

Es ist auffällig, dass sich in vielen Städten nur noch die grossen, globalen Player die besten Lagen leisten können. Und so kommt es, dass die eine Stadt der anderen zu ähneln beginnt, was die Läden und Shoppingmöglichkeiten anbelangt. Wir haben „more of the same“ und verlieren auch die Innovationskraft von lokalen ­Designern.

Aber es ist eine grosse Chance für uns. Ich war selbst gerade eben in vier Städten, wo ich für eine Keynote eingeladen wurde. Ich sage da immer und immer wieder: Liebe Retailer, ihr müsst aufhören, auf den Nächsten neidisch zu sein, ihr müsst zusammenspannen. Und wenn es ein Restaurant oder ein Laden nebenan besser macht, nicht eifersüchtig sein, sondern daraus lernen. Auch im Shoppi Tivoli versuchen wir immer, die Mieter zusammenzubringen, damit man diese Einheit spüren kann.

Schaffen Sie das? Reden die Leute miteinander? Wenn es um Geld geht und manchmal eben auch um das unternehmerische Überleben, dann werden ja häufig plötzlich die Ellbogen ausgefahren.

Beim Verkaufspersonal passiert das weniger – bei den CEOs hingegen schon (lacht). Ich mache zum Beispiel einmal im Oktober eine Riesenparty im Shoppi Tivoli. Da können alle dabei sein. Und ich sage eigentlich nur fünf Minuten Danke. Nur danke, dass sie jeden Tag vor der Kundschaft stehen. Dass sie jeden Tag ihren Job mit Freude machen. Ich finde schon – das funktioniert, der Zusammenhalt ist da.

Aber wenn Sie sagen, auf dieser Stufe funktioniert es, wo funktioniert es dann nicht?

Wenn es internationaler wird. Wenn von einer internationalen Gruppe eine Marketingabteilung im Ausland sitzt, dann ist Spreitenbach eben einfach ein Standort von vielen. Dann wird es schwierig. Dann kommt es wirklich darauf an, wie der Geschäftsführer vertreten wird. Es darf nicht nur um Geld gehen, sondern es muss um Engagement gehen.

Eigentlich ist das, was Sie leben, genau das, was wir unter Kindness Economy verstehen. Wie bringen wir den Menschen wirklich ins Zentrum?

Wir müssen die Menschen gern haben und einfach wieder Toleranz walten lassen. Die Pandemie hat hier vieles verschärft, das ist zumal meine Beobachtung. Könnten wir alle etwas toleranter miteinander umgehen, wären viele Probleme schon vom Tisch. Warum den anderen nicht leben lassen, wie er oder sie lebt, solange es keinem wehtut? Warum nicht?

Weil die Ängste und Unsicherheiten, die mit Ängsten verbunden sind, in den letzten Jahren so massiv zugenommen haben. Wenn man unsicher ist, wenn man ängstlich ist, dann schaut man nach sicherem Terrain. Sicheres Terrain ist das, was du kennst. Das, was dir nahe ist, dein eigenes Fleisch und Blut, im härtesten Fall. Die Frage ist ja wirklich: Wie schaffen wir, dass Sie und ich, einfach in unseren Möglichkeiten, Teil dieser Kindness Economy sind? Also – wie versuchen Sie, Ihren Arbeitsplatz zu einem Ort voller Kindness werden zu lassen?

Mit klaren Leitplanken. Wir haben beispielsweise eine Hausordnung und an die muss man sich halten. Und die zählt für alle. Zum Beispiel darf man bei uns nicht betteln, man darf nicht alkoholisiert auf einer Bank sitzen, man darf nicht mit einer Musikbox oder mit Rollschuhen oder Rollerskates ins Center fahren. Und zweitens, indem ich das einfach vorlebe. Ich mache jeden Tag einen Rundgang. Und mich darf jede Verkäuferin, jeder Verkäufer ansprechen.

Sprechen die Leute Sie dann tatsächlich an oder hat man doch zu viel Respekt vor dem „Chef“?

Ja, sie haben natürlich Respekt. Aber die Menschen sehen und erleben tagtäglich, dass ich zugänglich bin. Ein Beispiel: Als ich vor 13 Jahren angefangen habe, gab es im Untergeschoss einen Personalparkplatz in demselben Parkhaus, wo auch die Kundschaft parken kann – und die Chefetage hatte eigene Parkplätze gemietet, näher an den Büros dran. Wir mussten nur mit dem Lift hochfahren. Das ging eine Woche und dann habe ich das abgeschafft. Wir parken da, wo die anderen auch stehen. Aber man kann sich als „Chef“ auch nicht hinstellen und denken, nur weil die Tür vom Büro offen steht, treten die Leute auch ein. Ich gehe zu den Menschen und ich frage sie. Wie lief der Tag gestern? – Oder ich spreche die Mitarbeiter auf dem Nachhauseweg zum Auto an und erfahre da sehr viel, solche Momente geniesse ich.

Sie haben während der Pandemie einen ausgewachsenen Shitstorm kassiert.

Dort war die Toleranz an einem ganz kleinen Ort. Ich habe sogar Morddrohungen bekommen, ich musste mich und meine Familie schützen, das ist unheimlich weit gegangen.

Was ist damals passiert – auch mit Ihnen, Ihrer Familie?

Wir hatten mitten in der Pandemie das 50-Jährige. In Abstimmung mit dem Bundesamt für Gesundheit und dem Regierungsrat haben wir, nach einer ersten Verschiebung wegen des Lockdowns, ein Datum festgelegt und das Geburtstagsfest dann auch durchgeführt. Und da gab es folgende Situation: Eine übergrosse Tischbombe ging hoch und die Leute haben sich auf den Inhalt gestürzt. Entsprechend war eine kurze Menschenansammlung da, man war nah an nah – und genau davon gab es ein Bild. Das war ein singuläres Ereignis von wenigen Minuten Dauer. Aber eben genau dieses Bild gelangte in die Presse. Man hat mich angegriffen, persönlich angegriffen. Man brauchte ein Gesicht, einen Schuldigen, und das war ich. Das ging in der Folge wirklich durch sämtliche Medien. Es gab auch einen TV-Sender, der drei Tage nach Veröffentlichung dieses Bildes zu mir kam und ein weiteres Interview wollte – welches ich abwinkte. Da sagte mir der Journalist: „Schauen Sie, Herr Stäuble, jetzt stehen Sie vor der Kamera. Oder wir machen eine schlechte Geschichte.“ In so einer Situation wird man von Journalisten sehr unter Druck gesetzt. Und ja, es gab Morddrohungen gegen mich.

Ladies Drive Magazin Vol. 65. Patrick Stäuble.

Hat man je herausgefunden, von wem die kamen?

Nein. Nie.

Das ist heftig …

(Überlegt) Ich war zwei Monate weg und brauchte Zeit, dies zu verarbeiten. Ich bin heute glücklich, dass ich wieder an diesem Job zurück bin.

Wow.

Es hiess in der Presse, dass einer, der eine Million verdient, das aushalten muss. Ich wäre froh, ich hätte die Hälfte von dieser Million! Das sind dann aber eben die Zahlen, die plötzlich in Umlauf gerieten.

Woher kam die Annahme, dass Sie so ein hohes Salär beziehen?

Man hat mal gehört, was man in einer Grossbank oder der Chemie verdient. Dann hat man das Gefühl, jeder CEO hat eine Million. Bei Weitem nicht. Wir sind ein KMU. Aber eben. Und dann rechtfertigt man es mit Geld, dass „so einer“ das aushalten müsse. Dass eine Familie leidet, dass Kinder leiden. Meine Kinder haben gewaltig gelitten, auch meine Frau. Es war für die nicht schön zu sehen, dass der Vater leidet und Hilfe braucht. Aber ja, es macht einen schlussendlich stärker. Wenn die Medien anfangen würden – und jetzt kommen wir zur Kindness Economy zurück –, diese Kindness zu leben, wäre vieles in unserer Welt auch anders, denn die Macht der Medien ist sehr gross.

Dann wäre auch die Geschichte, die der Ursprung eures Shitstorms war, anders gespielt worden – das meinen Sie damit?

Ja. Und das Verrückte ist: Ich hatte in der Folge fünf Anzeigen wegen Körperverletzung zu bewältigen. Alle wurden fallen gelassen. Wir sind auch gegen die Busse der Gemeinde, die wir damals erhalten haben, gerichtlich vorgegangen – und haben recht bekommen. Wir haben de facto nichts falsch gemacht. Rechtlich. Moralisch muss man das natürlich abwägen, und im Nachhinein ist man schlauer, schon klar. Aber die Medien haben etwas hochgespielt, was in der Folge zu massiven Bedrohungen geführt hat.

Wir täten alle gut daran, ab und an mal einfach eine Frage zu stellen. Wie etwa: War das wirklich so? Erzähl mal. Oder Dinge generell zu hinterfragen. Es gibt immer mindestens zwei Seiten einer Geschichte …

Was ich auch noch sagen muss, ich war Gott sei Dank schnell draussen aus dieser Geschichte. Ich habe relativ schnell begriffen, dass die, die mir das angetan haben, und der, der mir noch eine Bombendrohung hinterhergeschickt hat – die müssen unheimlich verzweifelte Menschen sein. Ich empfand schnell keinen Hass mehr. Ich kenne diese Leute nicht, aber sie müssen verzweifelt gewesen sein, dass sie das gemacht haben. Ich finde es nicht richtig, was sie gemacht haben, aber ich habe sie nicht verurteilt. So hab ich für mich einen Weg aus der dunklen Ecke rausgefunden. Irgendwann war ich aber auch an einem Punkt, wo ich mir sagte, dass ich es nicht zulassen möchte, dass mich jemand damit in die Knie zwingt. Heute fühle ich mich wieder sicherer. Ich bin vorsichtiger geworden, aber man muss auch verzeihen, damit es für einen weitergehen kann.

Sie sagen, Sie sind vorsichtiger geworden. Das ist ein heikler Punkt. Weil man dazu neigt, nach solchen Erfahrungen anderen Menschen das Vertrauen zu entziehen, man wird misstrauischer der Welt gegenüber.

Ich bin zurückhaltender geworden bei Interviews, gebe nur noch sehr selektiv welche.

Das ist verständlich. Wie möchten Sie – vielleicht auch gerade weil Sie erlebt haben, was Sie uns eben erzählt haben – die Zukunft Ihres Centers prägen? Wie werden wir in Zukunft im Tivoli shoppen?

Online wird wachsen. Da bin ich überzeugt. Vielleicht hilft uns auch irgendwann die künstliche Intelligenz bei der Abfallvermeidung – weil die KI weiss, was wirklich im Kühlschrank fehlt und wie viel wir üblicherweise konsumieren zum Beispiel. Der Mensch wird lernen, auch das anzunehmen. Bezüglich Detailhandel gehe ich davon aus, dass es holprig und schwierig wird. Aber ich glaube daran, dass Häuser wie wir weiter funktionieren werden – weil sich bei uns Menschen begegnen. Es geht nicht nur ums Konsumieren. Und alles ist unter einem Dach, allzeit wetterunabhängig verfügbar, inklusive Gastronomie. Wir sind ein Lifestyle-Center, wo es vom Tattoo über Piercings, Zähne korrigieren, bleichen und reparieren fast alles gibt. Das ist deutlich krisenresistenter.

Wenn Sie sagen, Sie sind ein Center, wo man sich begegnet, dann fehlt ja nur noch ein Café zum Netzwerken!

Das stimmt. Da denken wir doch noch mal drüber nach.

Weiterführende Informationen: 

www.shoppitivoli.ch

Veröffentlicht am März 14, 2024
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