Start-up Stories #5: OiOiOi

Interview: Dörte Welti

Ladies Drive Magazin Vol. 65. OiOiOi.
Das Leih-Abo für nachhaltige Baby- und Kinderkleidung.

Haben Sie Kinder? Auch, wenn nicht: In unserer Serie über Startups, denen Unternehmer Roland Brack neben Kapital auch Hilfe in strategischer Entwicklung angedeihen lässt, hat mit Kleidung für den Nachwuchs zu tun und ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie aus einem selbsterkannten Missstand ein veritables Business entstehen kann.

Ladies Drive Magazin Vol. 65. OiOiOi Founder Team Belen Staaempfli Bolliger und Anna Mucha
OiOiOi Founder Team Belen Staaempfli Bolliger und Anna Mucha

Kinder wachsen besonders in den ersten zwölf Monaten ihres irdischen Daseins schneller aus ihren Sachen heraus, als man «Bist Du aber gross geworden!» sagen kann. Eltern haben die Tendenz, sich eine Erstausstattung für ein Baby zuzulegen, mit der man eine komplette Krabbelgruppe für einige Wochen ausstatten könnte. Dazu kommen noch die wohlgemeinten Gaben lieber Menschen, die für den Neuankömmling shoppen gehen und die mit viel Goodwill weitergereichten getragenen Outfits aus der Verwandtschaft und dem Freundeskreis. Die ersten zwei drei Monate ist man bedient, dann geht das Ganze von vorne los. Familien, die wissen, sie wollen mehrere Kinder, packen dann die Berge von kaum getragenen Stramplern, Bodys, Hemdchen und Höschen nach Grössen sortiert ins Réduit, was grundsätzlich eine nachhaltige Idee ist. Nothing wrong with that. Nur, wenn man dann bei No. 2 und No. 3 etc. die Sachen wieder hervorholt, hat man fast Mitleid mit den jüngeren Erdenbürgern, weil sie das alte Zeugs auftragen müssen und kauft je nach Budget halt doch das ein oder andere neu. 

Ladies Drive Magazin Vol. 65. OiOiOi.

Diesem Thema haben sich Anna Mucha und Belén Stämpfli angenommen. Wir treffen die beiden jungen Mütter im Industriegebiet von Schlieren bei Zürich, wo sie mit ihrem im Mai 2020 live gegangenen Start-up OiOiOi, einem Leihabo für nachhaltige Baby- und Kinderkleidung, in einem Komplex eingezogen sind, der hauptsächlich von der Holzverarbeitungsfirma Woodpecker Group belegt ist. Eine Frage drängt sich als allererstes auf:

Ladies Drive: Wie kommt eigentlich dieser Name OiOiOi zustande? 

Belén: «oi» ist Schweizerdeutsch und heisst eigentlich «Euch», unsere Sachen gehen von euch zu euch. Das ist so repetitiv und gleichzeitig bietet es sich an. Anfangs sind viele verwirrt und dann bleibt der Name aber irgendwie hängen. 

Ich habe noch gedacht, das hat irgendwas mit Babys und jö zu tun … 

Belén: Es ist auf jeden Fall ein Ausruf, den man immer wieder verwendet, wenn man Kinder hat (lacht). 

Ihr seid auf die Idee mit dem Leihabo gekommen, weil ihr Mütter seid? 

Anna: Genau, um das eigene Problem zu lösen. Wir haben beide bei unserem jeweils ersten Kind festgestellt, es gibt keine praktische und nachhaltige Lösung auf dem Markt. Das wollten wir verändern. 

Ladies Drive Magazin Vol. 65. OiOiOi.
Ladies Drive Magazin Vol. 65. OiOiOi.

Nutzt ihr selbst eure Businessidee?

Anna: Natürlich.

Belén: Ich würde nichts mehr anderes machen. Wir haben inzwischen je zwei Kinder, am Anfang waren unsere eigenen Kinder auch die Testpersonen, das hat vieles vereinfacht. Das Interessante an unserem Start-up ist, dass wir auch unsere Zielgruppe repräsentieren. Insbesondere, als wir das Konzept ausgearbeitet haben, da kann man sich halt richtig in die Problematik reinfühlen.

Was waren die Eckpfeiler eurer Idee für ein Leihabo für Baby- und Kinderkleidung? 

Belén: Uns war bewusst, wir wollten ausschliesslich nachhaltige Mode. Wobei: Mode ist nicht mal der richtige Ausdruck, sondern nachhaltige Textilien, nachhaltige Produktion und wir möchten diese auch fördern. Das heisst, wir wollen sie nachhaltig einkaufen und die Produkte so lange wie möglich am Leben halten. Kreislauffähige Ware einkaufen, um Verschwendung zu reduzieren. Aus Business-Sicht lohnt es sich am ehesten, wenn die Kleider lange leben. 

Wie genau funktioniert die Business-Idee?

Belén: Wir bieten verschieden grosse Bundles im Abo an, das kleinste hat fünf Teile. Und preislich beginnt es bei CHF 5 pro Monat pro Teil. Es gibt Bundles zu fünf, zehn, fünfzehn oder zwanzig Teilen. Du bekommst die gewählte Kleidung vor die Haustür geliefert, nutzt sie so lange wie sie deinem Baby passen, schickst das Bundle einfach zurück und hast nichts mehr zu Hause, hast nichts zu waschen, zu verkaufen, zu verstauen, zu sortieren, aufzuräumen. Die Ware kommt ungewaschen zurück zu OiOiOi, weil wir sie sowieso professionell, reinigen kontrollieren und wieder in den Umlauf bringen. Wir reparieren auch, und was dann wirklich nicht mehr gebraucht werden kann, geht in den «End of use». Das passiert nach fünf oder sechs Babys.

Was heisst «End of use»?

Belén: Die Teile verkaufen wir an unsere Community über Instagram. Sie taugen noch als Sandkastenkleidung, zum Malen, als Ersatzkleidung in der Kita, eben überall dort, wo sie nicht perfekt sein müssen. Wir werfen nichts weg.

Kann sich dort auch bedienen, wer sehr preisbewusst denken oder sparen muss?

Anna: Absolut. Das letzte Mal waren die Teile innerhalb von 10 Minuten alle weg. Das ist wie frische Weggli. Der Gebrauch geht wirklich bis zum Ende. 

Und was, wenn ich die Sachen schon beim ersten Mieten behalten möchte, weil ich emotional daran hänge und sie meinen Kindern aushändigen will, wenn sie selbst mal Kinder haben?

Belén: Das geht natürlich, die Kunden können uns Teile abkaufen, in welche sie sich verliebt haben. 

Ladies Drive Magazin Vol. 65. OiOiOi.
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Was waren die Herausforderungen in der Anfangsphase von OiOiOi? 

Anna: Die Kleidung soll nachhaltig und kreislauffähig sein, und das sind meistens kleinere Marken, die in eine nachhaltige Produktionskette investieren. Ein Kleidungsstück, das für zehn Babys gemacht ist, ist ganz anders konzipiert als Fast Fashion. Wir haben mit wenigen Brands und auch wirklich nur fürs Babyalter angefangen, weil das Geld nicht für mehr reichte. Dann haben wir laufend getestet und ausgebaut.

Nicht so viel Geld: Habt ihr nur mit eigenem Geld gestartet?

Anna: Die ersten zweieinhalb Jahre waren wir 100 Prozent bootstrapped. Wir haben praktisch alles, was wir verdient haben, wieder investiert und uns nichts ausgezahlt. 

War «Höhle der Löwen» im Frühling 2022 dann der erste Versuch, Investoren zu finden?

Belén: Wir hatten gerade unsere Finanzierungsrunde sozusagen eröffnet, als wir angefragt wurden für «Höhle der Löwen». Wir haben uns gesagt, okay, das ist eine gute Plattform und wir sind sowieso am Fundraisen. Wunsch war, eine Teilfinanzierung zu bekommen. Rausgelaufen sind wir aber mit einer kompletten Finanzierungsrunde. Zwei Löwen haben investiert, sowie ein dritter externen Investor. 

Was sind eure Massnahmen, um zu wachsen?  

Belén: Der Grossteil ist Onlinemarketing und Influencer. Ein anderer Teil ist ein Netzwerk aus Partnern im Pre- und Post-natal Bereich. Die grössten Ambassadoren sind aber unsere Kunden, welche das Word-of-Mom in die Welt raustragen; wenn Eltern gute Lösungen für sich selbst gefunden haben, teilen sie diese gern.

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Wären Hebammen nicht auch eine Zielgruppe, weil sie so nah an den Müttern sind? 

Anna: Unsere Produkte werden tatsächlich von Hebammen empfohlen, insbesondere für die ganz Kleinen, also Neugeborene. Weil es bei OiOiOi nicht um Fashion geht, sondern um wirklich funktionale und komfortable Kleidung, welche das Leben von Eltern einfacher macht. Sie sind grosse Supporter unserer Lösung und empfehlen uns herzlichst gerne weiter. Hebammen sehen, wie überfordert frisch gebackene Eltern sind, wie viel Verschwendung diese Industrie produziert. Werdende Eltern werden oft überhäuft mit so viel Ware, anstatt mit Lösungen, die ihnen wahrhaftig helfen. 

Könnt ihr euch noch an das Leben erinnern, was vor den Babys und OiOiOi war? 

Belén: Ich hatte viel mehr Freizeit (lacht)! Ich habe Business Communication studiert in der Schweiz und bin dann in die Finanzindustrie gegangen, habe Kundenbetreuung im Wealth Management gemacht, Consulting, Projekte geführt für Marken und Sales Marketing für internationale Märkte.

Inwieweit hat Dir Deine berufliche Tätigkeit bei eurem Business Case geholfen?  

Belén: Aus dem Corporate Bereich habe ich mitgenommen, wie man Strukturen aufbaut. Wir sehen oft, dass das manchen Start-ups fehlt. Ich glaube, das konnten wir beide einbringen. Das Businesstraining an sich, Negotiation, Leute zu führen …

Anna, hast du einen anderen Werdegang gehabt?

Anna: Ja, ganz anders. Deshalb komplementieren wir uns ja auch so gut. Wir haben uns genau deshalb gut gefunden, weil wir so ein «complementary skillset» haben, das war sehr wichtig. Ich bin aus dem Supply Chain Bereich. So teilen wir uns auch ein bisschen auf. Belén macht Marketing und Sales vor allem und ich mache das Produkt und Operations. Gefunden haben wir uns, weil ich eine Co-Founder Stelle auf gofundme.org ausgeschrieben hatte, eine Plattform, wo man Mitgründer suchen und die ich natürlich sehr empfehlen kann. 

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Was würdet ihr heute anders machen? 

Belén: Im Nachhinein ist man immer schlauer. Aber Entscheidungen damals, welche ich jetzt anzweifle, habe ich nicht getroffen. Man spürt selbst, wo die Schwierigkeiten sind, und ich glaube, das Hiring ist immer ein Thema. Also gute Talente zu finden. Wir haben wirklich coole Leute in unserem Team, die sind aber nicht immer einfach zu finden. Und dann das Thema IT, also IT inhouse zu haben. Entweder hast du die Person im Gründerteam, was wir oft probiert haben, aber irgendwie haben wir nie jemanden gefunden, der einfach in die Dynamik passt, das ist eine Challenge. Die Alternative ist, jemand wirklich Gutes zahlen zu können. Aber irgendetwas krass bereuen, das tue ich nicht.

Anna: Ich glaube, das Einzige, was wir uns manchmal wünschen – nun, wir haben doch immer noch das Gefühl, dass wir sehr viel selbermachen. Und dass sehr viel aus unserer kreativen Energie stammt und dass diese manchmal auch extern gut ergänzt werden könnte. Kostet halt nur sehr viel. 

Gab es eine Lernkurve? 

Belén: Ein Crowdfunding hatten wir ziemlich am Anfang. Wir haben dann im Kickstarterrausch gemerkt, dass das für uns nicht unbedingt so funktioniert, weil unser Produkt kein Instant-Want-Produkt ist. Es ist nicht wie ein Kaffee oder eine Schokolade, die du kaufst und gleich konsumierst, sondern unser Produkt muss  wirklich auf dein Leben zugeschnitten sein. Es muss gerade passen, du musst gerade im Endstadium der Schwangerschaft sein, gerade noch nicht alles angeschafft haben und so weiter. Also ist es schwierig, das zu platzieren. Das merken wir auch immer bei Pop-up Stores. Wir möchten uns und unser Produkt gerne zeigen und die Leute wollen dann immer etwas mitnehmen. Wir sind aber keine klassische Boutique, Du kannst unsere Sachen nicht stückweise kaufen. 

Wäre das Zukunftsmusik? Ein Store? 

Anna: Nein. Wir wollen zeigen, dass Mieten wirklich eine gute Alternative zum Kaufen ist. Unsere kleinen Kunden wachsen innerhalb weniger Wochen aus dieser Kleidung raus. Am Anfang sind es etwa drei Wochen bei den Neugeborenen, das ist Wahnsinn. Du schaffst dir einen ganzen Kleiderschrank an, drei Wochen später kannst du den schon nicht mehr verwenden. Ist die Nutzung extrem kurz, macht es einfach Sinn, Produkte zu mieten, anstatt zu kaufen. Weil du ansonsten einen Aufwand hast, der immens ist. 


Das sagt Michael Brändli, Investment Manager bei Ziano Ventures, zum Investment in das Startup OiOiOi:

«Anna und Belén sind ein tolles Gründerinnen-Duo, das mit Leidenschaft und Engagement eine Lösung für ein weitverbreitetes Elternproblem geschaffen hat. Der Markt für Babykleidung boomt, während Nachhaltigkeit an Bedeutung gewinnt. Der Ansatz von OiOiOi hat uns überzeugt und wir sind der festen Überzeugung, dass das Team um Anna und Belén den Zeitgeist perfekt trifft. Ihre Vision und ihr Engagement für Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Effizienz spiegeln sich in einem Geschäftsmodell wider, dass auch einen positiven Beitrag zur Umwelt und zur Lebensqualität von Eltern leistet.»

Weiterführende Infos:

oioioi.rent

Veröffentlicht am März 16, 2024

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