Start-up Stories #6: Intrinsic

Interview: Dörte Welti

Ladies Drive Start-up Story: Intrinsic
Bildung ist der wichtigste Rohstoff der Schweiz.

Wir haben in unserer Start-up Serie schon viele Topics behandelt: IT, MedTech, Alkohol sogar, Babykleidung oder Snacks. Aber Bildung? Christine König hat gemeinsam mit Christian Müller eine, wie sie es nennen, Bildungsrevolution gestartet. Wir wollten von Christine König mehr darüber lernen.

Start-up Intrinsic - Christine Koenig und Christian Mueller
Start-up Intrinsic – Christine Koenig und Christian Mueller

Christine, euer Start-up heisst Intrinsic. Was sagt uns dieser Begriff?

Christine: Der englische Begriff «Intrinsic» heisst «aus innerem Antrieb». Unsere Organisation befasst sich unter dem gleichnamigen Titel mit dem Lernen, mit der Lernkulturentwicklung in Schulen und Unternehmen. Wir begleiten Organisationen, um ein neues Paradigma des Lernens zu erreichen, welches auf intrinsischem, selbstverantwortetem und lebenslangem Lernen basiert.

Intrinsic Logo

Wieso Schulen? Da wird doch bereits Bildung vermittelt?

Die Forderungen aus Wirtschaft und Gesellschaft werden immer lauter, dass es in der Zukunft weitere Kompetenzen brauchen wird, die nicht mit dem korrelieren, wie in der Schule heute noch gelernt und gelehrt wird. Viele Schulen betreiben herkömmliche Wissensvermittlung im 45-Minuten-Takt, es gibt keine Altersdurchmischung, alles ist sehr genormt, sehr statisch, sehr linear. Wir glauben hingegen an die netzwerkartigen, überfachlichen Kompetenzen.

Sind die nicht aber ein Bestandteil von Lehrplan 21?

Den Lehrplan finden wir toll, der ist wunderbar, nur die Schulen sind meist gar nicht so weit, dass sie ihn wirklich umsetzen können, wenn es plötzlich heisst, überfachliche Kompetenzen fördern. Wenn Schulen sich in einer veränderten Lernform mit den Klassen auf den Weg machen wollen, gibt es noch viel zu tun. Wir sind überzeugt, dass eine fundamental andere Logik in die Schulen reinschwappen muss.

Ladies Drive Start-up Story: Intrinsic

Wie wollt ihr das vermitteln? Und vor allem: wem? Den Schülern? Den Lehrern?

Wir sind ein selbstbeauftragtes Labor für Forschung und Entwicklung. Wir bilden einerseits Lehrpersonen zu Lernbegleiterinnen und -begleitern der Zukunft aus. Ein Prototyp einer neuartigen Ausbildung zuhanden der Pädagogischen Hochschulen. Weil es Lehrpersonen braucht, die am eigenen Leib inhaliert haben, was es überhaupt heisst, sich mit einer neuen Art der Lernkultur in die Klassen mit den Schülerinnen und Schülern auf den Weg zu machen. Zum anderen kommen ganze Schulklassen zu uns. Während einem Quartal, neun Morgen lang, und arbeiten selbstorganisiert und selbstverantwortlich an selbstgewählten Projekten. Die Kinder von morgen – und gerne auch die von heute –, sollten mit den berühmten Future Skills am liebsten schon heute vertraut sein. Kommunikation, Kollaboration, kritisches Denken, vernetztes Denken, sich öffnen, leben in Netzwerken. Im Gegensatz zur stoischen Reproduktion von Wissensvermittlung in abgeschlossenen Systemen, die sich nicht untereinander austauschen. Und sie sollen sich auch nicht über Noten und Erfolge definieren. Die Lehrperson ist an diesen Morgen mit dabei und sieht, wie es auch gehen könnte. Reflexion und Dokumentation und der ganze Prozess des Lernens ist dabei viel wichtiger als die Bananenschneidemaschine, die dann vielleicht am Ende herauskommt, die sie gerade erfunden haben.

Können die existierenden Schulen das nicht leisten?

Ich möchte das nicht verallgemeinern, es gibt ganz viele tolle Schulen, vor allem die öffentlichen Schulen, die sich auf den Weg gemacht haben, ein neues Lernverständnis zu kultivieren und trotz allem dann immer wieder an weitreichenden politischen Systemen nicht rütteln können.

Spulen wir mal zurück. Wie war der Prozess des Findens von Intrinsic? Bist du eine Mutter, die die Kinder scheitern sieht in der Schule?

Ich bin ursprünglich Grafikdesignerin und habe einen Master in Strategischem Design: Da geht es um die Frage, wie die Designdisziplin als Wertschöpfung in eine Firma integriert werden kann. Dieser Master und die Auseinandersetzung mit Organisations- und Teamentwicklung haben bei mir eine persönliche Entwicklung ausgelöst. Ich war zehn Jahre als Creative Director bei Lonza mit 15.000 Mitarbeitenden in unterschiedlichen Ländern und Headquarter in Basel, tätig. Ich habe gemerkt: das globale Design Team ist toll. Ich begleite Menschen in ihrem Entwicklungsprozess. Ich brenne für wirkungsvolle Veränderung und gemeinsames Vorwärtskommen. Nur war ich in der falschen Organisation. Ich begriff, dass ich ohne meinen Purpose arbeite, ich spürte, meine Arbeit müsste mehr gesellschaftliche Relevanz haben. Und ja, ich bin Mutter, mittlerweile von zwei pubertierenden Mädchen. Bei den Überlegungen, wie ich sinnvoller arbeiten könnte, kam ich organisch auf Bildung, weil Bildung für mich einer der wichtigsten Rohstoffe der Schweiz ist. Je früher wir anfangen können, diesen zu kultivieren oder zu entwickeln, umso besser.

Wie müssen wir uns den Prozess zu Intrinsic vorstellen?

Vor fünf Jahren hat es Intrinsic als GmbH gegeben. Das Einzige, was wir damals gestartet haben, war die Lehrpersonenausbildung. Wir haben einfach aus Überzeugung begonnen, mit kühnen Studierenden eine andere Form des Lernens zu erfinden. Wir hatten kein konkretes Produkt, das sich verkaufen oder skalieren lässt. Wir hatten keine Investoren oder Business Angels. Wir waren Drittmittel-finanziert von Stiftungen, weil die Sinn darin sahen, dass man einem laborartigem Gefäss Geld für Bildungsinnovation gibt, um überhaupt zu starten. Sehr ergebnisoffen, was unseren Begriff von Lernen auch widerspiegelt. Ein paar mutige Menschen haben 2019 zu ein paar mutigen Menschen ja gesagt. Im September 2019 bin ich eingestiegen und seit 2021 pilotieren wir das Lernen im Unternehmen. Jetzt sind wir so weit, dass wir wissen, wo die Einstiegstore und Hebel liegen. Wir nennen das Produkt Lernreise und können das in Unternehmen so umsetzen, dass wir es jetzt ausbauen, stabilisieren und unternehmerischer aufstellen können. Darum macht die AG, die wir vor drei Monaten gegründet haben, jetzt richtig Sinn.

Wir gründeten die Intrinsic Learning Lab AG zudem im so genannten Verantwortungseigentum mit dem Ziel, dass ganz viele Menschen Mitinhaberinnen und -inhaber von Intrinsic werden können. Alle Gewinne, die ausgeschüttet werden, haben einen Deckel, auch für die Gründerinnen und Gründer. Verantwortungseigentum ist für mich eine nachhaltige, zukunftsfähige Form des Wirtschaftens. Ein Grundprinzip ist die Trennung von Kapitalrechten und Stimmrechten. Heisst, Geld ist immer ein Mittel zum Zweck und wird für den Intrinsic Purpose verwendet. In unserer AG bekommt also nicht der grösste Investor am meisten Macht und bestimmt damit den weiteren Verlauf von Intrinsic. Die Mehrheit der entscheidungsfähigen Menschen, die das Steuer in der Hand haben, sind jeweils die aktiven Intrinsic-Mitarbeitenden.

Aktuell sind wir in einer Crowdinvesting-Kampagne. Unser Ziel ist es, CHF 500’000 als Investitionskapital zu sammeln. Mit diesem Kapital können wir die «Lernreisen für Unternehmen» weiterentwickeln, digitalisieren und effizient vermarkten.

Zur Klärung: Ihr habt zwei Sparten, Schulen und Unternehmen?

Genau. Um noch mehr Wirkung zu erzielen, braucht Intrinsic jetzt einen starken unternehmerischen Motor. Mit dem Produkt Lernreisen in Unternehmen können wir mit Marge produzieren. Die erwirtschafteten Gewinne werden zu einem Teil an die Investorinnen und Investoren ausgeschüttet, mit dem anderen Teil des Gewinns alimentieren wir künftig           die Schulinnovationsprojekte, welche nicht kostendeckend sind.    

Wie viele seid ihr bei Intrinsic?

Aktuell zehn Leute. Wir arbeiten darüber hinaus mit einem grossen Pool von Expertinnen und Experten, ca. 50 Personen. Lernen im Netzwerk ist Teil unserer DNA, darum bauen wir dieses stetig aus.

Ladies Drive Start-up Story: Intrinsic

Gibt es Themen, wo du jetzt in diesem Prozess immer wieder anstößt, wo du sagst, meine Güte, wieso ist es so schwierig über diese und jene Hürde zu gehen? Mühsame Dinge? Nerviges?

Ja, ganz offen gestanden wünsche ich mir, dass Veränderungen in Bildungsinstitutionen aller Art viel schneller gehen, als sie dies tun. Und dass Menschen selber ins Tun kommen und Veränderungen vorantreiben ohne als letztes Argument jeweils auf die Politik zu verweisen, die halt nicht kann, will, oder vorwärts macht. In der Politik wünsche ich mir Menschen, die sich für Bildungspolitik verantwortlich fühlen und aktiv werden. Ich verstehe, dass das herausfordernd ist. Man wird sich ohne breit abgestützte Allianzen schnell die Finger verbrennen. Und: wer will sich schon mit Themen auseinandersetzen, zu denen so viele Menschen eine polarisierende Meinung haben!                                        

Was treibt Dich an?

Wir sind heute an einem ganz anderen Ort als noch vor fünf Jahren. Das stimmt mich zuversichtlich. Es gibt so viele Menschen, die schon voll dran, zu transformieren, zu entwickeln. Und dann gibt es jene, die eigentlich mehr möchten, aber dann ihres Hutes wegen, den sie in ihrer Funktion      aufhaben, eigentlich gar nichts sagen dürfen. Zudem werden die Zeitintervalle von fundamentalen Veränderungen, die der Gesellschaft blühen, immer kürzer. Das fordert mehr denn je neue individuelle und kollektive Kompetenzen, die den weitreichenden Problemen dieser Welt mit veränderungsmutigen Lösungen begegnen können. (Bsp. KI, Klimawandel, Ressourcenverteilung usw.). Für mich hat dies im Kern immer mit neugierigem Weiterlernen zu tun, denn Stagnation ist keine Option. Das gibt mir Mut, und zeigt, dass das Potenzial für grundlegende Veränderung riesig ist.

Wo siehst du den «Moment of truth» für Intrinsic? Wann habt ihr den Beweis erbracht, dass ihr auf der richtigen Spur seid?

Wenn es Intrinsic nicht mehr braucht! Das meine ich ernst. Wenn wir es geschafft haben, dass die neue Lernkultur, die wir jetzt noch «von aussen» zu Schülerinnen und Schülern, Lehrpersonen, Schulleitungen, in Bildungsinstitutionen, zu Mitarbeitenden und Teams in Unternehmen bringen, sich von selbst entwickelt und nachhaltig vorangetrieben wird.

Dann haben wir es geschafft, einen relevanten, wirkungsmächtigen Beitrag zu leisten, um ein System zu verändern, das bisher getrieben davon war, sich selbst zu reproduzieren.                                   

Hast du einen Ratschlag für andere Start-ups, irgendetwas, wo du sagst, hätte ich das doch bloß vorher gewusst oder das hätten wir früher angehen können?

Mein Ratschlag ist, den eigenen Wunsch und die Absicht, was man eigentlich bewirken möchte, nicht aus den Augen verliert. Mutig und schnell ins Testen und Ausprobieren zu gehen, sich schlau zu vernetzten mit Menschen, die Kompetenzen haben, die man selbst nicht hat, und sich nicht zu fest reinreden zu lassen von potenziellen Investoren und Investorinnen.

Aber wie macht man das?

Resistent zu bleiben gegen Einflüsse von aussen, die einem vom ureigenen Purpose, dem Sinn und der gewünschten Wirkung des Start-up’s abbringen. Und Scheitern als Option immerfort mitzunehmen!  Ich bin überzeugt, dass sich dies persönlich auf die Haltung und unternehmerisch auf Innovation niederschlägt.

www.intrinsic.ch

Veröffentlicht am April 10, 2024

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