Mira Zawrzykraj
Kommunikationsexpertin, Managing Partner und Verwaltungsrätin bei PRfact AG.
Vertrauen ist für mich definitiv eine Währung. Einer der wichtigsten Grundbausteine in menschlichen Beziehungen, beruflich wie privat. Und kommt immer mit einem Vorschuss. Ob ich einen Menschen kenne oder nicht, wenn ich nicht bereit bin, diesem Menschen einen Vertrauensvorschuss zu geben, wird es schwierig, Vertrauen zurückzuerhalten. Deswegen funktioniert Vertrauen nur, wenn es beidseitig besteht und eingesetzt wird. Gefühle? Gute und schlechte. Vertrauen ist manchmal das schönste Gefühl auf Erden. Zu wissen, dass Menschen da sind, die mich immer auffangen werden, ganz egal was ich gemacht oder gesagt habe. Zu wissen, dass immer jemensch da ist und mir hilft. Aber auch sehr schlechte, wenn Vertrauen missbraucht wurde, und der bittere Nachgeschmack, der haften bleibt.
Vertrauen schafft mensch, indem wir Vorurteile loslassen. Indem wir an das Gute glauben (dürfen). Indem wir eine Beziehung eingehen und auch einen Teil von uns entblössen und preisgeben. Indem ich Menschen wertschätze und es ihnen zeige. Indem ich meine Erwartungen anpasse und manchmal auch Kompromisse eingehe zum Wohl von beiden. Wie wird Vertrauen zerstört? Innert Sekunden mit einer falschen Handlung. Ein falsches Wort oder eine Lüge, eine (vermeintlich) falsche Tat, jegliche Handlungen entgegen meiner Erwartungen können Vertrauen zerstören. Verlorenes Vertrauen wieder aufbauen? Schwierig. Je nach Charakter möglich bis unmöglich. Es kommt darauf an, wie tief die Kluft ist und ob „richtige“ Handlungen Verlorenes wieder gutmachen können. Am Ende muss mensch sich selbst überzeugen und loslassen; wer nicht über seinen eigenen Schatten springt, kann kein Vertrauen mehr aufbauen. Reine Wiedergutmachung auf der anderen Seite genügt da selten.
Gesellschaftlich kommt Vertrauen eine enorm grosse Bedeutung zu. Beruflich gesehen kommt mir direkt „New Work“ in den Sinn. Wer flexible Arbeitszeiten und Homeoffice-Regelungen beibehalten möchte, braucht Vertrauen, damit es funktioniert. Auf beiden Seiten: Arbeitgebende und Arbeitnehmende müssen sich vertrauen können. Flexibilität setzt viel Vertrauen voraus, ohne funktioniert es nur schlecht. Hinzu kommt das Vertrauen in unsere Werte. Wohlbefinden, Life-Life-Balance, der Einklang mit sich selbst. Nur wer gemeinsam Werte lebt, der kommt aus Krisen gestärkt hervor. Und eher aus privater Sicht: All die Krisen um uns herum bewirken im Moment vor allem eines: Das Vertrauen in die Welt geht verloren. Deswegen, glaube ich, haben auch viele, besonders junge Menschen, Probleme damit, mit Krisen umzugehen. Das verlorene Vertrauen in die Politik, in die Gesellschaft, ja in die Menschheit (!) führt zu einer allgemeinen Lähmung. Vertrauen spielt heute (wie früher) eine sehr grosse Rolle, aber gerade jetzt spüren wir, dass viel davon fehlt, besonders kollektiv.
Hätte ich vor Jahren noch anders über Vertrauen gedacht? – Gute Frage. Allgemein betrachtet gab es, denke ich, Verschiebungen. Vertrauen war schon immer wichtig. Welche Beziehung funktioniert denn ohne? Für mich ist es die Basis eines gesunden Umgangs. Aus meiner Sicht hat das kollektive Vertrauen in den letzten Jahren sehr gelitten. Durch die Phase der Fremdbestimmung und die dazugehörige Lähmung. Dann das Zurückkehren in „unsere“ Normalität und plötzlich die nächste Krise; eine grosse Überforderung für viele. Es scheint, als seien wir verweichlicht und tragen plötzlich die ganze Last der Welt auf unseren Schultern. Wir wurden gezwungen, kollektiv zu handeln und kollektiv zu glauben – wer dies nicht tat, wurde ausgeschlossen. Die Auswirkungen auf die Gesellschaft sind heute noch zu spüren. Ich glaube aber nicht, dass die Rolle des Vertrauens früher grösser oder kleiner war. Einfach anders. Es gab schon immer Krisen und Kriege und Hunger und Tod. Nur nehmen viele junge Menschen diese Verantwortung heute anders wahr als früher, und durch das verlorene Vertrauen steigt der allgemeine Druck.
Vertrauen im Business spielte bei uns schon immer eine Rolle. Künstliche Intelligenz hin oder her, Produkte und Dienstleistungen mussten schon immer einhalten, was sie versprechen. Sonst ist das Vertrauen weg und damit auch unser Kunde. Liefern wir nicht, fehlt das Vertrauen in unsere Mitarbeitende, oder fehlen Leistungen: Adieu und Tschüss. „Bschisse“ konnte mensch schon immer, heute hat es einfach ein neues Level erreicht. Ob wir KI vertrauen oder nicht, wir machen stets lieber Geschäfte mit Menschen, denen wir vertrauen. Es fehlen die Zeit und die Energie, alle und jeden immer zu kontrollieren. Suchten wir nicht schon immer eher lokale, kleinere Geschäfte in der Region auf, wenn wir wussten, dass die Qualität da viel besser ist? Ich für meinen Teil vertraue dem Metzger um die Ecke mehr als dem Massenhandel und den grossen Geschäften.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Witz beiseite, es bedeutet, die Menschen noch besser im Umgang zu schulen und Werte zu vermitteln. Der schnelle Weg ist nicht immer der einfache, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht. Es bedeutet, dass wir als Leaderinnen vorangehen und als Vorbilder agieren. Dass wir Werte gemeinsam hinterfragen und neu definieren. Dass wir Raum für neue Ansätze und Ideen geben und vor allem flexibel bleiben. Dass wir von jungen Menschen lernen und uns zusammen weiterbilden. Dass wir einen gewissen Vorschuss an Vertrauen geben. An uns glauben. Und zuhören.