Die Wirtschaft hat das Mitgefühl und Freundlichkeit entdeckt! Das sind eigentlich gute Neuigkeiten, denn in einer Arbeitswelt, in der Menschen vor allem ihre Chefs und weniger ihre Firmen und Jobs verlassen gehören Freundlichkeit und Empathie wohl nicht zu den Schlüsselkompetenzen. Von Kindness Economy ist die Rede und die grosse Frage bleibt: Ist das ein Hype oder eine Bewusstseinsveränderung im Management?
In Firmenleitbildern findet man diese Werte noch nicht so oft. Wertschätzung und Respekt schon eher. Nett sein ist schon fast ein Prädikat für Verlierer. Oder möchten sie, dass man von Ihnen sagt: „sie ist nett.“ Anderseits gab es vor fünfzig Jahren auch nur ein abschätziges Lächeln für Nichtraucher, Vegetarier (von Veganern sprechen wir schon gar nicht) und Abstinenzler. Heute gehören diese Prädikate zum modernen, gesunden und anzustrebenden Lebensstil. Von ESG war erst in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts die Rede und Klimawandel beschäftigt uns auch erst so richtig seit zwanzig Jahren. Natürlich gab es Vorläufer und einsame Rufer in den Wüste zu diesen Problemen, aber der Bewusstseinswandel im Mainstream braucht halt Zeit. Meistens kommen solche Themen erst auf, wenn es vorher massiv in die falsche Richtung gelaufen ist und die Schäden augenfällig werden. So wie Umweltverschmutzung und Ausbeutung der Natur ihren Preis fordert, schadet auch der egoistische, respektlose, abwertende und zynische Umgang mit Mitmenschen den Unternehmen und der Gesellschaft und somit uns allen. Auch Empathie und Freundlichkeit haben Vorläufer: Im Buddhismus (ca. seit 300 nach Christus) ist Mitgefühl das zentrale Thema. Das Gelübde der Boddhisattvas (Anhänger von Buddha) ist: „Möge ich nicht ruhen, bevor alle fühlenden Wesen gesund und glücklich sind!“. Es geht also um Andere, genau wie in der brandneuen „kindness economy“ auch.
Haben sie schon einmal versucht, immer freundlich, emphatisch und nett zu sein? Bekommen sie ihren Bonus dafür oder werden sie anderweitig dafür belohnt, nett zu sein? Wären sie lieber intelligent, innovativ, erfolgreich, eine Macherin, ein Star oder einfach nett? Nettigkeit ist zwar eine Tugend, wie Bescheidenheit auch, aber so wirklich erfolgsbringend und sexy war sie bis anhin nicht, oder wenigstens nicht als Hauptmerkmal.
Tatsache ist, so lange wir in den alten Paradigmen leben (wollen), so lange wird Kindness Economy nicht funktionieren. In einer wettbewerbsorientierten Welt gewinnen die Starken, nicht die Netten. Vergessen sie diese Sackgasse, welche von oben zwar propagiert, da aber am wenigsten gelebt wird. Nett ist gut für die, die zudienen, unterstützen, helfen und ausführen, nicht für die, die gestalten, bestimmen und führen.
Tatsache ist auch, dass die Welt, wenn wir die bestehenden Paradigmen erhalten wollen, nicht besser wird. Kindness Economy hätte das Potenzial, eine echte Bewusstseinsänderung hervorzurufen. Wenn es genügend Rollenmodelle gibt, dann wird es irgendwann nicht mehr cool sein, egoistisch, eigennützig und charakterschwach unterwegs zu sein. Empathie, Kooperation und wechselseitige Unterstützung werden dann zur Selbstverständlichkeit und das vereinbarte Ziel wird sein, einander wachsen zu helfen zum Nutzen aller. Das Dogma wird dann von „wenn jeder für sich selbst sorgt, ist für alle gesorgt“ zu „wenn jeder auch für die andern sorgt, dann geht es allen besser“.
Eigentlich wäre die Kindness Economy die einzige Form, die eine echte Weiterentwicklung bietet in Richtung Nachhaltigkeit und Überleben. Empathie, Freundlichkeit und Zusammenarbeit – konsequent gelebt – bedeutete, dass wir keine Kriege führten, die Natur nicht ausbeuteten, Tiere und Pflanzen sorgfältig behandelten, so wenig wie möglich Schaden verursachten und keine Minderheiten ausgrenzten. Kindness Economy hätte eine Chance zu entstehen, wenn immer mehr Menschen verstünden, dass ein gesundes Mitgefühl und echte Kooperation unabdingbar sind, um aus den gegenwärtigen Krisen herauszufinden und eine wirklich neue Weltordnung zu bauen, die nicht auf Eigennutz, Profit, Rücksichtslosigkeit, Arbitrage und Macht fusst.
Doch seien sie vorsichtig! Suchen sie Umfelder, in welchen Empathie, Zusammenarbeit und Freundlichkeit auch gewünscht sind und Verstösse dagegen konsequent geahndet werden. Denn die/der einzig Nette zwischen Ruchlosen zu sein ist keine erfolgreiche Strategie. Vielleicht kennen sie das Spiel mit roten und schwarzen Karten: rot heisst, sie kriegen alles (falls der Andere schwarz spielt), schwarz heisst, sie teilen. Wenn Beide rot spielen, verlieren beide. Die beste Strategie ist, zweimal schwarz zu spielen, d.h. allenfalls zweimal zu verlieren. Wenn der andere Spieler aber zweimal rot spielt, dann unbedingt die Strategie wechseln. Das erste mal spielen sie fair, weil das einfach die edlere und bessere Strategie ist für beide. Das zweite mal, um zu zeigen, dass sie es wirklich ernst meinen. Damit geben sie dem andern die Chance, sollte er rot gespielt haben, Vertrauen zu gewinnen und seine Strategie zu ändern. Vielleicht spielt der andere Spieler das erste mal rot aus Angst, dass dass sie rot spielen könnten. Wenn er/sie aber sieht, dass sie altruistisch unterwegs sind, dann könnte es sein, dass er/sie die Strategie ändert. Deshalb sollten sie ein zweites mal schwarz spielen. Wenn sie dann ein zweites Mal verlieren, dann ist Zeit, sich zu wehren und die Spielregeln des alten Paradigmas zu übernehmen, denn offensichtlich versteht Ihr Gegenspieler die Kindness Economy, die auf Vertrauen beruht, nicht.