Ladies Drive Magazine - Lena-Lisa Wüstendörfer

Das Ende der Leistungsgesellschaft – Lena-Lisa Wüstendörfer

Idee & Realisation: Sandra-Stella Triebl
Foto: Tomek Gola / www.gola.pro, Make-up: Angela Meleti
Location: B2 Hotel Zürich

Das Ende der Leistungsgesellschaft – Lena-Lisa Wüstendörfer

Idee & Realisation: Sandra-Stella Triebl
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Lena-Lisa Wüstendörfer portraitiert und interviewt zum Thema "Das Ende der Leistungsgesellschaft" in der Ausgabe No 59 (Herbst 2022).

Lena-Lisa Wüstendörfer

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Intendantin Andermatt Music,
Chefdirigentin Swiss Orchestra
www.wuestendoerfer.com
www.swissorchestra.ch
www.andermattmusic.ch

Soziale und emotionale Intelligenz führen zu höherer Teamleistung

Leistung ist in meiner Welt nicht negativ besetzt. Der Leistungsdruck bei Berufsmusikern ist hoch. Man arrangiert sich aber damit, er wird dann irgendwann normal. Historisch gesehen hat sich das technische Spielniveau der Orchester stark gesteigert, und durch die Internationalität unseres Kulturbetriebs ist die Vergleichbarkeit enorm gestiegen. Das Publikum vergleicht das Hörerlebnis, das es bei einem Livekonzert hat, mit demjenigen einer Aufnahme auf CD, Spotify oder Ähnlichem. Das Publikum erwartet, dass es in einem Konzert eines klassischen Symphonieorchesters alles auf gleichem Niveau oder in gleicher Qualität und Perfektion bekommt, wie wenn es eine CD hört. Wobei man bei einer Aufnahme ja schneiden kann … Wie geht man damit um? Wir arrangieren uns damit, wir können die Erwartungshaltung des Publikums nicht steuern. Zudem sind da noch die Kritiker. Kritiker sind kritisch, das ist ihr Beruf, sie dürfen ja eigentlich gar nicht immer positiv schreiben. Der Kritik ausgesetzt zu sein ist nicht immer einfach, aber das muss man natürlich in Kauf nehmen.

Weshalb wir uns häufig über Leistung statt über Werte definieren? Da muss ich die Gegenfrage stellen: War das jemals anders?

Und was sind Werte? Leistung ist ja auch ein Wert, wir werden danach bewertet, welche Leistung wir erbringen, sie ist ein starkes Kriterium. Das Gute an Leistung ist, dass man sie als Individuum bis zu einem gewissen Grad beeinflussen kann. Meistens ist es allein schon der Wille, die Absicht, die honoriert wird, nicht nur die absolute Leistung. In früheren Jahrhunderten wurde man nach Herkunft und Stand beurteilt, man hatte keine Möglichkeiten, sich hochzuarbeiten. Ich sehe das positiv: Man kann durch Leistung eine schlechte Ausgangslage wettmachen. In einem Orchester ist es wie beim Sport die absolute Leistung, die zählt.

Ob das Ende der Leistungsgesellschaft naht? Ich stelle das infrage, man hat immer mit Herausforderungen zu kämpfen, und eine Gesellschaft wird immer Wertmassstäbe haben.
Wir sollten vielleicht weniger die Bewertungssysteme wie Schulnoten hinterfragen als vielmehr das, „was“ benotet wird.

Es könnten ja in der Schule beispielsweise auch Fächer bewertet werden wie soziales Handeln. In Japan wird etwa bereits im Kindergarten darauf achtgegeben, dass man Rücksicht auf andere nimmt und eine achtsame Gruppenkultur herrscht. Das finde ich beeindruckend. Und emotionale Intelligenz muss geschult werden. Im Orchester ist beides wichtig. Wenn jemand nur gut spielt und nicht ins Team passt, aneckt, die Leute nicht gerne miteinander musizieren, funktioniert das nicht. Sozialkompetenz muss vorhanden sein. Warum ist es wichtig, dass die Person ins Team passt? Weil wir zusammen noch eine viel grössere Leistung, nämlich die Orchestermusik erbringen wollen. Das gelingt nur, wenn Achtsamkeit und Teamgeist da sind. Es würde zu einer Leistungsgesellschaft wie der unseren passen, wenn man das Teamwork fördern würde. Man verschenkt Leistung, wenn man das als Gesellschaft brachliegen lässt.

Ich glaube, Kultur ist das, was den Menschen ausmacht, nicht nur Leistung. Natürlich denkt der Mensch in allererster Linie ans Überleben, an Essen, an Trinken. Aber das, was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist die Kultur und dass Kultur omnipräsent ist. Man hört überall Musik, Menschen und einzelne Gruppen unterscheiden sich durch Musik. Musik hat durchaus soziale Aspekte. Ein Konzerterlebnis ist etwas, das man mit anderen teilt. Natürlich kann man allein in einem Konzertsaal sitzen, und das Orchester spielt, theoretisch, aber das wäre nicht das gleiche Erlebnis. Ein Orchesterkonzert vor vollem Saal ist ein einzigartiges Erlebnis, bei dem man Emotionen und grossartige Werke miteinander erlebt. Ich würde eigentlich gerne jedem Mut machen wollen, auch mal den Weg in ein Konzert zu finden. Beim Swiss Orchestra, mit dem ich unbekannte Trouvaillen der Schweizer Klassik und Romantik wiederbelebe und nicht nur bekannte Standardwerke aufführe, zählt das Argument nicht, keine Erfahrung mit dieser Musik zu haben und sie daher nicht zu verstehen. Denn bei uns im Konzert lassen sich auch die geübten Konzertgänger auf die unbekannte Schweizer Symphonik ein. Wenn es mich als Zuhörerin und Zuhörer berührt und mir gefällt, wenn ich Gänsehaut bekomme, dann muss ich die Partitur nicht verstehen oder mich mit jeder einzelnen Note auseinandersetzen. Manchmal versuchen das Swiss Orchestra und ich sogar vermeintliche Gräben zwischen Popmusik und Klassik zu überbrücken. Aber wir machen das nicht im herkömmlichen Orchester-begleitet-Popstar-Modus, sondern werden in Andermatt zum Beispiel eine Produktion mit Stephan Eicher auf die Bühne bringen, in der wir eine Symbiose zu kreieren versuchen, wie es sie noch nicht gegeben hat.


Weitere Interviews in der Serie „Das Ende der Leistungsgesellschaft“:

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Veröffentlicht am März 04, 2023

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