Das Ende der Leistungsgesellschaft – Anselma Wörner

Idee & Realisation: Sandra-Stella Triebl
Foto: Tomek Gola / www.gola.pro, Make-up: Angela Meleti
Location: B2 Hotel Zürich

Ladies Drive Magazine - Anselma Wörner
Anselma Wörner portraitiert und interviewt zum Thema "Das Ende der Leistungsgesellschaft" in der Ausgabe No 59 (Herbst 2022).

Anselma Wörner

Ladies Drive Magazine - Anselma Wörner

Co-Founder & COO Exnaton
www.exnaton.com

Die wertebasierte Leistungsgesellschaft

Für mich bedeutet Leistungsgesellschaft als solches zweierlei. Einerseits bedeutet es im Positiven, dass man durch eigene Leistung etwas erreichen kann und sein Leben zum Besseren verändern kann – was ich toll finde. Die Kehrseite davon ist aber auch, dass es Menschen unter Druck setzt, sich an die gesellschaftlich anerkannten Massstäbe von „Leistung“ zu halten.

Es ist eine absolut tolle Leistung, sich für ethische Werte einzusetzen, in unterbezahlten, aber sozial wichtigen Bereichen zu arbeiten oder sich mal uneigennützig für Schwächere einzusetzen. Meistens assoziieren wir aber wohl eher finanziellen Erfolg oder Karrierefortschritt mit Leistung.

Dennoch: Ich bin nicht überzeugt, dass wir am Ende der Leistungsgesellschaft angelangt sind, ganz einfach, weil ich mich frage, was der Ersatz wäre.

Wenn eigene Leistung nicht mehr belohnt wird und darüber bestimmt, in welche Berufe und Positionen Personen gelangen, was dann?

Da landet man schnell wieder entweder bei Herkunft und Geburtsrecht oder der Idee einer sozialen Gleichverteilung, die ja auch wieder von jemandem verwaltet werden muss, was beides ebenfalls grosse Schwierigkeiten mit sich bringt, wenn man es vollends durchdenkt.
Wir sind für meine Begriffe über die letzten Jahrzehnte in einem Extrem der Leistungsgesellschaft gelandet und sollten überdenken, wie wir Leistung überhaupt messen und ob wir nicht genauer zwischen integrer, ethisch wertvoller Leistung und egoistischer und kurzfristiger Optimierung für die einzelne Person, Firma oder Nation unterscheiden sollten.
Eine gute Weiterentwicklung des Begriffs und des Verständnisses von Leistung wäre doch, zu einer stärker wertebasierten Leistungsgesellschaft zu kommen, bei der wir auch die langfristige Wirkung unseres Handelns auf andere Menschen, andere Teile der Welt oder auf unsere Umwelt in die Bewertung einbeziehen, ob etwas jetzt eine „gute Leistung“ ist.
Ein Beispiel hierfür ist, dass Firmen immer mehr durch Zertifikate für nachhaltige Produktionsprozesse oder soziale Arbeitsbedingungen geprüft werden (z. B. Fairtrade, B Corp, ESG). Diese Bewertungssysteme funktionieren sicherlich noch nicht optimal und sind im Moment noch weitestgehend Nischenphänomene, aber ich denke, mehr und mehr könnten solche neuen Massstäbe zu einer ausgewogeneren und gesünderen Leistungsgesellschaft beitragen. Beispielsweise könnten auch bei der beruflichen Bewertung oder Beförderung von Mitarbeitenden Faktoren wie die Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen, das aktive Vermeiden negativer Externalitäten oder sogar das Achten auf die eigene Gesundheit miteinbezogen werden. Das wäre wahrscheinlich gesünder für das Individuum und langfristig auch ökonomisch nachhaltiger für Unternehmen.

Ich denke, die Anfänge für das Überdenken der Leistungsgesellschaft der letzten Jahrzehnte sind bereits gemacht. Auch wenn viele aktuelle Leistungsträger dies heute noch nicht anerkennen möchten, ist hier bereits eine Bewegung im Gange, und es entsteht eine neue Generation an Vordenkerinnen und Vordenkern, die viele Leistungsträger und Eliten in einem ganz anderen Licht betrachtet. Das stimmt mich optimistisch, dass wir uns als Gesellschaft weiterhin verbessern können.


Weitere Interviews in der Serie „Das Ende der Leistungsgesellschaft“:

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Veröffentlicht am März 04, 2023

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