Die Rechnung der heutigen Wirtschaft geht nicht auf: Sie rechnet mit unendlichen Ressourcen auf einem endlichen Planeten. Deshalb benötigt sie ein Update. Die Eigentumsstruktur Steward-Ownership betrachtet Profit nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck. Diese Denkweise könnte die Wirtschaft zukunftsfähig gestalten.
Gute Nachrichten aus der Wirtschaftswelt: Viele Menschen möchten sie zu Gunsten von Umwelt und Gesellschaft umkrempeln. Ein Beispiel dafür liefert die ökologische Kreislaufwirtschaft. Vor etwa sechs Jahren steckte diese noch in den Kinderschuhen. Nun gehört sie in vielen Produktionen weltweit zum Alltag. Auch sozial betrachtet belohnen Labels Unternehmen für transparente Lieferketten und faire Löhne. Doch um die Nachhaltigkeit in der Wirtschaftswelt gemäss dem Drei-Säulen-Prinzip zu gewährleisten, bedarf es neben der Umwelt und der Gesellschaft eines dritten Ansatzes: der Wirtschaft selbst. Aufstrebende Vorgehensweisen könnten diesen Bereich so revolutionieren, wie es die Kreislaufwirtschaft bei der Umwelt tut. Eine davon ist das Verantwortungseigentum – auch bekannt als Steward-Ownership. Diese aus Deutschland stammende Eigentumsstruktur machte 2022 international positive Schlagzeilen, als die Outdoor-Marke Patagonia verkündete: «We go purpose instead of public». Im Zuge dessen hat Patagonia das Unternehmen nach Steward-Ownership aufgestellt. Somit rückte die Sinnorientierung von Patagonia rechtlich bindend an erste Stelle. Profite werden seither dafür als Mittel zum Zweck betrachtet und Überschüsse für die Umwelt gespendet. Genau diese neue Denkweise von Steward-Ownership und somit die neue Sicht auf das Eigentum könnten der Schlüssel zu einer enkeltauglichen Wirtschaft sein. Aber weshalb braucht es überhaupt ein Umdenken beim Eigentum, dessen Strukturen und der Machtverteilung in der Wirtschaft im Allgemeinen?
Die heutige Wirtschaft ist ungesund
Wie sieht eine «perfekte Wirtschaft» aus? Darüber scheiden sich die Geister. Unbestritten ist jedoch: Die heutige Wirtschaft, in der finanzielles Wachstum an oberster Stelle steht, ist nicht überlebensfähig. Irgendwann stellt die Natur dafür keine Ressourcen mehr zur Verfügung. Oder aber die Ungleichheit in der Gesellschaft verursacht einen Kollaps des Systems. Das alles mag dystopisch klingen. Der von Menschen verursachte Klimawandel ist aber eine Folge der bisherigen Denkweise jener Wirtschaft, in der Profit oft die einzige Maxime ist.
Grosskonzerne wie Nestlé und Glencore müssen sich den Vorwurf gefallen lassen Mensch und Umwelt für das finanzielle Wachstum auszubeuten. Weiter wird ein Ausverkauf des Mittelstandes beklagt, da internationale Konzerne die kleineren Unternehmen kaufen. Doch auch KMUs, die den kurzfristigen Profit über den langfristigen Zweck stellen, sind Teil des „Problems“.
Ist dies also das Ende der Welt? Nein. Aber es könnte das Ende der Wirtschaft sein, wie wir sie heute können – und das ist gut so. Denn das Ende ist auch immer der Anfang von etwas Neuem. Es gibt bereits zahlreiche Möglichkeiten, wie wir die Wirtschaft heilen und somit zukunftsfähiger gestalten können. Heute möchte ich mit euch das Paradigma des Eigentums neu beleuchten. Denn dieser Hebel kann meiner Meinung nach einen enormen Einfluss auf die Zukunft haben.
Wir müssen mehr über Eigentum sprechen
Um ein Paradigma zu wechseln, müssen wir zuerst ein gemeinsames Verständnis des aktuellen Unternehmenseigentums schaffen. Dieses ist gemäss Definition ein Bündel von Rechten – konkret das Stimmrecht und das ökonomische Recht. Je mehr Unternehmensanteile eine Person besitzt, desto mehr kann sie mitbestimmen und desto höher fällt deren Profit aus. Zusammengefasst: Die Person mit dem meisten Geld verfügt über die grösste Macht. Vielen Aktionärinnen spielt es überhaupt keine Rolle, welchen Zweck ein Unternehmen verfolgt – solange der Profit stimmt. Viele sogenannte «Absentee Owners» steuern die strategischen Geschäfte aus der Ferne in Richtung Profit, ohne den Purpose des Unternehmens zu fördern, zu wahren oder gar zu kennen.
Neues Unternehmenseigentum hört sich weniger verlockend an, als Bäume zu pflanzen. Vielleicht wurde gerade deshalb bis anhin so wenig darüber gesprochen. Vielleicht befinden wir uns deshalb heute in dieser Situation mit Nachholbedarf. Aber genau der Paradigmenwechsel rund um Eigentum könnte die entscheidende Komponente für eine zukunftsfähige Wirtschaft sein. Steward-Ownership ist eine solche Struktur, die die bedingungslose Spirale des Profits und der Zweckentfremdung eines Unternehmens beenden kann.
Steward-Ownership stellt den langfristigen Zweck über kurzfristigen Profit
Die Grundidee von Steward-Ownership ist simpel und doch revolutionär: Ein Unternehmen soll sich selbst gehören. Die Eigentümer:in hält somit quasi die Rolle einer Treuhänder:in. Das Stimm- und Gewinnrecht wird getrennt und somit mögliche Interessenskonflikte konsequent aus dem Weg geräumt. Dabei verpflichten sich Unternehmen zu zwei Prinzipien: Selbstbestimmung und Purpose-Orientierung.
Die zwei Prinzipien von Steward-Ownership:
Selbstbestimmung:
Das Unternehmen kann nicht zum Spekulationsgut werden, die Stimmrechte liegen stets bei Unternehmer:innen, die mit dem Unternehmen und dessen Mission direkt verbunden sind: Treuhänder bzw. Stewards, keine Fremd-Eigentümer.
Purpose-Orientierung:
Gewinne sind Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck. Der im Unternehmen geschaffene Wert kann nicht zum persönlichen Nutzen von den Eigentümer:innen entnommen werden. Gewinne werden reinvestiert, zur Deckung von Kapitalkosten verwendet oder gespendet.
Durch diese Prinzipien steht bei dieser Eigentumsstruktur der langfristige Sinn eines Unternehmens über dem kurzfristigen Profit. Es ist hervorzuheben, dass die Prinzipien rechtlich verankert werden und somit unwiderrufbar sind. Dies hebt Steward-Ownership klar ab von anderen Vorgehen. Die Besonderheit an Steward-Ownership liegt darin, dass es nicht das «wie wir arbeiten», sondern das «weshalb wir arbeiten» ändert. Anstelle des Inhalts konzentriert sich Steward-Ownership auf das Gefäss und die Grundstruktur, die das Unternehmen ausmacht.
Sind Eigentum und Zweck Unternehmens sinnorientiert aufgestellt, folgen weitere Taten in Richtung enkeltauglicher Wirtschaft. Dies belegt auch die Wissenschaft: Unternehmen in Steward-Ownership sind gemäss Studien resilienter, diverser, langlebiger und innovativer. Die Idee von Steward-Ownership hört sich zwar neuartig an. Doch der Weltkonzern Bosch oder das weltweit führende Unternehmen in feinmechanischer Optik, Carl Zeiss AG, sind bereits seit dem 19. Jahrhundert nach Steward-Ownership aufgestellt. Steward-Ownership geht also weit über die moderne New-Work-Mentalität hinaus.
Für diese Organisationen eignet sich Steward-Ownership
Die Rechtsform, Grösse oder Branche eines Unternehmens spielt keine Rolle, um sich für Steward-Ownership zu qualifizieren. Ob innovatives Start-up wie Signal, traditionelles KMU wie Elobau oder Grossfirmen wie Alnatura: Solange der Unternehmenszweck Vorrang hat, ist Steward-Ownership eine passende Eigentumsstruktur.Insbesondere für Familienunternehmen und mittelständische Unternehmen ist Steward-Ownership eine Lösung für deren Nachfolge. Diese Eigentumsstruktur regelt die Nachfolge nicht nur über die Bluts- oder Kapitalverwandtschaft, sondern über die Werteverwandtschaft. Auch für Gesundheits-, und Bildungsinstitutionen, die eine klare Abgrenzung zur kurzfristigen Profitmaximierung suchen, ist Steward-Ownership eine spannende Alternative. Nicht zu vergessen sind auch Sozial-, und Umweltunternehmen aber auch Technologieunternehmen mit ethischen Fokus.
Wo liegt der Haken? Trotz durchdachtem und jahrhundertelang bewährtem Konzept, ist Steward-Ownership in der Schweiz noch wenig bekannt. Dies birgt je nach Kontext Herausforderungen bei der Kapitalbeschaffung. Traditionelle Finanzierungsquellen müssen die Dynamiken und Risiken von Unternehmen in Steward-Ownership erstmals kennenlernen. Weiter kann eine Einführung von Steward-Ownership in etablierten Unternehmen zeitaufwendig sein. Ausserdem eignet sich Steward-Ownership nicht für Unternehmen, die eine Exit-Strategie verfolgen.
Kurzum: Steward-Ownership ermöglicht es den Kern von Unternehmen, das Eigentum für eine zukunftsfähige Wirtschaft verbindlich zu transformieren. Die grundlegende Idee: Unternehmen sind nicht zum Reichwerden da, sondern um ihren Zweck zu verfolgen. Lasst uns die Idee von Eigentum daher genau anschauen, denn hier liegt ein mächtiger Schlüssel vergraben.
Organisation: Purpose Schweiz
Purpose Schweiz ist die offizielle Anlaufstelle in der Schweiz für Steward-Ownership, eine innovative Alternative zu herkömmlichen Eigentumsformen. Es ermöglicht, die Unabhängigkeit und Sinnorientierung eines Unternehmens rechtlich verbindlich in dessen DNA – dem Eigentum — zu verankern. Das Ziel von Purpose Schweiz ist eine gesunde Wirtschaft, die dem Menschen dient. Neben der Unterstützung von Unternehmen durch Beratung und Finanzierung liegt der Fokus auf Forschung und Wissensvermittlung.
Annina Menzi
Annina Menzi, Mitbegründerin von Purpose Schweiz, ist seit über zehn Jahren in der New-Work- und Innovationsbranche tätig. Als charismatische Unternehmerin mit Talent zum Brückenbauen, setzt sie sich mit Herzblut für mehr Purpose und Menschlichkeit in der Wirtschaft ein. Durch ihren Entdeckerinnengeist ist Annina seit jeher fasziniert «das neue Normal» mitzugestalten und kann als Vorreiterin zu der Schweizer «Economic avant-garde» gezählt werden.