Wie sagte Oscar Wilde so treffend: „Reisen veredelt den Geist und räumt mit unseren Vorurteilen auf“.
Reisen bedeutet für viele Menschen eine seelennährende Flucht vom Alltag, ein Abtauchen in fremde Welten, was häufig auch eine Form der Ablenkung, aber nicht minder sinnlich ist. Sich auf den Weg zu machen bedeutete früher vor allem eines: Gefahr und Risiko. Heute bedeutet es vielmehr: Entspannung und Abwechslung. Ich bin dann mal weg. Lasse meine Probleme zu Hause und hoffe, sie sind weg, wenn ich zurückkomme. Und seit 2007 bedeutet Reisen auch, zu Gast bei Freunden zu sein. In diesem Jahr schüttelte ein Startup aus dem Silicon Valley die Reisebranche durch und gilt seither als massiv disruptiv für die Branche. Die Rede ist von Airbnb. Was als eine Art Vermittlungsplattform begann, ist heute ein ganz hochmodernes und sozial engagiertes Tech-Unternehmen. Über 7000 Menschen arbeiten bei Airbnb – der Umsatz lag im Q3 2023 bei über 3,4 Milliarden US Dollar, aktuell bieten rund 4 Millionen Menschen ihr Haus oder ihre Wohnung an – seit der Gründung hat Airbnb nach eigenen Angaben 1,5 Milliarden Gäste in fast jedem Land der Welt willkommen geheissen.
Eine Frau, die nun unter anderem auch die Mission hat, die sonst so kritischen Herr und Frau Schweizer von Airbnb zu überzeugen, ist Kathrin Anselm.
Wir sprechen mit der gebürtigen Deutschen und der Chefin von 25 Ländern (DACH, CEE & Russia) über Sehnsuchtsorte, postpandemische Unternehmenskrisen und disruptive Businessmodelle.
Airbnb hat die Art, wie wir reisen, verändert. Grundlegend. Zurecht gilt das Unternehmen, welches aktuell vom US-Amerikaner und Co-Founder Brian Chesky geführt wird, als Change Maker. Doch die Pandemie hat das Unternehmen in den Grundfesten erschüttert. Um zu überleben, fokussierte sich Airbnb aufs Kerngeschäft – und lernte Nein zu sagen, zu all den vielen guten Ideen, die nun vorerst in einer Schublade verschwunden sind und im Dornröschenschlaf schlummern dürfen. Dieser strategisch unangenehme, aber wichtige Entscheid hat das Überleben des Unternehmens gesichert. Nun soll Kathrin Anselm auch den Schweizer Markt erobern – unter anderem. Die Top-Managerin bringt nicht nur eigene unternehmerische Erfahrung in den Job ein, sondern war auch Geschäftsführerin von Fem bei Pro7Sat1-Media, globale COO von Wimdu oder Managing Director bei Deliveroo.
Kathrin Anselm reist für ihren Job durch die halbe Welt – und bucht dabei natürlich selbstredend ausschliesslich über Airbnb. „Weil das für mich eine komplett andere Art von Reisen darstellt – ich bin nicht bei klassischen Hoteliers zu Gast, sondern bei Menschen zu Hause, die das Vermieten eines Zimmers zum Nebenjob gemacht haben, um beispielsweise ihrer Tochter ein Studium zu finanzieren oder weil das Haus leer ist, weil die Kinder ausgeflogen sind. So zu reisen ist unfassbar authentisch“, schwärmt die Airbnb-Managerin. Seit der Pandemie sei Home Office in vielen Firmen gang und gäbe geworden – immer mehr Menschen, auch im Airbnb-Team, sind digitale Nomadinnen und Nomaden. Das hat der Buchungsplattform einen wahren und ungeahnten weiteren Boom beschert.
Einer von Kathrin’s absoluten Sehnsuchtsorten ist Südfrankreich. Nicht nur, weil sie hier ein Teil ihrer Kindheit verbracht hat. Sondern auch, weil sie in Frankreich studierte und nun über Airbnb ein Haus nahe der Côte d’Azur gefunden hat, zu dem sie privat wie auch beruflich immer wieder zurückkehrt. „Es ist mein Herzensort. Ich brauche den Glamour von Saint-Tropez nicht, das ist für mich eher anstrengend. Ich will die Grillen zirpen hören. Einen Ort, wo ich morgens im Dorf schnell zum Bäcker um die Ecke spaziere, um Croissants zu holen und wo man unter einer Plantane am Marktplatz sitzen kann. Ich hab eine Villa entdeckt, rund 15 Kilometer nördlich von Cannes, ein Zweit-Haus einer französischen Familie, welches inmitten eines wundervollen Gemüsegartens liegt, der vom Grossvater angelegt wurde und diesen Garten darf man auch dazu nutzen. Wir haben Kürbisse geerntet, Zitronenmelisse für Limonade, frische Feigen vom Baum gepflückt – es ist ein Traum.“ In Kathrin Anselm’s Blick mischt sich Sehnsucht während sie erzählt und ergänzt lachend: „Ich bin sonst kein tief spiritueller Mensch, eher so eine Excel-Tante! Aber an diesem Ort fühle ich eine so tiefe Verbindung… . Genauso muss Reisen und Kindness für mich sein.“
Beim Zuhören hätte ich am liebsten parallel eben diese Villa nahe Cannes gebucht. Doch – wie findet man denn eben solche Perlen auf Airbnb, wenn das Unternehmen sagt, es habe vier Millionen Gastgeberinnen und Gastgeber? Airbnb ist nicht nur eine Vermittlungsplattform, sondern eben auch ein Tech-Unternehmen. „Aktuell haben wir sage und schreibe sieben Millionen Unterkünfte auf der Plattform. Und jede ist anders, Vieles absolut einzigartig. Solche Perlen findet man über eine neue Funktion, die wir programmiert haben und die nennt sich „Gästefavoriten“. Zwei Millionen der sieben Millionen Unterkünfte haben so einen Lorbeerkranz als Gästefavorit bekommen. Und so findet man diese Perlen dann eben auch“.
Apropos Tech-Unternehmen: die Funktion „Gästefavorit“ wird über verschiedene Parameter gemessen – darunter die Bewertung, aber auch qualitative Rückmeldungen der Gäste. Doch bei den Bewertungen habe ich so meine Fragezeichen. Sind die immer echt oder – wie man das bei anderen Plattformen schon gehört hat – gekauft, durch Mitarbeitende oder eine PR-Firma erstellt?Wie stellt man sicher, dass es sich hier um authentische und echte Bewertungen von echten Gästen handelt? Kathrin lächelt entspannt. „Bei uns können die nicht gefälscht werden. Wir sind uns bewusst, dass wir nur dann das Vertrauen der Kundschaft haben, wenn wir solche Dinge sicherstellen. Also: Jede Nutzerin, jeder Nutzer bei Airbnb muss durch einen Identifikationscheck, basierend auf einem Führerschein oder Personalausweis zum Beispiel. Ich muss also legitimieren, dass es mich gibt. Diese Checks werden von einer hochstandardisierten und professionellen ID-Software geprüft. Und zweitens kannst du nur eine Bewertung abgeben, wenn du auch tatsächlich eine Buchung vorgenommen hast und unser System einen Check-in registriert hat“.
Hinzu kommt, dass die Gastgeberin oder der Gastgeber auch seine Gäste bewerten kann. „Und diese gegenseitigen Bewertungen werden im exakt demselben Moment freigeschaltet – es gibt also keine Asynchronität, wo dann der eine dem anderen eine Art Retourkutsche in den Bewertungen geben kann.“ Sie selbst sei übrigens stolz, immer 5 Sterneals Gästebewertung erhalten zu haben, so Kathrin Anselm mit breitem Lächeln. Man könne sich so gegenseitig ganz viel Dankbarkeit entgegen bringen. Das stimmt natürlich und dennoch denke ich unweigerlich an ein Social Scoring-System. Kathrin schüttelt den Kopf und entgegnet schlagfertig: „So würde ich es nicht nennen – das klingt nach Überwachung und das tun wir nicht. Es ist ein auf Augenhöhe sein. Ein gegenseitiges zurück spiegeln“. Doch da tauchen schon neue Fragezeichen vor meinem inneren Auge auf: kann ich auf Airbnb auch komplett unterhalb des Radars reisen? Kathrin Anselm verrät uns, dass es eine ganze Reihe von Celebrities und Influencer gibt, die in der Regel selbst buchen.
Die klare Legitimierung sorgt aber schlussendlich auch dafür, dass die vielen Home-Sharer sich sicher fühlen können. Denn letztendlich teilen sie ja ihr Zuhause mit einer fremden Person, was übrigens selbst die zwei Airbnb-Gründer Brian Chesky und Nate Blecharczyk noch immer tun. „Das macht den Charme dieser Plattform wirklich aus“.
Ich frage nach welchen Werten die Gründer das Unternehmen noch heute führen und erfahre, dass diese erstaunlicherweise ganz ähnlich der Ladies Drive-Werte sind: Connection. Belonging. Kindness. „In San Francisco wohne ich immer bei einer Familie, die mit der Vermietung das College der Tochter finanziert. Das sind Dinge, die du in der klassischen Hotellerie nie erlebst – es ist einfach eine andere Art zu reisen“.
Trotz der immens grossen Resonanz von Airbnb gibt es kritische Stimmen. Das sei klar, so Kathrin Anselm, sobald man ein disruptives Geschäftsmodell sei, hochgradig technologisiert im Vergleich zum analogen Geschäftsmodell, sei man eben schnell exponiert. Den Kritikern geht es mitunter um Wohnraumschutz oder Wohnraumknappheit. „Dieses Thema beschäftigt uns natürlich seit Tag eins. Das ist nichts Neues. Wir sind aus dem modernen Tourismus nicht mehr wegzudenken. In 80 bis zu 90% der Fälle sind es Home-Sharer, die ein Zimmer über Airbnb anbieten und dies auch noch meist in einer Zeit, wo sie selbst nicht zu Hause sind – wo die Wohnung oder das Haus leer stehen würde. Zudem werden in vielen Fällen Gelder an die Kommunen fällig, wenn über Airbnb gebucht wird. Weltweit hat man bereits mehr als 7 Milliarden US-Dollar an Tourismusabgaben automatisiert über Airbnb weitergereicht. Zudem sind rund 80% der 200 umsatzstärksten Märkte auf der Welt in der einen oder anderen Form bereits reguliert und so wurden unterschiedliche Vorgaben für Airbnb erlassen. Entsprechend scheint das Unternehmen zu dem Problem der staatlichen Regulierung etwa in Form von Abführung von Abgaben Lösungen einzubringen.“
Es sei auch in der Politik angekommen, dass Airbnb keinen Wohnraum zweckentfremde oder wegnehme, sondern dass die Plattform heute einfach Teil des Tourismus-Mix darstelle. Kathrin Anselm geht sogar noch weiter und stellt die These auf, dass Airbnb das Unternehmertum fördere und für viele Menschen der erste Schritt in Richtung Selbstständigkeit darstelle, Female Empowerment betreibe – und dass man indirekt auch die Gesellschaft weiter entwickle. „Global ist ein Grossteil der Gastgeber-Community weiblich, insgesamt 55%. In der Schweiz sind es 54% und das Durchschnittsalter liegt bei 47 Jahren. Und weisst du, wir sind ein intrinsisch motiviertes Tech-Unternehmen. Wir sind überzeugt, dass wir über Technologie positive Dinge erschaffen können. Ich finde – und deshalb bin ich auch letztendlich zu Airbnb gekommen – es ist das humanste Tech-Unternehmen! Wir sehen uns als ein Team, welches digitale Technologien nutzt, um im realen Leben Verbindungen zu schaffen, Begegnungen zu ermöglichen und zwar weltweit. In einem Ökosystem, in welchem wir uns bewusst für Diversität und Inklusion einsetzen. Deshalb finde ich, wir bringen Dinge voran, die gut für unsere Gesellschaft sind. Ich hab Brian, unseren CEO, in den dunkelsten Stunden seines Lebens während der Pandemie erlebt in einem der Leadership-Team-Meetings, wo er Tränen in den Augen hatte. Das ist auch eine Nachwirkungder Pandemie – es gibt so viele unfassbar einsame Menschen. Und unsere Aufgabe als Tech-Company ist es doch, Reisen wieder persönlicher zu machen. Wir ermutigen unsere Gastgeberinnen und Gastgeber diese Verbindungen zu erschaffen.“ Kathrin Anselm erzählt in der Folge von neuen Features der Plattform, wie man das Reisen gerade auch Alleinreisende leichter und einfacher machen will.
Airbnb hat Reisen verändert und nicht zuletzt über die Corona-Pandemie (und bis zu 80% Umsatzeinbruch in dieser Zeit) zu neuer Stärke gefunden und vielleicht sogar zu einem sozialen, globalen Auftrag, die Menschen miteinander zu verbinden. Kein anderes Reiseunternehmen habe sich das zum Auftrag gemacht, betont Kathrin Anselm. Zurecht. Dabei hatte zu Beginn, 2007, niemand an den Erfolg der Plattform gedacht – die Founder hörten dasselbe, wie wir von Ladies Drive in demselben Jahr 2007 bei unserer Gründung: wer braucht denn sowas? Dafür gibts zu wenig Interesse und keinen Markt. Viele Jahre später sieht es für Airbnb und Ladies Drive aus, als wäre das „anders denken“ durchaus wichtig gewesen für den nachhaltigen Unternehmenserfolg. Noch hat Ladies Drive keine Milliarden Business Sisters in der Welt.
Aber wer weiss.
Menschen zu verbinden, wahrhafte Beziehungen aufzubauen ist das, was uns in dieser von Unbeständigkeit und den wechselnden Krisen und Dramen beherrschten Welt einen sicheren Hafen bietet. Sicherheit. Ein „safe space“. Und diesen Raum zu erschaffen, zu pflegen und anzubieten und schlussendlich mit ganz viel Kindness zu füllen, klingt doch nach einer wundervollen Mission.
Weiterführende Informationen:
www.airbnb.ch
Kathrin Anselm führt insgesamt 25 Länder bei Airbnb. 1,5 Milliarden Gäste wurden über die Plattform weltweit willkommen geheissen.
Foto: Mirjam Knickriem