Wie wird man mit 31 Jahren schon CEO vom erfolgreichsten Digitalversicherer der Schweiz? – Definitiv nicht aus Zufall. Im Januar 2024 hat dies Joséphine Chamoulaud geschafft, und zwar beim Onlineversicherer Smile, der zur Helvetia Gruppe gehört. „Mutig“ meinten einige Pressestimmen zu ihrer Berufung. Wir sagen dazu eher: „clever“. Die junge CEO bringt als Digital Native das Verständnis mit, wie man analog und digital optimal im Sinne des Kunden verknüpft und so generationsübergreifend ein Geschäftsmodell entwickelt. So kann sie als Wegbereiterin für die heutigen Bedürfnisse der Kunden und Taktgeberin für die Branche agieren.
Schon vor ihrem letzten Karriereschritt machte Joséphine Chamoulaud von sich reden. Vor knapp sechs Jahren stiess sie zum Onlineversicherer und übernahm schon bald die Rolle als Leiterin Marketing, Brand und Digital Experience. Mit ungewöhnlichen Kampagnen, einer einzigartigen Positionierung und Veränderungen der digitalen Wertschöpfungskette sorgte sie massgeblich dafür, dass das 1994 gegründete Unternehmen heute so erfolgreich aufgestellt ist. Fast 200.000 Kundinnen und Kunden, überdurchschnittliche Kundenzufriedenheitswerte und beste Ratings auf führenden Vergleichsdiensten wie Comparis sprechen eine eindeutige Sprache. Sie bezeichnet Smile gern als Challengerin und Taktgeberin gegenüber der traditionellen Versicherungsbranche. „Mit 30 Jahren verbinden wir die Stärke und Kompetenz eines erfahrenen Versicherers mit der agilen Start-up-Mentalität eines jungen InsurTechs.“ Als Befähiger des Erfolges sieht Joséphine ganz klar die Menschen hinter dem Geschäftsmodell. Die Mischung aus erfahrenen Versicherungsprofis und jungen, mutigen Talenten hat Smile in den letzten 30 Jahren zum grössten Digitalversicherer in der Schweiz gemacht. Und zusätzlich dazu geführt, dass das Unternehmen in den letzten drei Jahren auch in Österreich und Spanien Fuss gefasst hat.
Ein inspirierendes Gespräch mit einer Leaderin einer starken Generation, die genau weiss, wie spannend die Digitalisierung und Technologie sein können, aber auch, wie sehr wir den Menschen ins Zentrum rücken müssen.
Ladies Drive: Die meisten träumen ja nicht davon, irgendwann mal CEO zu werden. Was war dein Berufswunsch?
Joséphine Chamoulaud: Ursprünglich wollte ich eigentlich Kunst studieren.
Das hat ja gut funktioniert.
(Gelächter)
Ich bleibe dem trotzdem ein bisschen treu. Und ich vertraue ganz stark darauf, dass Führung und Strategieentwicklung immer von Kreativität profitieren können. Zuerst mal, ich bin aus einer Künstlerfamilie. Ich habe mich immer für Design interessiert, viel Theater gespielt und hatte die Medien-Gestaltungsfächer am liebsten. Was ich wirklich gerne hatte, war Gestaltungsspielraum, anders, kreativer zu denken und damit ein Gegenüber zu überraschen.
Über die Kunst kam ich ins Grafische und von da ins Marketing, die visuelle Kommunikation, was ich schlussendlich auch studiert hab. Mein erster Job war bei einem Agentur-Start-up im Bereich Marketing und Digitalisierung, welches in der Zeit, in der ich dabei war, von vier auf fünfzig Personen skaliert wurde. In diesen fünf Jahren lernte ich viel über Unternehmertum, Firmenaufbau, Teamaufbau, People Management, Stressmanagement und wie man mit finanzieller Führung, aber auch finanziellem Druck umgeht. Dazu gehörte auch das schwierige Ende mit einem Konkurs des Unternehmens. Start-up ist eine harte Schule, aber aus meiner Sicht auch die lehrreichste. Ich bin extrem dankbar für den prall gefüllten Rucksack, den ich nun auf dem Rücken trug. Ich wäre definitiv nicht hier, ohne diese Erfahrung gemacht zu haben. Nach weiteren Stopps in Marketingagenturen stiess ich dann zum Team Smile, wo ich von Anfang an die Strategie, das Geschäftsmodell und die Weiterentwicklung mitgestalten durfte.
Die Versicherungsbranche gilt nicht gerade als hochgradig kreativ oder innovativ.
Durchaus. Aber genau deshalb find ich sie so spannend. Es verbirgt sich noch so viel Potenzial dahinter. Bei Smile hat mich bei meinem Start 2018 das spannende Momentum getriggert. Man wollte die Branche disruptieren, so wie es in anderen Branchen bereits passiert ist. Als ich das erste Mal hier reingelaufen bin, galt man noch mit zehn Jahren Erfahrung als Berufsanfänger in der Versicherungsbranche. Ich kannte das überhaupt nicht aus der Agenturwelt, wo man eine Durchlaufzeit von zwei bis drei Jahren hat. Eine Disruption wird von den Menschen vorangetrieben. Darum brauchst du auch Leute, die frisch denken und neu sehen können. Das Potenzial liegt auf der Hand sowie auch die Massnahmen respektive die Strategie dazu. Es gilt nicht, die Welt neu zu erfinden, sondern einfach die Augen aufzumachen und zu schauen, was erfolgreiche Disruptoren in anderen Branchen schon gemacht haben.
Erzähl uns mehr!
Als Challenger mit starker First-Mover-Mentalität wollen wir mutig voranschreiten. Wir lösen uns vom traditionellen Versicherungsmodell und geben der Branche einen dynamischen Antrieb, um den Wandel zu erzeugen. Was uns dabei immer wieder hilft, sind die Best Practices in anderen Branchen wie bei Netflix, Spotify und Uber. Das sind digitale Geschäftsmodelle, die ihre Branche revolutioniert haben. Wir haben uns diese Unternehmen angeschaut, denn die machen offensichtlich etwas richtig. Was? Sie haben sich radikal auf den Kunden ausgestellt. Sie haben geschaut, wo die Pain Points des Kunden sind und wie man sie mittels Technologie lösen kann. Diese Erfolgsfaktoren haben wir analysiert und in unser Geschäft übersetzt, um die beste digitale Customer Experience am Markt zu setzen. Nehmen wir das Beispiel von Spotify. Was macht Spotify aus? Flexibilität, ein Subscription-based-Model mit monatlicher Kündigung, Du-Ansprache und eine Kommunikation auf Augenhöhe mit dem Kunden, mobil und device-unabhängig. Man kann überall und jederzeit Musik hören. Kostenlos, wenn man will. Wie übersetzt man dies nun in eine Versicherung?
Wir haben monatliche Kündigungsfristen eingeführt, die früher Zehnjahresverträge waren. Wir haben Kreditkartenzahlungen eingeführt. Wenn du alles andere mit Kreditkarten bezahlst, warum solltest du das nicht mit der Versicherung machen wollen und können? Wenn du alles auf deinem Smartphone machst, warum solltest du deine Versicherungen nicht auf deinem Smartphone abschliessen? Kostenlose Services, um den Kunden zu überzeugen? Auch das ist Teil unseres Freemium-Geschäftsmodells. Bei uns steht immer die Frage an erster Stelle: Was braucht und will der Kunde wirklich und wie können wir uns daran anpassen, um für ihn relevant zu sein?
Ich bin auch in der Jury des CMO of the Year, da ist dein Name auch schnell aufgetaucht. Ich fand es immer spannend, weil ich gemerkt habe, seit Joséphine da ist, sieht man plötzlich Smile und nimmt sie wahr. Ihr geht auch zu den Jungen raus, sponsert Events für Influencer und nicht den klassischen Golf-Event.
Ja, genau. Smile pflegt hier seinen eigenen Stil. Schlussendlich geht es immer darum, den Alltag der Zielgruppen zu verstehen. Je näher man am Lifestyle des Kunden ist, desto stärker die emotionale Bindung. Und da sehe ich noch viel Potenzial in unserer Branche. Eigentlich sind Versicherung und die Themen rundherum wie Familie und Sicherheit höchst emotional, trotzdem schaffen wir es nur selten, Kunden durch gutes Marketing anzusprechen. Wir haben das bei Smile umgedreht. Die Versicherung findet nicht nur bei uns auf der Website und der App statt. Das heisst, dass wir potenzielle Kundinnen und Kunden heutzutage auf anderen Plattformen, sprich Social Media, ansprechen. Wir müssen schauen, was die Leute da draussen interessiert und wie wir uns darin einbetten können. Es hat also weniger mit „Jung“ und „Alt“ zu tun, sondern geht einfach darum, im natürlichen Alltag jeder Zielgruppe an Relevanz zu gewinnen.
Es gibt ein ganz gutes Beispiel, das ich immer bringe, entlang vom Thema Nachhaltigkeit. ESG ist in jeder Strategie verankert und beschäftigt jedes Unternehmen. Das Problem ist, dass die meisten Konsumenten keine Ahnung haben, was ESG ist. Der Endkonsument interessiert sich aber für seinen Tesla und wie er diesen versichern kann. Dementsprechend wird er nach Tesla googeln und nicht nach ESG. Das ist genau der Perspektivwechsel, den wir machen müssen. Auch wenn wir regulatorisch mit dem Thema beschäftigt sind, interessiert das den Kunden wenig.
Was würdest du sagen, jetzt waren wir auf der strategischen Ebene, wenn man es nochmals eine Stufe runterbricht auf konkrete Massnahmen, was macht ihr besser als andere?
Ich glaube, wir sind mutiger in der Kommunikation und vor allem differenzierter. Das ist für uns und unser alternatives, digitales Geschäftsmodell gegenüber traditionellen Versicherern entscheidend. Wir setzen auf Influencer, die immer wieder etwas anecken und verstehen, wie und wo man mit den Leuten kommunizieren kann, damit ihr Interesse geweckt wird. Wir kommunizieren mit einer Emoji-Du-Ansprache – als Erste aus dieser Branche. Versicherungen haben meistens Blau in der Farbe, da es als Vertrauensfarbe gilt. Sie kombinieren sie mit lächelnden Gesichtern und Claims wie „Leben und Glücklichsein“. Das hat aber für die Konsumenten wenig Identifikationspotenzial – beziehungsweise geht man mit solchen plakativen Bildern und Botschaften in der Masse unter. Wir setzen auf ein auffälliges Orange und fallen mit unseren mutigen und unterhaltsamen Claims besonders auf. Versicherung kann und soll doch auch Spass machen.
Wie holt ihr Generation X, also beispielsweise mich als Unternehmerin, ab? Manchmal vergisst man unsere, auch zahlenmässig grosse Generation. Wir haben Einfluss, wir haben Geld. Wir sind natürlich auch nicht die klassischen Influencer, obwohl Unternehmer und Unternehmerinnen teilweise mehr Reichweite haben als klassische Influencer.
Das ist ein spannender Punkt. Gerade im Marketing tendieren wir oft dazu, den „Trends“ zu verfallen, und jetzt sprechen alle von Generation Z. Es ist langfristig wichtig, dass wir, gerade bei den Jungen Aufmerksamkeit gewinnen, um uns nachhaltig aufzustellen. Aber unsere Hauptzielgruppen, die sich aktuell für Versicherung interessieren und absichern wollen, sind zwischen 30 und 50 Jahre alt. Darum glaube ich auch, dass man eine Strategie haben muss, die verschiedene Altersgruppen sinnvoll abdeckt. Das sieht man genauso bei den Mitarbeitenden. Viele Firmen machen sich Gedanken, wie man die Jungen, die Generation Z, abholt, und vergessen das Know-how und die Erfahrung der älteren Generation. Ich persönlich glaube nicht, dass eine Generation Z jetzt völlig anders ist als vorherige Generationen im selben Alter. Der Mensch hat je nach Karriere- und Lebenslage Bedürfnisse, und daran müssen wir uns ausrichten. Das war schon immer so.
Zurück zu dir! Hast du dir den CEO-Posten schon länger zugetraut?
Ich durfte als CMO von Smile die Organisation schon lange sehr nahe am CEO begleiten und wusste darum, dass ich mir das sicher zutrauen würde. Herausforderungen reizen mich sehr, und es ist wichtig für mich, immer in Bewegung zu bleiben. Ausserdem wusste ich bei Smile bereits, dass ich ein starkes Team im Rücken habe. Es komplementiert meine Fähigkeit, den Markt und die Kunden zu verstehen und unser volles Potenzial sowohl national als auch international auszuschöpfen. Dass ich nun im Alter von 32 Jahren und mit meinem Marketingbackground die grösste Digitalversicherung der Schweiz führen darf, ist trotzdem keine Selbstverständlichkeit. Mit dieser Wahl hat unser Mutterhaus Helvetia einen aktuell noch einzigartigen Entscheid gefällt und ein wichtiges Zeichen innerhalb der Branche gesetzt.
Wie haben die Leute ausserhalb von Smile reagiert, dass du in deinem Alter zu diesem Posten gekommen bist?
Die externe Reaktion und das allgemeine Medienecho waren unglaublich stark. Ich habe hier sehr viel Positivität erlebt. Gleichzeitig gab es natürlich auch die üblichen Fragen über „eine junge Frau in der Führung“.
Hat dich das genervt?
Ich kann damit zum Glück locker umgehen, finde es aber schade, dass viele den Fokus bei solchen Nachrichten immer gleich auf die Gender-Debatte legen. Ich nehme mir hier auch sehr gerne das Recht raus, keine Antwort zu geben. Das klappt in der Regel ganz gut.
Was für Fragen wurden dir denn gestellt?
Zum Beispiel die Frage, ob es zu wenig Frauen in Führungspositionen gibt. Es ist eine gerechtfertigte Frage, da es um Gleichberechtigung und Chancengleichheit geht, unabhängig von Gender. Aber wenn du am Tag der Ernennung zur CEO primär provokative Medienanfragen zum Thema Frauenquote erhältst, dann steht das für mich wirklich sinnbildlich für die Radikalisierung des ganzen Themas. Anstatt einfach die Person und deren Fähigkeiten ins Zentrum zu stellen.
Die Diskussion um dich als junge Frau lenkt dann fast etwas ab?
Ja, Kompetenz und Fähigkeiten rücken dann leider in den Hintergrund.
Wenn du Smile so drehen könntest, wie du willst – was würdest du ändern?
Ich glaube ganz fest, dass Smile in den letzten 30 Jahren, aber auch zukünftig von den Menschen lebt, die im Unternehmen sind. Deshalb ist es für mich entscheidend, dass wir uns noch stärker auf unsere Mitarbeitenden konzentrieren und ein attraktives Umfeld schaffen. Ich sehe mich in der Führung als Wegbereiterin mit der Aufgabe, die Mitarbeitenden bestmöglich zu unterstützen und zu befähigen, um gemeinsam die Zukunft von Smile zu gestalten. Ich bin überzeugt, dass Kundenzentrierung letztlich nur gelebt werden kann, wenn dem Mitarbeiterzentrierung vorangeht. Wenn unsere Teams motiviert und inspiriert sind, wenn wir die Zeit investieren, unsere Mitarbeitenden zu befähigen, und ihnen Raum geben, spiegelt sich das in der Qualität und Innovationskraft unserer Dienstleistungen wider.
Durch diese Fokussierung auf unsere Mitarbeitenden können wir nicht nur die Bedürfnisse unserer Kunden besser erfüllen, sondern auch gewinnbringend unser Geschäftsmodell weiterentwickeln.
Wir sind in einer hoch digitalisierten Welt, und mithilfe von KI wird das schnell noch mehr werden. Ich denke mir aber immer: Je mehr Digitalisierung, desto mehr braucht es auch wieder den Menschen. Wie siehst du das?
Digitalisierung kann uns helfen, Dinge zu automatisieren und zu standardisieren, die unnötig zeitraubend sind. Technologie sollte da eingesetzt werden, wo man den menschlichen Kontakt nicht braucht und man diese wertvollen Ressourcen stattdessen in wertsteigernde Tätigkeiten investieren kann. Manchmal fragen mich die Leute, ob wir in zehn Jahren noch ein Telefon haben – werden wir bestimmt. Gerade persönliche Beratungsgespräche am Telefon schaffen Vertrauen und ziehen langfristigere, emotionale Bindung mit der Marke nach sich. Man darf sich nicht von der Digitalisierung und der Technologie treiben lassen, sondern muss sie als Instrument sehen, den Alltag des Kunden zu erleichtern.
Es ist beruhigend zu hören, dass gerade von einem eher digitalen Anbieter wie Smile und von einer jungen CEO eine Sensibilität da ist, dass es eine Schnittstelle zum Menschen braucht.
Ein Hauptcharakterzug unserer Zielgruppe ist das Bedürfnis nach Verbundenheit und Interaktion. Solang wir also kundenzentriert sind, werden wir die Menschlichkeit nie aushebeln. Schlussendlich sehe ich Smile als Community, die durch Beziehungen zwischen Kunden, Partnern und Mitarbeitern lebt und für alle gemeinsam einen Mehrwert schaffen kann.