Stefanie Heinzmann
Stefanie Heinzmanns Karriere begann 2008 dank Stefan Raab. 2021 ist die gebürtige Walliserin stärker und seelenvoller denn je. Die Schweizer Soulqueen ist authentisch und nahbar geblieben. Freiheit bedeutet für sie auch, sich die Haare raspelkurz abzuschneiden.
Ihr aktuelles Album „Labyrinth“ erschien im Mai diesen Jahres.
Schubladendenken
Diese Innenschau war für mich tatsächlich sehr wichtig – natürlich erzwungen, und das ist auch das, was vielen Leuten schwerfiel, weil es eben nicht freiwillig war. Aber ich persönlich finde dieses Nach-innen-Schauen sehr spannend, und ich nehme mir die Zeit dafür auch. Ich bin aber zu Beginn auch erst mal in ein Loch gefallen – insbesondere haben mir meine Leute gefehlt, die sonst um mich rum sind, aber ich bin auch sehr zur Ruhe gekommen und habe Themen entdeckt, auch einige Altlasten, die ich mit meiner Therapeutin gemeinsam sehr intensiv angeguckt hab. Ich kann von mir sagen, dass ich in den letzten zwei Jahren persönlich einen sehr grossen Schritt in die richtige Richtung gemacht hab, also konnte ich so gesehen diese Innenschau für mich als Weiterentwicklung und Selbstentwicklung sehr nutzen.
Ich glaube, dass die letzten Monate auf jeden Fall eine Entschleunigung waren, eine Entschleunigung, die längst überfällig war. Bis dahin ging alles einfach immer „weiter und weiter und weiter“. Ich hab das an mir selbst beobachten können: Ich hab viele in meinem Umfeld, die gefühlt rund um die Uhr gearbeitet haben, und da gehöre ich auch mit dazu, man kam einfach nie auf die Idee, sich selbst mal anzuhalten. Was ich wahnsinnig spannend fand und finde, ist, dass Menschen auch mal gezwungen wurden, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Wir leben in einer Gesellschaft der Verführungen und Ablenkungen. Es gibt kaum mehr eine Sekunde, die vergeht, in der wir nicht irgendetwas tun. Wir sind Doings geworden, statt Beings zu sein. Auch wenn wir im Zug sitzen, auf den Bus oder aufs Essen warten … sämtliche Wartezeiten sind Smartphone-Zeiten geworden. Wir sind immer irgendwo – auch mit unseren Gedanken. Durch die „zusätzliche Zeit“, die wir im Lockdown bekommen haben, hat man seine eigene Screen Time womöglich begonnen zu hinterfragen: Will ich jetzt wirklich jeden Tag, acht Stunden lang, auf dieses Smartphone starren? Dann kommen diese Gedanken der Selbstreflexion, die so wichtig sind. Menschen tun gut daran, sich auch mit sich selbst beschäftigen zu können. Der Grund, der uns dazu gezwungen hat, ist ein sehr schwieriger. Diese Pandemie bringt unfassbar viele Schwierigkeiten mit sich. Diese Entschleunigung indessen war für viele sehr wichtig.
Doch wie kann man mit dieser Unfreiheit umgehen? Ich habe da zwei Herzen in der Brust. Einerseits bin ich natürlich ausnahmslos privilegiert, ich darf trotz allem arbeiten und reisen – aufgrund meines Berufs. Mir persönlich fiel der Umgang mit der fehlenden Bewegungsfreiheit allerdings nicht so schwer, weil ich glaube, dass ich es geschafft habe, immer sehr gut im Moment zu bleiben. Ich hab wundervolle Menschen um mich herum in meinem direkten Umfeld, mit denen ich den Kontakt pflege. Wenn ich mich sehr einsam fühle, dann rufe ich Menschen an, die mir wichtig sind, und mache mir bewusst, wie gut es uns nach wie vor geht. Ich versuche mir manchmal vorzustellen, wie man so eine Pandemie in einem ohnehin schon gebeutelten und armen Land durchstehen muss! Ich traue mich daher nicht, mich zu beschweren, weil ich finde, uns geht es so unfassbar gut! Ich hab noch immer zu essen, zu trinken, ein Dach über dem Kopf, einen Job, den ich ausführen darf … ich bin gesund! Da nehme ich gerne diese Unfreiheit in Kauf, und zeige mich solidarisch. Aber natürlich nehme ich diese Unfreiheiten in Kauf, immer im Hinblick auf die Hoffnung, dass wir einen Weg zurück in eine gewisse Normalität finden können. Dieser Gedanke ist es, der mir diese Unbeschwertheit ermöglicht. Wenn ich mir vorstelle, dass alles so bleiben würde, dann … dann würde auch ich in ein Loch fallen, denn mir fehlt es, unter Menschen zu sein, frei zu sein, mir fehlt es vor allem auch, andere Menschen frei zu sehen.
Wie verändert das alles unsere Gesellschaft? Das wage ich kaum zu beantworten. Unsere Kinder, die junge Generation ist viel bewusster mit all den Dingen, die auf dieser Welt geschehen, als wir, als ich es war. Wenn ich mir vorstelle, dass sich Kids in so jungem Alter mit Umweltthemen beschäftigen, mit Nachhaltigkeit, Rassismus, Sexismus, Gleichberechtigung – das sind alles Themen, die mir wahnsinnig fremd waren als Kind, an die ich gar nicht gedacht hab und über die sich niemand mit mir unterhalten hat. Unsere Kinder heute leben bewusster. Aber es tut mir sehr leid für Kinder und Teenager – denn sie kriegen diese Zeit im Lockdown nicht mehr zurück. Sie dürfen nicht feiern, über die Stränge schlagen, sich ausprobieren, wie ich es tun konnte. Sie können ihre Grenzen nicht ausloten, und das tut mir leid zu sehen. Und für die alternde Bevölkerung ist es sicher sehr schwer, weil die sich isolieren muss – gerade Menschen in Alters- und Pflegeheimen, die keinen Besuch empfangen und auf ihre vier Wände starren müssen. Ich glaube, das ist sehr schwer. Die Angst vor dieser unsichtbaren Gefahr Covid-19, ach … das zerreisst mir fast das Herz. Wie es eine Gesellschaft verändert, vermag ich nicht zu sagen – ich hoffe zum Guten! Ich hoffe, dass diese Freiheit uns allen vollends bewusst wird und dass Freiheit ein Gut ist, für das wir sehr dankbar sein dürfen.
Unfreiheit findet aber auch im Kopf statt. Ich hatte in den vergangenen Monaten mit vielen Menschen Kontakt, die sehr unfrei waren. Aber eine Unfreiheit, die durch sie selbst entstanden schien. Die Thematiken wie innere Ängste und Depressionen, viele Themen zur mentalen Gesundheit, kommen durch diese Pandemie noch stärker zum Vorschein, und ich hoffe so sehr, dass unsere Gesellschaft lernt zu sprechen, dass wir lernen, dass der Mensch nicht da ist, um allein zu sein. Wir brauchen einander! Wir haben unsere Stärken und Schwächen nicht umsonst, wir haben die Stärken, um andere zu unterstützen, und unsere Schwächen, um unterstützt zu werden. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass Menschen lernen, über ihr Inneres zu sprechen, über Stärken und Schwächen, über all diese gesellschaftlichen Schubladen, die wir über die letzten Jahrhunderte aufgebaut haben, dass wir die endlich mal sprengen und uns selbst frei machen können, weil ich weiss, dass wir das können – das steckt in Menschen drin.
Stefanies neues Album „Labyrinth“ erschien am 14.05.21 – eine Tour ist 2022 wieder in Planung.
„So vertrackt unser Leben mitunter auch erscheinen mag, wir müssen nun einmal selbst hindurchgehen. Wir müssen uns ausprobieren, abbiegen, Kurven nehmen. Mitunter drehen wir uns auch im Kreis oder landen in einer Sackgasse“, sagt Stefanie Heinzmann über ihr neues Album.