Serendipity Innovation

Text: Teresa Valerie Mandl
Foto: Bernhard Tinz

Ladies Drive ONLINE - Teresa Mandl
Looking for a needle in a haystack and finding the farmer’s daughter (Singh, 2010). Eines der meistbestaunten Ausstellungsstücke im Palm Springs Air Museum ist der F117-A-Tarnkappenbomber. Die Entwicklung dieses richtungweisenden Militärflugzeugs folgte einer in den 40er-Jahren bei Lockheed Martin geschaffenen Art und Weise, Innovation zu betreiben: den sogenannten Skunk Works.

Für Skunk Works wurden erstmals in den 1940er-Jahren Mitarbeiter aus der normalen Unternehmensbürokratie herausgelöst und ermutigt, zugunsten der Innovation Standardverfahren zu ignorieren. Das Ziel damals war, ein Hochgeschwindigkeitsjagdflugzeug zu entwickeln, welches es mit den in Deutschland von Messerschmitt hergestellten Flugzeugen aufnehmen könnte.

Die Skunk Works von damals sind noch heute bei Lockheed interdisziplinäre Einheiten, welche unter höchster Verschwiegenheit neuartige Kampfsysteme entwickeln, die ihrer Zeit oft weit voraus sind. Die involvierten Teams umfassen nur wenige Personen und arbeiten ausserhalb gängiger Entwicklungskanäle. Damit bieten Skunk Works ein Vehikel, Problemlösungen auf unerwarteten Wegen zu finden. Man systematisiert so unbewusst die sogenannte „Serendipity Innovation“ und erwartet von den Innovationsteams das Unerwartete.

Unerwartete Ereignisse sind in anderen Firmen oft negativ belegt. Wir gewichten in unserer Wahrnehmung potenzielle Verluste unvorhergesehener Ereignisse stärker als deren potenzielle Gewinne. Folglich wird viel getan, um Überraschungen durch sorgfältige Planung und Risikoabwägung zu vermeiden. Das Unternehmertum lehrt uns allerdings: Nicht jedes Ergebnis lässt sich kontrollieren. Und das ist gut so.

Peter Drucker stellte bereits 1985 fest, dass unerwartete Ereignisse die einfachste Quelle der Innovation sind. Wenn Innovationen in einem Moment entstehen, in dem man eigentlich ein anderes Ziel verfolgte, spricht man von Serendipity Innovation. Gemäss Drucker sind Innovationen kaum das Resultat einer gezielten Suche, sondern vielmehr das Ergebnis einer Wahrnehmung von Möglichkeiten. Erfolgreiche Innovationen widersetzen sich so geltendem Konsens.

Beispiele gibt es zuhauf. Der Glashersteller Corning sah irgendwann eher zufällig die Möglichkeit, bekannte Technologien in die Domäne optischer Fasern für die Datenübertragung zu übersetzen. Post-it-Zettel wurden bei 3M „versehentlich“ entwickelt, nachdem ein Superhaftkleber nicht die gewünschte Klebkraft aufwies. Und auch in der Natur gibt es immer wieder Erkenntnisse, die keinem klassischen Muster folgen. So dienten Federn in der Tierwelt ursprünglich der thermischen Isolation beim Archaeopteryx-Saurier, bevor sie in anderem Kontext, nämlich für das Fliegen, wertvoll wurden.

Es gibt zunehmend Evidenz, dass eine Kombination geplanter Innovationsstrategien mit unerwarteten Zufallserkenntnissen eher zum Ziel führt als rein systematische Innovationsansätze.

Zufallserkenntnisse lassen sich verschiedenen Typen zuordnen:

  1. Eine gezielte Suche löst ein unerwartetes Problem. Man sucht eine Innovation für ein Problemfeld, löst aber unbeabsichtigt eine andere Herausforderung. Ein solches Beispiel ist die Entdeckung von Viagra, wobei Pfizer ursprünglich auf der Suche nach einem Angina-­Medikament war.
  2. Eine gezielte Suche löst das ursprüngliche Problem – allerdings auf einem unerwarteten Weg. Goodyear war lange auf der Suche nach einem Weg, um Gummi thermostabil zu machen. Zufällig berührte eine Mischung aus Schwefel und Gummi eine heisse Herdplatte, woraus die Entdeckung der Vulkanisierung resultierte.
  3. Eine ungezielte Suche löst ein unmittelbares Problem. Der Süssstoff Saccharin wurde zufällig innerhalb eines Forschungsprozesses entdeckt, in dem generell die Eigenschaften von Zucker untersucht werden sollten.

Wie lässt sich das Unerwartete planen?

Serendipity Innovation ist nicht nur Glück. Der Zufall erfordert eine gewisse Vorbereitung und Anstrengung bei gleichzeitiger Offenheit gegenüber unerwarteten Erkenntnissen. Serendipity braucht die Fähigkeit zu Gedankensprüngen und dazu, Vorkommnisse nicht nach bekannten Mustern zu beurteilen. Ferner muss man bereit sein, Unsicherheit als etwas Positives zu betrachten, denn Unsicherheit kann auch vor Wettbewerb schützen. Schliesslich braucht die ungeplante Erkenntnis vorangegangenes und nachfolgendes Wissen, um Zufälle in ein positives Ergebnis umzuwandeln. So musste bei der zufälligen Entdeckung von Penicillin nachträglich untersucht werden, weshalb die Bakterien in der Petrischale durch Schimmel zerstört worden waren. Nur ein gegenüber den Chancen des Unbekannten aufmerksamer Innovator, der einem „Unfall“ etwas Positives abgewinnen kann, wird die Bedeutung des Zufalls erkennen und diesem auf den Grund gehen.

Insofern ist das Management gefragt, „Unfälle“ zu begünstigen. Und zwar im Sinne unbeabsichtigter Ergebnisse und zufälliger Entdeckungsprozesse.

Dies kann auf der persönlichen oder auf der sozialen Ebene geschehen:

  • Persönlich ist es wichtig, dass Innovatoren den Nutzen einer Zufallsentdeckung höher gewichten als deren Risiken. Dies geschieht durch Expertise, Wissen und die Fähigkeit, andere Denkperspektiven einzunehmen. Die Förderung von Kooperation und gezielte Trainings (im Bereich mentaler Flexibilität und „mindfulness“ sowie neuer spielerischer Innovationsinstrumente, welche bekannte „theoretische Pfade“ verlassen) sind Mittel der Wahl.
  • Auf der sozialen Ebene spielt eine grosse Rolle, dass Unternehmen eine Kultur mitbringen, die Offenheit gegenüber Zufallsbefunden und die Fähigkeit, mit diesen umzugehen, schafft. Vertrauenskultur, Fehlertoleranz und interdisziplinäres Netzwerk sind hier die Schlagworte. Mehr denn je ist Innovationsoutput eine Frage der Einbindung innerhalb eines kollaborativen Netzwerks. Zudem muss die Diskussion geführt werden, wie der „Wert“ eines Innvationsprojektes bemessen wird. Geht es rein um das Ergebnis? Oder doch eher darum, die Problemstellung richtig zu erfassen?

Wir Menschen sind fähig, Möglichkeiten zu antizipieren und uns auf unerwartete Innovationen oder Anwendungen einzustellen. Wir müssen nur die Awareness und den Raum dafür schaffen. Skunk Works sind ein Weg dazu. Sie folgen der Erkenntnis, dass Regeln in den wenigsten Fällen in Stein gemeisselt sind. Oder wie Denrell, Fang und Winter (2003) feststellten: „It’s not just luck, but effort and luck joined by alertness and flexibility.“

Quellen & Linksammlung zum Thema:

Dr. Teresa Valerie Mandl

ist gebürtige Deutsche und wohnhaft in Zürich.
Seit 2003 führt sie mit T.V.T swissconsult ihre eigene Firma im Bereich Unternehmensberatung für ­Innovationsmanagement, Produkt- und Dienstleistungsentwicklung. Darüber hinaus ist sie u. a. Dozentin an der Hochschule Luzern sowie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Veröffentlicht am Januar 17, 2023

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