Gebe ich diesen – nicht besonders spezifischen – Prompt in eine bildgenerierende KI ein, ist das Resultat erstaunlich akkurat. Zwar nicht so, dass wir die einzelnen Personen erkennen würden, aber der Gesamteindruck stimmt: eine stattliche Runde gestandener Männer, dazwischen ein paar wenige Frauen. Die Machtelite. Weiss, männlich, um die 50 Jahre alt oder älter. Nun schreiben wir aber das Jahr 2024, die Themen Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit sind nicht mehr ganz neu. Es ist unbestritten, dass sich in den letzten Jahren vieles bewegt hat. Trotzdem: Ganz oben hat sich das Bild nicht wirklich verändert. Warum? Ich habe mich mit zwei Frauen unterhalten, die es wissen müssen: Alkistis Petropaki, General Manager des Verbandes Advance, der sich für mehr Gleichstellung in den Schweizer Firmen einsetzt, und Ines Hartmann, Co-Direktorin des Kompetenzzentrums für Diversity & Inclusion (CCDI) der Universität St.Gallen. Advance und das CCDI geben jährlich den Gender Intelligence Report heraus, der aufzeigt, wie es um die Geschlechterdiversität in den Kadern der Schweizer Wirtschaft steht. Dieses Jahr dienen die anonymisierten Daten von 370.000 Mitarbeitenden aus 91 Unternehmen als Grundlage.
Alkistis Petropaki ist seit 2015 General Manager von Advance. Sie war über 20 Jahre in internationalen Führungspositionen tätig, darunter für L’Oréal, Nestlé oder Lindt & Sprüngli. Sie hält einen MBA der ESCP-EAP und hat einen Master in Germanistik und Psychologie. Foto: Valentin Cheli
Dr. Ines Hartmann leitet gemeinsam mit Prof. Dr. Gudrun Sander das Kompetenzzentrum für Diversity & Inclusion der Universität St.Gallen. Sie ist mitverantwortlich für das HSG Diversity Benchmarking und leitet unternehmensspezifische Projekte zu inklusiver Führung und Diversity & Inclusion. Foto: Anna-Tina Eberhard
Das Thema „Macht“ steht dieses Jahr im Fokus des Gender Intelligence Reports. Wie gross ist der Machtgraben in der Schweiz wirklich?
Ines Hartmann: Er ist gross. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Während Frauen in Positionen ohne Führungsverantwortung fast gleich oft vertreten sind wie Männer, beträgt ihr Anteil im obersten Kader nur gut ein Fünftel. Auf jeder Kaderstufe nimmt die Ungleichheit zu.
Alkistis Petropaki: Auffällig ist auch, dass Frauen eher in „Stabstellen“ oder Bereichen ohne „Profit & Loss“-Verantwortung als Führungskräfte vertreten sind, nicht aber da, wo die strategischen Entscheidungen eines Unternehmens gefällt werden.
Obwohl sich die meisten Unternehmen einig sind, dass sich eine grössere Diversität auch positiv auf die Erfolgszahlen auswirkt: Woran liegt es, dass es ganz oben immer noch gleich aussieht?
Alkistis: Normen spielen sicher eine wichtige Rolle. Wie sieht die typische Führungspersönlichkeit in der Schweiz aus? Wenn ältere, weisse, gebildete Männer als Inbegriff von „mächtig“ gelten, werden wir sie eher als geeignet für mächtige Positionen ansehen.
Ines: Es fällt auf, dass Frauen nicht diesem Bild der „typischen Führungskraft“ entsprechen, aber auch Männer, die nicht in die oben genannten Kategorien passen – etwa weil sie vermehrt Betreuungsaufgaben übernehmen wollen und sich darum für Teilzeitarbeit entscheiden.
Frauen „sehen“ sich also nicht in den oberen Führungspositionen, im wahrsten Sinne des Wortes?
Ines: Es gibt tatsächlich immer noch zu wenig sichtbare und positive weibliche Vorbilder. Unsere Bilder im Kopf zum Thema Macht sind unweigerlich von männlichen Schablonen geprägt, weil historisch und auch heute noch die grosse Mehrheit der Leader Männer sind. Kein Wunder, wirken diese Bilder für die meisten Frauen nicht attraktiv.
Alkistis: Dabei ist Macht nüchtern betrachtet nichts anderes als eine Kraft, mit der wir Dinge verändern und gestalten können. Eine Kraft, die uns ermöglicht, Einfluss zu nehmen. Es ist an der Zeit, dass wir uns als Frauen ganz bewusst die vielen positiven und konstruktiven Seiten von Macht und Einfluss vergegenwärtigen. Die grossen Herausforderungen unserer Zeit können wir jedoch nur meistern, wenn auch die weibliche Perspektive ausreichend in Führungspositionen repräsentiert ist – und zwar in allen Bereichen.
Wäre jetzt ein günstiger Zeitpunkt, um an diesen Normen zu rütteln?
Alkistis: Es ist allerhöchste Zeit! Aber da diese Normen und Bilder so fest in unserer Gesellschaft verankert sind, braucht es bewusste Anstrengungen, eine klare Haltung – vor allem auch vom Management – und einen unbedingten Veränderungswillen. Bei den über 140 Advance-Mitgliedsfirmen – allesamt grosse Unternehmen in der ganzen Schweiz – laufen spannende Initiativen, um die Führung auf allen Ebenen diverser zu gestalten. Viele haben dabei die Unternehmenskultur im Visier. Andere gehen gegen unbewusste Vorurteile vor, die in so vielen Bereichen greifen, wie etwa bei der Anstellung oder bei der Beförderung von Frauen.
Ines: Auch die richtigen Management-Tools können dabei helfen, und dazu ist eine gute Datengrundlage wichtig. Auf welchen Stufen sind Frauen untervertreten? Wie vielfältig sind die Mitarbeitenden, die wir rekrutieren oder befördern? Wer verlässt unser Unternehmen? Das gibt erste Erkenntnisse für die wichtigsten Handlungsfelder. Wir haben mit unserer interaktiven Plattform „Diversity Works“ gute Erfahrungen gemacht. Firmen, die dieses Tool benutzen, können diese Fragen beantworten und über die Jahre auch mitverfolgen, wie sich ihre Initiativen auswirken und wie nahe sie ihren Zielen kommen.
Könnt ihr eine Schätzung machen, wann sich der Machtgraben zwischen den Geschlechtern schliessen wird? Sprechen wir von Jahren, Jahrzehnten, Generationen?
Ines: Ich hoffe sehr, dass ich das in meinem Berufsleben noch erlebe! Veränderungen geschehen eben nicht nur linear. Häufig hat man das Gefühl, es passiert fast nichts, und plötzlich geht es einen grossen Schritt vorwärts. Wichtig ist, dass wir nicht einfach abwarten, sondern die Veränderung in den Firmen aktiv angehen.
Alkistis: Was mir Mut macht: Die letzten Baby-Boomer, die eine ziemlich homogene Truppe darstellen, werden in den nächsten Jahren aus dem Arbeitsleben austreten. Wenn wir es schaffen, heute schon die richtigen Weichen zu stellen, besteht die Chance, dass die Top-Positionen in zehn Jahren ganz neu besetzt werden.
Ines: Absolut, Talentmanagement und Nachfolgeplanung sind Themen der Stunde und aus meiner Sicht zentral, damit sich das Bild der Macht in unserem Land nachhaltig verändert – und die KI in zehn Jahren ein ganz anderes Bild generiert.
Sabrina Durante
ist seit 2022 als Kommunikationsspezialistin bei Advance – Gender Equality in Business tätig. Advance ist mit über 140 Unternehmensmitgliedern der führende Wirtschaftsverband für Gleichstellung in der Schweiz und setzt sich aktiv für mehr Frauen im Kader ein. Mehr dazu unter
www.weadvance.ch