Vertrauen in Zeiten von Deep Fakes & Co

Interview: Sandra-Stella Triebl
Mitarbeit: Kim Welti
Foto: Rüdiger Trost

Vertrauen in Zeiten von Deep Fakes & Co - Tobias Schrödel
Ladies Drive Magazine
Tobias Schrödel ist 52 Jahre alt – und Hacker. Aber einer der Guten, wie er selbst sagt. Und er hat – in den glorreichen Frühzeiten des Internets – am Rückgrat der neuen Technologie für die Deutsche Telekom gebaut.

Er hat mir während unseres Gesprächs in gerade mal einer Minute einen Deep Fake mit meinem Gesicht und meiner Stimme gebaut. „Gib mir noch zwei Minuten, und es ist nahezu perfekt“, sagte er trocken.

Aktuell besteht die Gefahr, dass falsche Inhalte von künstlichen Intelligenzen, lauter Fakes, unser Internet überschwemmen werden. Doch wem oder was können wir dann noch vertrauen? Und was passiert mit einem Internet, das mehr erfundene Beiträge und Websites hat als echte?

Ein Interview, das zum Staunen anregt.

Vertrauen in Zeiten von Deep Fakes & Co - Tobias Schrödel

Ladies Drive: Lass uns doch zuerst einmal dich ein bisschen kennenlernen. Wie wird man denn Hacker?

Tobias Schrödel: An Universitäten wird IT-Sicherheit gelehrt. Aber auch cyberkriminelle Banden trainieren ihre Mitarbeitenden, wenn man die so nennen möchte, also das gibt es schon. Ich selbst habe aber ganz klassisch angefangen. Ich habe mich als Kind einfach schon für ein paar Dinge interessiert, die man dazu braucht. Bei mir waren das Geheimschriften zum Beispiel. Also ich habe damals auf einem Flohmarkt mal, vor vielen, vielen Jahren als Kind noch, eine Postkarte gefunden mit verschlüsselten Zeichen drauf, also die konnte man nicht lesen. Und mittlerweile, da bin ich auch ein bisschen stolz drauf, besitze ich vermutlich eine der grössten Sammlungen – wenn nicht sogar die grösste – an verschlüsselten Postkarten, fast 500 Stück. Die Leidenschaft der Verschlüsselung zum Datenschutz hat mich also schon ein bisschen begleitet. Irgendwann habe ich dann Informatik und Programmieren gelernt, und als Programmierer hast du immer auch mit Hacken zu tun, weil man das, was man programmiert, dann ähnlich wie ein Hacker testet. Ein Hacker versucht, ein Programm gezielt kaputtzumachen. Und wenn man sich dagegen schützen will, dann versucht man halt so zu denken wie ein Hacker und sich zu überlegen, was könnten die machen und wie muss ich mein System, mein Netzwerk, mein Programm dagegen schützen. Und irgendwann bin ich so halt auf der guten Seite der IT-Sicherheit gelandet.

Wie lief deine Karriere danach weiter?

Ich war viele Jahre bei der Deutschen Telekom, und wir hatten eine wirklich fantastische Gruppe in dieser Boomzeit des Internets. Wir haben so irre Dinge damals gebaut, die es noch nicht gab. Also ein Kollege im Büro neben mir hat das Netz der Bodenkontrollstationen vom europäischen Modul der ISS gebaut. Oder wir haben damals für einen heute noch tätigen Hersteller die ersten Backöfen und Kühlschränke internetfähig gemacht. Wobei es das Internet so noch gar nicht richtig gab, sondern wir haben sie mit SMS gesteuert. Damals hatten wir auch eine Veranstaltung, „Innovationen zum Anfassen“ hiess die, da haben wir unseren Kunden solche Innovationen vorgestellt. Während der Umbauphasen auf der Bühne hab ich dann den Kunden irgendwelche Tricks gezeigt, quasi als Pausenclown. Wie man Passwörter knackt oder wie man ein Bluetooth-Headset abhören kann oder Ähnliches. Das fanden die Leute klasse. Und dann habe ich angefangen, diese unterhaltenden IT-Sicherheitsthemen als Vortrag zu bauen. Mittlerweile bin ich seit vielen Jahren selbstständig mit Live-­Hacking-Vorträgen und mache nichts anderes, als Menschen zu sensibilisieren. Weil es mir aber darum geht, dass man nicht immer alles dröge und trocken weitergeben muss, mache ich das auch mit ein bisschen Witz, denn dann bleibt es nämlich besser hängen. Irgendwann hat mich die Zeitschrift „Chip“, die Computerzeitschrift in Deutschland, deshalb mal „Comedyhacker“ genannt.

Was hast du in deiner Laufbahn so alles gehackt? Gibt es irgendwas, was du sagen darfst?

Also der Punkt ist ja, es gibt gute und böse Hacker. Und wenn du halt bei den guten Hackern bist, wirst du von jemandem beauftragt, dass du nachguckst, ob man in sein System reinkommt. Und wenn dem so ist, dann erzählt man dem Auftraggeber nachher natürlich, welchen Weg man genommen hat, damit er diese Lücken schliessen kann. Und deswegen kann man das erzählen, solange es mehr oder weniger anonym ist. Also, was ich zum Beispiel mal in Bayern gemacht habe, ich habe mich in ein Schulsystem reingehackt, nachdem mir der Konrektor gesagt hat, ich solle mal nachschauen, ob das sicher ist. Es hat letztlich eine halbe Stunde gedauert, und ich hätte alle Noten von allen Schülern der angeschlossenen Schulen in ganz Bayern ändern können. Zudem hatte ich alle Passwörter sämtlicher Lehrpersonen. Also das war nicht wirklich sicher.

Woran lag das, dass du das so schnell knacken konntest? Sind dann die Passwörter so schlecht?

Also in dem Fall hat der Programmierer einen Fehler gemacht, und das ist eigentlich das, was am häufigsten passiert. Das war ein … schlampig möchte ich es nicht nennen … aber ein typischer Fehler des Entwicklers. Aber: Viele der gefundenen Passwörter der Lehrer waren auch schwach. Und wenn ein Nutzer mit einem schlechten Passwort unterwegs ist, dann ist das ja kein Hack, sondern eher Dummheit. Das kommt leider viel zu oft vor. Also es ist schon erstaunlich, wie sorglos die Leute mit ihren Passwörtern umgehen. Zum Beispiel, wenn man im Browser sein Passwort speichert, wenn man sich irgendwo einloggt und der Browser sagt: „Oh, soll ich dein Passwort speichern?“ Und alle dann so: „Ach Gott sei Dank ja, dann muss ich das nächstes Mal nicht mehr eintippen.“ Aber praktisch ist das nichts anderes, wie wenn du die Haustür zumachst und den Schlüssel draussen gut sichtbar stecken lässt. Das ist total absurd. Da muss man tatsächlich darüber nachdenken. Denn wenn Hacker deine Daten so einfach stehlen oder verschlüsseln können … was dann? Stell dir vor, von Familie, Kindern, Geburt, Einschulung, alle Fotos weg, alle Urlaubserinnerungen, alles weg. Oder jemand klaut deine Identität und postet Extremistisches in deinem Namen. Oder verkauft teure Kaffeemaschinen und liefert dann nicht, aber alles ist auf Vorkasse bezahlt, und dann steht dein Name im Impressum – und ein wütender geprellter Käufer vor deiner Tür. Wenn dir das einmal passiert, wirst du danach mit Passwörtern ganz anders umgehen. Und die Frage ist nicht, ob, sondern eigentlich nur, wann dir was passiert.

Aber wie kann man sich das vorstellen, das Leben eines Hackers? Trifft man sich da im Darknet und tauscht sich aus über Best Practice und so?

Okay, wir müssen wieder unterscheiden zwischen den Guten und Bösen. Die Guten treffen sich auf Konferenzen, sie treffen sich auf Messen, sie arbeiten zusammen, man tauscht sich aus, man erzählt, was man geschafft hat, anonymisiert natürlich, damit der Kunde nicht blossgestellt wird. Das ist eine Community, und die ist auch wichtig. Nun zur schwarzen Seite, also den bösen Hackern: Die grössten Probleme bereiten uns Ransomware-­Banden. Das heisst, Banden, die Firmen erpressen, indem sie zuerst Daten stehlen und dann diese Daten verschlüsseln. Verschlüsselung ist ja gut. Beim Onlinebanking zum Beispiel. Dazu muss ich aber was Wichtiges vorausschicken: Wenn ich etwas mit aktuellen Methoden verschlüssle, kann das niemand knacken. Und mit niemandem meine ich niemanden. Kein FBI, kein CIA, kein anderer Hacker, niemand. Und das ist gut. Der Haken an der Sache ist aber, wenn ein böser Angreifer es schafft, deine Daten zu verschlüsseln, kommst du auch nicht mehr ran. Und zwar auch nicht mithilfe von CIA, FBI, der Schweizer Polizei, niemand wird dir da helfen können. So, und deswegen können diese Cyberkriminellen Lösegeld für deine Daten von dir erpressen, und das machen die. So ein durchschnittliches Lösegeld liegt irgendwo zwischen 400.000 für Mittelständler und teilweise 50.000.000 Euro bei den ganz grossen. Und das ist echt krass. Und jetzt muss man eines dazusagen, die Geschichte ist ein bisschen inte­ressanter. Bis vor einigen Jahren haben die nur verschlüsselt, und dann haben die Unternehmen immer mehr gemerkt – und das ist auch was für deine Leserinnen: Macht mehr Back-ups und macht gute Back-ups. Sichert eure Daten und legt die auch mal in den Schrank. Also nicht, dass sie permanent online an den Rechner angeschlossen sind. Denn wer ein Back-up hat, kann nicht mit verschlüsselten Daten erpresst werden. Aber dann sind die Cyberkriminellen auch einen Schritt weitergegangen – die haben dann angefangen, die Daten erst mal zu stehlen, bevor sie sie verschlüsseln. Weil, wenn dann ein Unternehmen kommt und sagt, „Wir zahlen nicht, weil, wir haben ein Back-up im Schrank“, dann können die Cyberkriminellen sagen: „Alles schön und gut, aber dann veröffentliche ich deine Daten halt im Darknet oder im Netz.“ Das heisst, jeder kann alle deine Daten sehen, und mit allem meine ich Mitarbeiterverträge, Einkaufspreise, interne E-Mails, Notes, Steuererklärungen, alles wäre offen im Netz. Und dann zahlen immer noch viele Firmen Geld dafür, um das zu verhindern.

Spannend … In Filmen sieht man immer mal wieder, wie beispielsweise Ampeln gehackt werden. Ist so was überhaupt möglich, oder ist das wirklich komplett Hollywood?

Nein, überhaupt nicht Hollywood. Also tatsächlich ist es sogar lange Zeit sehr, sehr einfach gewesen, Ampeln zu hacken, weil die gar nicht geschützt waren. Mittlerweile, zumindest weiss ich das von einigen deutschen Grossstädten, ist der Funk verschlüsselt. Aber bis vor Kurzem war es so, dass Rettungswagen und Feuerwehrautos einen Sender hatten, und wenn die auf eine rote Ampel zugefahren sind, hat dieser Sender gesagt, hier kommt ein Feuerwehrauto, und die Ampel hat auf Grün geschaltet. Also musste man als Hacker bloss dieses Signal einfach mal mitlesen, wenn die Feuerwehr vorbeifuhr. Und – man nennt das „Replay Attacke“ – dann hat man das Signal einfach noch mal abgespielt, wenn man selbst mit dem Auto kommt, und die Ampel wird sofort grün. Also das ist kein klassischer Hack, weil, da hat man keine Schranken überwunden, sondern man hat einfach mitgedacht. Aber natürlich wirkt es nach aussen so wie ein Hack. Das gibt es tatsächlich, und in vielen Städten, die nicht auf verschlüsselten Digitalfunk umgestiegen sind, gibt es das heute noch. Busse im öffentlichen Personennahverkehr machen übrigens auch nichts anderes, um den Takt einzuhalten.

Die sozialen Medien – das ist für einen Hacker doch sicher ein gefundenes Fressen, oder?

Ja, wenn du Daten einer Person brauchst, klar. Wobei, das ist, muss ich sagen, tatsächlich nicht unbedingt immer was für Hacker, sondern eigentlich was für Daten-Kraken. Also für Leute, die mit Daten Geld verdienen, und das sind mittlerweile sehr viele. Als Hacker brauche ich es manchmal, um mir Informationen zu erschleichen, etwa, um an jemanden ranzukommen. Also ein Beispiel: Wenn ich den Vorstandsvorsitzenden oder die Vorstandsvorsitzende eines multinationalen Konzerns hacken möchte, weiss ich, der Rechner von der Frau ist von der internen IT überwacht ohne Ende, die kriegt immer das Neueste, dieses Gerät ist top überwacht. Also da wird es echt schwierig. Wen ich stattdessen angreifen würde, ist jemand aus der Familie. Weil die Tochter, der Sohn, im selben Haus surft, im selben WLAN ist wie die Zielperson. Privathaushalte sind meist nicht so gut geschützt, und Teenager machen sich um so was gar keine Gedanken. Das heisst, manchmal geht dann der Weg eines Angreifers eher über eine Person aus dem näheren Umfeld, und da hilft natürlich Social Media gewaltig weiter, wenn man so was macht.

Dann müssen wir noch über künstliche Intelligenz reden. Ist das, was du machst, bald schon obsolet, weil, das macht eine künstliche Intelligenz? Und deinen Job gibt es so nicht mehr?

Was KI machen wird, ist, sie wird uns viele Arbeiten abnehmen, die langweilig sind und die sich wiederholen. Texte schreiben, Inhalt aus Texten extrahieren, Zusammenfassungen schreiben, Bilder oder Fotos generieren und Ähnliches. KI wird auch programmieren. Ich bin gelernter Programmierer, ich habe das richtig gelernt von der Pike auf. Das braucht es bald nicht mehr, weil, du sagst einfach, ich hätte gerne eine App, die das und das kann, und dann macht dir die KI das in Windeseile – und dann sagst du, eigentlich wollte ich es rot und grün, und schon läuft das in Rot und Grün. Und das wird massivst die Landschaft der Programmierer verändern, absolut. Das wird auch problematisch, weil dann natürlich Sachen möglich sind, die wir gar nicht mehr kontrollieren können. Weil irgendwelche Zweitmärkte aufgemacht werden und KI halt auch Viren programmieren kann. Das gibt es ja heute schon.

Wenn die KI dich hacken kann, dann haben wir plötzlich ein ganz grosses Problem, oder?

Richtig. Das kommt halt drauf an, wie du die KI trainierst und wo du die Grenzen setzt. Aber das ist halt wieder das Problem, das macht der Hersteller, das kann ich nicht beeinflussen. Da muss ich halt dann hoffen, dass beispielsweise Microsoft drauf geachtet hat, dass diese künstliche Intelligenz nett ist. Aber das ist halt genau das Problem, das weiss ich nicht. Es kommt ganz entscheidend darauf an, wer einer KI welche Daten gibt. Die kann ja nur anhand dieser Daten aus der Vergangenheit lernen. Eine KI ist weder divers noch ist sie neutral. Sondern sie lernt nur an dem, was sie vorgesetzt bekommt. Und wenn ich ihr natürlich, ich mach mal ein Beispiel, nur Daten mit rechtsradikalen Inhalten vorsetze, wird eine KI rechtsradikal werden. Natürlich, muss sie ja. Die kennt ja nichts anderes, und sie erkennt nur Muster in den Daten, die ihr vorliegen.

Inwiefern macht dir als jemand, der sich auskennt mit dem Thema, der selbst Hacker, ein Programmierer ist, inwiefern macht dir das, was da nun möglich sein könnte mit KI, Angst?

Also ich glaube erst mal, dass KI eine Riesenchance ist für uns alle. Insbesondere in so Sachen wie Gesundheit. KI erkennt Muster, nichts anderes. Das können wir Menschen auch, aber wir können es nicht so schnell, und wir können vor allem nicht so viele Muster parallel erkennen. Da sind wir einfach nicht in der Lage dazu, weil wir alles lesen müssen. Aber eine KI wird schon bald in der Lage sein, tausendmal schneller als Ärzte Mammografien zu screenen. Oder zu sagen, ob du im Gegensatz zu mir ein Medikament besser verträgst, wenn du es mit Apfelsaft und Magnesium gemeinsam einnimmst – nur so mal als Fantasie-Beispiel. Auf der anderen Seite wird KI auch so Muster erkennen wie dass braunhaarige Mädchen, die im Februar geboren sind und deren Mutter Sabine heisst, häufiger krank sind als andere Kinder. Warum auch immer. Aber dann werden diese braunhaarigen Mädchen, deren Mutter Sabine heisst und die im Februar geboren sind, teurere Krankenversicherungen bezahlen müssen. Sie werden vielleicht auch nicht mehr eingestellt, weil sie ja potenziell häufiger krank sind, also warum sollte ich sie einstellen, dann nehme ich lieber die Rothaarige, die kommt nämlich öfter ins Büro. Das sind so Sachen, die so eine Mustererkennung auch problematisch machen. Das heisst, wir brauchen eine Ethik für KI.

Aber ist da das Kind nicht schon längst in den Brunnen gefallen? Ich meine, wir diskutieren 2023 über Ethik bei KI. Das ist doch viel zu spät. Also für mein Dafürhalten. Ich denke immer, das ist doch viel zu spät.

Es gibt halt immer noch das Problem, wer entscheidet. Und machen wir uns nichts vor, eine amerikanische Kommission wird andere Werte haben als eine europäische oder asiatische oder eine indische oder eine russische. Das ist einfach so. Und es wird dann immer wieder Länder geben, die aufstrebend sind, wo vielleicht auch noch ein Diktator sitzt, die sich einen Scheissdreck drum kümmern, auf gut Deutsch. Und es wird auch in den USA und in Europa vermutlich Geheimdienste geben, die sich an diese Regeln auch nicht halten müssen. Um auf die Frage noch mal von vorher zurückzukommen, das ist das, was mir Angst macht. Weil, eine KI wird irgendwann in der Lage sein, auch mein Denken vorherzusagen, und zwar am Zucken vom Augenlid. Es gibt ja Leute, die erkennen, ob du lügst, weil du blinzelst oder so was. Das wird eine KI mit Kamera-Bilderkennung noch viel effektiver machen können. Und es gibt ja heute schon eine KI, die gelernt hat, deine Gedanken zu lesen. Also wenn du an ein Lied denkst, dann leuchten bestimmte Bereiche in deinem Gehirn in einem sogenannten EEG, welches die Gehirnströme misst. Die KI erkennt irgendwann die Muster und weiss, dass du mucksmäuschenstill „We Are The Champions“ von Queen im Kopf summst. Das ist nur der Anfang. Es gibt auch schon KIs, die gar nicht öffentlich sind. Und ich möchte gar nicht wissen, was da schon alles bekannt ist. Ich würde wetten, dass Google eine KI hat, die sie nicht öffentlich machen, weil sie uns ängstigen würde. Denn, wir sind ja wieder bei dem Punkt, die KI lernt aus Daten. Und ChatGPT 3.5 hat halt, ich sag jetzt mal, das Internet nur bis Ende 2022 gelesen. Also alle Texte, die so da zu finden waren oder bei Google indexiert waren. Aber der Konzern Google weiss ja auch, wonach du in den letzten 15 Jahren gesucht hast. Hühneraugen-Salbe, Campingplätze, alles. Die wissen ja viel mehr über uns, als uns wirklich lieb ist. Und wenn sie damit eine KI füttern, dann gnade uns Gott.

Kann ChatGPT oder generell eine KI auch lügen? Etwas erfinden? Fake-­Inhalte herstellen?

Schau, eine KI rechnet und funktioniert basierend auf Wahrscheinlichkeiten. Frag eine KI: Wie schaut denn ein Pferd aus? Sehr rudimentär gesagt wird sie sich Texte über Pferde angucken, und das fängt bei Bibi Blocksberg an und geht bis zu Wikipedia und so weiter. Und die KI wird vereinfacht gesagt Wörter zählen. Kurz nach dem Wort Pferd steht sehr oft Fell, Mähne und Schweif oder so was. Aber nie Federn. Deswegen „weiss“ eine KI, dass ein Pferd keine Federn hat, sondern Fell. Wenn ich es also schaffe, das Netz zu überschwemmen mit Artikeln, dass ein Pferd Federn hätte, dann wird die KI auch das glauben. Weil, die KI ist eigentlich dumm. Sie kann eine Antwort nur anhand von Wahrscheinlichkeiten vermuten. Und jetzt kommt das Entscheidende: Sie lügt auch manchmal. Obwohl: Lügen ist falsch, im technischen Begriff heisst das halluzinieren. Eine KI halluziniert. Wenn du zum Beispiel sagst: Schreibe eine Anzeige für das Gericht mit fünf Präzedenzurteilen, wo jemand seinen Nachbarn verklagt hat, weil ein Baum über den Zaun ragt, dann wird dir die KI fünf Urteile nennen. Wenn es aber blöderweise nur drei solche Urteile in der echten Welt gibt, in den Daten, von denen die KI gelernt hat, dann wird sie dir trotzdem fünf Urteile liefern. Weil, du hast gesagt, dass du fünf Urteile willst – also liefert sie dir fünf Urteile. Du siehst das aber nicht, dass die Antwort halluzinierte, also falsche Teile beinhaltet.

Wie kommt die KI dazu, das zu halluzinieren? Woher nimmt sie die Info?

Na ja, weil du ihr sagst, du hättest gerne fünf Urteile.

Das heisst, da, wo sie Lücken hat, erfindet sie.

Genau. Die macht ja erst mal, was du willst. ChatGPT ist ein Sprachmodell, ein Sprachkünstler – aber eben keine Suchmaschine oder Datenbank.

Wow. Das Thema Vertrauen, Glaubwürdigkeit, wird riesig in Zukunft.

Oh ja, insbesondere was Fake News betrifft, weil wir ja auch Fotos generieren können. Deep Fakes. Früher hast du Photoshop gebraucht, um jemanden schlanker zu machen oder um eine Person statt in Zürich am Lago Maggiore zu zeigen. Heute geht das innert Sekunden und mit einer simplen App.

Und du hast meine Stimme, du hast mein Foto. Reicht für einen Deep Fake, oder?

Jetzt pass mal auf. So, ich zeig dir gleich mal was. Das ist echt beängstigend, was auch eine KI kann, indem man einfach Fotos nimmt. Ich bin gleich wieder vor der Kamera, ich ändere nur kurz was. So, schon haben wir das (Tobias hat in einer Minute aus dem Zoom mein Bild und meine Stimme genommen und sie in einen Deep Fake verwandelt – Anmerkung der Redaktion). Schau mal, jetzt sprichst du in unserer Videokonferenz mit dir selbst, und dein Gesicht bewegt den Mund, wenn ich spreche. Du merkst, dass es nicht perfekt ist, aber das war jetzt eine Sache von 20 Sekunden.

Wow.

Also, da passiert einfach momentan sehr viel, was im Bereich Fake News ausgenutzt werden wird. Falschmeldungen werden massiv zunehmen. Es wird Beweisfotos geben, die dann viral gehen, die nicht echt sind, die vermeintlich beweisen, was passiert ist. Und das fängst du nie, nie, nie wieder ein. Wenn so etwas einmal raus ist in die Welt, kriegen vielleicht noch 20 Prozent der Menschen mit, dass das ein Fake war, und die anderen 80 Prozent werden es auch noch in fünf Jahren erzählen, dass sie es gesehen haben.

Aber weisst du, wo führt denn das hin? Wenn wir anfangen, alles zu hinterfragen, und immer denken müssen, das ist fake, sogar wenn es von der Mutter kommt …

Ja, das wird passieren und passiert teilweise schon.

Was wird das mit uns machen? Wird dann nicht das ganze Internet obsolet?

Als wir angefangen haben mit dem Internet, dachte ich, das ist die geilste Technologie, die es gibt. Wir werden es schaffen, in den hintersten Winkel dieser Erde vorzudringen, zu Menschen in unterprivilegierten Gegenden, die nie im Leben die Chance auf Bildung hatten. Das Internet wird Bildung demokratisieren. Aber wir Menschen sind einfach zu blöd, dieses Geschenk anzunehmen und zu nutzen. Wir machen’s uns wieder kaputt. Wir machen viele Sachen einfach kaputt, weil wir zu blöd sind, als Einzelpersonen zu gierig, weil wir radikal sind, weil wir nur auf uns gucken und es uns egal ist, was andere denken, und ich nur meine Interessen weitergeben möchte und Ähnliches. Und davon gibt’s in Summe ehrlich gesagt zu viele Leute, und das macht tatsächlich dieses Netz kaputt und ist einfach sauschade.

Hm. Wenn das Netz voller Fake ist oder ich eben nicht mehr weiss, ob du das bist im Netz auf Instagram oder ein Fake-Account, dann irgendwann wird doch das alles uninteressant.

Ja, es wird einfach nur noch ein Unterhaltungspool sein, wie früher Fernsehen, sag ich mal. Hinsetzen und berieseln lassen. Und das Problem ist, wir werden beeinflusst, natürlich, ganz klar, durch diese Sachen. Und wer der Stärkste im Netz ist, der wird uns auch beeinflussen, natürlich. Also das Netz kränkelt.

Gibt es einen Plan B für die Branche? Was kommt nach dem Internet, wenn das überflutet ist von KI-Fakes und Deep Fakes und hast du nicht gesehen. Was kommt dann?

Also ich glaube, der nächste Schritt wird erst mal gar nicht so toll, weil, es wird Länder geben, die ihre eigenen Internets machen. Also China ist ja schon fast fertig, sag ich mal. Russland wird, wenn es jetzt nicht auseinanderfallen sollte, so was Ähnliches bauen. Selbst in den USA gibt es Tendenzen, das Netz freizuhalten, aber einzuschränken und gewisse Sachen zu bevorzugen, und damit fängt es ja an. Wir achten ja jetzt darauf, dass das Netz neutral ist. Das heisst, die Mail von dir wird genauso schnell transportiert wie die Mail eines Mörders. Weil ihr einfach im Netz gleich seid durch die Netzneutralität. Es fängt heute aber schon an, dass Leute, die ein bisschen mehr bezahlen, im Mobilfunk einen schnelleren Zugang haben und Ähnliches. Das sollte alles nicht sein. Aber ja, solange man damit Geld machen kann, wird es Unfairness im Netz immer geben.

Was oder wem können wir mittelfristig im Netz noch vertrauen?

Also das Netz ist wirklich toll, deswegen finde ich es einfach schade, wenn solche Tendenzen es kaputtmachen. Aber alles Digitale hat halt das Problem, dass es so einfach kopiert und so gut verfälscht werden kann, und das ist was anderes, wenn wir uns gegenüberstehen und uns anfassen könnten und merken, du bist aus Fleisch und Blut und kein Avatar. Wir müssen mehr Rückfragen stellen, das heisst, wenn der Chef mir sagt: „Machen Sie eine Überweisung, aber sagen Sie keinem was“ zum Beispiel, dann ruf ich den Chef noch mal an und frag nach, soll ich das wirklich machen. Also noch mal verifizieren auf bekannten Wegen. Das wird eine Gratwanderung werden in Zukunft. Niemand muss sich schämen, in Zukunft noch mal zurückzufragen, wenn er oder sie unsicher ist. Besser, als wenn man auf Betrügereien reinfällt. Und übertragen auf das Web heisst das wirklich: Such dir eine oder zwei Quellen aus, denen du vertraust, und lies deine Nachrichten nur dort. Das ist eine Sache, die du machen kannst. Wenn du aber 17 Quellen liest, müsstest du jede einzelne Nachricht überprüfen. Das wirst du nie schaffen. Und dann muss ich alles anzweifeln. Und wir müssen auch lernen, ohne das Internet zu leben. Ohne Navigationssystem. Ohne Social Media. Wir müssen atmen können, ohne unser Handy in der Hosentasche. Wir müssen uns befreien. Wir sind zu abhängig vom Netz. Damit meine ich auch mich. Ich sitze gerade im Glashaus und werfe mit Steinen.

Wir empfehlen diverse Publikationen von Tobias Schrödel – eine Übersicht findet ihr hier:

www.tobiasschroedel.com

Veröffentlicht am Dezember 18, 2023
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