Umgang mit Unsicherheit: Doris Merz Nardone

Text: Doris Merz Nardone
Fotos: Tomek Gola

LABYRINTH

Geben wir uns nicht einer Illusion hin, wenn wir glauben, dass unser Leben sicher ist? Für mich gehört die Unsicherheit zum Leben wie die Luft zum Atmen. Vor 15 Jahren wurde ich erstmals mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert, und mein sogenanntes sicheres Leben brach wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Zu diesem Zeitpunkt war ich 43 Jahre alt, Mutter von zwei Söhnen (zwölf und drei Jahre alt), Ehefrau und Inhaberin einer eigenen Firma mit 15 Mitarbeitenden. Von einem Tag auf den anderen konnte ich mein sehr durchorganisiertes, geliebtes sowie auch hektisches Leben nicht mehr führen. Ich war wie gelähmt. Angst, Ungewissheit und Unsicherheit wechselten sich ab. Entscheidungen standen an, die Verantwortung war gross und die Unsicherheit noch grösser. Ich kam an den Punkt, an dem ich akzeptieren musste, dass ich das Rad der Zeit nicht zurückdrehen konnte und dass es für mich nur einen Weg gab: Vorwärts!

Darauf wollte ich mich fokussieren. Beeinflussen konnte ich nur die Zukunft, und ich wollte eine Zukunft mit meinen Kindern, meinem Mann und auch mit meiner Firma. Es ist unsere persönliche Entscheidung, ob wir uns von der Unsicherheit vereinnahmen lassen oder ob wir uns auf sie einlassen wollen. Zum Glück haben wir immer die Wahl, Entscheidungen zu treffen. Jeden Tag aufs Neue.

Ich hatte das Glück, ein einzigartiges und unterstützendes Umfeld zu haben. Es war eine sehr schwierige Zeit, in der mir aber auch bewusst wurde, was wirklich im Leben zählt und welche Werte mir wichtig sind. Die Unsicherheit bekam einen anderen Stellenwert in meinem Leben. Die letzten Jahre verschwand sie vermehrt in den Hintergrund. Im Sommer 2019 bekam ich erneut die Diagnose Brustkrebs und fiel komplett aus allen Wolken. Trotzdem war ich aber irgendwie gefasster, weil ich in der Vergangenheit gelernt hatte, mit der Unsicherheit umzugehen, und sie zu einem Teil meines Lebens gemacht hatte. Als ich schlussendlich den Krebs erneut besiegt hatte, freute ich mich auf den Wiedereinstieg ins Geschäftsleben im März 2020. Das Leben hatte aber wieder einen anderen Plan für mich, und es kam Covid-19. Die komplette Unsicherheit! Omnipräsent und in aller Munde. Bedingt durch meine Erfahrungen habe ich diesmal die Situation angenommen, wie sie ist. Ich konzentriere meine Energie ausschliesslich darauf, worauf ich wirklich Einfluss habe.
Ich bezweifle, dass es eine geschlechtstypische Verhaltensweise für den Umgang mit Unsicherheit gibt, weil dies doch mehr vom Wesen jedes Einzelnen abhängt, davon, was Mann/Frau in und aus einer solchen Situation macht. Die Unsicherheit gehört je länger umso mehr dazu. Wir müssen sie akzeptieren und lernen, mit mehr Leichtigkeit durchs Leben zu gehen, indem wir mehr im Hier und Jetzt leben. Alles wird ein wenig kurzfristiger und weniger planbar. Dies sind doch gerade die sozialen Herausforderungen, vor der die jüngeren Generationen vermehrt stehen: Renten, Arbeitsplätze, Bildungswesen sowie auch Umweltschutz, um nur einige Themen zu nennen. Alles ist unsicher, aber wir werden damit umzugehen lernen.

Für mich ist das Leben wie ein Leiterspiel: Einmal geht es vorwärts und dann wieder rückwärts. Als Spieler habe ich keine Einflussmöglichkeit auf den Verlauf des Spiels, trotzdem bleibe ich dabei und mache weiter. Vielleicht könnte man auch sagen, dass ich ein grosses Grundvertrauen in das Leben habe. Woher ich das nehme, weiss ich nicht, vielleicht ist es angeboren, anerzogen, erlernt oder evolutionäres Erbe. Wichtig ist für mich, dass wir lernen loszulassen und gleichzeitig auf unsere Intuition zu achten. Dadurch, dass wir uns auf die Unsicherheit einlassen, entstehen oftmals schöne Momente und Erlebnisse, die wir mit perfekter Planung niemals hinkriegen würden.

Wenn ich anderen Frauen etwas auf den Weg mitgeben darf, dann wäre das Folgendes: Hört auf, immer perfekt sein zu wollen! Hört auf, die perfekte Mutter, Arbeitnehmerin/Chefin und Partnerin zu sein. Lasst mal alle fünfe gerade sein und versucht nicht immer, es allen recht zu machen. Schwäche zeigen ist in Ordnung. Fragt nach Hilfe, und nehmt sie an, wenn es nötig ist. Frauennetzwerke sind wichtig für den Austausch. Gerade in Krisenzeiten kann ein solches Netzwerk sehr hilfreich sein.

Als ewiger Optimist blicke ich mit Respekt und guter Hoffnung in die Zukunft. Wir Menschen lernen schnell, mit den jeweiligen Situationen umzugehen, und werden uns anpassen. Wir sollten aber niemals das Erlebte vergessen und unsere Lehren für die Zukunft daraus ziehen. Gern halte ich mich an Oscar Wildes Aussage: Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende.

Vorname, Name:
Doris Merz Nardone

Funktion, Firma:
CEO, Inhaberin und Gründerin PM Care Systems AG

Website:
www.pmcare.ch

Wenn ihr ein Wort hättet für das Thema „Sicherheit in der Unsicherheit“, eine Farbe oder ein Bild malen könntet, was wäre das?
Labyrinth. Weil: Ein Labyrinth ist komplett sicher in der Unsicherheit. Es suggeriert uns Unsicherheit und gibt im geschützten Rahmen viele Möglichkeiten, wie wir zum Ziel kommen. Das Ziel ist immer die Mitte. Über kurz oder lang kommt jeder im Labyrinth zum Ziel. Verloren gehen kann niemand, weil es immer einen Ausgang gibt … ausser in einem schlechten Horrorfilm ;-).

 

Veröffentlicht am Mai 06, 2021

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