Helena Trachsel & Fiona Trachsel

Helena Trachsel & Fiona Trachsel (von links)
Helena Trachsel
Leiterin Fachstelle Gleichstellung des Kantons Zürich
zh.ch
Gezeiten
Transformation heisst für mich, täglich an mir selbst, an meinen Liebsten und Nächsten, an der Arbeit, im Alltag, im Denken und Handeln zu wachsen, mich so dauerhaft wie möglich zu „wandeln“. Das kann ich nur, wenn ich über meine Werte, Wirkung, die wirklich wichtigen Lebensziele reflektiere und Klarheit erlange. Veränderungsbereit zu sein, Möglichkeiten zu erkennen und zu ergreifen sind doch zentrale Bestandteile unseres Lebens. Chancen und Risiken abzuwägen und mutiger zu werden ist mein Mantra geworden. Transformation heisst für mich, das Leben in allen Facetten in Dankbarkeit, Demut und Sorgfalt zu leben – doch das ist wohl ein lebenslanger Lernprozess.
Ich versöhne mich in vertrauensvollen Zwiegesprächen mit Menschen, denen wir vertrauen können, die uns so verbunden sind, dass sie uns ehrlich und doch liebevoll antworten, mit meinen Sorgen und Ängsten. Auch dies ist ein Lernprozess.
Ich habe an mir und meiner Tochter Fiona mit viel Freude und Begeisterung Veränderungen festgestellt. Es ist ein stetiges Wachsen an- und miteinander durch Austausch und offene Rückmeldungen, auch kritische, die mich im Alltag und im Beruf besser machen. Dieses Vertrauen in meine beiden erwachsenen Töchter und ihr Handeln stärkt mich ungemein, meine Rolle als Mutter, und die der Töchter hat sich transformiert in eine liebevolle Ebenbürtigkeit.
Meine Töchter haben mich verändert. Ich darf durch den Austausch, das Beobachten, das Teilhaben an der persönlichen und beruflichen Entwicklung meiner beiden Töchter Gioja und Fiona enorm viel Neues und sehr Bereicherndes, ökologisch Nachhaltiges, sozial Engagiertes erleben und lernen. So war es Fiona, die Gioja und mich zu unserem ersten Meeresschutzeinsatz unter der Leitung von Dr. Silvia Frey, Co-Gründerin und Geschäftsleiterin von KYMA sea conservation & research, motivierte und damit eine sehr nachhaltige Transformation einleitete: den Verzicht auf das Essen von Meerestieren und das achtsame No-Waste-Verhalten. Die Generationen können voneinander lernen, indem sie einander Respekt für die Haltungen, Erfahrungen, Einstellungen und das Wissen entgegenbringen, neugierig sind auf die Einbettung dessen in den jeweiligen gesellschaftlich-historischen Kontext und die Bereitschaft der Weitergabe von Fähigkeiten und Tätigkeiten.
Gibt es ein gemeinsames Ritual, welches euch näher zusammengebracht hat?
Oh ja, wunderschöne, wertvolle Rituale wie gemeinsame Reisen, Auszeiten auch mit Kurz-Wellness und viel Lachen.
Fiona Trachsel
Verantwortliche Unternehmenskommunikation bei ewp
ewp.ch
Co-Präsidentin von KYMA sea conservation & research
kyma-sea.org
Welleneffekt
Transformation und Change stehen für mich mitnichten für etwas Unangenehmes – im Gegenteil: Privilegiert wie ich leben darf, ist die Möglichkeit für Change und Transformation ein Geschenk. Change ist für mich ein fortlaufender Prozess, die immerzu währende Möglichkeit, Wandel herbeizuführen, Wertehaltungen, Denkschemata, Muster, Handlungen und deren Abläufe zu reflektieren und nachhaltig zu verändern. Menschen, die wie ich in der privilegierten Situation sein dürfen, uns nicht um die Erfüllung unserer Grund- und Existenzbedürfnisse sorgen zu müssen, können Change und Transformation kreieren. Wir können umformen, gestalten, anpassen, im Kleinen auf der persönlichen Ebene, aber auch in grösseren Kontexten, wir alle können uns engagieren, uns füreinander oder für eine Sache einsetzen, mit kreativen Ideen vorangehen – es ist an uns, diese Chancen zu nutzen.
Ich versöhne mich mit meinen Sorgen und Ängsten, wenn es um Veränderung geht, indem ich mich konkret frage, weshalb ich mir nun über etwas den Kopf zerbreche und ich Angst habe oder unsicher bin. Was macht mir wirklich Angst? Ist es der Verlust von Sicherheit oder gar Bequemlichkeit? Ist es die damit einhergehende Anpassungsleistung, die von mir verlangt wird? Und ich stelle meine Ängste immer in den Kontext mit anderen, existenziellen Ängsten – dann werden meine „Sörgeli“ oftmals sehr rasch nichtig und klein. Was ist schon eine kleine Veränderungsleistung im Vergleich zu existenziellen Sorgen und Ängsten?
Meine Mom hat eine Resilienz, wie ich sie noch nie bei einem anderen Menschen gesehen habe. Diese Resilienz und ihre echte Freude an den Menschen, Tieren und der Natur machen sie so offen für Veränderungen aller Art, sei es die Umstellung auf die vegane Küche (die liegt zwar schon einige Jahre zurück) oder die zahlreichen kleineren und grösseren Veränderungen, die Corona verlangt hat; Anpassungen der Art und Weise, wie wir uns als Familie sehen konnten oder Anpassungen bei ihrer Arbeit. Meine Mutter ist äusserst flexibel und spontan, das letzte Jahr hat sie – soweit das überhaupt möglich ist – noch flexibler, spontaner und agiler gemacht, auch in dieser Hinsicht ist sie mir ein riesiges Vorbild.
Obschon ich mir meines privilegierten und glücklichen Lebens schon sehr früh bewusst wurde, zeigen mir Verluste von mir nahestehenden Menschen, wie beispielsweise der viel zu frühe Tod meines Onkels im vergangenen Jahr, wie wichtig und kostbar das Leben ist. Da realisierte ich verstärkt, dass ich einzelne Momente und Situationen noch bewusster lebe und dafür noch dankbarer bin. Ein glückliches, mental und körperlich gesundes Leben ist keine Selbstverständlichkeit.
Kannst du uns von einer Begebenheit erzählen, wo dir das Anpassen an eine Veränderung gut gelungen ist und aus der du nachher gestärkt hervorgegangen bist?
Ich durfte in einer Patchworkfamilie gross werden – ein Lebensgeschenk. In der Primarschule war ich das einzige Kind, dessen Eltern getrennt lebten, und das einzige Kind, das zwei Väter und eine Mutter an den Besuchstagen dabeihaben durfte. Zu realisieren, dass ich hier nicht zur „Regel“ gehörte, bedurfte von mir einer Anpassungsleistung, ich durchlief eine Transformation, indem ich das Kind war, bei dem die Familiensituation „anders“ war. Ich bin überzeugt, dass mich genau diese Sozialisation, dieses frühe Realisieren, dass auch anders gut – ja sogar besser (kein anderes Kind in meiner Klasse hatte damals zwei so supercoole Väter und eine so supercoole Mutter) sein kann; das hat mich definitiv nicht nur gestärkt, sondern nachhaltig positiv geprägt. Es hat mich offener gemacht für verschiedene Lebens- und Rollenmodelle.
Cornelia Gantner & Saraja Cornelia Gantner

Saraja Cornelia Gantner & Cornelia Gantner (von links)
Cornelia Gantner
Stiftungsratspräsidentin Be That Girl Foundation
bethatgirl.org
Inhaberin Maiensäss-Hotel Guarda Val Sporz
www.guardaval.ch
Abenteuer
Die Komfortzone verlassen bedeutet: Abenteuer. Ich mag Abenteuer! Vor allem, wenn ich mich selbst dafür entscheiden kann. Das ist der springende Punkt: Radikale Veränderung aufs Auge gedrückt zu bekommen kann unangenehm sein. Selbstbestimmung ist der Schlüssel – und das Privileg! – der Transformation, der Veränderung als positive Konstante im Leben.
Um junge Frauen dabei zu unterstützen, dieses Privileg vermehrt zu nutzen, haben meine Tochter Saraja und ich im Sommer 2020 die Be That Girl Foundation gegründet. Wir fördern das Mitspracherecht von Mädchen und jungen Frauen, wenn es um ihren eigenen Lebenslauf geht. Vor allem bei einschneidenden Entscheidungen wie Ausbildung, Berufswahl oder Heirat, aber auch im kleinen, subtilen Rahmen. Be that girl – Be yourself lautet die Baseline der Stiftung. Oder mit anderen Worten: Setz dich an den Schalthebel deines eigenen Lebens, gestalte Veränderung proaktiv mit.
In meinem Leben passiert Veränderung oft langsam, Schritt für Schritt, kaum spürbar, vor allem rückblickend erkennbar. So geschehen mit meinem Dokumentarfilm, den ich während sechs Jahren in Sambia drehte. Mein Ziel war, durch ein Entwicklungsprojekt verursachte Veränderungen mit der Kamera festzuhalten. Entstanden ist ein Film über ein abgelegenes Dorf im sambischen Nirgendwo und eine aussergewöhnliche Frau. Als Journalistin war ich keine Anfängerin, aber einen Film zu drehen im ländlichen Afrika war totales Neuland. Ich hatte nur eine Möglichkeit: flexibel bleiben, mich fortlaufend auf neue Begebenheiten einstellen, mir die Fähigkeiten aneignen, die gefragt waren. Mich als Produzentin und Regisseurin auf diesen Prozess eingelassen zu haben hat mich verändert, ich bin daran gewachsen, habe gelernt.
War der Prozess immer einfach? Nein. Musste ich meine Komfortzone verlassen? Ja, oft. Aber würde ich stattdessen als Person stagnieren wollen, nicht durch Herausforderungen geschliffen werden? Auf keinen Fall! Mich inspiriert die Transformation von Kohle zum funkelnden Diamanten: Zeit, Druck und Hitze machen sie möglich.
Viele Dinge im Leben sind wichtig, aber wenige zählen wirklich. Ich werde erst unruhig, wenn’s an die Essenz geht. Die ist für mich persönlich sehr eng begrenzt, beinhaltet meine Familie und das Gefühl, Handlungsspielraum zu haben. Was sich ausserhalb dieses kleinen, aber essenziellen Bereichs verändert, ist nicht wichtig genug, um mir Angst einzuflössen.
Die ungewöhnlichen Umstände der letzten Monate haben Charaktereigenschaften, Stärken und Schwächen an den Tag gelegt, welche im Vor-Corona-Alltag weniger offensichtlich waren – entweder weil weniger wichtig fürs Meistern des Alltags oder weil besser kaschierbar in der Hektik der „Normalität“.
Ich bewundere an meiner Tochter Saraja ihre Selbstdisziplin und freue mich über ihre intrinsische Motivation, Arbeiten sorgfältig zu erledigen. Komplementiert wird diese Eigenschaft von der Fähigkeit, wirklich wichtige Dinge im Leben wie Familienbeziehungen und Freundschaften trotz aller Hektik nicht zu vernachlässigen.
Besonders während des letzten Jahres war ich beeindruckt, wie selbstständig und fokussiert Saraja arbeitet für das, was ihr am Herzen liegt, und wie weise sie Prioritäten setzt im Leben.
Ich habe einiges Neuland betreten im vergangenen Jahr: die Gründung der Be That Girl Foundation, die Weltpremiere meines Films „That Girl“ am Zurich Film Festival und meine Führungsaufgabe in der Kirche Jesu Christi. Vielleicht hat es mich mutiger gemacht, meine Stimme hörbar zu machen, öffentlich Position zu beziehen? Auf jeden Fall ist mangels Reisefreiheit und Kulturangebot mehr Ruhe eingekehrt in meinen Alltag und damit Zeit für Wesentliches, zum Beispiel die Pflege meiner Spiritualität.
Generationen können voneinander lernen, indem sie nicht urteilen über die jeweils andere Generation. Vorurteile ersticken einen konstruktiven Austausch im Keim. Wir „Alten“ sind gefordert, flexibel zu bleiben im Kopf, damit wir erkennen, dass neue Wege nicht nur gangbar, sondern sogar besser sein können als die herkömmlichen. An den „Jungen“ schätze ich Respekt für Ansichten und Werte, welche sich schon lange bewähren und so schlecht nicht sein können, als dass man sie komplett über den Haufen werfen müsste.
Gibt es ein gemeinsames Ritual, welches dich näher zu deiner Tochter gebracht habt?
Meine Tochter Saraja hat sich nach der Schule konsequent daheim als Erstes auf den Küchentisch gesetzt, um mir ausführlich von den Geschehnissen des Tages zu berichten. Diese fast tägliche gemeinsame Zeit bleibt unvergessen.
Zum Glück sind es oft die ganz einfachen Dinge, die wirklich zählen im Leben. Manches, was sich zu grosser Prominenz aufplustert, verliert daneben an Wichtigkeit. So sind es denn auch die einfachen Dinge im Leben, die man über so manche Veränderung „hinweg retten“ kann. Weil sie eben anspruchslos sind und auch in Krisen bestehen können.
Saraja Cornelia Gantner
Stiftungsrätin Be That Girl Foundation und Studentin ETH Zürich
bethatgirl.org
Progress
Transformation ist für mich Teil jedes Prozesses. Würde sich nie etwas ändern, gäbe es keine Entwicklung und somit keinen Fortschritt. Dabei können sich diese Veränderungen sehr positiv anfühlen. Auch eine Komfortzone ist abhängig von Transformation und Veränderung. Wie wir alle gelernt haben, wird das Leben in den eigenen vier vertrauten Wänden schnell öde.
Wie man sich mit den Sorgen und Ängsten versöhnt, wenn es um Veränderung geht? – Vorfreude ist bekanntlich die grösste Freude. Konzentrieren wir uns in unsicheren Zeiten auf unseren persönlichen Fortschritt, brauchen wir uns nicht mit unseren Sorgen zu versöhnen. Sie sind gesund und ein wichtiger Teil von uns. Solange meine Ängste mein Glück nicht überwiegen, wertschätze ich sie als Zeichen der Vernunft und Vorsicht.
Meine Mami hat im letzten Jahr Überragendes erreicht. Mit einem hervorragenden Filmstart am Zurich Film Festival konnte sie mit ihrem ersten Dokumentarfilm ihr Potenzial als Regisseurin und Kunstschaffende entfalten.
Auch als Freundin meiner Mutter habe ich gesehen, wie sie neue und wiederkehrende Herausforderungen bestreitet. Ich kann mir nur vorstellen, wie schwer die emotionale Last meiner Mami oft ist, und freue mich immer, wenn ich sehe, dass sie auf persönlicher sowie auf professioneller Ebene aufblüht.
Wie bestimmt jede 20-Jährige fühle ich mich natürlich total erwachsen im Vergleich zum Vorjahr. Tatsächlich hatte ich vor einem Jahr dieselben Schwierigkeiten wie jetzt. Es ist nicht einfach, Veränderungen des eigenen Charakters zu bemerken. Ich kann also nur hoffen, dass ich vielleicht etwas zuverlässiger, etwas liebevoller oder geduldiger geworden bin.
Für mich gibt es keine klare Generationenlinie. Ich habe sehr enge Freunde in jedem Alter, ob 70 oder 16. Somit lerne ich nicht von einer „anderen Generation“, sondern einfach von meinem Gegenüber. Im Verhalten meiner Mami finde ich beispielsweise immer wieder eine unerschütterliche Eigenständigkeit, welche ich zutiefst bewundere und als Frau weiterführen will. Gleichzeitig lerne ich auch von meinen Brüdern, für mich selbst einzustehen und meinen eigenen Weg zu gehen.
Sobald ich meinem Gegenüber mit Respekt entgegentrete, gibt es eine unlimitierte Vielfalt an Eigenschaften, Talenten und Wissen, welche ich erlernen oder weitergeben kann – generationenunabhängig.
Kannst du uns von einer Begebenheit erzählen, wo dir das Anpassen an eine Veränderung gut gelungen ist und aus der du nachher gestärkt hervorgegangen bist?
Ich bin kurz nach meiner Matura nach Kapstadt gezogen, um dort ein Praktikum anzutreten. Während ich mich sehr auf die Chance freute, mich selbst ein Stück weit neu definieren zu können, hatte ich Respekt vor meinem neuen Umfeld. Ich hatte zuvor noch nie Vollzeit gearbeitet oder allein gewohnt, geschweige denn auf einem anderen Kontinent.
Meine Arbeitskolleg*innen empfingen mich jedoch mit offenen Armen, und so fühlte ich mich schon nach wenigen Wochen komplett zu Hause und war mehr ich selbst, als ich es jemals gewesen war. Aus dieser Erfahrung heraus habe ich gelernt, dass überall eine neue Freundschaft wartet, welche jegliche Nervosität oder Unwissenheit wettmacht.
Bea Petri, Kim Petri & Lia Petri

Kim Petri, Bea Petri & Lia Petri (von links)
Bea Petri
Gründerin Schminkbar
Veuve Clicquot Business Woman of the Year
Gründerin Nas Mode
nasmode.ch
Reifeprüfung
Transformation bedeutet für mich vor allem Veränderungen. Diese können schmerzhaft sein, aber sie brachten mich privat oder beruflich meist weiter. Ich denke, es kommt darauf an, wie offen man für die anstehenden Veränderungen ist. Viele kann man selbst bestimmen, aber es gibt auch diejenigen, an die man sich einfach anpassen muss, und dies kann oftmals sehr schwierig sein. So ging es auch mir immer wieder in meinem abwechslungsreichen Leben. Immerhin kann ich rückblickend sagen, dass nach überstandenen Sorgen, Schmerz, Wut und Trauer alles wieder gut kam. Transformationen können deshalb richtige Reifeprüfungen sein, aber was bleibt, ist immer eine neue Erfahrung und daraus resultierend mehr Gelassenheit.
Wir alle haben Sorgen und Ängste, wenn es um Veränderungen geht. Es kommt darauf an, was hinter diesen Sorgen und Ängsten steht. Ich habe das Glück, selten Angst zu haben, und wenn ich sie trotzdem spüre, schiebe ich sie wenn immer möglich weg von mir. Ich will mir mit Angst keine Steine in den Weg legen. Hätte ich zu viel Angst, könnte ich zum Beispiel mein Projekt in Burkina Faso nicht machen, denn dieses Land ist gebeutelt von Krankheiten, Terrorismus und Unfällen. Wenn ich von Angst spreche, meine ich also eher Respekt vor etwas. Dieser schützt mich aber auch davor, Dummheiten zu machen, und ich bleibe vorsichtig.
Wir sind gerade im letzten Jahr seit Beginn der Pandemie unterschiedlich mit der Situation umgegangen. Ich musste vorzeitig meine Reise auf Bali abbrechen und flog am 16. März zurück in die Schweiz, wo gerade der Lockdown begann. Die Situation in der Schweiz war mir gar nicht bewusst, denn auf Bali war Covid fast kein Thema. Nur die Touristen fehlten, was mir gerade recht war. Zurück in der Schweiz zog ich mich mit meinem Mann und unserem Hund zurück ins Toggenburg. Dort genossen wir sehr entspannte drei Monate. Es war eine ganz spezielle Stimmung. Nichts zu müssen, einfach sein. Zeit zu haben, sich mit sich selbst zu beschäftigen war für mich eine völlig neue Erfahrung. Nur die Trennung von meinen Kindern und Enkelkindern beelendete mich. Wenigstens konnten wir uns über Facetime austauschen, was wir intensiv nutzten. Dazu bescherte uns ein wunderbarer Frühling viele Wochen in der Natur. Ich fühlte mich sehr privilegiert, diese ungewohnte Situation so erleben zu dürfen, während jüngere Menschen und auch meine Töchter viel Unsicherheit erleben mussten.
Ich bin in gewissen Lebensfragen wahrscheinlich unaufgeregter geworden. Und ich stellte verstärkt fest, wie wichtig mir Freundschaften sind. Meinen Töchtern war ich schon immer sehr nah, auch wenn sich unser gemeinsames Leben geändert hat. Lia und Kim sind erwachsene Frauen, Mütter und engagierte Geschäftsfrauen, und wir begegnen uns heute auf Augenhöhe und vor allem als Freundinnen. Trotzdem bleibe ich natürlich ihre mütterliche Ansprechpartnerin.
Ich bin sicher, dass alle Generationen ihre eigene Erfahrung machen wollen. Bei der Übergabe der Schminkbar an meine Töchter und meinen Schwiegersohn bot ich ihnen zum Beispiel an, sie weiterhin mit meiner Erfahrung zu unterstützen. Das interessierte sie anfangs gar nicht, und ich realisierte, dass alle drei selbst durch Höhen und Tiefen gehen und ihre eigenen Erfahrungen machen wollten. Das hat mich zwar verletzt, aber heute verstehe ich es. Und mit etwas Distanz zur Übergabe werde ich offenbar wieder interessanter, jedenfalls tauschen wir uns jetzt wieder viel öfter über geschäftliche Weichenstellungen aus. Das freut mich, und ich weiss gleichzeitig, dass ich nicht einfach erwarten kann, dass man mich ständig um Ratschläge bittet.
Gibt es ein gemeinsames Ritual, welches euch näher gebracht hat?
Unsere Verbundenheit ist sehr innig, und früher reisten wir oft zusammen. Heute haben sie ihre eigenen Familien und Pläne. Und doch bleiben uns regelmässige Treffen, die wir als Familie mit Enkelkindern und Schwiegersöhnen verbringen. Aber weil die Reisen mit meinen Töchtern so schön waren, möchte ich dieses Ritual gern wiederbeleben. Ich wünschte mir wieder einmal eine Reise mit meinen ‚Mädchen‘ zu dritt!
Kim Petri
Creative Director und Inhaberin Schminkbar
schminkbar.ch
Wachsen
Für mich stehen die Begriffe Transformation und Change auf keinen Fall für etwas Negatives, Kompliziertes oder Unangenehmes. Ich sehe es als eine Entwicklung, die verändert und im besten Fall vorantreibt. Während einer Transformation wäre es wünschenswert, dass man daran wachsen kann. Eine Veränderung im Leben kann immer beflügeln.
Ich bin in unserer Familie die Ängstliche. Zu oft zerbreche ich mir den Kopf und mache mir Sorgen. Gern würde ich mir da eine Scheibe von meiner Mutter und Schwester abschneiden, die, wie ich beobachte, viel weniger in Sorge sind, als ich das bei mir erlebe. Ich möchte versuchen, mich mit diesen Ängsten und Sorgen zu „versöhnen“.
Doch das letzte Jahr war für uns alle eine Herausforderung. Leider ist diese Geschichte auch noch nicht vorbei. Jeder von uns ist mit dieser Situation anders umgegangen, und erstaunlicherweise habe ich in diesem Fall meine Schwester als ängstlicher empfunden, als ich es war. Erstaunlicherweise habe ich die ganze Situation gerade im letzten Jahr etwas entspannter gesehen als sie. Sicher nahm ich es nicht auf die leichte Schulter, aber mit zwei schulpflichtigen Kindern war ich mit Homeschooling ohnehin sehr gefordert. Trotzdem war es gut für mich, denn der Tag blieb strukturiert. Eine weitere Aufgabe war, unserem Schminkbar-Team Mut zuzusprechen und ihnen die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust zu nehmen, auch wenn sie zu Hause bleiben mussten. Dank Kurzarbeit konnten wir alle Mitarbeitenden der verschiedenen Schminkbars behalten. Das ist eine grosse Erleichterung in dieser schwierigen Zeit des Lockdowns.
Verändert hat mich das letzte Jahr in vielerlei Hinsicht: Ich war sehr diszipliniert mit Homeschooling und habe mir diese Aufgabe sehr zu Herzen genommen. So habe ich einen Stundenplan erstellt, um uns allen einen geregelten Tagesablauf zu ermöglichen. Dieser Stundenplan hat sogar das Fach Sport beinhaltet. Ich habe also an mir eine neue Fähigkeit entdeckt, denn neben meiner Aufgabe als Geschäftsfrau und Mutter war ich nun auch noch Lehrerin. Es war mir wichtig, diese Aufgabe gewissenhaft zu erledigen. Geschäftlich kam mir die Idee, kleine Videos zu drehen, um zu zeigen, wie man sich in Zeiten von Corona daheim pflegen konnte, und das mit möglichst wenig Aufwand. Diese Videos drehte ich daheim, und das Feedback war sehr aufmunternd. So war das ein kleiner Beitrag der Schminkbar für unsere Kundinnen und Kunden, welche wir natürlich sehr vermissten. Ich hoffe aber sehr, dass der erneute Lockdown 2021 bald ein Ende hat und wir wieder ein „normales“ Leben führen können.
Natürlich können die verschiedenen Generationen voneinander lernen, sofern sie das zulassen. Die ältere Generation hat einen grossen Erfahrungsschatz, von dem wir Jungen profitieren können, und die Jungen sind in vielen Aufgaben und Herausforderungen – wie zum Beispiel in den neuen Techniken – viel erfolgreicher. Ein offenes Ohr, keine Vorurteile und eine Portion gegenseitiges Vertrauen gehören jedoch dazu, um gegenseitig voneinander lernen und profitieren zu können.
Ich stelle auch fest, dass viele der älteren Generation fasziniert sind von der heutigen Jugend, welche sich engagiert und sich für eine bessere Welt einsetzt. Als bestes Beispiel für mich steht da Greta Thunberg. Ich bewundere diese junge Aktivistin sehr.
Kannst du uns von einer Begebenheit erzählen, wo dir das Anpassen an eine Veränderung gut gelungen ist und aus der du nachher gestärkt hervorgegangen bist?
Ich habe in den letzten Jahren, nach der Übernahme der Schminkbar, viel dazugelernt. So wurden meine Sicherheit und mein Selbstbewusstsein im Umgang mit meiner Verantwortung gegenüber dem Unternehmen und den Mitarbeitenden immer stärker.
Auch wenn manchmal dunkle Wolken am Horizont erscheinen und die Sonne verdecken, habe ich gelernt, dass alle Wolken irgendwann mal weiterziehen werden.
Lia Petri
COO und Inhaberin Schminkbar
schminkbar.ch
Offenheit
Veränderung ist für mich total zweischneidig. Einerseits freue ich mich über Neues, verändere gern im Kopf, bin neugierig und finde eigentlich Veränderungen etwas Spannendes. Wenn es aber dann so weit ist, vor allem in geschäftlichen Fragen, bin ich zu vorsichtig, hinterfrage und finde, dass das Alte doch nicht so schlecht ist. So bleibt es oftmals, wie es ist, und ich realisiere, dass ich gar nicht so viel Freude an Veränderungen habe. Da wäre ich gern manchmal innovativer. Veränderungen heisst nämlich vor allem Chance auf Neues, auf Unbekanntes und auf Herausforderung – das wäre ja auch sehr spannend. Fazit: Ich müsste offener werden für das Neue.
Ich bemühe mich, über meine Ängste zu sprechen. Wenn es um geschäftliche Veränderungen geht, bespreche ich diese mit meinen Partnern und mit der Geschäftsleitung. Ich bemühe mich, Veränderungen zu akzeptieren und zu unterstützen, auch wenn es mir oft schwerfällt.
Ich habe uns im letzten Jahr das erste Mal verletzlich, ängstlich und vorsichtig erlebt. Dies war vor Corona nicht der Fall. Wir lebten spontan, frei, vielleicht sogar auch mal unbedacht. Und vor allem begegneten wir uns ohne Distanz. Dieses Virus beunruhigt mich sehr, und ich habe grossen Respekt davor. Diese Zeit ist eine der grössten Herausforderungen, die ich erlebt habe. Sei es als Mutter, Ehefrau oder Geschäftsfrau. Die Sorgen ums Geschäft, um unser Team, um meine Familie, all das kannte ich in diesem Ausmass nicht.
Kannst du uns von einer Begebenheit erzählen, wo dir das Anpassen an eine Veränderung gut gelungen ist und du nachher gestärkt warst?
Meine grösste Veränderung in und mit mir fand statt, als ich Mutter wurde. Das Leben veränderte sich von dem Tag an, als unsere Tochter geboren wurde, und ich empfinde es als neue, grosse Herausforderung. Ich verzichte gern auf mein früheres Leben, um die Zeit mit meiner kleinen Tochter zu verbringen. So möchte ich unbedingt, dass sie behütet aufwächst, und ich versuche, meiner Aufgabe als Mami gerecht zu werden. So hoffe ich, dass mir und meinem Mann die Aufgaben als liebevolle Eltern gelingen.
Susanne Vincenz-Stauffacher & Lisa Vincenz


Susanne Vincenz-Stauffacher & Lisa Vincenz (von links)
Susanne Vincenz-Stauffacher
Nationalrätin und selbstständige Rechtsanwältin
www.vincenz-stauffacher.ch, www.instagram.com/susannevincenzstauffacher
Regenbogen
Ein Wandel beinhaltet stets auch ein gewisses Risiko, und das kann Unsicherheit auslösen. Für mich persönlich überwiegen aber vor allem die positiven Aspekte: Transformation steht für mich für Weiterentwicklung, Neugier und Lust auf Neues – und davon haben wir beide genug.
Ob mir die aktuelle Veränderung Sorgen bereitet? Vielleicht ist eher die Frage, wie man damit umgeht? Mir persönlich hilft es, meine Handlungen und Überlegungen zu reflektieren. Was mir sehr wichtig ist: mein Umfeld, welches mir Unterstützung gibt, wenn etwas einmal nicht nach Plan läuft.
Mein Tochter Lisa hat seit dem letzten Jahr ihre Rolle in der Berufswelt eingenommen und ist schon ein wichtiger Teil in meiner Anwaltskanzlei und auch Begleiterin und Beraterin in meiner politischen Tätigkeit. Das war ein herausfordernder Schritt: von ausschliesslich Mutter-Tochter zu zusätzlichen, transformierenden Rollen. Jedoch haben wir diesen, meiner Meinung nach, gut gemeistert und lernen jeden Tag dazu. Es ist ein „work in progress“, doch genau das macht es jeden Tag spannend. Ich lerne meine Tochter Lisa so auf eine andere Art kennen. Das freut mich sehr, und es macht mich als Mutter auch stolz, wie sie sich entwickelt.
Durch meine Wahl zur Nationalrätin und den damit einhergehenden Schritt in die Öffentlichkeit bin ich offener und risikofreudiger geworden. So durfte ich beispielsweise feststellen, dass ich besser als gedacht mit Stress umgehen kann. Genau diese Erfahrung und persönliche Entwicklung konnte ich aber nur machen, weil ich den Schritt ins „Neue“ gewagt habe.
In meinen Augen besteht der zielführende Weg darin, dass die Generationen im ständigen Dialog bleiben. Dazu gehört auch, eigene – vielfach eingefahrene – Muster und Werthaltungen immer wieder zu hinterfragen. Für mich aber fast das Wichtigste: Offenheit und Unvoreingenommenheit – und die Erkenntnis, dass gerade aus der Verschiedenheit sowie dem Umgang damit etwas Neues, Fortschrittliches entstehen kann.
Gibt es ein gemeinsames Ritual, welches euch näher zusammengebracht hat?
Durch meine Wahlkämpfe, bei denen mich meine Tochter stets begleitet und immer verantwortungsvollere Funktionen wahrgenommen hat (bis zur Wahlstabsleiterin), haben wir sehr viel mehr Zeit miteinander verbracht als üblich und haben uns auch ausserhalb des bisherigen Mutter-Tochter-Verhältnisses anders kennengelernt. Was wir wenn immer möglich umsetzen, ist das gemeinsame Abendessen: Auch wenn es einmal sehr spät wird nach einer Veranstaltung, wir setzen uns immer gemeinsam an den Tisch und lassen beim Abendessen den Tag Revue passieren.
Lisa Vincenz
Juristin und persönliche Mitarbeiterin der Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher
www.instagram.com/lisaundpolitik
Schneeglöckchen
„Change“ und „Transformation“ sind für mich nicht negativ konnotiert. Das ganze Leben basiert auf einem stetigen Wandel. Gelingt es einem, diesen Wandel anzunehmen, so lebt man in meinen Augen glücklicher und zufriedener. Das heisst indessen nicht, dass „Change“ immer nur positiv ist; vielmehr ist für mich unausweichlich, im Leben einen Schritt weiter zu kommen und zu wachsen: sei es gemeinsam als Gesellschaft oder mit sich selbst. Aus „Change“ wird „Chance“ – eine Chance, weiterzukommen und zu wachsen.
In meinen Augen wächst man nur, wenn die Komfortzone verlassen wird – und dazu gehört vor allem das Auseinandersetzen mit den eigenen Ängsten. Erst wenn wir unsere Ängste wertschätzen und als etwas Hilfreiches ansehen, kommen wir im Leben einen Schritt weiter.
Seit sich meine Mami dafür entschieden hat, im Rampenlicht zu politisieren, ist sie um einiges cooler und abgeklärter geworden. Sie kann sehr gut mit Menschen und deren Meinungen umgehen und fühlt sich nicht angegriffen, wenn jemand eine andere Meinung hat. Vor allem aber beeindruckt mich ihre Unabhängigkeit. So cool will ich unbedingt auch einmal sein.
Ich habe bemerkt, dass ich sehr viel belastbarer bin, als ich eigentlich gedacht hätte. So wurde mir klar, was mir im Leben wirklich viel bedeutet, und das sind meine Familie und mein Partner. Woran ich aber definitiv noch arbeiten muss, ist: an meinem Temperament.
Die Generationen können voreinander profitieren, indem wir uns gegenseitig zuhören und empathisch sind. Wir sollten einander offen und unvoreingenommen gegenübertreten. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch von jedem lernen kann. Die jüngere Generation kann von der Weisheit und Erfahrung der älteren Generation profitieren, und umgekehrt kann die ältere Generation von der Leichtigkeit und Unverbohrtheit der jüngeren Generation profitieren.
Kannst du uns von einer Begebenheit erzählen, wo dir das Anpassen an eine Veränderung gut gelungen ist und aus der du nachher gestärkt hervorgegangen bist?
Für mich war es anfangs schwierig, für meine Mutter zu arbeiten. Ich durfte bereits seit den Anfängen meines Jurastudiums in ihrer Kanzlei arbeiten, und ich hatte grosse Mühe mit der Hierarchie. Es war mir nicht immer klar, ob meine Mami jetzt als meine Mutter mit mir spricht oder als Chefin. Nach mehreren klärenden Gesprächen haben wir uns darauf geeinigt, dass meine Mami während der Arbeit meine Chefin ist und ich mich dementsprechend auch anzupassen habe. Das klappt heute sehr gut – mit ein paar Ausnahmen hie und da ;).
Maja Uhlmann & Bettina Uhlmann

Maja Uhlmann & Bettina Uhlmann (von links)
Maja Uhlmann
Juristin und Oberst a. D.
Sonnenaufgang
Transformation und Change Management haben mich ein Leben lang begleitet, auch wenn man es damals nicht so benannt hat. Früher war es sehr schwierig, als Juristin in Teilzeit zu arbeiten. Und meine Karriere im Militär verlangte, dass ich oft über Wochen ausser Haus engagiert war. Da mussten wir uns als Familie immer wieder auf neue Situationen einstellen. Rückblickend bin ich glücklich, wie es gelaufen ist.
Ich halte es für enorm wichtig, dass man sich den Ängsten und Sorgen stellt, sie bespricht und nicht einfach hinunterschluckt. Im Gespräch ist es immer einfacher, eine Lösung zu finden.
Kurz nach unserem Umzug vom grossen Einfamilienhaus in eine Wohnung ist mein Mann verstorben. Meine Tochter Bettina hat, zusammen mit ihrem Bruder, die Fäden in die Hand genommen und alles perfekt geregelt. Das hat sie, zusätzlich zu ihren beruflichen Herausforderungen, an ihre Grenzen gebracht. Einmal mehr habe ich wahrgenommen, welche Power in ihr steckt. In unserer Familie haben wir uns immer gegenseitig gestützt. Dass meine Kinder sich nun für mich einsetzen, macht mich stolz und glücklich.
Dadurch, dass ich nun, nach dem Tod meines Mannes, allein lebe, habe ich gelernt, Aufgaben abzugeben. Ich kann nicht mehr alles allein erledigen, muss mir für einiges Hilfe holen. Das war ich früher nicht gewohnt, kann (und muss) es aber heute akzeptieren.
Generationen können sehr viel voneinander lernen; dazu gehören der gegenseitige Respekt und das Wissen darum, dass Generationen zu Recht unterschiedlich agieren. Der jüngeren Generation fällt das Lernen von uns wohl leichter, wenn der Ablösungsprozess vorbei ist und man sich nochmals neu begegnet: auf Augenhöhe.
Gibt es ein gemeinsames Ritual, welches euch näher zusammengebracht hat?
Für viele Jahre verreisten Bettina und ich für eine Woche nach New York, meist kurz vor Weihnachten. Wir genossen das kulturelle Leben, natürlich auch das Shopping, aber hauptsächlich die Zeit, die wir zu zweit verbringen konnten.
Bettina Uhlmann
Geschäftsführung Zurich Jazz Orchestra und Stage Coach Kulturmanagement
www.zjo.ch / www.stagecoach.ch
Löwenzahn
Als Kulturproduzentin ist es mein Berufsinhalt, mit jedem Projekt etwas Neues zu beginnen, zu kreieren, und ich bin gewohnt, alles stets punktgenau umzusetzen. Ich halte als Chefin die Zügel in der Hand und stehe dafür gerade. Sehe ich in einem Projekt, dass eine Veränderung nötig ist, gehe ich das pragmatisch an, auch wenn es unangenehm ist. Ich habe gelernt, damit umzugehen. Change Management gehört zu meinem Job. Ganz anders ist es, wenn ich die Zügel aus der Hand geben muss und mir eine Umwälzung oder Veränderung diktiert wird. Solche Situationen empfinde ich als schwierig, und sie können die Rebellin in mir auf den Plan rufen. Und dann gibt es noch die Veränderungen im Leben, die einfach stattfinden, ohne dass man sie richtig wahrnimmt, und die perfekt passen und sich auch so anfühlen.
Das letzte Jahr mit Corona hat den Alltag von uns Kulturschaffenden 24/7 beherrscht. Da hat man keine Zeit für „Versöhnung“ mit den Ängsten und Problemen. Wir haben ausserordentliche Energien bis an die Grenzen der Belastbarkeit freigesetzt. Improvisation Tag für Tag – organisatorisch, nicht nur musikalisch. Die Kreativität hat neue Türen geöffnet. Vielleicht versöhnen wir uns in ein paar Jahren, wenn wir zurückschauen und verstehen, was wir alles geleistet haben.
Für unsere Familie ist das letzte Jahr sehr turbulent gewesen. Es hat sehr viel Veränderung und Verluste mit sich gebracht. Auch im ganzen Prozess um die Rollenverteilung Mutter–Tochter. Wir haben neue Antworten auf Fragen finden müssen, wie: Wer übernimmt welche Verantwortungen und für wen?
Ich habe festgestellt, dass ich viel bestimmter, aber auch viel ungeduldiger geworden bin – nicht nur mit meinem beruflichen – und privaten – Umfeld, sondern auch mit mir selbst. Vielleicht kommt das mit der Altersweisheit ja noch …
Je älter und unabhängiger ich wurde, desto grösser wurde mein Respekt meiner Mutter – und auch meiner Grossmutter – gegenüber: Mir wurde bewusst, wie sie Dinge in ihrem Leben angegangen sind und was sie alles erreicht haben. Die Gespräche, der Austausch untereinander über so vieles, über Schwieriges, Schönes, Spannendes sind eine unglaubliche und sehr erfüllende Bereicherung.
Kannst du uns von einer Begebenheit erzählen, wo dir das Anpassen an eine Veränderung gut gelungen ist und aus der du nachher gestärkt hervorgegangen bist?
Etwa alle fünf Jahre gibt es im Zurich Jazz Orchestra einen Wechsel der Musikalischen Leitung, also meines direkten Gegenübers. Davor fürchte ich mich immer ein bisschen. Nach fünf Jahren enger und kreativer Zusammenarbeit hat man sich aneinander gewöhnt, weiss, wie der andere funktioniert, kennt seine Stärken und Schwächen. Und dann wird alles neu, sozusagen ein Blindflug. Da muss ich mir immer wieder sagen, dass diese Veränderung gewollt, notwendig und sinnvoll ist. Und dass sie nicht nur mich betrifft, sondern alle Beteiligten. Ich muss mich selbst daran erinnern, dass unser gemeinsames Auswahlverfahren richtig ist und dass ich mich darauf verlassen kann, dass alle am gleichen Strang ziehen. Sobald ich mich zurücklehnen kann, Freude und Energie für neue Ideen aufkommt, wird es gut. Ich weiss ja aus Erfahrung, dass frischer Wind immer beflügelt.