Deana Mohr-Haralampieva und Jenny Prange von MUVON Therapeutics sind die Gewinnerinnen unseres Female Innovator of the Year 2023 Awards. An unserem grossartigen Female Innovator Forum 2023 im BMW Group Brand Experience Center in Dielsdorf herrschten geschäftiger Trubel und jede Menge Feierlaune, keine Zeit, sich näher kennenzulernen. Also haben wir die Gründerinnen lieber in aller Ruhe in ihrem derzeitigen Büro besucht.
Wir erlebten ein Déjà-vu: In diesem Baukomplex nahe der Universität und ETH Zürich waren wir schon mal. In gleicher Mission. 2019 gewann mit Dr. Daniela Marino, CEO von Cutiss AG, ein Start-up aus dem Biotech-Bereich den Preis als Female Innovator of the Year, genau wie MUVON Therapeutics von Deana Mohr-Haralampieva und Jenny Prange. MUVON Therapeutics, die es sich zum Ziel gesetzt haben, eine Behandlungsmethode gegen Belastungsinkontinenz zu entwickeln, sind seit April 2021 hier.
Ladies Drive: Deana und Jenny, Belastungsinkontinenz ist ein weit verbreitetes Thema, ihr habt während des Female Innovation Forums von Ladies Drive dargelegt, dass 40 Prozent aller Frauen über 40 darunter leiden. Trotzdem ist es ja irgendwie nicht sexy, man redet kaum darüber. Wieso habt ihr euch entschlossen, an einer Behandlungsmethode zu forschen?
Jenny: Als ich 2017 zum Projekt stiess, war ich sehr glücklich, eine Position gefunden zu haben, bei der man Forschung mit Anwendung verbinden kann. Wenn man aus erster Hand erlebt, was mit Forschung alles erreicht werden kann, gibt das ein unglaublich erfüllendes Gefühl. Und die Therapie, an der wir arbeiten, ist schlicht elegant, weil sie patienteneigenes Material benutzt und keine zusätzlichen Modifikationen braucht.
Deana: Ich habe Zell- und Molekularbiologie studiert. 2012 war ich an meiner ersten Gewebszuchtkonferenz. Dort haben sie auf einem ziemlich grossen Screen gezeigt, was für Muskel- und Nervenschäden bei einer Geburt entstehen. Ich war damals 25 und wirklich perplex. Mein Mentor, Prof. Dr. Dr. Eberli von der Universität Zürich, sass neben mir, hat mir auf die Schulter geklopft und hat gesagt: Have a C-Section, lass einen Kaiserschnitt machen. Ich war nicht schwanger, aber so bildlich zu sehen, was für ein Gewebstrauma passiert, wenn man ein Kind normal gebärt, war erschreckend. Ich dachte, was passiert da? Trägt man nachher Pampers? Und wieso redet niemand darüber? Wenn das die Realität ist – wieso wird man nicht darüber aufgeklärt, bevor man schwanger wird?
Man wird schon aufgeklärt …
Deana: … also ich nicht. Jedenfalls nicht, dass es eine so grosse Wahrscheinlichkeit gibt. Bei Männern macht man das vor einer Prostataoperation, man weist daraufhin, dass es eine 15-prozentige Wahrscheinlichkeit von Inkontinenz gibt, sie werden ziemlich gut aufgeklärt.
Mir hat man dringend zu Rückbildungsgymnastik geraten, aber nicht in so einer Ausführlichkeit, warum. Das will man auch gar nicht wissen, wenn man schwanger ist.
Deana: Wir waren schon in der ersten Phase der Forschung, Jenny war mein erster „Hire“, und ich wurde schwanger, hab meinem Frauenarzt all diese Fragen gestellt, auch in Bezug auf eine Therapie, wenn man nach der Geburt belastungsinkontinent wird. Er war ziemlich erstaunt, was ich alles wissen wollte, weil eben generell darüber nicht so viel geredet wird.
War denn dein Ziel, etwas zu entwickeln, was präventiv therapiert wird?
Deana: Nein, es bekommen ja nicht alle Frauen. Das Ziel war, dass wir, wenn es das Problem gibt, eine schöne natürliche Lösung anbieten können. Ohne sehr invasive OP, ohne Plastikeinbau. Unsere Forschung haben wir grundsätzlich auf Muskelregeneration ausgelegt, aber die Tests und unsere Studie zielen als Erstes auf das spezifische Problem der Belastungsinkontinenz ab.
Kann man das Verfahren ganz simpel erklären?
Jenny: Wir nehmen aus dem Muskel des Unterschenkels eine Biopsie. Daraus werden Muskelvorläuferzellen isoliert, die nach erfolgreicher Vermehrung direkt in den Schliessmuskel injiziert werden. Dort finden die Zellen exakt die gleiche Mikroumgebung vor. Vereinfacht erklärt schwimmen in der Umgebung Faktoren, die den Zellen zeigen, hier gibt es andere Zellen, die sind so ähnlich wie du, hier kannst du dich niederlassen.
Deana: Die Faktoren geben Signale, wo schwache oder geschädigte Fasern sind, und die neuen Zellen beginnen, diese zu reparieren.
Wo steht ihr im Moment mit MUVON?
Deana: Wir sind an den klinischen Tests, es läuft eine Forschungsstudie für Patientinnen mit Belastungsinkontinenz*. Unser Team ist inzwischen auf 16 Personen angewachsen.
Was ist das nächste Ziel respektive wofür braucht ihr Geld?
Deana: Das Geld brauchen wir, um zu wachsen. Um den ganzen Prozess so robust und reproduzierbar machen zu können, dass es für die Millionen Menschen, die davon profitieren können, auch applizierbar wird.
Ist ein Ziel, mit MUVON Therapeutics hier in der Schweiz zu bleiben?
Deana: Labor- und firmenmässig würden wir schon gerne in der Schweiz bleiben. Natürlich planen wir Spin-outs in Europa und den USA, damit wir dort einen Fuss im Markt haben. Deswegen werden die nächsten klinischen Versuche auch in den USA und Europa durchgeführt.
Gibt es rückblickend etwas, was ihr heute anders machen würdet oder hättet sollen im Verlauf von MUVON?
Jenny: Generell ist es ja so: Wenn man einmal die Erfahrung gemacht hat, weiss man, wenn man genau das gleiche Set-up noch mal hat, wie man vielleicht schneller und effizienter vorgehen kann. Learning by doing.
Deana: Finanziell ist jetzt vielleicht die schlimmste Phase seit 2008. Momentan werden 75 Prozent weniger Investments gemacht. Die Blase, die um 2020 mit Biotech aufgebaut wurde, die ist letztes Jahr geplatzt. Es ist jetzt schon seit einem Jahr sehr schwierig geworden, Geld für Biotech zu holen. 2020 haben sehr viele sehr junge pre-klinische Firmen grad den Gang an die Börse gemacht und haben hohe Evaluations bekommen, teilweise Hunderte Millionen, was einfach unrealistisch war. Covid hat das noch befeuert. Viele dieser Firmen sind nach kurzer Zeit gestorben, weil sie nicht halten konnten, was sie versprochen haben. Das Risiko bei pre-klinischen Firmen ist viel zu hoch. Wir sind von diesen Nachwirkungen betroffen, obwohl wir eine klinische Firma sind.
Was motiviert euch?
Deana: Viel Schokolade (lacht)! Die Motivation sind unsere glücklichen Patientinnen, jede, die die Studie abschliesst und uns positives Feedback gibt.
Wie lange müsst ihr darauf warten und in der Zwischenzeit Schokolade essen?
Deana: Von der Biopsie bis zum End of Study dauert die klinische Studie sechs Monate, inklusive Baseline Measurements etwa acht bis neun Monate.
Was bedeutet euch so eine Auszeichnung wie der Female Innovation Award 2023?
Jenny: Durch das Interview mit dem „Blick“ konnten wir noch einmal eine grössere Reichweite erzielen. So können mehr Menschen, die von Stressinkontinenz betroffen sind, davon erfahren, dass es eine vielversprechende Therapie gibt, die gerade in einer klinischen Studie an der Uni Zürich getestet wird.
Ihr habt vom Hauptsponsor des Female Innovation Forums einen vollelektrischen BMW iX1 für zwölf Monate inklusive Wallbox zur Verfügung gestellt bekommen, der euch, wie ihr am FIF erzählt habt, sehr gelegen kam, weil das Auto des dritten Mitgründers gerade seinen Geist aufgegeben hatte. War die Übergabe schon, und durftet ihr mal mitfahren?
Deana: Ja, der iX1 wurde bereits in äusserst freundlicher Atmosphäre übergeben. Unser Co-Founder Steve darf sich erst mal mit dem vergnügen. Er hat uns aber bereits einen Grund zur Vorfreude auf die Weitergabe mitgeteilt. Wir haben seit Langem im Labor den Plan oder eher Traum, einen Massagestuhl zu installieren, um regenerative Pausen im stressigen Alltag einzulegen – und die Sitze des BMW iX1 haben Massagefunktion!
* Testpersonen zwischen 18 und 65 Jahren, die an Belastungsinkontinenz leiden, können sich melden: MUVON-studie.ch