Was die Haushaltshilfen in den Fünfzigerjahren waren, das ist die Digitalisierung heute. Ja, es geht viel einfacher, es geht viel schneller, es geht viel günstiger, es geht online! Wenn es da nicht diesen kleinen Unterschied gäbe: Die vielen Maschinen, von der Waschmaschine bis zur elektrischen Zahnbürste, kontrollieren uns nicht, wir kontrollieren sie. Wir können auch ganz ohne sie. Im Gegensatz zu den digitalen Hilfsmitteln, die alle mit dem globalen Netz verbunden sind, uns outen, ohne dass wir das wollen, uns besser kennen als wir uns selbst, die nie vergessen, die den totalen Überblick haben und diesen ohne unser Zutun mit der Welt teilen – wir wissen nicht einmal, mit wem. Bereits heute werden wir zunehmend gesteuert und manipuliert, meistens ohne es zu merken. Bereits heute sind wir massiv abhängig von den elektronischen Hilfsmitteln, wir könnten es auch süchtig nennen. Um Ihren Suchtgrad auszutesten, machen Sie doch einfach einmal einen Digital Detox für eine Woche: kein Handy, kein Tablet, kein Computer, einfach nur analog leben! Geht das?
Wahrscheinlich ist es schon längst zu spät, das Rad zurückzudrehen: Wir sitzen bereits in der Falle der grossen Datenkraken. Alle sind wir Microsoft- oder Apple- und sicher Google-Kunden. Sie, die weltweit mächtigsten Konzerne, besitzen die Daten, nicht wir, und sie verkaufen sie gnadenlos zum Bestpreis. Der Weg zur Falle war eine Blümchenallee mit schönen Versprechungen und Erleichterungen, Spielen und Apps, die nicht mehr wegzudenken sind. Er war gepflastert mit Bequemlichkeit, Zugang, Gratis-Masterclasses und coolen, frei verfügbaren Apps. Wer kann da schon widerstehen! So viel Wissen, so viel Zugang, so viel gratis auf Knopfdruck, ohne dass es auch nur einen Rappen kostet … Stattdessen füttern wir täglich die künstliche Intelligenz mit unseren Fragen, Wünschen, Dokumenten, Bildern und den Dialogen unserer Sitzungen. Das Gespenst des Überwachungsstaats nach chinesischem Vorbild nimmt immer konkretere Formen an, während „extracting consumer surplus“ (alles abzuschöpfen beim Kunden, was irgendwie möglich ist) immer normaler wird. Es ist quasi zum kleinen Einmaleins der Betriebswirtschaft geworden.
Wo werden wir als Menschen bleiben? Ich erinnere mich mit leichtem Grausen an den Vortrag von Sam Ginn (Professor für KI und Unternehmer, der mit seiner Firma KI-Algorithmen entwickelt) über künstliche Intelligenz an der Universität Luzern. Er meinte, dass es in Zukunft nur noch zwei relevante Gruppen von Menschen geben würde: die, welchen die KI gehört, und diejenigen, welche KI programmieren. Der Rest zähle nicht. Liebe Freundinnen und Freunde, der Rest sind wir! Er führte dann aus, dass die Erfindung des Automobils früher ebenfalls stark kritisiert und von vielen geradezu verteufelt wurde (der Kanton Graubünden war der letzte Kanton, der 1925 das Verbot gegen Automobile aufhob), genauso wie die Erfindung der Dampfeisenbahn. Das Auto hat uns grosse Vorteile beschert, es hat uns Wohlstand, Bequemlichkeit, Mobilität und Agilität gebracht. Wir möchten es – grösstenteils – nicht missen. Die Digitalisierung wird es dem Auto gleichtun, nur noch viel extremer. Doch was passierte mit den Pferden? Sam Ginn bemerkte, dass es 1920 zehnmal mehr Pferde gab als heute, und er führte weiter aus, dass wir in Bezug auf KI die Pferde sein könnten.
Nun, die Gegner des Autos hatten verloren, die Gegner der Digitalisierung werden auch verlieren. Machtvolle Errungenschaften mit so vielen Vorteilen können nicht gestoppt werden, und selbst das Regulieren ist schwierig. Das schafft zurzeit nicht einmal unser Bundesrat, auch wenn es dringend notwendig wäre, und die, die das könnten, wollen es nicht. Wir werden also mit der zunehmenden Digitalisierung – inklusive Überwachung, Kontrolle und Steuerung – leben müssen. Gewöhnen wir uns daran! Doch es gibt einen Lichtblick! – Das Menschliche, das Analoge, das „Live“ wird zu einer wertvollen Exklusivität werden. In Zeiten schneller E-Mails und WhatsApp-Nachrichten wird ein handgeschriebener Brief oder eine physische Geburtstagskarte positiv überraschen und die Seele berühren. Die Zoom-Konferenzen mit Tausenden von Teilnehmenden, die man verfolgt während des Kochens, Bügelns oder administrativen Arbeitens, verblassen gegenüber reellen Treffen mit zehn bis 30 Menschen, denen man konzentriert und mit voller Präsenz beiwohnt. Das persönliche Gespräch, in welchem einem zugehört wird, in welchem nachgefragt und Empathie gezeigt wird, wärmt das Herz mehr und gibt mehr Inspiration und Motivation oder Trost als der ChatGPT-Austausch. Der gemeinsame Abend im Kreis von Freunden, bei welchem man zusammen isst, lacht, sich näherkommt, diskutiert und debattiert, hat eine ganz andere Qualität als das YouTube-Konzert mit Weltstars. Der Unterschied ist etwa so wie zwischen einer sorgfältig aus den besten Zutaten selbst gebackenen, liebevoll dekorierten Torte und einem industriell hergestellten Massenware-Cake.
Es wird in Zukunft also wesentlich sein, dass wir uns bewusst Zeit nehmen füreinander. Zuhören, einander unterstützen, Zeit schenken, präsent sind, füreinander da sind, von uns selbst geben – unsere Gedanken und Gefühle zeigen und die der oder des anderen auffangen. Unsere Zeit ist das Wertvollste, das wir jemandem schenken können, denn wir schenken damit einen unwiederbringlichen Teil unseres eigenen Lebens. KI kann nicht alles, auch wenn sie vieles kann. Wir gehen schliesslich auch immer noch spazieren und wandern, obwohl wir ein Auto haben. Doch wir bewegen uns zu wenig, weil wir Autos haben. Es geht also nicht um Entweder-oder, sondern um die optimale Kombination des Besten aus beiden Welten. Doch dies muss sehr bewusst geschehen. Es liegt also an uns selbst, wie viel digitale Zeit wir verbringen und wie viel analoge Zeit. Es liegt an uns, wie stark wir der digitalen Verführung widerstehen. Es liegt an uns, wie wir unser Leben gestalten im Zeitalter der Digitalisierung. Vieles wird nicht mehr freiwillig sein, aber ein Teil untersteht immer noch unseren eigenen Entscheidungen, und der ist ausbaubar.