Livia Naef: Slow Fashion

Text: Dörte Welti
Fotos: Livia Naef

Ladies Drive No. 70. Livia Naef: Slow Fashion
Ladies Drive No. 70 Cover (Sommer 2025): Der Lebensstil für mehr digitale Achtsamkeit und Fokus

Weil man den Unterschied spürt

Davon ist Livia Naef zu 100 Prozent überzeugt, ihre Kunden bestätigen das auch, wenn sie ihre durch und durch nachhaltige Mode entdecken. Vor fünf Jahren hat die heute 39-jährige Luzernerin ihre Reise als Designerin begonnen, wir haben sie in ihrem neuen Laden besucht.

Der Laden respektive die Verkaufsfläche, die Livia Naef im Showroom von Gabriela W., einem Begegnungsort für zeitgenössische Kunst und Design, beziehen konnte, liegt mitten in der Stadt Luzern, in einer Seitenstrasse off Schweizerhofquai am Vierwaldstättersee. Es ist ihr erster fixer Shop. Die Reise begann 2020. Bis dahin hat Livia Naef wie ein Satellit das Zentrum ihres Universums umschwebt, hat schon immer Kleider vor Augen gehabt, die es aber nirgendwo zu kaufen gab. Slow Fashion sollte es sein, durch und durch nachhaltig, ein Gegenentwurf zu dem sich immer schneller drehenden Karussell der Modeindustrie. Livia machte eine Schnupperlehre bei der legendären Grand Dame der Luzerner Couture, Lisbeth Egli, entschied sich aber zu diesem Zeitpunkt für eine KV-Lehre.

DIE LERNKURVE

Livia landete zunächst in der Kommunikation und im Marketing, vermisste aber die Kreativität und das Handwerk, begann kurz vor 30 mit einer Ausbildung als Fashion Assistant an der Schweizer Textilfachschule STF. Die einjährige Weiterbildung beinhaltet auch Schnellbleichen in allem, was man wissen muss, um zu verstehen, wie Kleider überhaupt her­­gestellt werden. Für Livia genug, um eine Vorstellung dafür zu be­kommen, was es brauchen würde, wenn sie eine eigene Modekollektion auf die Beine stellt. Sie hängt noch zwei Jahre Fashion Design HF an der STF an, um ihre Kenntnisse zu vertiefen, und langsam reift in ihr das Bild von der für sie vollkommenen Mode.

EINE EXPERIMENTIERPHASE

Nachhaltig und konsequent sind zwei Begriffe, die für Livia von Anfang an und schon immer die zentrale Vorstellung waren. Sie stösst per Zufall auf alte, wirklich alte, nämlich teils hundertjährige Stoffe, alles naturweisses Leinen als Meterware, nie verarbeitet. Livia näht das erste Kleid nach eigenen Ideen. Naturweiss ist schön, aber Livia will Farben, nur keine chemisch erzeugten. Sie erinnert sich an eine Begegnung mit einer Frau, die ihr vom Färben mit Gemüse berichtet hat, und beginnt, Foodwaste zu sammeln. Weil sowieso alles geschlossen ist, hat Livia Zeit zum Experimentieren. Sie fragt die Migros in ihrer Nähe an, ihr Foodwaste zu überlassen: Avocado, Spinat, Zwiebeln, Kurkuma. Sie köchelt, stampft, filtert und nutzt den Trester, um dem natur­weissen Leinen natürliche Farben zu geben. Livia hat inzwischen ein kleines Atelier angemietet, das Färben erledigt sie selbst auf dem Anwesen ihres Schwiegervaters, eine aufwendige, aber sehr zufriedenstellende Arbeit für die Anspruchsvolle.

PARTNER FINDEN

Mehrfach wechselte Livia ihren Standort, überall kann sie nur kurz bleiben, bis jetzt, der Platz in dem Showroom ist ihr sicher. Inzwischen näht Livia eine ganze Kollektion: Kleider, Tops, Hosen, Jumpsuits, Mäntel und Blusen. Neben dem alten Leinen verwendet Livia auch andere nachhaltige zertifizierte Stoffe aus Europa wie Bio-Baumwolle, Tencel und Hanf, sogar alte rare Schweizer Seide ist im Portfolio. Die grösste Schwierigkeit für Livia war, Lieferanten zu finden, von denen sie nicht gleich 500 oder 1.000 Meter Stoff kaufen musste. Weil von Anfang an keine Massenproduktion das Ziel war, sondern auch hier der nachhaltige Aspekt zentral. Livias Kollektion im Laden besteht fast ausschliesslich aus Prototypen, man probiert an, und erst, wenn man weiss, welchen Schnitt man in welcher Farbe und welchem Stoff will, wird produziert. On demand sozusagen, das kann und will nicht jeder Textilproduktionsbetrieb machen, Livia hatte das Glück, anfangs mit der Schuler Manufaktur in Rothenturm in Schwyz einen Traditionsbetrieb zu finden, der kurze Transportwege garantiert und ihre Bedingungen akzeptiert und unterstützt. Livia ihrerseits sorgt mit ihren Aufträgen dafür, dass das Schneiderhandwerk in der Schweiz nicht (ganz) ausstirbt. Heute lässt sie in Mendrisio bei punto301 fertigen, ebenfalls on demand. Nach wie vor gibt es naturgefärbte Stoffe, die Kollektionsteile sind jeweils Unikate, weil jedes Teil farblich ein My vom anderen abweicht und jedes Stück individuell hergestellt wird.

DIE GRUNDFESTEN

Ist es schwer, angesichts des Überangebots von (Billig-)Mode die eigenen Prinzipien durchzuziehen? „Nein“, antwortet Livia bestimmt. „Für mich stimmt es jetzt total, und die Zahl der Kundinnen und Kunden, die die Wertschätzung für Material und Handarbeit schätzen, wächst. Das Feedback ist jedes Mal so positiv, alle meine Massnahmen und Prinzipien werden hoch geschätzt, vom Selberfärben über die eigenen Schnitte, die Einzelanfertigung bis hin zum besonderen Gefühl von natürlichen und nicht behandelten Stoffen auf der Haut.“ Livia kann seit dem Start von ihrem Label leben, keine Selbstverständlichkeit auf dem Schweizer Modemarkt. Dabei hilft, dass Unternehmen das Label Livia Naef entdeckt haben und sie kleinere Corporate-Aufträge abwickeln kann. Viele Kunden sind Wiederholungstäter, so ziemlich alles lässt sich mit allem, auch Neuem, kombinieren, das erleichtert die Bestückung der Garderobe zu Hause. „Minimalistisch ist das Ziel“, untermauert Livia ihr Anliegen, sie würde auch zu Hause so leben. „Man braucht nicht viele Kleidungsstücke, nur wenige, aber die muss man gut kombinieren können.“ Enthusiastisch hat Livia von ihrem Weg erzählt, dass sie endlich angekommen sei, nicht mehr suchen muss. Sie stellt mit Herzblut jedes Teil vor und betont, dass auch die Knöpfe, Garne, Labels, Einlagen, Etiketten und Gummibänder nachhaltig sind, und einige Teile sind sogar zu 100 Prozent kompostierbar. Bevor man aber ein Teil von Livia Naef im Garten vergraben muss, vergehen sicher Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte. Das Leinen zum Beispiel, das jetzt schon 100 Jahre gehalten hat, hält auch noch mal so lange.

livianaef.ch


Creator
Dörte Welti
Journalistin

Quelle: Dörte Welti: „Livia Naef: Slow Fashion“, Ladies Drive Magazin, Nr. 70 (2025), S. 52-53.

Veröffentlicht online am 3 Juli, 2025
Weitere Artikel aus der Ladies Drive No. 70 (Sommer 2025) Ausgabe
Digitalisierung

Digitalisierung

Der Weg ins Zeitalter der Freizeit oder der Sklaverei?
Mache langsam, es pressiert!

Mache langsam, es pressiert!

Sie* blinzelt. Dann öffnet sie den Mund. Langsam. Etwas Haut der vertrockneten Oberlippe bleibt an der Unterlippe kleben.
Langsam und langfristig anlegen

Langsam und langfristig anlegen

Warum Diamanten mehr sind als Schmuck
Verwurzelt. Verbunden. Visionär.

Verwurzelt. Verbunden. Visionär.

Das war die League of Leading Ladies Conference 2025
Therese Naef: Die Tempo-Innovatorin

Therese Naef: Die Tempo-Innovatorin

Über die Geschwindigkeit von Innovation
Ladies Drive No. 70: Watches & Jewelry

Ladies Drive No. 70: Watches & Jewelry

Must-Haves Sommer 2025
Prof. Dr. Uwe Seebacher: Faulheit als Superkraft

Prof. Dr. Uwe Seebacher: Faulheit als Superkraft

Warum sollten wir nicht mehr, sondern besser arbeiten? Und was hat Faulheit mit ­kluger Selbstführung zu tun? Bestseller-Autor und Professor Uwe Seebacher plädiert in seinem jüngsten Buch „Effizient faul“ für ein neues Denken: weniger Hustle, mehr Fokus. Ein Gespräch über Produktivität, Pausen – und das gute Leben.
Die Freiheit einatmen

Die Freiheit einatmen

Saas-Fee/Saastal – die Ferienregion mit nachhaltigem Pioniercharakter
Gioia Gerlin: An Unconventional Career

Gioia Gerlin: An Unconventional Career

The empathic trouble shooter at ON’s global IT department: Gioia Gerlin
Flaviano Bencivenga: Die Seele braucht Zeit zu atmen

Flaviano Bencivenga: Die Seele braucht Zeit zu atmen

Verzicht auf Onlinehandel?
Kari Traa: Ohne Filter

Kari Traa: Ohne Filter

Warum Kari Traa lieber Mützen strickt, als Business zu machen – und wie sie junge Frauen stärkt, ohne Filter und Dresscode.
Das Mammutprojekt

Das Mammutprojekt

Wie tiefenentspannt Doris Keller die Frauen-Fussball-Euro wuppt
Ausgewählte Artikel aus der aktuellen Ausgabe des Ladies Drive Magazins werden in Kürze veröffentlicht.
Schau dir alle anderen Artikel aus der Ladies Drive No. 70 (Sommer 2025) Ausgabe an

Ladies Drive Magazin

4x pro Jahr.

Werde Teil der Business Sisterhood und des Ladies Drive Soultribes.
Bestelle das Magazin in unserem Shop.

Ladies Drive No. 70 Cover (Sommer 2025): Der Lebensstil für mehr digitale Achtsamkeit und Fokus

Folgt uns in den sozialen Medien, um in Kontakt zu bleiben und erfährt mehr über unsere Business Sisterhood!

#BusinessSisterhood     #ladiesdrive

Möchtet Ihr mehr News über die Sisterhood & alle Events?

Werde Kindness Economist und Teil unserer Business Sisterhood!

  • •⁠ ⁠⁠Zugang zu exklusiven Angeboten und Verlosungen, die ausschliesslich für die Newsletter-Community gelten.
  • •⁠ ⁠⁠Erfahre als Erste von unseren Events und profitiere von Spezialkonditionen.
  • •⁠ ⁠⁠Lerne wie wir gemeinsam die Welt bewegen und verändern können.

Jetzt den Ladies Drive-Newsletter abonnieren.

Sie haben den Ladies Drive Newsletter erfolgreich abonniert!

Pin It on Pinterest

Share This