Davon ist Livia Naef zu 100 Prozent überzeugt, ihre Kunden bestätigen das auch, wenn sie ihre durch und durch nachhaltige Mode entdecken. Vor fünf Jahren hat die heute 39-jährige Luzernerin ihre Reise als Designerin begonnen, wir haben sie in ihrem neuen Laden besucht.

Der Laden respektive die Verkaufsfläche, die Livia Naef im Showroom von Gabriela W., einem Begegnungsort für zeitgenössische Kunst und Design, beziehen konnte, liegt mitten in der Stadt Luzern, in einer Seitenstrasse off Schweizerhofquai am Vierwaldstättersee. Es ist ihr erster fixer Shop. Die Reise begann 2020. Bis dahin hat Livia Naef wie ein Satellit das Zentrum ihres Universums umschwebt, hat schon immer Kleider vor Augen gehabt, die es aber nirgendwo zu kaufen gab. Slow Fashion sollte es sein, durch und durch nachhaltig, ein Gegenentwurf zu dem sich immer schneller drehenden Karussell der Modeindustrie. Livia machte eine Schnupperlehre bei der legendären Grand Dame der Luzerner Couture, Lisbeth Egli, entschied sich aber zu diesem Zeitpunkt für eine KV-Lehre.
DIE LERNKURVE
Livia landete zunächst in der Kommunikation und im Marketing, vermisste aber die Kreativität und das Handwerk, begann kurz vor 30 mit einer Ausbildung als Fashion Assistant an der Schweizer Textilfachschule STF. Die einjährige Weiterbildung beinhaltet auch Schnellbleichen in allem, was man wissen muss, um zu verstehen, wie Kleider überhaupt hergestellt werden. Für Livia genug, um eine Vorstellung dafür zu bekommen, was es brauchen würde, wenn sie eine eigene Modekollektion auf die Beine stellt. Sie hängt noch zwei Jahre Fashion Design HF an der STF an, um ihre Kenntnisse zu vertiefen, und langsam reift in ihr das Bild von der für sie vollkommenen Mode.


EINE EXPERIMENTIERPHASE
Nachhaltig und konsequent sind zwei Begriffe, die für Livia von Anfang an und schon immer die zentrale Vorstellung waren. Sie stösst per Zufall auf alte, wirklich alte, nämlich teils hundertjährige Stoffe, alles naturweisses Leinen als Meterware, nie verarbeitet. Livia näht das erste Kleid nach eigenen Ideen. Naturweiss ist schön, aber Livia will Farben, nur keine chemisch erzeugten. Sie erinnert sich an eine Begegnung mit einer Frau, die ihr vom Färben mit Gemüse berichtet hat, und beginnt, Foodwaste zu sammeln. Weil sowieso alles geschlossen ist, hat Livia Zeit zum Experimentieren. Sie fragt die Migros in ihrer Nähe an, ihr Foodwaste zu überlassen: Avocado, Spinat, Zwiebeln, Kurkuma. Sie köchelt, stampft, filtert und nutzt den Trester, um dem naturweissen Leinen natürliche Farben zu geben. Livia hat inzwischen ein kleines Atelier angemietet, das Färben erledigt sie selbst auf dem Anwesen ihres Schwiegervaters, eine aufwendige, aber sehr zufriedenstellende Arbeit für die Anspruchsvolle.
PARTNER FINDEN
Mehrfach wechselte Livia ihren Standort, überall kann sie nur kurz bleiben, bis jetzt, der Platz in dem Showroom ist ihr sicher. Inzwischen näht Livia eine ganze Kollektion: Kleider, Tops, Hosen, Jumpsuits, Mäntel und Blusen. Neben dem alten Leinen verwendet Livia auch andere nachhaltige zertifizierte Stoffe aus Europa wie Bio-Baumwolle, Tencel und Hanf, sogar alte rare Schweizer Seide ist im Portfolio. Die grösste Schwierigkeit für Livia war, Lieferanten zu finden, von denen sie nicht gleich 500 oder 1.000 Meter Stoff kaufen musste. Weil von Anfang an keine Massenproduktion das Ziel war, sondern auch hier der nachhaltige Aspekt zentral. Livias Kollektion im Laden besteht fast ausschliesslich aus Prototypen, man probiert an, und erst, wenn man weiss, welchen Schnitt man in welcher Farbe und welchem Stoff will, wird produziert. On demand sozusagen, das kann und will nicht jeder Textilproduktionsbetrieb machen, Livia hatte das Glück, anfangs mit der Schuler Manufaktur in Rothenturm in Schwyz einen Traditionsbetrieb zu finden, der kurze Transportwege garantiert und ihre Bedingungen akzeptiert und unterstützt. Livia ihrerseits sorgt mit ihren Aufträgen dafür, dass das Schneiderhandwerk in der Schweiz nicht (ganz) ausstirbt. Heute lässt sie in Mendrisio bei punto301 fertigen, ebenfalls on demand. Nach wie vor gibt es naturgefärbte Stoffe, die Kollektionsteile sind jeweils Unikate, weil jedes Teil farblich ein My vom anderen abweicht und jedes Stück individuell hergestellt wird.


DIE GRUNDFESTEN
Ist es schwer, angesichts des Überangebots von (Billig-)Mode die eigenen Prinzipien durchzuziehen? „Nein“, antwortet Livia bestimmt. „Für mich stimmt es jetzt total, und die Zahl der Kundinnen und Kunden, die die Wertschätzung für Material und Handarbeit schätzen, wächst. Das Feedback ist jedes Mal so positiv, alle meine Massnahmen und Prinzipien werden hoch geschätzt, vom Selberfärben über die eigenen Schnitte, die Einzelanfertigung bis hin zum besonderen Gefühl von natürlichen und nicht behandelten Stoffen auf der Haut.“ Livia kann seit dem Start von ihrem Label leben, keine Selbstverständlichkeit auf dem Schweizer Modemarkt. Dabei hilft, dass Unternehmen das Label Livia Naef entdeckt haben und sie kleinere Corporate-Aufträge abwickeln kann. Viele Kunden sind Wiederholungstäter, so ziemlich alles lässt sich mit allem, auch Neuem, kombinieren, das erleichtert die Bestückung der Garderobe zu Hause. „Minimalistisch ist das Ziel“, untermauert Livia ihr Anliegen, sie würde auch zu Hause so leben. „Man braucht nicht viele Kleidungsstücke, nur wenige, aber die muss man gut kombinieren können.“ Enthusiastisch hat Livia von ihrem Weg erzählt, dass sie endlich angekommen sei, nicht mehr suchen muss. Sie stellt mit Herzblut jedes Teil vor und betont, dass auch die Knöpfe, Garne, Labels, Einlagen, Etiketten und Gummibänder nachhaltig sind, und einige Teile sind sogar zu 100 Prozent kompostierbar. Bevor man aber ein Teil von Livia Naef im Garten vergraben muss, vergehen sicher Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte. Das Leinen zum Beispiel, das jetzt schon 100 Jahre gehalten hat, hält auch noch mal so lange.