Wie eine Bache suhle ich mich im schwarzen Humor und tobe mich darin aus, um bei Laune zu bleiben. Humor hilft immer – Musik auch. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft auf meiner Playlist die britische Folkband Fairport Convention mit „Who knows where the time goes?“. Die Sängerin Sandy Denny war gerade mal 19 Jahre alt, als sie 1969 Hoffnung, Vertrauen und Leid in diesen zeitlosen Zeilen verewigt hat.
Wir sind verdammt noch mal verdammt. Krieg, Verwüstung, Menschen auf der Flucht, Rechtsrutsch, und mittendrin wirkt das milde Wetter so eiskalt bedrohlich wie nie zuvor. Können wir noch auf eine stabile Zukunft hoffen? Können wir darauf vertrauen, dass wir die Kurve kratzen, bevor wir um die Ecke gebracht werden? Ich habe keine Ahnung. Mit apokalyptischer „Mad Max“-Kulisse vor Augen laufe ich jedenfalls auf Hochtouren, was paradox ist, denn wenn nichts mehr gewiss ist, kann ich eigentlich relativ entspannt bleiben, da meine Aktionen im grossen Ganzen betrachtet nichtig sind. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich ab jetzt meine alten Elektrogeräte im Kompost entsorge oder ein Paar Socken in je einer Waschmaschine bei 90 Grad wasche, um sie danach vereint zwei Stunden im Tumbler trocknen zu lassen. Ich giesse auch nicht Nachbars Garten mit Altöl, während dieser in den Ferien ist, und wähle zum Ausgleich die Grünliberalen. Auch engagiere ich mich nicht ehrenamtlich in einem Verein für bedrohte Käferarten oder tausche im Park zum Spass Säuglinge in den Kinderwägen aus. Darunter sind gewiss einige Ideen, die enormes Potenzial haben, aber ich lasse mich trotzdem nicht dazu hinreissen.
Zurzeit traue ich weder dem Frieden noch der Politik, und als Atheistin kann ich das Vertrauen nicht mal an den Glauben auslagern. Das Einzige, was mir übrig bleibt, ist, mir selbst zu vertrauen. Dazu muss ich aber erst mit mir im Reinen und sicher sein, dass ich mir auch treu bleibe. Ich will mich nicht enttäuschen, darum muss ich wissen, was ich nicht will. Nichtwollen ist wichtiger als Wollen. Dasselbe Prinzip wende ich auch bei der Partnerwahl an (geschäftlich und privat), ich suche mir meine Mitmenschen tendenziell nach ihren Schwächen aus, denn mit diesen muss ich leben wollen. Man bekommt nicht immer alles im Leben (auch wenn es uns vom Liberalismus ständig so vorgegaukelt wird), man muss aber auch nicht immer alles geben oder können. Alles können wäre das Schlimmste, was man über mich sagen könnte.
Das ist ein verbaler Todesstoss als Kompliment verpackt, da würde ich schon mal nach einer Urne Ausschau halten mit der Gravur: Rebekka Lindauer wurde als Alleskönnerin bezeichnet – und hat sich kurz darauf selbst eingeäschert. Eine mit dem eigenen Namen gravierte Urne in der Stube stehen zu haben ist die ultimative Motivation – mehr geht nicht. Daneben verblassen nicht nur sämtliche Wandtattoo-Sprüche, auch Geistliche können mit ihren Lehren und Weisheiten wie „Es ist alles nur eine Phase“ fristlos in den Ruhestand treten.
Wir stehen wieder am Anfang der besinnlichsten Zeit des Jahres, und es ist wirklich allerhöchste Zeit, dass wir endlich zur Besinnung kommen. Klar, wir könnten auch so weitermachen wie bisher, aber wie lange noch? Wie lange kann die Europäische Union noch Schlepperbooten beim Untergehen zuschauen, ohne von der Menschenrechtskonvention zur Rechenschaft gezogen zu werden? Wer gibt uns die Sicherheit, dass wir in allen Wüsten dieser Welt das Leben und die Liebe feiern können, ohne dabei vernichtet zu werden wie Supernovas? Wohin segeln wir, wenn der Meeresspiegel um 1,5 Meter ansteigt? Wie können wir darauf vertrauen, dass sich irgendwann alles zum Guten wenden wird, während wir in unseren mit Öl oder Holz geheizten Stuben unbekümmert Weihnachten feiern? Ich habe keine Ahnung und summe mit Sandy Denny: „Before the winter fire, I will still be dreaming I have no thought of time (…) For who knows where the time goes? Who knows where the time goes?“
Die gebürtige Zürcherin Rebekka Lindauer ist Satirikerin und Musikerin. Sie nennt sich selbst eine „Viandine“, andere
nennen sie „die Sprachgranate der Schweiz“. Wer schon mal einen Comedy Roast mit ihr gesehen hat, weiss, warum. Sie ist
mit ihrem ersten abendfüllenden Soloprogramm „Héroïne“ in der Schweiz unterwegs. Der „Tages-Anzeiger“ nannte sie „die Heldin der Zeit“. Wer sie noch nicht live gesehen hat, sollte das dringend nachholen: www.rebekkalindauer.com
Foto: Toshimi Ogasawara