Das neue Jahrhundert steht unter dem Motto Empathie und Emotionen
Die neuen Statussymbole unserer Zeit sind Self-Care, Mental Health, Digital Health, Kunst und unsere Emotionen. Die letzten eineinhalb Pandemiejahre haben alles Gewohnte aus den Angeln gehoben und aufgezeigt, dass nichts selbstverständlich ist. Die Bedeutung von Gesundheit avancierte zum zentralen Megatrend. Doch was wir heute unter Gesundheit verstehen, ist einem ständigen Wandel und Prozess unterworfen. Deren Ursprung liegt im 18. Jahrhundert, als die Aufklärung und die menschliche Vernunft die religiösen Überzeugungen der gottgegebenen Gesundheit zurückdrängten. Bereits 1946 definierte die WHO Gesundheit als einen Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur als dessen Fehlen durch Krankheit oder Gebrechen. Inzwischen können wir Gesundheit und Zufriedenheit kaum noch voneinander trennen. Mental-Health-Apps sind zu unseren ständigen Begleitern geworden, und eine WHO-Studie zeigt uns die Zusammenhänge von Kunst und Gesundheit auf.
Kunst Macht Gesünder! Kunst und Design bald auf Rezept?
Mental Health ist das Synonym für ein gutes Leben und berührt inzwischen als Megatrend sämtliche Lebensbereiche. Eine bahnbrechende WHO-Studie zeigt eine neue Richtung bezüglich unseres Gesundheitsverständnisses auf. Laut ihr macht Kunst gesünder! Der Bericht der WHO hat zum ersten Mal den Zusammenhang von Kunst und Gesundheit ausgewertet. Die umfangreiche Analyse von 900 weltweit publizierten Studien untersucht den gesundheitlichen Nutzen durch aktive oder passive Teilnahme in den fünf grossen Kategorien der Künste, nicht nur im therapeutischen und rehabilitativen Spektrum. Sie belegt: Wer künstlerisch tätig ist, kann nachweislich seine körperliche, seelische und geistige Gesundheit positiv beeinflussen. Sie weist darauf hin, dass kulturelle Aktivitäten wie Besuche in Museen, auf Festivals, Konzerten und Theatervorführungen, aber auch bildende Künste wie Design, Malerei etc. die körperliche und geistige Gesundheit klar verbessern. Des Weiteren beleuchtet die Studie die Gesundheit in einem breiteren gesellschaftlichen Kontext und zeigt auf, wie künstlerische Interventionen über die heute gängige medizinische Praxis hinaus ganz neue Lösungsansätze liefern können und dabei auch noch kostengünstiger sind. Die konkrete Empfehlung der WHO ist, Programme zur Förderung des öffentlichen Bewusstseins der gesundheitlichen Vorteile von Kunstengagement zu lancieren. Mehrere Länder erwägen nun Verschreibungsprogramme für Kunst, bei denen Hausärzte ihren Patienten künstlerische Aktivitäten empfehlen. Lassen wir uns überraschen, wie lange es dauern wird, bis Kunstaktivitäten ihren anerkannten, festen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft haben und wir Gesundheit und mentale Zufriedenheit nicht mehr voneinander trennen. Wie lange es dauert, bis die grossen Krankenkassen Kunstaktivitäten wie Festival- oder Museumsbesuche auf Rezept bezahlen. Die WHO jedenfalls empfiehlt es.
Self-Care – neues Statussymbol Emotionen
Viele Branchen wie Fashion, Food, Banken oder Versicherungen haben inzwischen die neue Wichtigkeit der Gesundheit für sich erkannt. Auch die grossen Gesundheitsplayer wie die Krankenkassen haben begriffen, dass Gesundheit und unsere Emotionen untrennbar miteinander verbunden sind. Self-Care ist klar zum Megatrend aufgestiegen. Die neuen Marketingstrategien verwenden weinende, aufgelöste Hipster und passende Claims wie „Weine, es befreit – Tränen reduzieren Stresshormone“. Bereits in den 1980er-Jahren sprachen Ärzte von Self-Care, und inzwischen ist sie definitiv zur strategischen Führungsaufgabe für Unternehmen und Universitäten geworden. Sie etabliert sich sogar als neues Statussymbol. Doch Selbstführsorge ist mehr als ein kurzlebiger Trend, ein schnell konsumierbarer Lifestyle oder ein Erste-Welt-Schnickschnack. Es ist mehr als esoterische Musik, Duftkerzen, Detox-Smoothie oder ein Luxushobby. Self-Care ist in Zeiten der Coronakrise zu einem wichtigen Teil unserer modernen Lebenskultur geworden und hilft, unsere Batterien wieder aufzuladen. Self-Care beschreibt den fürsorglichen Umgang mit dem eigenen Körper, dem Geist und der Seele. Es geht dabei um eine vertiefte Auseinandersetzung mit sich selbst, und es handelt sich um die Fähigkeit, die eigenen Bedürfnisse zu berücksichtigen, Belastungen richtig einzuschätzen und sich nicht zu überfordern. Für alle wird klar, dass es nicht nur okay ist, Self-Care zu betreiben, sondern dass es elementar für unsere aller Zukunft ist. Deswegen verwundert es nicht, dass alles im Kontext von Self-Care wie Podcasts, Yoga, Weiterbildungen, Meditationskurse, Rezepte mit Superfoods etc. explodiert.
Mental-Health-Apps: Tagebücher der Emotionen
Mit dem neu gewonnenen Gesundheitsbewusstsein haben Smartphones eine zusätzliche Aufgabe für unsere mentale Gesundheit übernommen. Dabei werden Mental-Health-Apps zu emotionalen Tagebüchern unserer Zeit und dokumentieren klar unsere Gefühle und Verhaltensmuster. Sie helfen uns, unsere diffusen Emotionen zu jeder Tages- und Nachtzeit greifbar zu machen, entwirren unser komplexes Kopfuniversum und lassen dabei mögliche Zusammenhänge erkennen. Natürlich ersetzen sie keine professionelle Hilfe bei einer Depression oder einem Burn-out. Doch ist die Hemmschwelle mit dem ersten Schritt zur virtuellen Therapie sicherlich niedriger. Zudem entwickeln sich diese Apps zunehmend zu ergänzenden Werkzeugen für professionelle Therapiestrategien und werden in naher Zukunft auch auf Rezept verschrieben. Mit unserem selbstständig erworbenen Wissen treten wir dem Gesundheitssystem auf Augenhöhe gegenüber und lassen damit die Hierarchie zunehmend flacher werden. Dabei entstehen ganz neue Erwartungshaltungen gegenüber Arbeitgebern und deren Infrastruktur, die weit über ergonomische Arbeitsplätze, Unfallschutz oder Betriebsärzte hinausgehen. Arbeitnehmer erwarten eine regelrechte „Corporate Health“. In diesem Prozess der Veränderung wird Gesundheit zur strategischen Führungsaufgabe der Unternehmen, welche die mentale Leistungsfähigkeit der Angestellten bei Stress, Überarbeitung, privaten Todesfällen oder Burn-out frühzeitig auffangen soll. Damit ist Gesundheitsfürsorge nicht mehr nur eine private und individuelle Angelegenheit, und die direkte Interaktion zwischen Patienten, Medizinern und Dienstleistern wird zur Normalität. Willkommen in der digitalen Evolution.
VITAMINE – wahre Wundermittel gegen Stress
Wir wissen inzwischen auch, dass es viele Wege zur Mental Health gibt und die Ernährung mit ihren Vitaminen eine massgebliche Rolle spielt. Dabei belegen Studien, dass bewusste Ernährung sogar unsere Hirnstruktur chemisch, aber auch physiologisch positiv verändern kann. Andere Studien zeigen, dass etwa 30 Prozent der Menschen, die unter Depressionen leiden, einen zu niedrigen Vitamin-B12-Wert haben. Und wir wissen auch, dass ein Vitaminmangel breit gefächerte Symptome verursacht, wie Konzentrationsschwäche, Leistungsdefizite, Stimmungsschwankungen, Gedächtniseinbussen, Müdigkeit, Erschöpfung, innere Unruhe oder Schlafstörungen, um nur einige zu nennen. Wir können den Stressabbau im beruflichen Alltag über die Ernährung steuern. Dadurch wird unsere Ernährung mit unserer Mental Health zukünftig auch zur strategischen Führungsaufgabe der Wirtschaftselite und ein Thema für visionäre Unternehmen sowie zum Unterrichtspflichtstoff in Wirtschaft und Management an den Universitäten.
Farbverläufe und Dégradé-Effekte
Dieses neue Verständnis von Gesundheit spiegelt sich auch in unserer gegenwärtigen Designwelt wider, wo Objekte plötzlich surreale Farbverläufe und neue diffuse, schwierig fassbar Silhouetten bekommen, analog zu unseren Emotionen. Dabei reichen die Farbspektren von Blassrosa über Zartgrün zu Apricot. Die Fashiondesignerin WeiRan, geboren in Peking, mit MFA-Abschluss an der Parsons School in New York, gehört zu dieser Generation von frischen Talenten, die innovative Techniken wie 3D-Renderings und verschiedene Methoden der Textilmanipulation einsetzen. Sie kreiert dabei neue Textiloptiken von lebendig wirkenden Oberflächen, die vom gedämpften Violett bis hin zum kräftigen Kobaltblau reichen. Sie gibt der Fashion damit eine neue surreale, futuristische Note und eine noch nie dagewesene visuelle Sprache. Die Objekte der in Neuseeland geborenen Designerin Sabine Marcelis sind von Naturphänomenen und technologischen Fortschritten inspiriert. Sie beschäftigt sich mit Licht und dessen transparenten und reflektierenden Eigenschaften. So entstehen unter anderem fantastische Quader mit den schönsten Dégradé-Effekten. Die handgefärbten Schals aus Kalbsleder mit dem Titel „Nie zu viel Lederschale“ des Zürcher Studios Kueng Caputo können als ein Materialabenteuer mit komplexer handwerklicher Technik und einer Dynamik zwischen dem Minimalen und dem Überschwänglichen betrachtet werden. Und die Arbeiten der in Barcelona lebenden Künstlerin und Grafikdesignerin Raquel Quevedo, die bereits für Comme des Garçons arbeitete, gehören auch zu diesen neuartigen Emotions-Cocktails. Diese neue Generation vermischt in ihrer Arbeit Grafik, Skulptur, Installation, räumliche Interventionen und digitale Kunst miteinander auf hybride Weise, sodass eine frische Optik wie bei einem Vitaminecocktail entsteht. Das Amsterdamer Studio Odd Matter entwickelt eine Serie von Sitzgelegenheiten. Darunter befindet sich eine irisierende Sitzbank für die Nilufar Gallery mit dem Namen „Guise“. Sie basiert auf der Idee, dass unser Gehirn in Sekundenbruchteilen darüber entscheidet, wie wir über die Dinge um uns herum denken oder fühlen. Gefühle und Emotionen der Anziehung oder des Verlangens treten sofort bei uns auf, wenn wir auf etwas treffen, das uns gefällt. Meistens kennen wir die Gründe nicht, sondern lassen uns von Instinkt und Erfahrungen leiten.
Ein grosses Paradox unserer Zeit ist, dass wir uns viel zu sehr auf das fokussieren, was wir messen können, und dabei den grössten Einflussfaktor auf unsere Gesundheit – unsere Emotionen – nur teilweise berücksichtigen. Auch und womöglich gerade deshalb, weil dieser Faktor noch nicht klar messbar ist. Bis heute können wir Wut, Angst, Freude, Zufriedenheit oder Glück nicht einheitlich bemessen oder ihre chemischen Strukturen klar definieren. Genau dies ist aber für unsere Motivation, unser Immunsystem, die Stressregulierung und Stresswahrnehmung zentral. Jede Emotion reguliert und verändert unsere Körperchemie und damit unsere Gesundheit. Wissenschaftlich eindeutig belegt ist allerdings, dass chronischer Stress unseren Stoffwechsel verändert, damit Entzündungen im Körper verursacht und dies wiederum Krankheiten auslöst. Dies zeigt klar, wie zentral Mental Health für uns alle ist und dass wir mehr Kunst, Kultur und Design in unser Leben lassen sollten.