Léa Miggiano
Co-Founder & CMO Carvolution
www.carvolution.com
Wir müssen darauf vertrauen, an Herausforderungen zu wachsen
Scham empfinde ich, wenn ich den Eindruck habe, dass mein Verhalten von anderen als unangemessen empfunden wurde. Wenn ich selbst den Eindruck habe, dass ich meinem Selbstbild nicht gerecht wurde. Es ist ein Bruch damit, wie ich gern wäre, oder die Sorge darüber, was andere denken könnten.
Bei Selbstzweifeln habe ich viel mehr Kontrolle. Denn als Person, die denkt, dass alles irgendwie machbar ist, halte ich mich nicht allzu lange mit Selbstzweifeln auf, sondern widme mich schnell einer möglichen Lösung.
Ich glaube, die beiden Gefühle verstärken einander oft. Denn wer starke Selbstzweifel hat, wird durch die einhergehende Verunsicherung viel schneller Schamgefühle empfinden.
Wo mir diese Gefühle im Berufsleben begegnen
Es ist die Sorge darüber, dass ich etwas nicht bedenke, das ich berücksichtigen müsste. Es ist die Angst, mich nicht ausreichend um mein Team zu kümmern. Solche Gefühle kommen bei mir auch in einem Interview auf, und ich bin unsicher, ob ich alles, was wichtig ist, erwähnt habe. Grundsätzlich versuche ich, sehr bewusst zu entscheiden, ob die Zweifel begründet sind. Wenn sie es sind, dann versuche ich, eine Lösung zu finden, indem ich mir sage: „Okay, ich hänge mich mehr rein. Das löse ich jetzt irgendwie. Ich kriege das hin.“ Meine Selbstzweifel waren früher gewiss intensiver, doch durch die Routine in schwierigen Situationen, durch positive Rückmeldungen und durch die Erkenntnis, dass ich auch sehr stolz auf mich sein darf, mindern sie sich, und es fällt mir leichter, damit umzugehen.
Scham empfinde ich im Berufsleben eher selten. Denn ganz ehrlich, ich bin sehr bemüht darum, es nicht so weit kommen zu lassen, dass ich mich für etwas schämen müsste. Das raubt Energie, es heisst, dass man sich immer wieder aktiv Gedanken zu seinem moralischen Kompass, auch dem der Gesellschaft, macht und sich daran orientiert.
Ich schäme mich nie dafür, meine Meinung zu sagen. Das kann schnell als laut und rebellisch wahrgenommen werden, aber diesen Trade-off nehme ich in Kauf. Was nicht heisst, dass ich mich nicht bemühe zu lernen, meine Meinung angebracht zu kommunizieren. Denn ja, manchmal schäme ich mich für meine Direktheit gegenüber anderen. Es ist nie meine Absicht, jemanden zu verletzen, aber es passiert manchmal.
Über Scham zu sprechen, so paradox es klingt, ist bereits mit Scham verbunden. Es ist nicht einfach, über Scham zu sprechen, aber je länger ich mir Gedanken zu ihr mache und mich an die Situationen erinnere, in welchen Scham ein Thema war, komme ich zum Schluss, dass die Sorge, darüber zu sprechen, komplett unbegründet war. Wenn ich offen darüber spreche, erhalte ich in egal welcher Situation nur eine einzige Antwort: „Dafür musst du dich doch nicht schämen.“ Ich habe nie gehört, dass es doch ein Tabuthema sei und was mir eigentlich einfalle, überhaupt darüber zu sprechen, oder dass ich mich dafür effektiv in Grund und Boden schämen sollte.
So arbeite ich an meiner Scham-Resilienz
Am meisten hat mir geholfen zu realisieren, dass ich weniger wichtig bin, als ich manchmal denke. Sprich: „It doesn’t matter.“ Interessiert es überhaupt jemanden? Nein, in den meisten Fällen nicht. Durch diese Erkenntnis gehe ich weniger hart mit mir ins Gericht. Ganz ehrlich, manchmal entgleist man seinen eigenen Wertvorstellungen und wird den eigenen Erwartungen oder denjenigen der anderen nicht gerecht, und das ist vollkommen okay.
Überlegt gut, wer über euch urteilen darf
Ich versuche, den Rahmen derjenigen Personen, die Einfluss auf mein Selbstwertgefühl haben, sehr bedacht zu wählen. Mein Verständnis von Selbstwert ist unter anderem ein Ergebnis daraus, dass ich von meinem Umfeld nicht als Person an sich infrage gestellt werde. Was nicht heisst, dass ich nicht kritisiert werde, meine Wertvorstellungen oder mein Handeln nicht hinterfragt werden. Und trotz dieser Abhängigkeit von meinem Umfeld würde ich sagen, dass ich ein frei denkendes Wesen bin. Ich brauche die Akzeptanz meines Umfeldes, aber ich weiss, dass ich in meinem Umfeld bedingungslos akzeptiert werde. Das allein stärkt meinen Selbstwert und gibt mir das Selbstbewusstsein, frei denkend zu sein.
Mein Tipp an andere Frauen
Ich hatte in den letzten Tagen weitaus mehr Gespräche über Selbstzweifel als in den vergangenen Jahren. Und es hat sich sehr gut angefühlt. Deshalb rate ich, den Austausch zu suchen. Alle haben Selbstzweifel, und man darf sich einfach nicht blockieren lassen. Mir hilft es, den realistischen Worst Case durchzuspielen. Dann erkenne ich, dass es mehrheitlich gar nicht so schlimm kommen kann, wie ich es mir ausmale. Es wird immer so sein, dass vieles unmöglich erscheint, bis man damit startet. Ich finde, dass wir auch darauf vertrauen müssen, an einer neuen Herausforderung zu wachsen. Was in einem steckt, zeigt sich erst, wenn man gestartet hat, und das ist ein echt schönes Gefühl.
Weitere Interviews in der Serie „Scham – Schuld – Selbstzweifel“: