Ich meinte allerdings den Baumarkt eines Grossverteilers, der damals Do-it-yourself hiess. Das klingt nachhaltiger, als es ist, Grossverteiler wollen viel verkaufen, letztlich verkaufen sie sogar ihren Baumarkt an die Konkurrenz. Gewollte Obsoleszenz, die Sollbruchstelle des Materials, sorgt für Sollbruchstellen in der Gesellschaft: vom Kapitalismus befeuerte Klassenunterschiede und Klimakatastrophen.
Hier setzt das Maker Movement an, mit Nachhaltigkeit, Teilhabe für alle, Selbstwirksamkeit, Schonung der Ressourcen, indem möglichst recycliert, repariert, kreislaufgewirtschaftet wird. Klingt modern, trendy und verheissungsvoll, erinnert mich aber an meine Kindheit auf dem Bauernhof, it rings a cowbell.
Meine Grossmutter war Maker der ersten Stunde! Bei ihren seltenen Restaurantbesuchen benutzte sie von den weichen Servietten höchstens die Hälfte. Die andere veredelte sie mit ihrem Maker Tool (einer Schere) zu Toilettenpapier. Aus bunten Illustrierten trennte sie wöchentlich die Comic-Seiten heraus. Ende Jahr nähte sie diese zu einem Buch zusammen mit dickem rotem Wollfaden aus dem aufgetrennten kratzigen Pullover. Am Rücken war die Wolle unangenehm gewesen, am Buchrücken störte sie niemanden. Trial and error. So standen bei uns dicke Comics im Regal, Prototypen mit roten Zick-Zack-Stichen, wie keine anderen Kinder sie hatten. Auch anderes wurde recycliert. Aus Verpackungen wurde Spielzeug, aus aufgetrennten Kleidern wurden neue hergestellt. Das Know-how wurde geteilt, damit wir selber ausprobieren, verfeinern, erweitern konnten.
Grossmutter war das YouTube-Tutorial meiner Kindheit.
Meine Mutter war immer on the move. Sie verfügte als Schneiderin und Bäuerin über Tools und Learnings für Nachhaltigkeit. Im Kampf gegen Foodwaste knetete sie Pasta-, Brot-, Gemüsereste mit Fleisch zusammen. So zeigte sie uns, wie in einem 3-D-Verfahren gestreckte, halb vegetarische Hamburger geformt werden konnten. Ein Live-Hack. Hack darf man hier sogar wörtlich verstehen.
Mein Vater war ein kreativer Denker, mental fast noch stärker als körperlich. Do it yourself war auf dem Hof eine unfreiwillige Devise, eine Challenge, die mein Vater spielerisch annahm. Materialien zum Flicken und Basteln gab es genügend, Strohschnüre beispielsweise. Wobei man wissen muss, Strohschnüre sind nicht aus Stroh, sondern aus Polymeren, meerblau, reiss- und wetterfest. Heu und Stroh sind bekanntermassen getrocknete Halme, Futter oder Einstreu, Wintersalat oder Matratze unserer Tiere. Getreide- und Grashalme auf dem Feld, dieser natürliche Rohstoff wird unter hohem Druck in stapelbare zylinder- oder quaderförmige Ballen gepresst.
Die Strohballenpresse ist der 3-D-Drucker unter den Landmaschinen.
Dicht und formend werden die unzerstörbaren Strohschnüre um die Strohballen gewickelt. Die Strohschnüre sind das Schnür-Mieder für den getrockneten Pflanzenkörper, die Body-Shape-Ware für Strohpuppen, das Bondage für Strohmänner.
Nach dem Einstreuen oder Verfüttern landen die Strohschnüre normalerweise im Müll und schliesslich als Mikroplastik im Meer. Meeres-Pollution durch Polymere. Doch für meinen Vater waren sie eine nie versiegende Quelle, eine Open Source für seine Kreativität.
Was lose war, wurde mit Strohschnüren geflickt. Fehlte eine Sprosse an der Leiter, wurde sie ersetzt durch eine blaue Strohschnurkordel; eine Karriereleiter bei der Suva wäre dadurch allerdings zerstört worden. War die Deichsel zur Kopplung von Traktor und Ballenpresse beschädigt, entstand ein flexibles blaues Ersatzgelenk, ein Joint Venture am John-Deere-Traktor. Geräte wurden meist von mehreren Bauernhöfen genutzt, Support, Give, Participate und Share (Share gefiel Schafzüchtern im doppelten Sinne). Im Dorf wusste man bald, welche Maschinen auf unserem Hof mitbenutzt wurden, sie waren sichtbar blau markiert. Modifizierte Prototypen einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Doch geschnürte Bruchstellen, blaue Verbindungen zwischen Geräten und Rädern, hiess es, das sei keine saubere Reparatur, das sei eher die Achse des Unseriösen.
Man nannte uns bald nur noch die „Strohschnur-Baslers“. Ich aber nenne uns „Maker Movement“. Grossmutter war Maker, Mutter war Move, und mein Vater war Ment, der Geist. Kreativ und polymerblau, als entstammte er einer schnurumwickelten Flasche, gekauft im Krämerladen von Tut Jussef.