Den darf sie nämlich als Gewinnerin des diesjährigen Female Innovator of the Year 2024 für einen ganzen Monat lang fahren. Nicoles Innovation ist bahnbrechend: Als CTO von sallea AG stellt sie eine Plattformtechnologie bereit, mit welcher essbare Gitterstrukturen, sogenannte Scaffolds, hergestellt werden. Auf diesen Scaffolds können, simpel formuliert, Fleisch und Fisch wachsen, ohne Tierwohl in irgendeiner Form zu gefährden – dank 3-D-Druck. Wenn das nicht Maker Movement in Perfektion ist, was dann?
Das klingt im ersten Moment wie eine Szenerie aus einem Science-Fiction-Film, aber die innovative Erfindung im Foodtech-Bereich ist real und einsatzbereit. Wir treffen Dr. Nicole Kleger, die Materialwissenschaften an der ETH Zürich studiert hat, am frühen Vormittag in ihrem Büro per Zoom.
Ladies Drive: Nicole, bist du ein early bird?
Nicole Kleger: Ja, ich bin zwar erst um viertel vor neun im Büro, stehe aber um sechs Uhr auf, damit alles rechtzeitig erledigt ist am Morgen. Ich habe zwei Kids, vier und sieben Jahre alt. Da ist morgens einiges los.
Das bringt mich zum Nachrechnen: Du hast durch deine gesamte Doktorarbeit hindurch so ganz nebenbei auch noch eine Familie gegründet?
Ich habe einen sehr tollen Mann! Wir haben es anfangs gut organisieren können mit Kinderbetreuung hier an der ETH. Dann waren sie in einem Kindergarten, der vier Tage pro Woche den ganzen Tag stattfindet respektive Programm anbietet. Der Grosse geht inzwischen zur Schule, jetzt haben wir ein Au-pair.
Chapeau, auch dafür. Du hast den Female Innovator of the Year Award am Forum 2024 verliehen bekommen, nicht der erste Award, den du entgegennehmen konntest. Was machen Awards mit einem Start-up wie eurem?
Awards sind superwichtig. Gerade in dieser Phase, in der wir momentan sind, ist es relevant, dass die Leute von uns Notiz nehmen. Und das auf ganz verschiedenen Ebenen. Zum einen sind das mögliche Talente, die von uns hören und dann interessiert sind, bei uns zu arbeiten. Dann Investoren für zukünftige Finanzierungsrunden, da geht es um sehr viel. Wenn sie den Namen schon ein paarmal gehört haben, dann sind die Türen ein bisschen weiter offen oder zumindest aufgestossen für ein erstes Vorstellungsgespräch. Awards sind in unserem Metier aber auch wichtig gegenüber der Bevölkerung. Wir sind mit dem kultivierten Fleisch in einem Bereich tätig, wo wir darauf angewiesen sind, dass das Endprodukt, also dieses neuartige Lebensmittel, von der Bevölkerung positiv aufgenommen wird und dass eine gewisse Offenheit besteht gegenüber solchen neuen Herstellungsmethoden und Produkten.
Du sprichst von möglichen Talenten. Ist es ein Problem, Nachwuchs zu finden im Foodtech-Bereich?
Was wir im Labor machen, ist auch sehr viel Biotech übrigens. Wir selbst lassen nicht die Zellen wachsen für das Endprodukt, aber wir müssen natürlich verstehen und intern testen, ob die Zellen auch wirklich auf unserem Produkt wachsen, also eine Art Validierung für unsere potenziellen Kunden. Unsere tägliche Arbeit hat auch Medtech-Aspekte, also brauchen wir ein Team, das sehr breit aufgestellt ist über die verschiedenen Disziplinen. Ich würde nicht sagen, dass es per se schwierig ist, Talente zu finden. Wir sind momentan noch in der glücklichen Lage, an der ETH zu sein. Als Start-up sind wir aber finanziell limitiert. Wir müssen entsprechend wirklich schauen, dass wir die Besten anstellen können. Sallea ist ein Team-Effort, und wir müssen perfekt zusammenarbeiten und uns gleichzeitig möglichst gut ergänzen können.
Kann man auch für Nicht-Food-Techs das Verfahren kurz erklären?
Wir drucken per 3-D-Druck Kochsalz in negative Gussformen, giessen sie dann mit einem essbaren Material aus und waschen das Kochsalz weg. Das Ergebnis ist ein Gerüst aus essbarem Material, die sogenannten Scaffolds, auf denen Zellen wachsen können.
War das deine Idee?
Jein, die meisten Erfindungen sind Teamwork. Die Idee, Kochsalz zu drucken, um ein Material zu strukturieren, kam mir während meiner Masterarbeit. Es waren aber natürlich ganz viele Leute in meinem Umfeld, die mich auf dem Weg unterstützt haben. Prof. Peter Uggowitzer zum Beispiel hat mir erklärt, weshalb es so wichtig ist, dass Materialien eine kontrollierte Porenstruktur haben, als es um Implantate ging. Ich hatte eine Projektarbeit bei einer ehemaligen Doktorandin hier in der Gruppe, wo wir Keramiken in 3-D gedruckt haben, und sie hat mir gezeigt, wie das funktioniert. Prof. Kunal Masania, welcher meine Doktorarbeit als Post-Doc unterstützte, kannte sich sehr gut im Drucken aus und hat mir geholfen, das Ganze in eine neue Drucktechnologie zu übersetzen, die präziser ist. Und dann kam Simona Fehlmann dazu, meine Mitgründerin und heutige CEO von Sallea, die während ihrer Masterarbeit und als ich im Doktorat war mit mir technisch zusammengearbeitet hat und die ganze Formulation der Salztinte, mit welcher wir drucken, weiterentwickelt hat. Und seither arbeitet unser unglaublich tolles Tech-Team weiter am Herstellungsprozess und optimiert die Scaffolds Schritt für Schritt. Insofern hatte ich sehr viel Unterstützung und Inputs von verschiedenen Seiten. Ohne diese Unterstützung in der Technologie, aber auch viel Support darüber hinaus, wie etwa von meinem Doktorvater Prof. André Studart oder unserer dritten Mitgründerin Anna Bünter, wären wir nicht da, wo wir heute sind.
Warst du schon immer eine „Ideenfinderin“?
Ich war immer superinteressiert daran, zu verstehen, wie Dinge funktionieren. Mein Papa hat mir immer gesagt, ich sei die kleine Gerda Conzetti, weil ich immer am Basteln war (Gerda Conzetti wurde in den 1970er-Jahren mit der Sendung „Basteln mit Gerda Conzetti“ im SRF berühmt, Anm. d. Red.). Ich hatte schon eine Faszination auch für Naturwissenschaften, konnte mich aber nie entscheiden, wofür am meisten, ob es Biologie, Chemie, Physik oder Mathe ist. Lange lag mein Fokus auf dem MedTech-Thema. Gleichzeitig faszinierten mich aber auch Lebensmittel. Ich habe dann Materialwissenschaften gewählt, weil es alle erwähnten Bereiche beinhaltet und deren Zusammenspiel untersucht und sich zunutze macht.
Ein Antrieb von dir ist auch die Nachhaltigkeit?
Wir sind aktiv beim Foodsharing. Da retten wir Lebensmittel, die sonst weggeworfen werden und die aber noch tipptopp essbar sind. Und jetzt mit dem kultivierten Fleisch sind wir eigentlich am Interface von all diesen Disziplinen, also zwischen Medtech, Biotech, Foodtech, Sustainability. Als Materialwissenschaftlerin finde ich es superspannend, wie alles irgendwie zusammenkommen muss.
Du fährst den BMW ix2 schon?
Ja, also er steht bei uns zu Hause. Wir haben das Glück, dass bei unserer Wohnung ein Parkplatz mit dabei ist und wir sonst kein Auto haben. Entsprechend war dieser Parkplatz leer. Wir fahren den BMW hauptsächlich am Wochenende, unter der Woche sind wir meist mit den Fahrrädern unterwegs, weil das besser aufgeht mit Kindern abholen und bringen. Für das Wochenende geniessen wir aber die Flexibilität des BMW ix2 für die nächsten paar Wochen.
Hättest du einen Rat an andere junge Gründerinnen, der dir am Herzen liegt?
Lasst euch nicht von der gefühlten Wahl zwischen Familie und Start-up abhalten, sondern sucht euch eure beruflichen und privaten Partnerinnen oder Partner gut aus. Ich kann nur erahnen, wie viele geniale Ideen der Welt verloren gehen, weil junge, tolle Frauen sich wegen der Familie gegen ein Start-up entscheiden. Aber glaubt an euch: Ihr findet einen Weg, um beides zu ermöglichen. Auch wenn es ein Thema ist, das die Gesellschaft noch nicht so draufhat.
Hast du Vorbilder, auch in dem Punkt?
Meine beiden Grossmütter. Sie hatten schon echt coole Karrieren. Die eine war Simultandolmetscherin in Brüssel, die andere war in Bern in der Politik. Ich realisierte ganz lange nicht, welch grosse Inspiration sie für mich sind, weil ich das einfach als selbstverständlich angeschaut habe. Erst vor ein paar Jahren habe ich realisiert, dass dieses berufliche Engagement von Frauen noch nicht so normal ist, wie ich mir dies erhofft habe.
Weiterführende Informationen zu unserer „Female Innovator of the Year 2024“ von Ladies Drive auf: