Margaux war dem Forum per Videocall zugeschaltet, weil sie an einer Hochzeit – nicht der eigenen – im Ausland weilte. Grad noch ein Grund mehr zum Feiern für die Ingenieurin! Auch fürs Interview konnten wir der „Trailblazerin“, wie Marion Fogli von Alpian SA, Partner des Awards, Margaux in ihrer Laudatio zum Recognition Award betitelte, nur per Bildschirm habhaft werden. Margaux ist in Lausanne beheimatet, dort an der EPFL hat sie studiert, dort hat sie ihre bahnbrechende Idee für Enerdrape* entwickeln können.
Ladies Drive: Margaux, Ihre Masterthesis von 2018 hat den futuristischen Titel „Evaluation des geothermischen Potentials der zukünftigen Lausanner Métro-Linie m3“. Sind Sie mit der Lausanner Métro gefahren und haben darüber nachgedacht, was man mit den Mauern, die an Ihnen vorbeirauschen, alles anstellen könnte?
Margaux Peltier: Eigentlich nicht wirklich. Tatsächlich haben wir im Labor der EPFL an einem ähnlichen Konzept gearbeitet. Ich wollte herausfinden, wie wir unterirdische Kanäle als Energiequelle für Städte nutzen können. Wir arbeiteten allerdings an einer anderen Technologie, bei der man den Wärmetauscher direkt im Beton platziert. Ich habe eine Art Marktstudie durchgeführt, um das Potenzial aufzuzeigen. Und mir wurde klar, dass wir in der Schweiz und in Europa zwar viele Tunnel und viel Infrastruktur haben, aber die meisten davon sind bereits vorhanden und man baut nicht jedes Jahr einen neuen Tunnel. Und dann dachte ich, es ist schade, weil wir wirklich über eine leistungsstarke Technologie verfügen, aber nur für Neubauten. Es löst also nicht wirklich das Problem, das wir heute haben und das speziell den Bestandsbau betrifft.
Sie sind dann aber schnell auf eine Lösung gekommen. Wie war der Prozess bis zu den weltweit ersten Paneelen, die als Wärmetauscher einsetzbar sind?
Ich habe mir überlegt, dass wir vielleicht Dinge vorfertigen könnten, um zu versuchen, die Technologie an bestehende Bauwerke anzupassen, weil in Tunneln viel nachgerüstet wird. Am Anfang lag der Schwerpunkt also wirklich auf Tunneln. Und dann fing ich an, mit meinen beiden Mitbegründern darüber zu sprechen. Einer von ihnen ist der Professor, der vor 20 Jahren mit dieser umfangreichen Forschung begonnen hat, und der andere war mein Tutor. Sie sagten, Margaux, wir denken das Gleiche. Das war der Anfang. Wir haben ziemlich bald darauf erste Prototypen gebaut, und die Ergebnisse waren gar nicht so schlecht. Bei den Versuchen wurde uns klar, dass, obwohl das Potenzial in Tunneln enorm ist, die Technologie beispielsweise auch in Tiefgaragen oder Garagen funktionieren könnte. Die Marktdurchdringung wird etwas einfacher sein, und so haben wir schliesslich Enerdrape gegründet.
Kann man das Prinzip auch für Nicht-Physikerinnen und Nicht-Ingenieurinnen wie mich einfach erklären? Wenn ich in eine Tiefgarage gehe, ist es dort im Winter kalt und im Sommer warm – wie entsteht mithilfe der Paneele Wärme oder Kühlung?
In der Physik geht es nicht um Kälte oder Hitze. Es geht um die Energie, die man erzeugen kann. Ausschlaggebend ist der Temperaturunterschied, ob es heisser oder kühler ist als ihre Referenz. In der Schweiz zum Beispiel ist der Untergrund das ganze Jahr über mehr oder weniger etwa 13 Grad warm. Im Winter ist es also wärmer als draussen, im Sommer kühler. Wir nutzen dieses Phänomen einerseits – im Winter –, um die Wärme zurück in das Gebäude zu bringen, im Sommer die Kühle.
Was genau haben Sie studiert?
Civil Engineering, also eigentlich Bauingenieurwesen. Ich habe mich auf Beton, Gebäude und Technik in Gebäuden konzentriert und mich insbesondere auf Energie spezialisiert.
Der Recognition Award, den Sie am Female Innovation Forum 2024 erhalten haben, ist nicht Ihre erste Auszeichnung. Sie gehören zu den Nominierten der „Forbes 30 unter 30“-Personen der DACH-Region, zu den Top 100 Swiss Startups, sind auf der Liste Impact/100 der weltweit aussichtsreichsten Start-ups, haben 2022 den Venture-Hauptpreis gewonnen und noch einige mehr. Was nützen Ihnen Auszeichnungen?
Es gibt verschiedene Ansätze. Wir haben in der Tat viele Auszeichnungen erhalten, aber die meisten Auszeichnungen konzentrieren sich wirklich auf das Unternehmen, die Lösung, die Technologie. Generell kommt es wirklich auf die Sichtbarkeit an. Manchmal gibt es Bargeldpreise, aber die Sichtbarkeit ist bei Auszeichnungen oft von entscheidender Bedeutung. Sie geniessen dann Anerkennung auch bei den Kollegen, auf dem Markt, in der Branche, und Sie haben auch die Sichtbarkeit für potenzielle Kunden oder ein grösseres Publikum, was in dieser Phase der Marktentwicklung von entscheidender Bedeutung ist. Der Recognition Award vom Female Innovation Forum ist anders, es geht um mich, meinen Weg, mein Unternehmerdasein. Es ist eine andere Art von Anerkennung, auch wenn ich Teil des Unternehmens Enerdrape bin und das Unternehmen leite. Es ist grossartig. Alle Auszeichnungen sind gewisse Anerkennungen, aber diese ist wirklich persönlicher.
Dann haben wir unsere Mission ja erfüllt, wir wollen Frauen stärken. Sehen Sie sich als Vorbild? Hatten Sie selbst Vorbilder?
Ganz ehrlich: Ich habe kein bestimmtes Vorbild. In unserer Familie sind meine Schwester und ich die Einzigen, die studiert haben, wir sind beide Ingenieurinnen. Die Art und Weise, wie meine Eltern uns erzogen haben, hat uns nie das Gefühl gegeben, dass wir einen maskulinen oder maskulineren Weg eingeschlagen haben. Das war ein Glück, dass ich so erzogen worden bin. Als ich an der EPFL ankam, wurde mir natürlich bewusst, dass wir, ich weiss nicht, vielleicht gerade mal 15 Mädchen auf 200 Jungs waren. Ich begriff erst dort, dass es einen Unterschied gab. Während der Schule war es okay, würde ich sagen. Aber als ich anfing zu arbeiten, oder sogar während ich Praktika machte, wurde mir klar, dass es sich um eine sehr männliche Branche handelte. Was ich heute versuche, ist, dies nicht als Hindernis zu sehen oder es zu meinem Vorteil auszunutzen, aber es ist wahr, es ist eine männliche Domäne – und ziemlich konservativ.
Sie könnten Ihre Sichtweise jungen Frauen weitergeben …
Das tue ich, und es ist mir heute sehr wichtig. Ich habe gesehen, dass es immer noch eine Diskrepanz gibt, es gibt nicht so viele Mädchen in wissenschaftlichen Studiengängen. Deshalb gehe ich oft als Pitcher zu jungen Mädchen in die Gymnasien.
Wer organisiert das? Die EPFL?
Es gibt verschiedene Organisationen, vieles läuft über die EPFL. Die EPFL bittet mich als Ingenieurin oft, in die Schulen zu gehen und den Mädchen klarzumachen, dass sie in die MINT**- oder ICT***-Fächer gehen können. Es geht aber nicht immer darum, das den Mädchen zu verdeutlichen. Manchmal geht es auch einfach nur darum, jüngeren Menschen den wissenschaftlichen Hintergrund oder den wissenschaftlichen Weg näherzubringen. Aber es ist etwas, das mir wirklich am Herzen liegt und das ich fördern möchte. Ich sehe mich also nicht als Vorbild, aber ich möchte zumindest aktiv Förderung betreiben. Mir ist klar geworden, dass es für mich damals keine Rolle gespielt hat, ich habe mir die Frage gar nicht gestellt, ob das für mich als Mädchen die richtige Wahl ist. Ich will zeigen, dass die Studium- oder Ausbildungswahl keine Frage des Geschlechts ist. Man sollte einfach das auswählen, was man tun möchte. Schwierig wird es nur, wenn man Familie haben möchte. Ich habe viele Freunde, die sind Ingenieure wie ich. Man findet aber nicht an jedem Ort einen Kindergarten oder es hat einfach keine freien Plätze. Irgendwann muss man also entscheiden, wer mit der Arbeit aufhört, und irgendwie ist es immer die Frau, weil sie vielleicht ein niedrigeres Gehalt hat. Das müssen wir unbedingt ändern.
* Enerdrape.com ist ein Spin-off der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL), das geothermische Paneele konstruiert, die in Tunneln, Parkhäusern oder U-Bahn-Stationen zu Wärmetauschern werden.
Mehr dazu unter www.enerdrape.com
** MINT-Berufe steht für Berufe in den Sparten Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.
*** ICT steht für Informations- und Kommunikationstechnologien.