Kaum zu glauben aus heutiger Sicht und doch ist die zeitliche Distanz zu den 70er Jahren nicht extrem gross. Die Arbeitsmärkte unterliegen ständigem Wandel und insbesondere die Arbeitsteilung hat sich über die letzten 30–40 Jahre grundlegend geändert. Seit den 60er Jahren ist die Erwerbsquote der Frauen in der westlichen Welt deutlich angestiegen. Im Jahr 1971 lag die standardisierte Erwerbsquote der weiblichen Bevölkerung (15 Jahre und älter) in der Schweiz noch bei mageren 42,5 %. Die Erwerbsquote misst den Anteil der Wohnbevölkerung, welcher einer Erwerbstätigkeit nachgeht oder auch eine Erwerbstätigkeit sucht, d.h. sie umfasst auch Personen, die arbeitslos gemeldet sind.
Im Jahr 2011 lag nun diese Quote für die weibliche Bevölkerung in der Schweiz bei 60,8 %. Dies liegt zwar unterhalb der Quote, die beispielsweise in den USA erreicht wird, und auch unter dem europäischen Durchschnitt, geht aber einher mit einer Veränderung der Erwerbsquote der Männer, die über denselben Zeitraum von 40 Jahren von 85,7 % auf 75,5 % abgesunken ist. Die Höhe der Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben wird massgeblich beeinflusst durch unterschiedlichste Faktoren wie das familiäre Umfeld, finanzielle Notwendigkeiten, gesellschaftliche Normen, Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Grenzsteuersätze und nicht zuletzt natürlich persönliche Präferenzen. Selbstverständlich haben Frauen schon immer viel gearbeitet, auch unentgeltlich, ohne dass dies in offizielle Statistiken zur jeweiligen Wirtschaftsleistung eines Landes eingeflossen wäre.
Die Wirtschaftstheorie sagt uns, dass höhere Erwerbsquoten auch mit höheren Wachstumsraten des Bruttoinlandsproduktes einhergehen. Offensichtlich wurde die Aufholjagd europäischer Volkswirtschaften relativ zu den USA weitgehend durch Frauen geleistet, auch wenn ein grosser Teil der Erwerbstätigkeit durch Teilzeitarbeit bestritten wird. Natürlich gibt es neben der Erwerbsquote weitere Bestimmungsfaktoren, die die Wirtschaftsdynamik eines Landes ausmachen. Ausserdem ist das Wachstum nie das Mass aller Dinge und auch nicht mit einem Mass für Wohlstand, Lebensqualität oder Gerechtigkeit zu verwechseln. Schlussendlich handelt es sich beim Bruttoinlandsprodukt um ein Aufsummieren von Geldflüssen ohne Berücksichtigung der Kosten, die durch den Verzehr knapper Ressourcen entstehen. Wohltätige Einsätze, Hausarbeit und Kindererziehung haben darin keinen Platz.
In einigen industrialisierten Staaten scheint nun ein Gegentrend einzusetzen. Der Rückgang der allgemeinen Erwerbsquote in den USA seit etwa zwölf Jahren ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sich junge Frauen zu einem Leben ohne offizielle Erwerbstätigkeit entschliessen. Umfragen in europäischen Ländern belegen, dass sich junge Menschen beider Geschlechter wieder konservativeren Werten zuwenden. Insbesondere Beruf und Karriere sind in der Gunst gefallen. Für asiatische Jugendliche stehen diese oben auf der Liste. Hat die westliche Welt ein relatives Wohlstandsniveau erreicht, das den Luxus erlaubt, das Streben nach Wachstum und Leistung kritischer zu betrachten? Sehnt sich Europa nach alten Werten? Schlussendlich ist dies eine persönliche Entscheidung. Ein schonungsvollerer Umgang mit persönlichen und natürlichen Ressourcen weist den Weg zu nachhaltigerem Wachstum. «
* Die Autorin ist bei Swiss Life Asset Management AG im Economic Research tätig und Mitglied beim Smart Ladies Investment Club SLIC.