Eine Frau und eine (ursprüngliche) Chinesin zu sein schenkt mir viel Aufmerksamkeit in meinem Beruf – positiv und negativ, primär positiv.
Ich berate C-Level-Kunden der Versicherungsbranche bei den strategischen Ausrichtungen und neuen Geschäftsmodellen, wobei ich oft die traditionelle Sichtweise der Kunden provozieren oder „challengen“ muss. Mit meinem Profil zu provozieren kommt nicht offensiv rüber bei den Kunden. Sie hören mir vielmehr zu, statt defensiv zu werden. Das hilft in meinem Geschäftsumfeld, und ich sehe mein Anderssein somit deutlich als Asset.
Aber es gab auch negative Erlebnisse. Beispielsweise als ich vor zwei Jahren Partnerin wurde, machte auch in der Presse die Runde, dass ich eine Quoten-Frau wäre oder dass ich wegen meines Aussehens befördert worden wäre. Aber das sind nur kleine Störgeräusche für mich. Ich weiss, wer ich bin. Zum Glück mein Team und meine Kunden auch. Und darauf fokussiere ich mich.
Mein Aussehen, meine Herkunft haben aber noch weitere Vorteile: Leute erinnern sich an mich. Das kann aber auch gefährlich sein, wenn ich etwas falsch gemacht hätte (was zum Glück noch nicht vorkam bis zum heutigen Tage). Einmal hat der CEO einer grossen Versicherung meinen damaligen Chef gefragt
„Sag mal, hast du eine Chinesin im Team?“
„ Ja … kann sein, warum?“, mein Chef zögerte, da er nicht wusste, ob es um was Gutes oder Schlechtes ging.
„Dann musst du mir sie vorstellen. Hab von Hr. X (einem anderen CEO) gehört, man kann mit ihr gut zusammenarbeiten!“
Ich würde mich als eine unperfekte Chefin bezeichnen, da ich manchmal meine Familie, die nun auch mit einem mittlerweile einjährigen Mädchen bereichert wurde, bevorzugen muss und nicht für mein Team da sein kann, wenn es mich braucht. Ich würde mich aber auch als eine unperfekte Ehefrau bezeichnen, da ich mich an so manchen Abenden mit Kunden und Projekten beschäftigen muss; und so betrachtet bin ich auch eine unperfekte Mutter, da ich es an Wochentagen häufig nicht schaffe, mein Baby zur Kita zu bringen oder es abzuholen.
So ist das Leben – wir können als Frau nie perfekt sein in all unseren Rollen, das Gleiche gilt auch für Männer. Allerdings hat die Gesellschaft hinsichtlich Familienleben deutlich mehr und höhere Erwartungen gegenüber Frauen.
Auf der anderen Seite kann ich auch behaupten: Ich bin eine perfekte Chefin, eine perfekte Ehefrau und eine perfekte Mutter … zu gewissen Zeitpunkten – jedoch bin ich nie perfekt in allen drei Rollen gleichzeitig.
Wie ich in die Zukunft blicke? – Gespannt! Die Unsicherheit und Ungewissheit sind für mich eher positiv, weil die Unsicherheit neue Optionen und neue Perspektiven verspricht.
YAMIN GU GRÖNINGER
Alter: 40
Nationalität: Vater & Mutter Chinesen
Funktion & Rolle: Partner, Markets & Business Development Lead EY Switzerland, Financial Services Switzerland
Wäre mein Leben ein Buch, würde der Titel wie folgt lauten: Flow
Businessfrauen Schweiz im Portrait – zuerst erschienen im Business Magazin für Frauen – Ladies Drive No 52 (3.9.2020)
Die Business Sisterhood der Schweiz, Deutschland und Österreich. #BusinessSisterhood
Wirtschaftsfrauen, Leadership, Frauen im Top-Management, Community First