Ich bin 1969 in Tokio geboren und besuchte bis 1980 eine japanische Schule.
Damals gab es in Tokio kaum „Hafu“ zu sehen, so nennen die Japaner die Mischlinge. Der Ausdruck kommt ursprünglich vom englischen Wort „half“, halb Japaner, halb Ausländer.
Damals war Japan von seiner Homogenität her noch deutlich stärker ausgeprägt.
Das Aussehen und das Verhalten der Menschen waren auffallend einheitlich, und es hatte wenig Platz für ein individuelles Auftreten. Äusserliche Vielfalt, Diversität und unterschiedliche Lebensstile fand man innerhalb der japanischen Gesellschaft selten. Japan ist ein monoethnisches Land.
So bin ich als Kind durch mein Aussehen mit europäischem Einfluss und dem westlichen Lebensstil zu Hause stets aufgefallen und aus dem Rahmen gefallen. Egal ob in der Schule, bei Freunden oder in der U-Bahn, die Blicke wendeten sich auf mein fremdartiges Wesen.
Es war für mich als Kind manchmal belastend, dass mich Fremde auf mein Äusseres ansprachen oder gar Fotos von mir machten.
Ich war in einer sehr glücklichen Lage, ein Land zu vertreten, nämlich die Schweiz, welches bei Japanern nur positive Eindrücke erweckte. Damals in den 1970ern lief täglich der Anime „Heidi“ im Fernsehen, die Erwachsenen lasen den Comic „Golgo 13“, wo der Hauptdarsteller ein Bankkonto in der Schweiz besass. Die Schweiz verkörperte die Natur, Sauberkeit, Neutralität und den Wohlstand.
Als Kind habe ich begonnen, das Fremdartige an mir als ein Tool anzusehen, um die Japaner zu unterhalten und zu beeindrucken. So fühlte ich mich wieder als Herrin der Situation, weil mein Anderssein plötzlich ein Asset darstellte.
In den Sommerferien habe ich das Leben in der Schweiz beobachtet, es mit dem japanischen verglichen und den Japanern davon erzählt.
Es wurde mir aber früh klar, dass ich und meine Schwestern in unserem Umkreis die einzigen dieser „Gattung“ waren und dass wir nie richtig zu den Japanern gehören würden.
Inzwischen ist Japan viel offener.
Als ich nach dem Gymnasium in Zürich 1989 nach Tokio zurückkehrte, um japanische Kunstgeschichte und Ästhetik zu studieren, war die Stadt bereits um einiges vielfältiger und toleranter. Die Flüge zwischen Japan und der Schweiz waren voll von „Hafu“.
Doch noch heute fordert das Leben in Japan eine starke Anpassung, um den gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen. Fast 80 Prozent meiner japanischen Freundinnen sind aus Japan ausgewandert oder mit einem Ausländer verheiratet. Sie wollten diesen Druck nicht weitertragen.
Gemeinsam Probleme lösen und zusammen als Einheit weiterkommen: Das ist das Credo in Japan, aber die Voraussetzung dafür ist die Zurückhaltung eigener Interessen und Rücksicht auf die Gruppe, zu welcher man gehört. Die Regeln sind unterschwellig und fein gegliedert.
Als ich mit meiner Familie 1981 nach Zürich zog, konnten die Kinder kaum Japan von China unterscheiden oder fragten, ob meine Mutter eine Geisha ist. Erst mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Japans in den 1980ern wuchs das allgemeine Interesse. Meine Mutter vermittelte in den 80ern moderne Kunst aus Japan in Zürich, und so wuchs ich als Teenager mit dem Reichtum japanischer Kunst und Kultur in Zürich auf. Das hat mir geholfen, die Werte japanischer Kultur zu kennen und diese in mir aufzunehmen.
Während dem Teenageralter in Zürich besuchte ich das Gymnasium und spielte dasselbe Spiel wie damals als Kind in Japan. Der Unterschied lag bloss darin, dass ich in Zürich mit der japanischen Karte spielte statt mit der schweizerischen. Ich erzählte über das Schulsystem und die Arbeitsweise, die ich in Tokio erlebte, und nutzte somit auch in der Schweiz meine Andersartigkeit, um mich in der neuen Umgebung zu positionieren.
Dieses „Spiel“ spielte ich eine ganze Weile auch später noch in meinem Berufsleben, bis ich eine Leere in dieser Performance zwischen Japan und der Schweiz spürte. Ich empfand eine starke Notwendigkeit, etwas ganz Eigenes aus den beiden unterschiedlichen Kulturen und meinen Erfahrungen zu schaffen.
So entschied ich mich dazu, meiner Leidenschaft, die ich seit der Kindheit pflegte, freien Lauf zu geben und an der St. Martins in London Modedesign zu studieren.
Sobald klar wurde, welchem Lebensinhalt und Interesse ich nachgehen möchte, rückte meine Herkunft in den Hintergrund und ich konnte einfach nur noch meiner Berufung, meinem inneren Ruf, nachgehen.
Die japanische Kunst und Kultur ist der Leitfaden meines Labels KAZU, aber es geht darum, dass ich daraus eine ganz eigenständige Kreativität schöpfe.
Die Unterschiede zwischen Japan und der Schweiz haben mir geholfen, als Modeschöpferin eine eigene Kultur aus meinen Hintergründen zu schaffen und meine positiven wie negativen Erfahrungen kreativ umzusetzen und damit wieder etwas Neues, Schönes zu erschaffen.
Die Perfektion bedeutet in meiner Arbeit übrigens das Ende der Kreativität. Die Perfektion lässt keine Chancen offen, weiter zu suchen, zu experimentieren und zu wagen. Die Perfektion ist ein Lustkiller. Die Perfektion ist wie ein Panzer, der den Zugang ins Wesentliche blockiert. Erst im Alter entdeckte ich die Freude und Kraft, die mir das Unperfekte schenkt. Als ich die Perfektion anstrebte, war ich einsam. Ich wusste nicht, wie viele Türen sich öffnen, wenn man eigene Fehler und Makel offenbart. Die Anziehungskraft des Unperfekten übertrifft die Perfektion. Sie schafft die Möglichkeit für Neues, was gemeinsam mit Menschen angepackt werden kann. Ja, ich bin unperfekt!
KAZU HUGGLER
Alter: 51
Nationalität: Vater Schweizer, Mutter Japanerin
Funktion & Rolle: KAZU & Gründerin, Designer
Wäre mein Leben ein Buch, würde der Titel wie folgt lauten: Textile transformations between Japan and Switzerland
Businessfrauen Schweiz im Portrait – zuerst erschienen im Business Magazin für Frauen – Ladies Drive No 52 (3.9.2020)
Die Business Sisterhood der Schweiz, Deutschland und Österreich. #BusinessSisterhood
Wirtschaftsfrauen, Leadership, Frauen im Top-Management, Community First