Emma Seppälä: die innere Freiheit zurückgewinnen

Interview: Claudia Gabler
Foto: Tony Rinaldo

Ladies Drive No. 69. Emma Seppälä. Foto: Tony Rinaldo
Ladies Drive No. 69 Cover: Die Macht & Magie emotionaler Worte

Was hält uns wirklich zurück? Ist es die gläserne Decke? Oder doch tief verwurzelte Glaubenssätze, Selbstzweifel und die Beziehung zu uns selbst?

Und welche Rolle spielt die Kommunikation bei der Entfaltung unseres vollen Potenzials? Emma Seppälä, Bestsellerautorin und Yale-Professorin, zeigt im Interview auf, wie Frauen ihre innere Souveränität zurückerlangen und was weibliche Führungsstärke ausmacht.


Ladies Drive: Sie haben kürzlich Ihr jüngstes Buch „Sovereign“ veröffentlicht. Was hat Sie zu diesem Buch und diesem Titel inspiriert?

Prof. Dr. Emma Seppälä: Ich bin Direktorin des Women’s Leadership Program an der Yale School of Management. Ich sehe diese Kohorten unglaublich talentierter weiblicher Führungskräfte, die unser Programm durchlaufen. Oft haben sie alles, was sie brauchen, aber das grösste Hindernis ist nicht die „gläserne Decke“ oder andere äussere Faktoren, sondern ihre eigene Beziehung zu sich selbst.

Können Sie uns das erläutern?

Ich habe 20 Jahre lang die Wissenschaft des Glücks studiert, aber mir wurde klar, dass es mehr braucht. Wenn man weiterhin Denk- und Verhaltensweisen pflegt, die nicht lebensfördernd sind, dann fehlt die innere Freiheit – die Fähigkeit, sich ohne Einschränkungen in seinem vollen Potenzial zu entfalten. Da es dafür keinen psycho­logischen Begriff gab, habe ich das Wort „Sovereign“ (Souveränität) gewählt – das be­deutet, innere Freiheit zu haben, zu erkennen, was einen zurückhält, und sich davon zu befreien. Das erfordert Mut und auch eine Steigerung der eigenen Lebens­energie. Wenn man eine volle „Energietankstelle“ und Mut hat, kann man ein Leben führen, das wahrhaftig ist – für sich selbst, aber auch als Geschenk für andere. Gerade in unserer chaotischen Zeit brauchen wir das dringend. Ich finde, es ist wichtiger denn je, dass Frauen ihr volles Potenzial ausschöpfen. Wenn jede Frau ihre innere Souveränität wirklich annehmen würde – die Welt würde sich verändern.

Kürzlich hatte ich einen Streit mit meinem Mann und habe alles andere als souverän reagiert. Warum passiert das – selbst Profis, die sich mit Glück und Kommunikation befassen?

Ich denke, das ist ganz normal. Wenn wir gestresst und ausgebrannt sind, übernehmen unsere emotionalen Trigger die Kon­trolle. Angst, Wut – all diese Emotionen gewinnen die Oberhand. Niemand kann in ausgebranntem Zustand sein Bestes geben. Aber durch tägliche Bewusstseinsarbeit kann man erreichen, dass man auch in er­schöpftem Zustand weniger heftig reagiert. Irgendwann verlieren Trigger ihre Macht. Das ist ein Prozess, an dem man konti­nuierlich arbeiten muss. In meinem Buch „Sovereign“ spreche ich darüber, wie wir unser Selbstbewusstsein stärken und unsere „Energietankstelle“ regelmässig auffüllen können.

Welche Werkzeuge empfehlen Sie zum Auffüllen der Energietankstelle?

Drei Tage ohne Schlaf – und jeder von uns verhält sich irrational. Schlaf, Meditation und andere kontemplative Aktivitäten sind der Schlüssel. Wenn jemand stark unter Angst leidet, kann Meditation schwierig sein – dann helfen Atemtechniken. Ich habe eine Atemtechnik erforscht, die sich Sky Breath Meditation nennt. Sie stammt aus Indien und wird von der Art of Living-Stiftung unterrichtet. Es ist eine fantastische Methode, die auch Führungskräfte anwenden. Diese Methoden helfen, innere Souveränität zu erlangen und das Nervensystem täglich zu trainieren. Emotionale Trigger werden schwächer, die Energie steigt und die Wahrnehmung wird schärfer.

Sollte jede Führungskraft meditieren?

Ich bin immer wieder schockiert, wie wenige Menschen meditieren – selbst unter Führungskräften. Dabei zeigen Studien, dass Meditation emotionale Intelligenz, ­Entscheidungsfähigkeit, Kreativität, Fokus, Gedächtnis, Beziehungen und sogar den Schlaf verbessert. Die Ausrede „Ich habe keine Zeit“ zählt nicht – man könnte stattdessen weniger Zeit mit dem Handy oder Fernsehen verbringen. Studien zeigen, dass Meditation sogar die Gehirnstruktur ver­ändert – sie verbessert Selbstwahrnehmung und emotionale Regulierung.

In der Geschäftswelt kommunizieren wir oft rational, vermeiden emotionale Spra­che, schämen uns sogar für unsere Gefühle – warum?

Das ist gesellschaftliche Konditionierung. Wir sind uns selbst gegenüber oft sehr kritisch – viel mehr als gegenüber unseren Liebsten. Das ergibt keinen Sinn. Selbstverurteilung hält uns klein. Es kann sein, dass das irgendwann für jemanden nützlich war, aber heute ist es nur destruktiv. Wut oder andere starke Emotionen zu unterdrücken, macht sie nur stärker. Kinder leben ihre Gefühle aus und sind nach ein paar Minuten wieder glücklich – Erwachsene unterdrücken sie oft ihr Leben lang. Souveränität bedeutet, Emotionen fliessen zu lassen, anstatt sie zu blockieren. Viele Erwachsene lenken sich ab – mit Arbeit, Alkohol, Social Media, Shopping … Aber das hält den Schmerz nur fest.

Gefühle werden oft als Schwäche interpretiert, und diese ist in unserer Arbeitswelt verpönt.

Ja, und das macht das Arbeitsleben oft leblos. Führungskräfte sollten Mitgefühl zeigen – das schafft Loyalität. Wenn ein Mitarbeitender mit einem kranken Kind im Krankenhaus war und der Chef ihn nach Hause schickt, um sich auszuruhen – das hinterlässt einen tiefen Eindruck.

Kann es gefährlich sein, als Führungskraft die eigene Verwundbarkeit zu zeigen?

Mitarbeitende durchschauen ihre Chefs. Wenn man Emotionen unterdrückt, spüren andere das. Offenheit und Authentizität sind besser. Wenn eine Führungskraft beispielsweise einen schlechten Tag hat, könnte sie sagen: „Hey Leute, ich hatte eine harte Nacht, falls ich heute gereizt bin, liegt es nicht an euch.“ Das entwaffnet und schafft Nähe.

Welche Rolle spielt Sprache für unsere Souveränität?

Eine grosse! Wenn wir uns selbst oder unser Handeln immer wieder negativ formulieren, zieht uns das runter. Das ist genauso wie in einem Arbeitsumfeld, in dem ständig nur auf Probleme und Fehler fokussiert wird – das mindert die Produktivität. Hingegen zeigen Studien, dass eine Unternehmenskultur, die nicht Schmerz oder Herausforderungen ignoriert, sondern Erfolge und positive Entwicklungen anerkennt, viel produktiver ist. Damit meine ich keine toxische Positivität im Sinne von: „Alles ist gut, wir schauen einfach nach vorne!“ Toxische Positivität blendet Schmerz und Schwierigkeiten aus. Nehmen wir an, ein Unternehmen musste viele Mitarbeiter entlassen. Es wäre falsch zu sagen: „Nun, ihr könnt euch glücklich schätzen, dass ihr noch euren Job habt – also Augen zu und durch!“ Stattdessen sollte man die Situation anerkennen: „Das ist eine sehr schwierige Lage, und es tut mir leid, dass es so gekommen ist. Aber nun sind wir hier, und ich möchte mit euch gemeinsam heraus­finden, wie wir weiterkommen können. Ich bin offen für eure Gedanken und möchte sicherstellen, dass sich jeder unterstützt fühlt.“ Es gibt Forschungen in der positiven Organisations­psychologie, die zeigen, dass Führungskräfte, die auf diese Weise kommunizieren, deutlich produktiver sind. Sie haben motivierte, engagierte Mitarbeitende mit glücklicheren Familien. Das ist die Zukunft der Führung.

Die Entwicklung scheint in eine andere Richtung zu gehen. Insbesondere in der Politik wird die Sprache aggressiver, in der Wirtschaft maskuliner – verbale Gewalt und Ausgrenzung scheinen salonfähig geworden zu sein. Was können wir dagegen tun?

Wir können andere nicht kontrollieren. Aber wir können entscheiden, wie wir selbst in der Welt auftreten. Wollen wir jemand sein, der andere stärkt, der Menschen das Gefühl gibt, akzeptiert zu sein, der Zugehörigkeit und Freude schafft? Jede Begegnung ist eine Gelegenheit, andere zu erheben – oder eben nicht. Man könnte denken: „Ach, ich bin doch nur eine einzelne Person, nicht so einflussreich wie ein grosser Politiker.“ Aber Studien zeigen, dass Freundlichkeit wellenförmig wirkt. Wenn Sie freundlich sind, wirkt sich das auf die Menschen um Sie herum aus. Der Freund Ihres Partners oder die Ehefrau Ihres Kollegen – sie alle werden davon beeinflusst. Wenn Sie glücklich sind, wenn Sie meditieren und gut für sich sorgen, dann ist das nicht egoistisch, sondern altruistisch. Denn Ihr Wohlbefinden überträgt sich auf Ihre Kinder, Ihren Partner, Ihre Kollegen. Das bedeutet, dass unser ei­genes Verhalten Auswirkungen auf unsere gesamte Gemeinschaft hat.


Emma Seppälä, Ph. D.

Ladies Drive No. 69. Emma Seppälä. Foto: Tony Rinaldo
Emma Seppälä.
Foto: Tony Rinaldo

Emma Seppälä, Ph. D. ist Wissenschaftlerin und Dozentin an der Yale University, Bestsellerautorin und internationale Keynote-Speakerin. Sie unterrichtet Leadership an der Yale School of Management und ist die Bestseller­autorin von „The Happiness Track“ (2017) und „Sovereign“ (2024). Zudem ist sie Wissenschaftliche Direktorin des Center for Compassion and Altruism Research and Education an der Stanford University.


Creator
Claudia Gabler
Beitragsautorin

Veröffentlicht am April 28, 2025
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