Annemarie Widmer ist Inhaberin, Verwaltungsratspräsidentin und CEO der Firma Louis Widmer SA. Das Unternehmen mit Sitz in Schlieren ist ein international tätiges Schweizer Kosmetik- und Pharmaunternehmen in den Bereichen Hautpflege und Dermatologie mit rund 250 Mitarbeitenden.
Ich erhole mich vielseitig und flexibel, je nachdem, was die Situation gerade zulässt. Spazieren an der frischen Luft ist eine erholsame Atempause, um zu neuen Kräften zu gelangen. Oder komplette Ablenkung, um richtig Distanz zu gewinnen. Das geht am besten mit den Kindern, sie lieben hundertprozentige Achtsamkeit, und dies ist heilsam für mich. Zudem geben mir Menschen Halt, die mich gut kennen und die ungeniert ehrlich sind.
Eine gute Übung ist zudem, sich im Theater des Lebens in den ersten Balkon zu setzen und aus einiger Entfernung die Szene oder Situation zu betrachten. Oft hilft einem dies, verschiedene Blickwinkel zu erlangen und ein „Gnusch“ in seine Einzelteile zu zerlegen, um klarer zu sehen.
Ich wähle meine Sparringspartner übrigens dezidiert aus, je nach Thematik beziehungsweise Emotionalität. Dies heisst nicht, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, sondern den, wo ich am ehesten lernen oder Orientierung finden kann. Es ist ein kleiner Kreis aus Business Sisters, Freunden, Vertrauten aus meinem beruflichen wie privaten Umfeld und natürlich meinem Mann.
In unsicheren Zeiten zu führen verlangt einem viel ab. Nicht nur emotional, sondern auch seelisch und körperlich. So war zum Beispiel die Pandemie eine meiner ermüdendsten und herausforderndsten Zeiten als Leaderin. Es war eine Zeit voller Unsicherheiten gepaart mit meiner persönlichen Angst, unser Unternehmen nicht sicher durch diese unsicheren Zeiten zu führen, im Wissen, dass über 250 Mitarbeitende mit ihren Familien davon abhängig sind – der Druck war enorm. Gegenüber meinen Mitarbeitenden habe ich versucht, Unsicherheiten zu minimieren, indem ich authentisch, transparent und ehrlich kommuniziert und hohe Präsenz gezeigt habe. Offenheit und Transparenz waren meine wichtigsten Prämissen. Eigentlich schlichte Dinge, aber von entscheidender Wichtigkeit. Zudem ist es für mich ganz wichtig, ein kompetentes Leadership-Team zur Seite zu haben, das vertrauensvoll miteinander arbeitet und das gleiche Wertesystem teilt.
Eine ideale Basis für harte Zeiten wäre, wenn man es schafft, körperlich und seelisch – nur als Mensch – im Gleichgewicht zu sein; daran kann ich noch arbeiten…
Sicherheit gibt es mir, wenn ich mich fokussiere. Sich seiner Werte und seinem Zweck bewusst zu sein, als Unternehmen und als Leadership-Team. Sich immer wieder zu fragen, ob man noch im Sinne der Kundin, des Konsumenten, der Mitarbeitenden, des Unternehmenszwecks agiert. Das Unternehmen muss zudem laufend mit Wissen „gefüllt“ werden, was es uns erlaubt, zu agieren, anstatt lediglich zu reagieren.
Als Familienunternehmen haben wir eine sehr flache Hierarchie, die die Entscheidungswege unkompliziert und kurz macht. Dies und der Aspekt, dass wir 100 Prozent eigenfinanziert und somit frei in unserem Denken und Handeln sind, schaffen uns eine hohe Agilität und Möglichkeiten, auf Veränderungen von innen und aussen einzugehen.
Mein wichtigster Tipp als Unternehmerin, Ehefrau, Mutter und Frau: Offenheit zum Austausch mit Leuten in ähnlichen beruflichen oder privaten Situationen. Man hat Angst, sich zu öffnen und dadurch verletzbar zu machen? Sei gewiss: Du kannst nur gewinnen!
Wir sollten als Mitgestalter von Unternehmen darum bemüht sein, einen möglichst hohen Grad an Individualität und dadurch gewonnener Diversität zuzulassen, was sich positiv auf das wirtschaftliche Ergebnis einer Unternehmung auswirkt. Für das Funktionieren von Teams mit einer hohen Diversität braucht man faire, bekannte Spielregeln, ein gemeinsames Ziel oder einen gemeinsamen Zweck, Offenheit und eine Führungskultur, in der man sich einbringen kann und entlang seiner Fähigkeiten gefördert und gefordert wird.
Aus Organisationssicht erachte ich Stabilität durch weitsichtiges Handeln als unabdingbar. Als Schweizer Familienunternehmen leben wir Nachhaltigkeit über alle Unternehmensebenen hinweg, seit 1960. Sei es beispielsweise auf Produktebene mit einem überschaubaren, sinnvollen und relevanten Sortiment, auf der Stufe der Personalstrategie oder bei Investitionen, bei unserem Engagement in sozialen Projekten oder unserer Personalfürsorgestiftung, die wir für Härtefälle bei unseren Mitarbeitenden eingerichtet haben. Diese strategisch langfristige Ausrichtung bringt unseren Mitarbeitenden Sicherheit, was wiederum Verbundenheit fördert und dadurch zu einer grossen Loyalität führt. Und dies ist neben qualitativ hochwertigen Produkten und einem partnerschaftlichen Umgang mit dem Fachhandel unser wichtigster Erfolgsfaktor: jede einzelne Mitarbeiterin und jeder einzelne Mitarbeiter.
Gerade in wirtschaftlich und politisch unsicheren Zeiten geben verlässliche Strukturen Halt. Wir sind sehr stolz darauf, seit 1960 noch nie aus wirtschaftlichen Gründen Personal entlassen zu haben, und dies international.
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