Sylvia Epaillard: digitale Macherin

Interview: Claudia Gabler
Foto: Fabrice Labit

Ladies Drive No 68. Sylvia Epaillard: digitale Macherin
Ladies Drive Magazine
Wie die Pionierin im digitalen Business von der Buchdruckerei zu Google und in die Welt der digitalen Transformation fand, die Kunst entdeckte, traditionelles Business in die digitale Welt zu übersetzen, und warum es schlau sein kann, den Feind zum Freund zu machen.

Sylvia Epaillard ist Co-CEO bei Interhome, einem Schweizer Touristikunternehmen, das zur Hotelplan Group gehört und auf die Vermietung von Ferienwohnungen und -häusern spezialisiert ist. Die Digitalexpertin setzt auf Kooperation, Nachhaltigkeit und Service, um Kundenherzen höherschlagen zu lassen.


Ladies Drive: Sie sind eine Macherin im digitalen Business. Wie kam es dazu?

Sylvia Epaillard: Als junges Mädchen hatte ich durch meinen Vater, der an der Universität arbeitete, Zugang zu den Computerräumen und zum Internet. Ich habe viele Nachmittage mit Freundinnen dort verbracht, nach Gitarrenliedern und Erklärungen für Songtexte gesucht. Das war mein Einstieg in die grosse, weite digitale Welt. Später habe ich Romanistik, Kommunikationswissenschaften und Informatik studiert – eine ungewöhnliche Kombination. Aber ich wollte Romanistik mit etwas Handfestem, Technischem ergänzen.

War Ihre berufliche Karriere von Anfang an digital?

Ich bin im Nichtdigitalen gestartet: in einem Buchdruckunternehmen. Ich mochte das sehr! Doch dann hat Google angerufen. Sie haben Talente in ganz Europa für das Suchmaschinenmarketing gesucht. Das war faszinierend, und mir war klar: Das will ich!

Was hat die Google-Zeit mit Ihnen gemacht?

Die Google-Welt hat mir wahnsinnig viele Perspektiven eröffnet. Ich war in Kontakt mit Hunderten von Start-ups, die Millionen­beträge für digitale Werbung ausgeben konnten. Es war sehr spannend, diese Unternehmen mit ihren diversen und neu geschaffenen Online-Geschäftsmodellen zu begleiten.

Was hat Sie in die Schweiz getragen?

Mein Mann und ich lebten fünf Jahre in einer Fernbeziehung zwischen Deutschland, Paris, London und Dublin. Dann ent­schlossen wir uns, zusammen in die Schweiz zu ziehen, wo unsere Kinder sowohl Französisch als auch Deutsch – die Muttersprachen ihrer Eltern – sprechen konnten. Bei Miniclip fand ich eine spannende Stelle. Das war mein Start in die Online-Gaming-Welt. Ich liebte das Start-up-Feeling, konnte meine Erfahrungen von Google einbringen und die Strukturen optimieren. Danach konnte ich bei TX Group die Digitalisierung der Operations für die gesamte Gruppe vorantreiben. Das war eine spannende Aufgabe, denn hier war die Herausforderung, sich aus der traditionellen Welt kom­­mend zu innovieren. Ich liebe diesen Grenzbereich zwischen alter und neuer Welt. Ich weiss, wie schwer es ist, etwas von Grund auf zu erschaffen. Gleichzeitig schätze ich den riesigen Wert von bereits Bestehendem – eine Marke, begeisterte Menschen, eine Geschichte, ein Produkt, das man kennt. Das Bewährte in die digitale Welt zu bringen fasziniert mich mehr, als in rein digitalen Bereichen zu wirken. Ob Verlag, Versicherung oder Gaming: Die Herausforderungen der Digitalisierung sind über verschiedene Industrien hinweg sehr ähnlich. Lösungen für optimale Kunden­erlebnisse sind der rote Faden, der sich durch meinen beruflichen Werdegang zieht.

Wie ist dieser rote Faden beziehungsweise die Formel für optimale Kundenerlebnisse in der digitalen Welt?

Kundinnen und Kunden suchen etwas – eine Lösung, einen Service oder ein Produkt – und wünschen eine schnelle Antwort. Diese kann von einem Chatbot kommen, der sehr schnell gute Antworten liefert, oder auch von einer empathischen Mitarbeitenden gegeben werden. Eine gute Customer Experience ist die richtige Antwort in der richtigen Situation für die richtige Kundin. Dieses Erlebnis muss menschzentriert und skalierbar sein.

Was bedeutet Human-Centered Design bei Interhome?

Wir beobachten, wie sich die Kundschaft im Internet bewegt, lassen Testgruppen auf der Website scrollen, bitten um Feedback. Zudem befragen wir unsere Kundschaft, um zu überprüfen, wie wir wahrgenommen werden und was ihr wichtig ist. Dabei ist wichtig zu verstehen: Wir haben zwei Kundengruppen: unsere Gäste und die Eigentümerschaft. Letztere betrachten wir als primäre Kundengruppe, weil wir uns hier mit einer kompletten Serviceleistung von anderen Plattformen unterscheiden. Beide Gruppen haben ihre Ansprüche an die Digitalisierung und die Customer Experience.

Wie gehen Sie vor, um beide Kundengruppen zu begeistern?

Um beide Kundengruppen zu überzeugen, ist es entscheidend, dass wir im Alltag als zuverlässiger Partner für sie da sind und unser operatives Geschäft reibungslos funktioniert: Concierge- und Reparaturleistungen am Haus, Immobilienentwicklung, Reinigung. Hinzu kommt die innovative Welt, in der wir den operativen Alltag überdenken und hinterfragen, um unseren Anspruchsgruppen zusätzlichen Mehrwert zu bieten. Hierfür arbeiten wir in Scrum-Teams mit Objectives and Key Results (OKR). Die agile Arbeitsweise macht eine sehr innovative Lösungsfindung möglich. Zudem leisten wir uns einen CRIO, einen Chief Revenue and Innovation Officer. Das beflügelt die Innovation, die im Unternehmen ohnehin vorhanden ist.

Gibt es schon erste Leuchtturmprojekte?

Wir haben die Gäste-Log-in-Portale optimiert und sind gerade dran, die Services dahinter zu gestalten. Für unsere Eigen­tümer:innen haben wir ein eigenes Portal einschliesslich inter­aktiver Web-App mit einer Übersicht über ihre Auslastung, Finanzdaten und Leistung entwickelt. Die Ferienhausbesitzerinnen und -besitzer können hier bestimmte Einstellungen konfigurieren, Pricing-Logiken anpassen und die Rückmeldungen der Gäste einsehen. Diese Transparenz wird sehr geschätzt. Neu lancieren wir auch das Ecomodation-Label. Zusammen mit Universitäten haben wir Kriterien definiert, um die Wohnungen und Häuser zu zertifizieren. Da steckt viel Arbeit dahinter, aber auch Innovation und Differenzierung! Die Nachhaltigkeit unserer Ferienhäuser und -wohnungen ist uns sehr wichtig, und wir unterstützen die Hauseigentümer:innen aktiv dabei.

Interhome wurde 1965 gegründet. In den letzten 20 Jahren sind globale Wettbewerber wie Airbnb, Booking.com, HomeToGo etc. auf dem Bildschirm erschienen. Wie sind Sie mit den Wettbewerbern umgegangen?

Wir sehen sie als Partnerunternehmen. Wir verfolgen eine Multi-Kanal-Distributionsstrategie, die sowohl auf verschiedene Partnerunternehmen als auch unser eigenes B2C-Geschäft, also unser Direktgeschäft, setzt. Zudem legen wir grossen Wert auf ein optimales Eigentümermanagement und den exzellenten Service vor Ort – denn genau in diesen Bereichen heben wir uns von den grossen Online Travel Agencies (OTAs) ab. Jede Plattform hat ihre eigenen Kundenstämme, und unsere Aufgabe besteht darin, sie mit innovativen Technologien zu steuern. Der Direktkanal muss immer das beste Angebot haben. Das ist eine Herausforderung, denn jede OTA hätte natürlich auch gern das beste Angebot, das sich aus Preis, Stornobedingungen, Bezahlmöglichkeiten, Früh­buchertarifen, Buchungserlebnis etc. zusammensetzt. Und natürlich lernen wir auch von den Plattformen. Was können sie gut? Wo können wir unsere Kundschaft mit einem attraktiven Angebot begeistern?

Ihre Wettbewerber sind Ihre Partner – das klingt kontraintuitiv …

Ich wage sogar zu behaupten, dass wir ohne sie nicht mehr da wären. Die Plattformen wachsen exorbitant und schnell. Interhome hat in dem Kontext drei Möglichkeiten: Klein bleiben und eines Tages verschwinden. Oder mit den grossen Plattformen zusammenarbeiten. Oder sehr viel Geld bezahlen für teuren Werbeeinkauf. Es gibt Beispiele, die zeigen, dass es gar nicht so einfach ist, über Google und Werbung zu skalieren. Am Ende ist dieser Weg viel teurer, als mit den Plattformen partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Wir haben diesen Weg gewählt und werden ihn auch mit neuen Partnern intensivieren. Zusätzlich möchten wir über unseren Direktkanal ein einzigartiges Angebot schaffen, das es sonst nirgendwo gibt.

Wenn ich verreise, stelle ich meine Reise mit Tripadvisor zusammen. Mein Bonuskind plant seine Reisen mit TikTok, meine Freundin mit ChatGPT. Was kommt als Nächstes?

Die Zeiten, in denen jemand etwas googelt und dann auf ein Banner klickt, sind vorbei. Als Spezialisten für Ferien im Ferienhaus müssen wir viel tiefer integriert sein in die sozialen Medien und die aufkommenden Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz nutzen. Ich bräuchte ein ganzes Team nur für TikTok. Das habe ich noch nicht. Womit wir heute schon überzeugen, ist unser guter Service, sowohl in der digitalen Customer Journey als auch vor Ort, sodass unsere Kundschaft eine emotionale Bindung zu uns entwickelt und gern mit uns bucht. Entscheidend ist, dass wir diesen Service standardisieren und über alle Kanäle hinweg konsistent sicherstellen. So wissen unsere Kund:innen immer, was sie erwarten können, und die positive Erfahrung ist über alle Kontaktpunkte hinweg gewährleistet.

Stichwort Social Media: Heute kann jeder zum Maker werden, zum Creator, der seine Häuser, Wohnungen, Produkte, Services über das Internet vertreibt. Das macht uns zu aktiven Agentinnen. Jeder Mensch mit Internetzugang hat einen Maker-Rucksack dabei. Wo sehen Sie hier die Chancen und Gefahren?

Zum einen sehe ich ein riesiges Potenzial für uns als Interhome, was „Workation“ betrifft. Eine Geschäftsidee in einer Ferien­wohnung an einer Traumlocation zu entwickeln oder ein Remote-­Business aufzubauen – dafür haben wir natürlich ein tolles Produkt. Zudem eröffnen sich heute viel mehr Möglichkeiten, im Ausland in Wohnungen oder Häuser zu investieren. Wir trauen uns das zu, weil wir zu globalen Bürger:innen geworden sind und auch sehr früh weit reisen. Das ist toll! Die Herausforderung für uns als Interhome ist, dass die Menschen ihre Ferienwohnungen selbst managen und uns nicht mehr brauchen. Das funktioniert vielleicht sogar an den Top-Spots an der Côte d’Azur im Sommer. Aber ab dem Moment, wo man die Immobilie nicht selbst bewirtschaften möchte, nicht vor Ort wohnt, sich nicht mit Handwerkern und Versicherungen herumschlagen möchte, sind wir zur Stelle. Wir bieten Zugang zu einem Mix an Plattformen, die Einzelpersonen nicht erreichen. Um eine Immobilie gut zu belegen, braucht es mindestens zehn Plattformen – wir kooperieren mit Tausenden.

Welche Macherinnen-Qualitäten zeichnen Sie persönlich aus?

Ich habe Energie, Kreativität und kann mich schnell begeistern. Das hilft, auch in schwierigen Umfeldern Visionen zu schaffen, bei der Sache zu bleiben und mit positiver Energie da zu sein. Und ich war in vielen Industrien tätig, habe in verschiedenen Ländern gelebt, spreche die Sprachen, verstehe das System. Meine Kinder sind in verschiedenen Ländern geboren und aufgewachsen. Dadurch entstehen Perspektiven, und durch die Interdisziplinarität entdecke ich sogar „Blue Oceans“, neue Marktfelder oder Geschäftsideen.

Waren Sie schon immer so mutig?

Ich bin eigentlich eine eher ängstliche Person (lacht). Aber wenn es um Kreativität im Job geht, kenne ich keine Angst. Ich wurde in vielerlei Hinsicht ermutigt und unterstützt. Mein Vater legte grossen Wert darauf, meinen Bruder und mich gleichberechtigt zu erziehen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre ich Elektrotechnikerin geworden. Das war mir dann doch zu viel (lacht). Meine Eltern haben mich früh auf Reisen und ins Ausland geschickt und mir mitgegeben: „Alles ist möglich.“ Die Welt da draussen hat mich immer neugierig gemacht – das ist bis heute so. Ich freue mich auf das, was kommt!

Haben Sie drei Tipps für unsere Leserinnen, die aus einem traditionellen Business kommen: Wie schafft man es, Human-Centered Design im Unternehmen zu etablieren, um auch in der digitalen Welt erfolgreich zu bestehen?

  1. Kundenorientierung und Service vorleben,
  2. einen Blick in den Markt werfen und Chancen in veränderten Kundenbedürfnissen erkennen,
  3. Mitarbeitende befähigen.

Das sieht man von aussen nicht, aber Menschen mit den Kompetenzen, Prozessen und Tools auszustatten, mit denen sie besser und schneller arbeiten können, ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Die Employee Experience ist genauso wichtig wie die Customer Experience.

www.interhome.ch

Veröffentlicht am Januar 04, 2025
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