Ihr Traum: Sie bewirbt sich als Astronautin; wir werden die Mission verfolgen. Genau das haben wir. Wir erwischen Lavinia mitten in ihren Vorbereitungen auf die League of Leading Ladies Conference 2024, wo sie einen Workshop hielt. Wir wollten wissen, wie es dieser Powerfrau und Gewinnerin unseres „Empowering Women Award 2023“ geht. Eigentlich wäre schon der Weg, wie Lavinia Heisenberg und ich für dieses Interview einen gemeinsamen Termin für einen Zoomcall gefunden haben, eine Story wert. We are not Superwomen, haben beide unsere alltäglichen tausendundeins Dinge. Zwischen Forschung, Recherche, Baby, Deadlines, Familientragödien und sonstigen Ablenkungen einen Slot zu finden war Quantenphysik!
Jetzt hat es geklappt, die Gewinnerin unseres letztjährigen Empowering Female Award, Prof. Dr. Lavinia Heisenberg, seit zweieinhalb Jahren Core Member of the Diversity-Equality-Inclusion Committee der European Space Agency ESA und Professorin für Physik an der ETH Zürich, hat kurz Zeit. Das Zoomfenster öffnet, und Lavinia erscheint – logisch – mit dem Universum als Hintergrund.
Ladies Drive: Du hast einen starken Eindruck hinterlassen bei mir mit deiner Keynote vor drei Jahren am Female Innovation Forum. Und geblieben ist mir eindrücklich, dass du unbedingt ins All wolltest. Und da bist du jetzt!
Lavinia: Genau. Zumindest auf eine virtuelle Art und Weise.
Wie geht es dir?
Gut. Es sind gerade so ein bisschen schwierige Zeiten, weil ich ein Neugeborenes habe. Mein Leben ist aktuell etwas auf den Kopf gestellt.
Hast du erwartet, dass es so kommt?
Nein. Ich glaube, man ist auf so was nie wirklich vorbereitet. Und keiner erzählt dir auch wirklich, was das bedeutet. Alle sagen zwar, es ist schwierig und das und das wird auf dich zukommen, schlaflose Nächte. Aber keiner sagt wirklich so richtig, was damit gemeint ist. Bis man es selbst erlebt. Gerade in dieser Anfangsphase, wenn man daran gewöhnt ist, ein Arbeitstier zu sein, und immer die ganze Zeit nur für sich gearbeitet hat. Jetzt ist da jemand, der sich zu 100 Prozent nur auf dich verlässt. Sagen wir es mal so: Es ist so eine komische Umstellung.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man mir zwar Dinge gesagt hat, aber ich sie nicht hören wollte. Man blendet das Wie aus, denkt, das kommt schon gut. Das machen ja Millionen andere Frauen auch.
Stimmt, aber was das genau bedeutet – man hat keinen Vergleich, oder man versteht nicht mal, was das bedeutet.
Nein, das hat man ja auch noch nie erlebt. Und jede erlebt das anders.
Ich habe ganz neue Seiten an mir entdeckt. Dass ich auf diese Weise ticke, dass ich so empfinden würde. Ach, ich hatte keine Ahnung.
Gibt es irgendwas, was dir auch Angst macht?
Ja. Ich habe mich zum Beispiel in der Anfangsphase schon sehr ängstlich erlebt. Ich hatte die ganze Zeit Angst um ihn. Ich musste immer irgendwie gucken: Geht es ihm gut? Ich konnte nicht einschlafen, obwohl er ruhig und friedlich war. Und ich habe die ganze Zeit seinen Atem beobachtet, das war wie Paranoia, ich war wirklich total von Angst erfüllt. Ich war vorher nie eine ängstliche Person gewesen. Ganz im Gegenteil. Ich habe das Leben immer einfach an den Haaren gepackt und habe alles durchgezogen. Aber da ist jetzt dieses unschuldige und sensible Lebewesen, das komplett von dir abhängig ist.
Verändert das deine Sicht auf deine Zukunft? Auf deine Pläne?
Ich habe gemerkt, dass es auf jeden Fall meine Prioritäten geshiftet hat. Er ist gerade mal vier Monate alt. Die ersten drei Monate waren ein reiner Kampf zwischen Koliken und Schreianfällen und Übermüdungserscheinungen. Alles Mögliche. Vor allem die Koliken sind wirklich sehr schwierig gewesen. Ich glaube, dass ich mich momentan ein bisschen verloren habe. Das, was mich ausgemacht hat. Aber ich habe immer noch die Zuversicht, dass die Normalität wieder zurückkehren wird. Aber natürlich, meine Prioritäten haben sich geändert. Er kommt jetzt ganz oben auf dieser Liste.
Aber du willst immer noch ins All?
Ja, ich möchte natürlich schon. Aber ich bin mit der Zeit schon viel realistischer geworden. Dass es sehr schwierig ist. Es gab Wettbewerbe, bei denen ich es schon unter die letzten 30 geschafft habe. Aber unter die auserwählten fünf zu kommen, die sich dann tatsächlich für eine Mission vorbereiten, das ist wirklich sehr schwierig zu schaffen. Der Traum, der Wunsch bleibt, aber ein bisschen Realitätsbezug zu haben bringt einem auch eine andere Perspektive. Es ist nicht so, dass man pessimistisch geworden ist. Wenn ich nicht ins All fliegen kann, dann kann ich andere Arbeiten durchführen, die irgendwas mit Human Space Exploration zu tun haben. So versuche ich, meine Verbindung zu dem Traum nicht ganz zu verlieren.
Was ist dein momentaner Status? Mein letzter Stand war, dass du an der ETH Zürich bist, als Professorin an der Uni mit einem Lehrauftrag.
Als Wissenschaftlerin hat man manchmal mehrere Affiliationen. Ich habe jetzt meine Hauptaffiliation an der Uni Heidelberg, lebe aber hier in Zürich mit meinem Partner und meinem Baby Leo. Während der Semester pendle ich zwischen der ETH und der Uni Heidelberg.
Du bist an der letztjährigen League of Leading Ladies Conference 2023 mit dem Empowering Women Award ausgezeichnet worden. Bist du dir bewusst, dass du Frauen stärker machst?
Es gibt viele Dinge, die ich sehr bewusst mache. Natürlich, weil ich selbst eine Frau bin in dieser noch sehr stark männerdominierten Welt. Und als Frau musste ich selbst viele Sachen durchmachen oder mache sie immer noch durch. Wenn man mit dieser Perspektive kommt, macht man bewusst und sehr aktiv gewisse Dinge, um anderen Frauen ein bisschen zu helfen oder sie zu unterstützen. Auch, um das ein bisschen zu kompensieren. So etwas wie positiver Bias oder positive Diskriminierung, sozusagen.
Was sind das für Frauen um dich herum, die du beeinflusst?
Von Bachelorstudentinnen über Masterstudentinnen, PhD-Studentinnen, Post-Docs bis hin zu Senior Scientists, also schon auf sehr vielen Ebenen.
Was bringen einer ambitionierten Wissenschaftlerin, wie du eine bist, solche Awards?
Für mich als Person sind sie nicht so wichtig. Ich bin nicht darauf aus, so viele Auszeichnungen wie möglich zu sammeln. Aber um in der Gesellschaft ein Gefühl oder Bewusstsein für dieses Thema zu entwickeln, ist es gut, sanft in diese Richtung zu pushen. Ich habe auch über meine anderen Forschungspreise viel Visibility bekommen. Ich habe mich über den Empowering Women Award gefreut, aber wenn man dann sieht, da ist eine Frau, die sich gezielt für andere Frauen bemühen muss, das heisst doch eigentlich, dass im System noch nicht ganz so alles gut und glatt läuft. Da muss man vielleicht doch zweimal hinschauen. Ich sehe so einen Award als Chance, Visibility und Bewusstsein für solche Probleme zu schaffen, zu vermitteln, dass es immer noch aktuell ist. Und vielleicht ist es sogar für andere Frauen eine Motivation, anderen Frauen zu helfen, ganz banal gesagt.
Du hast anfangs sehr offen über deine momentane Situation gesprochen. Bist du so offen und authentisch auch zu den Frauen in deinem Umfeld? Sagst du, wie es wirklich ist in deiner Welt, in der Welt der Forschung? Wie ist es, wenn man praktisch ganz oben angelangt ist? Nimmst du da kein Blatt vor den Mund?
Ich hatte eine PhD-Studentin, die unter einer gewissen Diskriminierung gelitten hat. Sie hatte einen anderen Supervisor und wurde nach eineinhalb Jahren im Stich gelassen. Ich wurde kontaktiert, um ihr zu helfen. Ich habe sie aufgenommen, habe gesehen, wie viel Potenzial in ihr steckt, und habe versucht, sie so gut ich konnte zu unterstützen.
Weisst du, warum sie diskriminiert wurde?
Es gab verschiedene Gründe, aber sie war natürlich in einer Umgebung, die sehr von „alten, weissen Männern“ dominiert war, das hat sehr viele Nachteile mit sich gebracht. Und sie hatte auch konkrete Probleme mit dem Supervisor. Anfangs hat sie mir all ihre Ängste und Unsicherheiten mitgeteilt. Ich konnte ihr sagen, du, ich bin genau durch diesen Weg gegangen. Auch ich bin manchmal unsicher. Ich habe alles offen mit ihr geteilt, und anscheinend hat sie das sehr wertgeschätzt. Anstatt ihr dieses starke Vorbild vorzuspielen, habe ich authentisch mitgeteilt, dass ich nichts Besonderes bin und all diese Schwierigkeiten auch gehabt habe.
Ich hatte ganz viele Unsicherheiten und nicht wirklich viel Selbstbewusstsein.
Ich konnte ihr vermitteln, dass das ganz normal ist und dass sie da durch kann.
Das ist erstaunlich, denn so, wie ich dich erlebt habe auf der Bühne, würde man nie vermuten, dass eine Frau wie du Unsicherheiten hat. Glaubst du, dass das für Leader an sich, also so wie du eine bist, eher positiv ist, oder kann das auch negativ sein, dass man, wenn man Schwächen zeigt, auch angreifbar wird?
Absolut nicht. Es gibt ganz verschiedene Leadership-Modelle, oder? In der Vergangenheit gab es diese typischen, hierarchischen Modelle, wo du genau gesagt bekommen hast, was du machen sollst, und dieses Menschliche ganz, ganz hinten stand. Jetzt gibt es Servant-Leadership. Dass du deiner Gruppe dienen sollst und dass du denen auf so vielen Ebenen, auch auf der menschlichen Ebene, entgegenkommen sollst. Meiner Meinung nach kannst du dadurch Teams kreieren, die so viel kreativer sein können und die so viel mehr auch schaffen können. Natürlich hängt das auch ein bisschen von der Persönlichkeit ab. Aber wenn jemand von sich aus so eine Persönlichkeit hat, die Schwächen anderer Menschen zu nutzen oder zu verwenden, sozusagen gegen sie, ist das für mich eigentlich kein guter Mensch. Und so einen Menschen sollte man nicht in der Umgebung haben.
Verändert sich das Wording, wenn man eher emotionaler führt als hierarchisch oder dogmatisch?
Es gibt einen komplett anderen Wortschatz. Es gibt andere Ausdrucksweisen, man nutzt eine andere Körpersprache. Und ich glaube, der komplette Umgang ist anders.
Bist du jemand, der auf Augenhöhe mit den Studierenden und Doktoranden kommuniziert?
Auf jeden Fall!
Und alle können kommen, wenn sie neuere oder andere Erkenntnisse haben als du?
Sicher! Die können sogar gegen mich und mit mir gegen meine „blöde“ Theorie diskutieren!
Hast du eine neue Relativitätstheorie entdeckt?
Ja, also – ich habe da so ein paar … (lächelt). Ich habe zum Beispiel eine Theorie, die die Einstein’sche Theorie einfach anders darstellt und andere Perspektiven dazu gibt. Und ich habe auch Schwerkrafttheorien, die die Einstein’sche Theorie sogar modifiziert.
Das ist revolutionär, oder? Das stellt ja das Weltbild infrage, unsere Empfindung von Zeit und von Raum.
Der Grund, weswegen man ein bisschen darüber hinausgehen will, ist, dass die Beobachtungen um uns herum zeigen, dass die Einstein’sche Theorie an ihre Grenzen stösst. So wie damals die Newton’sche Theorie das auch für ihn, Einstein, der Fall war. Und klar, je nachdem, wenn man da sehr konservativ ist, dann gibt es diese Einstellung, how dare you, oder? So nach dem Motto: Das haben wir schon seit 100 Jahren, und wozu sollen wir denn was anderes machen?
Hast du noch einen wichtigen Gedanken, den du mit uns teilen möchtest?
In gewissen Gebieten, wo es immer noch so von Männern dominiert ist, müssen Frauen doch ein Stückchen länger laufen und sich ein Stückchen mehr Mühe geben und müssen diese Superwomen spielen. Es ist viel, viel mühsamer. Als Mann hätte man nur ein Drittel davon gemacht, und das war schon gut genug, oder? Aber man hat keine andere Wahl. Es wird einem ja aufgezwungen. Und um auf eine gewisse Art und Weise irgendwo anzukommen, musst du manchmal diese Superwoman sein, aber das heisst nicht, dass du nicht auch verletzlich bist oder dass du nicht auch diese andere, die menschliche Seite hast.
Weiterführende Infos:
Institute for Theoretical Physics – Prof. Lavinia Heisenbergs‘ group