Wachstum. Skalieren des Geschäfts. Zwei Dinge, die die meisten Unternehmen anstreben. Eine gute Idee zu haben ist das eine. Sie in die Wirklichkeit umzusetzen und dann auch noch zu skalieren, wachsen zu lassen, zu internationalisieren steht noch mal auf einem ganz anderen Blatt. Denn Letzteres braucht meistens jede Menge Geld. Unzählige Unternehmen zahlen auf dem Weg des Wachstums zu einer internationalen oder gar globalen Marke unfassbar viel Lehrgeld. Muss nicht sein. Wenn man jemanden kennt, der den Dreh raushat. So wie die gebürtige Lettin Olesja Becker.
Seit zwölf Jahren ist sie in Deutschland als Unternehmerin im Bereich Cross-Border E-Commerce unterwegs – und das mit enormem Erfolg – und betreut unter anderem das deutsche Schmucklabel PURELEI, welches sie bei der Internationalisierung begleitet, ebenso wie zuvor Best Secret – die Online-Fashion-Community für Schnäppchenjäger von Designermode. 2022 folgte ihr eigenes Label Leslis: hochwertige Bettwäsche für Kids, was im Übrigen nicht ihr einziges Start-up ist.
Die Serienunternehmerin über clevere und schlaue Massnahmen beim Internationalisieren einer Marke – und wieso Content Creator trotz aller Kritik beim Wachstum so interessant sein können.
Ladies Drive: Wir kennen uns aus deiner Zeit bei Best Secret. Und nun hast du bei PURELEI die Internationalisierung gemacht. Einmal Fashion, dann Schmuck. Was ist der Erfolgsfaktor für die Internationalisierung einer Marke?
Olesja Becker: Der Erfolgsfaktor Nummer eins? Ganz klar, die Grundlagen sauber aufstellen. Der Product-Market-Fit muss stimmen – und es ist ein grosser Irrtum zu glauben, dass man einfach die Kernmarkt-Strategie ins Ausland kopieren kann. Internationalisierung ist kein simpler Schritt über die Grenze, sie bedeutet oft ein völlig neues Company Mindset. Bei vielen Unternehmen sind das Denken, die Prozesse, ja selbst die Ziele einzelner Mitarbeiter ausschliesslich auf den Heimatmarkt fokussiert. Bei Best Secret zum Beispiel waren es über 1.500 Mitarbeiter, die rein auf den DACH-Markt ausgerichtet waren. Internationale Denkweise in so einem grossen Team zu verankern ist eine grosse Herausforderung. Man muss die internationale Perspektive regelrecht in die Unternehmenskultur „einbauen“. Das beginnt bei der Kommunikation, reicht über das Branding bis hin zu allen internen Strukturen. Was ich als entscheidenden gemeinsamen Nenner und Erfolgsfaktor für Internationalisierung nennen würde, ist, das „internationale Team“ auszulagern. Es muss unabhängig als „Zelle“ agieren, die eigene Erfolge erzielt, eigene Strategien entwickelt und testet. Dieses Spin-off-Konzept ermöglicht es, parallel zu den nationalen Zielen eine unabhängige internationale Strategie zu entwickeln. So waren wir in der Lage, damals bei Best Secret und jetzt auch bei PURELEI den Internationalisierungsschritt erfolgreich zu gestalten – indem wir das Beste aus beiden Welten kombinieren konnten: nationale Stärke und internationales Wachstum.
Also dass du quasi wie so ein kleines Spin-off hast?
Genau, das ist der Trick. So haben wir es bei Best Secret gemacht, und genauso setzen wir es jetzt bei PURELEI um. Die Erfahrung zeigt, dass eine isolierte Einheit, die ganz eigene internationale Ziele verfolgt, oft besser funktioniert, als alles unter einem Dach zu bündeln. Die nationale Organisation und der internationale Markt stehen sonst oft in Konkurrenz, wobei der Kernmarkt anfangs natürlich mehr Umsatz bringt. PURELEI hat beispielsweise seit der Gründung 2016 ein beeindruckendes Wachstum hingelegt, und das vor allem durch cleveres Influencer-Marketing. Doch was auf dem Heimatmarkt funktioniert, lässt sich nicht immer einfach kopieren. Die Spielregeln im Online-Marketing haben sich radikal verändert.
PURELEI hat schon 2020 Internationalisierung getestet. Was lief beim zweiten Anlauf zur Internationalisierung anders?
Influencer und Content Creator sind weiterhin wichtige Bausteine, aber nicht mehr so stark im Fokus wie bei den ersten Tests. Ein wesentlicher Schritt war die Definition eines „Zugpferds“ unter den Ländern – ein Markt, der die internationale Expansion finanziell trägt. Die Zahlen zeigten, dass die Schweiz enormes Potenzial hat, also habe ich sie bewusst als eigenständigen Markt herausgelöst und ihr eine massgeschneiderte Strategie für den Premiummarkt Schweiz verpasst, die auf Viralität, Premiumqualität und Exklusivität setzt. Dieses Set-up hat sich ausgezahlt und bildet nun das Fundament für unser internationales Wachstum.
Superspannend – die Technologie erlaubt uns, dank Social Media vieles ausprobieren zu können. Aber am Schluss braucht es einfach jede Menge Marketingbudget.
Sicher, Internationalisierung braucht Budget, aber sie kann auch von Tag eins an profitabel sein! Das klingt vielleicht steil, aber es funktioniert: mit dem richtigen Know-how und einem starken Netzwerk. So wird Skalierung auch mit einem überschaubaren Budget realisierbar.
Was heisst überschaubares Budget?
Schon mit 100 Franken am Tag lassen sich erste Tests fahren – oder sogar mit 50, wenn man geschickt vorgeht und selbst organisch Reichweite aufbaut. Ein Kanal, über den die Zielgruppe auf dich aufmerksam wird, kann den Anfang machen. Ein Tipp: Taboola eignet sich ideal für kostengünstiges Native Advertising.
Was ist das Wichtigste, wenn man wenig Budget hat?
Aufmerksamkeit schaffen! Entweder legst du dich ins Zeug und generierst sie organisch, oder du kaufst sie gezielt ein. Plattformen wie Taboola für Native Ads oder Pinterest bei Consumer-Produkten sind kosteneffiziente Möglichkeiten, um Reichweite aufzubauen. Ein weiterer Schlüssel liegt in strategischen Medienpartnerschaften und Kooperationen mit Influencern. Hier geht es nicht nur um bezahlte Werbung – oft reicht es, ihnen etwas Einzigartiges zu bieten. Bei meiner Marke Leslis zum Beispiel bieten wir Influencern wunderschöne massgeschneiderte Kinderbettwäsche, die nirgendwo anders zu finden ist. So gewinnen wir Aufmerksamkeit, ohne direkt Budget für Influencer auszugeben. Zeit, Arbeit und kreative Ideen sind hier der beste Einsatz, wenn finanzielle Mittel begrenzt sind.
Und Schritt zwei wäre dann …?
Meta und Google. Zwei Kanäle, die voneinander nicht zu trennen sind.
Warum?
Ein Beispiel: Ein Kunde von mir hat das Budget bei Meta fast halbiert – und plötzlich verlor er massiv an Sichtbarkeit auf Google. Es ist eine riesige „Bubble“, und niemand weiss genau, wie die Plattformen miteinander Daten austauschen. Fakt ist jedoch, dass die Effizienz enorm steigt, wenn du auf mehreren Kanälen aktiv bist und so viele Datensignale wie möglich empfängst. Wir haben einmal nur Meta-Werbung geschaltet, ohne Influencer, und die Ergebnisse waren enttäuschend. Sobald wir Influencer hinzunahmen, gab es plötzlich mehr „Data-Impulse“. Meta kann die Interessen und Käufe besser nachvollziehen und die Werbung gezielter an potenzielle Käufer ausspielen. Es ist verrückt, wie eng alles miteinander verwoben ist.
Es gibt ja viele, die behaupten, dass Influencer und Content Creator eine riesige Blase sind und unfassbar viel Fake dahintersteckt.
Absolut richtig. Da ist eine Menge Fake dabei, keine Frage!
Und trotzdem findest du Influencer wichtig?
Ja, definitiv – und zwar für jedes Modell. Auch wenn die Hälfte der Follower Fake sein mag, bleibt immer noch genug echter Einfluss. Dieser reale Anteil reicht, um wertvolle Signale an Meta und Google zu senden und das Marketing effizienter zu machen. Trotzdem plädiere ich seit Jahren dafür, nicht nur auf bezahlte Influencer-Deals zu setzen. Stattdessen empfehle ich Partner-Deals – so viele wie möglich. Kooperationen, die nichts kosten und auf Gegenseitigkeit basieren, sind oft genug, um den Algorithmus zu aktivieren. Plötzlich steigt die Reichweite, und dein Content erreicht mehr Menschen. Das ist das Spiel – Algorithmen ändern sich ständig, aber authentische Partnerschaften schaffen Stabilität. Und ja, Meta und Co. verdienen kräftig daran mit: Die steigenden Investitionen in Online-Werbung sind ein Grund, warum Unternehmen die Preise anziehen müssen.
Wo sucht denn die ganz junge Generation nach neuen Produkten – ich nehme an, nicht mehr auf Google, oder?
Genau, die suchen längst auf ChatGPT, TikTok und Instagram.
Und welche Plattform ist gerade im Trend bei Gen Z und Alpha?
Snapchat! Der Hype ist real – Kids und Teens sind dort extrem aktiv. Ich kenne Beispiele, bei denen Teenager einen Snapscore von 400.000 haben (Anzahl der verschickten und empfangenen Bilder – Anmerkung der Redaktion). Diese Plattform bindet sie auf eine unglaubliche Weise. Gen Z und Gen Alpha sind ultraschnell unterwegs – die scrollen mit einer Geschwindigkeit, dass dir schwindelig wird. Für sie zählen nur Headlines, maximal ein kurzer Augenblick. Um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, musst du laut und schrill sein. Studien zeigen, dass Werbetreibende nur noch etwa 0,5 Sekunden haben, um ihre Botschaft zu platzieren. Wer da nicht sofort knallt, geht unter.
Ich denke immer, wo bleiben die leisen Zwischentöne? Die wunderbar inspirierende Langsamkeit, die Langeweile, wo bleibt die Sinnlichkeit? Und ich habe die Sorge, dass wir da eine Generation nachziehen, die bis zu einem gewissen Bereich ein bisschen abgestumpft wird, weil eben alles so schnell gehen muss.
Das sehe ich genauso. Die Jungen haben enorme Erwartungen an andere und an sich.
Vielleicht gibt es diese grundsätzliche gesellschaftliche Verpflichtung unserer Generation X, da Brücken zu bauen.
Man muss versuchen, sie auch an andere Dinge von ganz klein auf zu gewöhnen, wie Natur, wie Langsamkeit, wie keine Medien und Digital Detox. Aber die Schulen müssen da mitziehen, weil der soziale Zwang da doch enorm hoch ist.
Vielleicht braucht es Digital Detox Retreats für Kids.
Gute Businessidee übrigens!