In Zeiten von Flexwork, Homeoffice, Teams, Arbeit 4.0 hat die Erwartung, ständig erreichbar zu sein, explosiv zugenommen. Die Arbeit dringt immer mehr ins Privatleben ein.
Seit ich Mutter geworden bin, habe ich feststellen müssen, dass dieses Ständig-erreichbar-Sein nun auch in meinem Privatleben allgegenwärtig geworden ist. In meinem Fall hat es mich sogar zu genau diesem Lebenspunkt geführt: Mein Sohn ist ein buchstäbliches Online-Baby. Sein Vater und ich haben uns vor sechs Jahren auf Tinder kennengelernt.
DER DIGITALE MAMI-ALLTAG
Ein paar Beispiele aus dem digitalen Leben einer jungen Mutter: Mein Telefon ist seit der Geburt meines Sohnes prinzipiell immer auf „laut“ geschaltet. Habe ich ein wichtiges Meeting (in dem ich das private Handy wohl nicht abnehmen sollte), trage ich dies nicht nur in meinem Arbeits-, sondern auch in meinem Familienkalender ein, sodass mein Mann Bescheid weiss, dass ich nicht erreichbar bin. In unserem gemeinsamen Google-Kalender teilen wir Termine (Kita-Tage, Play Dates, Kindergeburtstage, Hundeschule …) und teilen uns gegenseitig Ämtli zu. Wenn mir einfällt, dass wir Abfallsäcke brauchen, notiere ich dies in unserer Einkaufslisten-App.
Überwältigend, wie abhängig man im Alltag von einem Gerät ist. Es gibt Baby-Monitore, die den Kamera-Feed direkt via App aufs Handy senden. Hightech-Babywiegen messen die aktuelle Schlafphase des Sprösslings und erlauben es den Eltern, das elektronische Wippen auf Knopfdruck anzupassen. Die Versuchung, ChatGPT zu fragen, ob 39.6 Grad Fieber besorgniserregend sind, ist gross.
Ich behaupte, dass die Erwartung, „online“ zu sein, auf Müttern stärker lastet als auf Vätern. Wenn das Kleinkind in der Kita Bauchweh hat, ist es leider immer noch die Norm, dass die Kita eher die Mutter als den Vater anruft. Wenn die Oma Geschenkideen für Weihnachten braucht, wird auch sie eher die Mutter anrufen. Instagram-Algorithmen zeigen viel eher mir als meinem Mann Werbung für Hightech-Socken für Säuglinge, die Puls und Sauerstoffgehalt messen und eine Warnmeldung via Telefon machen, wenn diese Werte kritisch ausfallen. Ich werde eher zu Mami-WhatsApp-Gruppen hinzugefügt und lese dort, warum ich eine schlechte Mutter bin, wenn mein Kind vor seinem fünften Geburtstag ein zuckerhaltiges Guetzli isst.
DER „MENTAL LOAD“ DES ERREICHBAR-SEINS
Das hat mit gesellschaftlichen Normen zu tun – „Frag mal Mami!“ – und strukturellen Faktoren (zum Beispiel haben Mütter einen längeren Mutterschaftsurlaub und kehren eher in Teilzeit an ihren Arbeitsplatz zurück). Aus einer Gender-Perspektive gesehen ist diese digitale Zusatzbelastung von Müttern eng mit dem sogenannten „Mental Load“ verknüpft. Der Begriff bezeichnet die Arbeit hinter den Kulissen, die einen Haushalt und eine Familie am Laufen hält, obwohl sie kaum wahrgenommen und selten geschätzt wird. Mental Load ist somit ein elementarer Teil der ungleichmässigen Verteilung unbezahlter Sorgearbeit und der damit verbundenen Belastung in persönlichen Beziehungen und gesellschaftlichen Strukturen. Der Löwinnenanteil des Mental Load entfällt auf Frauen.
Das kleine, rechteckige schwarze Loch (id est Mobiltelefon) trägt zum Mental Load bei. Man muss auf vielen Kanälen gleichzeitig Erwartungen managen, Informationen sammeln, erreichbar sein. Genauso wie die „moderne Technologie“ dazu führt, dass die Arbeit sich ins Privatleben mischt, führt sie auch dazu, dass Mütter auch bei der Arbeit als „erreichbar“ und „verantwortlich“ gelten.
Auf der anderen Seite kann die Technologie den Mental Load auch erleichtern. Laut der Autorin Eve Rodsky erfordert eine Erinnerung „eine enorme geistige Anstrengung. Man muss wissen, was zu tun ist, sich daran erinnern, dass es zu tun ist, und jemanden daran erinnern, es zu tun, während die Person, die erinnert wird, leicht davonkommt.“ Heutzutage können zum Beispiel Reminder, am Dienstagabend den Müll rauszubringen, automatisiert, Babypulver und Windeln können abonniert werden.
UNTERSTÜTZUNG STATT HOHER ERWARTUNGEN
Ist es im heutigen digitalen Zeitalter einfacher, Mutter zu sein? Oder bin ich Stressfaktoren ausgesetzt, die sich meine eigene Mutter in den späten 1980ern nicht mal ausmalen konnte? Ich weiss es nicht. Ich habe aber beobachtet, dass mittlerweile auch ein neuer Druck auf Müttern lastet: dass sie weniger „online“ und mehr analog „präsent“ sein sollen. Bin ich eine Rabenmutter, wenn ich mein Baby auf Social Media poste? Ist es schädlich für ein Kleinkind, wenn es Trickfilme schauen darf? Färbt es negativ auf meinen Sohn ab, wenn er mich auf meinem Handy Sudoku spielen sieht? Eine Bekannte hat mir erklärt, dass sie versucht, um ihre Kinder herum das Telefon nicht mal anzufassen. Wohlmeinende Instagram-Captions warnen junge Mütter: „Passt auf, dass ihr nicht die ganze Babyzeit durch die Handykamera wahrnehmt!“
Zusammenfassen lässt sich das folgendermassen: Sowohl die (unausgesprochene) Erwartung, immer „online“, immer erreichbar zu sein, als auch die Kritik, nicht „präsent“ (sprich offline) zu sein, lasten auf Müttern besonders schwer. Es ist wichtig, die gesellschaftlichen und strukturellen Normen sichtbar zu machen, die zum Mental Load beitragen – und Unterstützung und Verständnis anzubieten, anstatt die Erwartungen an Mütter noch höher zu schrauben.