Mit 100: Gene, Stress und viel Lachen

Text: Dr. Med. Evelyn Mauch, MHBA
Bild: Ladies Drive

Ladies Drive No 67. Mit 100: Gene, Stress und viel Lachen
Ladies Drive Magazine
Liquid Youth unter der Lupe einer Neurowissenschaftlerin und Ärztin

Wir alle kennen diese menschliche Spezies; sei es aus dem unmittelbaren Umfeld oder aus der Ferne: die fitten Rentner, die in Würde Gealterten, die am vollen Leben interessierten „Senioritas“ und „Seniores“. Sie geben uns, die auf der anderen Seite jenseits des Rentenalters stehen, die Hoffnung, dass das Altwerden nicht zwangsläufig mit Krankheit, Siechtum und Verlust der kognitiven Fähigkeiten gleichzusetzen ist. Sie geben uns die Hoffnung, dass auch ein Körper, auf dem das Leben Spuren hinterlassen hat, sehr wohl bei guter Wartung dauerhaft einsatzfähig ist. Sie geben uns die Hoffnung, dass auch in einem Oldtimer ein voll funktionsfähiger zerebraler Motor mit entsprechenden kognitiven Fähigkeiten stecken kann; die Hoffnung, dass die eigenen kognitiven Fähigkeiten nicht automatisch mit dem höheren Alter einem Radikalschlag anheimfallen. Wir bestehen jedoch nicht nur aus kaiserlich-­königlichem Körper und Kognition, so ist bei diesen Menschen häufig eine unbändige Lebensfreude, Neugierde auf das Leben und Interesse am Leben dabei.

IST ES NUN GLÜCK, SCHICKSAL, GELD ODER GENE, DIE ES ERMÖGLICHEN, POWER-RENTNER ZU WERDEN?

Es braucht selbstverständlich eine Portion Glück im Leben, um auf dem Weg ins Reich der Methusalems nicht durch Querschläger aufgehalten zu werden. Jedoch der Umgang mit Schicksalsschlägen kann hier entscheidend beitragen. Situationen, aus denen man gestärkt, mit noch mehr Sicherheit in das eigene Können und Wollen herausgeht, können zu einer sehr grossen Resilienz und Selbstwirksamkeit beitragen. Unterstützt werden kann dieser Prozess durch ein starkes Pflichtgefühl. Aus Erfahrung an vielen Krankenbetten und aus dem prallen Leben lässt sich feststellen, dass die Menschen, die gesund altern, sehr selten vom Leben in rosa Zuckerwatte gepackt waren. Vielmehr fällt auf, dass diesen Menschen viele Steine in den Weg gelegt wurden, mal kleinere, mal Hinkelsteine; sie haben die Erfahrung machen dürfen, dass sie diese Hindernisse gemeistert haben. Hierzu braucht es Lebensmut und Resilienz mit einer grossen Portion Pflichtbewusstsein, mit der man sich teilweise auch an den eigenen Haaren aus der Misere zieht.

WIE GROSS IST DANN DER PEKUNIÄRE EINFLUSS AUF DEN ALTERUNGSPROZESS?

Muss man vermögend sein und wie Dagobert Duck kopfüber mit einem fröhlichen Platsch in den warmen Wellen aus Münzen landen, um würdevoll Lebensweisheit zu erlangen? Nimmt man die Blue ­Zones unter die Lupe, die sechs Regionen weltweit, in denen Menschen auffallend alt werden bei guter Gesundheit, sind dies ausser Singapur nicht unbedingt prosperierende Regionen. Eine gesunde Lebensführung ist in unseren Breitengraden nicht entscheidend von monetären Mitteln abhängig; das theoretische Wissen darüber steht in Zeiten von Social Media und öffentlichen Bibliotheken prinzipiell jedem zur Verfügung. Vielmehr ist der Aufbau von Vermögen allenfalls mit grossem persönlichem Einsatz verbunden, mit täglicher Herausforderung über die eigenen Grenzen hinaus und mit Investition der eigenen Lebenszeit auf Kosten von Vergnüglichem. Wird diese Lebensweise über längere Zeit durchgeführt, steigt das Stresslevel stetig an. Fatal daran ist, dass der Mensch Meister der Anpassung ist. Wir passen uns an das Stresslevel an und empfinden dieses nach einer gewissen Zeit als normal. Chronischer Stress ist jedoch folgenschwer für unseren Körper, Geist und Seele.

DAUERHAFTER STRESS LÄSST DEN HIPPOCAMPUS SCHRUMPFEN – DAS IST DIE REGION IM GEHIRN, DIE FÜR UNSER GEDÄCHTNIS ESSENZIELL IST.

Zeitgleich fällt die Amygdala, der Mandelkern, dem Grössenwahnsinn zum Opfer und nimmt viel Raum ein, die Region, die bei Angst beispielsweise panikmachend Alarm schlägt. Darüber hinaus können bei anhaltendem Stress sogar die Telomere gestutzt werden. Telomere sind Schutzkappen an den Enden unserer Chromosomen, die mit jeder Zellteilung etwas kürzer werden. Chronischer Stress ist wie ein kleines, nervöses Nagetier, das unaufhörlich an den Telomeren, den Schutzkappen der Chromosomen, knabbert. Je mehr Stress, desto ­eifriger wird dieses Tierchen. Mit der Zeit werden die Telomere immer kürzer, und die Zellen beginnen sich so zu fühlen, als hätten sie 20 Tassen doppelten Espresso getrunken und nur drei Stunden Schlaf gehabt. Die Folge ist, dass die Zellen schneller altern. Dem nagenden Stresstier kann man nicht nur mit Schlaf und Entspannung etwas Einhalt gebieten, sogar mit Humor, dem unsichtbaren Superhelden, entspannt der Unhold etwas. Lustige Menschen haben eine wissenschaftlich erwiesen höhere Überlebensrate – Humor ist, wenn man trotzdem lacht! Mit mahnendem Blick sollte der Schalk in uns stets unser Stresslevel im Visier haben.

HUMOR UND DAS WISSEN, DASS DAS EIGENE LEBEN EINZIGARTIG IST, UNTERSTÜTZEN DAS GESUND-ALTWERDEN ERHEBLICH.

Das eigene Leben zu leben, gemäss den eigenen Wünschen, Werten und Vorstellungen ist ein unterschätzter Quell des Jungbrunnens. Überangepasstes Verhalten lässt eigene Wünsche in den Hintergrund treten. Betritt Nonkonformität die Bühne des Lebens und steht konsequent für die eigenen Wünsche und Weltanschauungen ein, erntet sie Beifall in Form von reduziertem sozialem Stress und höherer Zufriedenheit. Standing Ovations sind von dem Gefühl der Selbstwirksamkeit gewiss, was das eigene Wohlbefinden Konfetti streuen lässt.

Der Alterungsprozess auf zellulärer Ebene ist eine bunte Zirkusshow, bei der unsere Gene die Artisten sind. Die Gruppe der Sirtuinen sind das flinke Bodenpersonal zwischen den Zirkusnummern. Sie sind für die Reparatur und Wartung unserer Zellen verantwortlich, sie halten unsere DNA in Schuss. Ohne ihre tüchtige Arbeit wäre kein Akt im Todesrad nach einer glitzernden Pferdeshow in unserem Körperzirkus möglich. Der Primus unter ihnen ist das SIRT1-Gen. Dieses Gen verbessert die Funktion der Endothelzellen, die Zellen, die die innere Auskleidung von Blutgefässen bilden und den Blutfluss fördern.

Dann heisst es Manege frei für die FOXO-Gene, sozusagen die Distorsionskünstler in unserem Genzirkus. Sie stellen sicher, dass unsere Zellen flexibel und widerstandsfähig sind. Sie regulieren die Stressresistenz, den Stoffwechsel und die Zellreparatur. Der Star unter diesen Künstlern ist das FOXO3-Gen. Trifft man im mensch­lichen Körper dieses Gen an, ist mit einer Verzögerung von Alterungsprozessen und Schutz vor altersbedingten Erkrankungen zu rechnen.

Die Telomere kennen wir nun bereits, nun folgt die Vorstellung ihrer Meisterin: die Telomerase. Sie kann die Telomere verlängern – yes, it’s magic! Je länger die Telomere, desto leistungsfähiger und jünger sind die Zellen. Die Aktivität der Telomerase ist genetisch bedingt, es gibt die phlegmatischen und die hyperaktiven Telomerase-Magier.

Da das Zirkusprogramm nicht nur für das Auge, sondern auch für das Herz eine Wohltat ist, kommt nun der lustige Clown APOE-Gen auf das Parkett. Dieses Gen kontrolliert den Fettstoffwechsel. Ähnlich wie der Clown in steter Verbindung mit dem Publikum ist, entscheidet dieses Gen, was mit den Fetten im Körper geschieht. Verliert der Clown den Kontakt zum Publikum, kommen seine Gags nicht an, verliert das Gen den Überblick, steigt das Risiko für kardio­vaskuläre und neurodegenerative Erkrankungen.

Zuletzt betritt der Hochseilartist die Manege, das mTOR-Gen. Hochkonzen­triert, jedoch nicht überfordert oder überanstrengt, sorgt er für eine reibungslose Darbietung seines Könnens. Dieses Gen dirigiert den Stoffwechsel und das Zellwachstum. Übertreibt das Gen es, wachsen die Zellen wild, der Hochseil­artist führt am Zirkusdach auf dem Drahtseil wie wild Salti vor und kann beim nächsten Mal aufgrund von ausgekugelter Hüfte nicht mehr die Leiter zum Drahtseil erklimmen. Weiss der mTOR-Artist seine Kräfte einzusetzen, liefert er eine wunderbare Show ab.

Die Genetik spielt eine entscheidende Rolle im Zirkus des Alterungsprozesses. Wie bei jeder gelungenen Aufführung braucht es auch in der Genetikshow einen Regisseur. Dies ist bei uns die Epigenetik. Sie entscheidet, wann wer wie seinen Auftritt hat. Umweltfaktoren und Lebensstil beeinflussen die epigenetischen Markierungen auf den DNA-Molekülen, die die Genexpression steuern.

Indem wir uns um unseren Regisseur kümmern und ihm die besten Bedingungen bieten, sorgen wir dafür, dass unsere Zirkusshow des Lebens ein voller Erfolg ist und das Altern bestmöglich gelingt.

Veröffentlicht am Oktober 12, 2024
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