Seit Pippi Langstrumpf wissen wir: Willst du starke Frauen kennenlernen, musst du nach Schweden gehen. Das haben wir getan. Wir fuhren zu Polestar in Göteborg und baten Arlena Amiri, Head of Advanced Engineering und Head of Operations für das Polestar 0 Project, Maria Lexe, Chief Digital Officer, und Sofia Björnesson, Head of Commercial Launch & Cars, zu einem Roundtable-Gespräch zum Thema Female Empowerment und Frauen in Führungspositionen.

Ladies Drive: Die schwedischen Frauen scheinen in allem viel weiter zu sein: in der Mode, in der Selbstbestimmung, im Selbstbewusstsein, in der Freiheit. Eine Familie zu gründen und einen hochrangigen Job zu haben, ist viel üblicher. Liegt es an den Frauen oder sind es die Männer, die das möglich machen?
Arlena Amiri: Ich glaube, es ist eine Mischung. Es gibt eine Geschichte über einen Touristen, der nach Schweden kam und sich auf der Strasse herumtrieb. Er fragte: Warum gibt es hier so viele männliche Kindermädchen? Aber das sind keine Kindermädchen, das sind eigentlich die Väter. Sie sind von ihrer Arbeit freigestellt und kümmern sich um die Kinder. Ich denke, in dieser Hinsicht sind wir in der Welt einzigartig.

Wie kam es dazu?
Maria Lexe: Es ist uns nicht geschenkt worden. Wir haben dafür gekämpft.

Sofia Björnesson: In einigen Bereichen kämpfen wir immer noch. In der Automobilbranche gibt es viele Männer. Wir Frauen werden nicht immer gesehen. Ich bin beruflich viel in verschiedenen Märkten unterwegs, in denen das Empowerment von Frauen nicht im Vordergrund steht, in denen einem das Gefühl gegeben wird: „Hi, Schätzchen, was machst du hier? Bringst du den Kaffee?“ – Tatsächlich wurde ich das einmal gefragt.

Hat sich dieses Verhalten im Laufe Ihrer Karriere geändert?
Arlena: Ich habe bei Volvo Aero in der Flugzeugtechnik angefangen. Ich erinnere mich, wie ich durch die Fabrikhalle ging und in den Schränken der Mechaniker ein Poster von Pamela Anderson im Bikini sah. Ich fragte: Hast du das zu Hause auch? Mein Kollege war über diese Bemerkung nicht erfreut, denn natürlich hatte er so etwas nicht zu Hause. Aber es war diese Macho-Attitüde. Das war vor 15 Jahren. In Schweden können wir zwar stolz darauf sein, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern „besser“ sind, aber wir sind noch weit von Gleichberechtigung entfernt. Ich bin stolz, Teil von Polestar zu sein, denn bei Polestar arbeiten 50/50, Männer und Frauen. Ich habe mich viele Jahre lang mit Vielfalt und Integration beschäftigt und Statistiken zu unseren KPIs (Key Performance Indicators, Anm. d. Red.) gemessen, und ich weiss, warum wir diesen Key-Performance-Index für die Einstellung von Minderheiten haben, ihn aber nicht einhalten können. Eine Sache ist die Anwerbung; aber wie bringt man generell gesprochen Mitarbeitende dazu zu bleiben? Dass sie gehen, liegt oft an der fehlenden Integration. Integration ist viel mehr als nur das, was hier passiert, von Montag bis Freitag, 40 Stunden, sondern auch, wie die Gesellschaft uns dabei unterstützt, um Führungsaufgaben zu übernehmen. Das Bewusstsein für die strukturellen Veränderungen zu schärfen, die notwendig sind, um Gleichberechtigung zu erreichen, ist der Schlüssel.
Wenn wir über Frauenförderung sprechen: Versuchen Sie denn, mehr Frauen zu unterstützen, zu Polestar zu kommen oder überhaupt in die Automobilindustrie zu gehen?

Maria: Das tun wir. Ich komme gerade von einem Interview, wir produzieren einen Film, der Schülern und Jugendlichen zwischen elf und 16 Jahren anlässlich des Tech Day (10. Oktober, Nordic Legal Tech Day, ein Tag für Interaktionen und Wissensteilung, Anm. d. Red.) gezeigt werden soll. Ich vertrete dort den Bereich Digital. Wir hatten eine Gruppe, die sich darauf konzentriert hat, Mädchen und Frauen im digitalen Bereich zu finden.
Sofia: Letztes und vorletztes Jahr haben wir weibliche Jugendliche zwischen elf und 16 Jahren hierher zu Polestar gebracht. Unsere weiblichen Führungskräfte haben versucht, den Mädchen das Gefühl zu vermitteln, dass es interessant ist, in die Technologiebranche zu gehen, insbesondere in die Automobilindustrie.
Es gibt auch ein anderes Bild, das häufig in den Medien kolportiert wird. Frauen, die es an die Spitze geschafft haben, fahren die Ellenbogen aus. Sie wollen keine anderen Frauen fördern, weil sie selbst eine sehr harte Zeit hatten, um an die Spitze zu kommen …
Maria: Das habe ich an anderen Orten, an denen ich gearbeitet habe, erlebt. Hier nicht. Wir unterstützen uns gegenseitig.
Arlena: Das gilt auch für mich. Wir sind auch als Mentorinnen tätig. Es ist ein sehr gutes Zeichen, wenn sich Leute an mich als Managerin wenden und fragen: Können Sie meine Mentorin oder mein Coach sein? Ich denke, es ist wichtig, sich die Zeit zu nehmen.

Maria: Wir tun nicht genug, und die Statistiken zeigen das. Ich denke, wie du sagst, Arlena, hat die Statistik auch bewiesen, dass die „One and done“-Mentalität wahr ist. Frauen sind oft besorgter, wenn sie eine Frau empfehlen, denn wenn es nicht klappt, wirkt sich das vielleicht negativ auf ihre Karriere aus, während Männer das häufig nicht so überanalysieren.
Ich bin da eher sehr konservativ. Ich denke, wir Frauen haben andere Fähigkeiten als Männer und können sie auf positive Weise nutzen.
Sofia: Absolut. Wir verhalten uns anders. Frauen sehen die Dinge häufig aus einer breiteren Perspektive.
Maria: Deshalb möchte ich ein Team mit unterschiedlichen Menschen, denn dann sehen wir die Dinge aus neuen Perspektiven und können die besten und innovativsten Lösungen entwickeln.
Eines müssen wir im Auge behalten: Wir haben hier ein Managementteam, das ziemlich gleichberechtigt ist. Aber wenn wir uns anschauen, welche Art von Rollen und Positionen Frauen bekommen, müssen wir uns auch fragen: Warum haben wir keinen weiblichen CTO? Wenn wir uns alle Unternehmen ansehen, finden wir Frauen in Positionen wie Personalwesen, manchmal im digitalen Bereich, Nachhaltigkeit und in der Kommunikation. Es muss doch irgendwo eine Frau geben, die eine CTO-Position in einem Automobilunternehmen übernehmen könnte (wir haben recherchiert und auch keine gefunden …, Anm. d. Red.).
Sie alle sind bereits in führenden Positionen, Sie sollten die Fähigkeit haben, CTO oder CEO zu sein. Stimmt es denn, dass Frauen dazu neigen, sich nicht in die Poleposition zu bringen, wenn es um die Beförderung in höhere Positionen geht?
Maria: Durchaus. Weil wir denken, dass wir vom ersten Tag an perfekt sein müssen. Männer sind häufig viel selbstbewusster – man sagt ja auch, wenn sie 25 Prozent dessen, was als erforderliche Fähigkeiten beschrieben wird, wissen, bewerben sie sich. Und sie sagen: Ich kann das. Und wir haben etwa 75 Prozent, und 25 Prozent fehlen, was uns glauben lässt, dass wir es nicht schaffen können.
Was denken Sie denn aufgrund Ihrer Erfahrung – ist eine Frauenquote eine gute Idee?
Maria: Ich denke, das ist etwas, worüber wir reden müssen. Natürlich müssen wir sicherstellen, dass wir über die richtigen Kompetenzen verfügen, und dennoch: Niemand will eine Quotenfrau sein. Also ich nicht.
Sollte die gesamte Automobilbranche nicht einen Weg finden, um als Karriereweg auch für Frauen zu gelten?
Maria: Das ist es, was wir versuchen, wenn wir unterwegs sind, zum Beispiel um in Schulen unsere Arbeit vorzustellen. Wenn man sagt, dass man in der Automobilindustrie arbeitet, denken manche: Okay, das ist eine sehr schmutzige Fabrik, in der die Leute stehen, und überall ist Öl. Aber die Möglichkeiten sind extrem vielfältig und die Realität sieht ganz anders aus. In der Welt der Technik kann man in so vielen verschiedenen Bereichen Spezialist sein. Wir müssen intensiver darüber reden und das sichtbar machen.
Arlena: Ich habe in den Schulen meiner Kinder Vorträge gehalten. Ich erzählte von meinen 15 Jahren Arbeit mit Flugzeugen, Sturmbrechern, Feuerwehrautos, Lastwagen und jetzt Autos. Das ist alles Mechanik, aber immer andere Produkte, andere Segmente, andere Voraussetzungen. Es geht darum, dass man als Kind neugierig ist, dass einem nicht schon früh gesagt wird, dass man ein toller Psychologe oder eine tolle Krankenschwester werden würde. In manchen Fällen wird man zu früh in die Enge getrieben.
Maria: Das ist mir passiert. Meine Eltern sagten mir: Oh, du bist aber nicht gut in Mathematik, du bist viel besser in Sprachen. Bis ich die Schule verliess, habe ich alles getan, um Mathematik zu vermeiden. Ich ging zur Universität und wurde Vorschullehrerin. Am ersten Arbeitstag dachte ich: Oh mein Gott, was mache ich hier? Ich war 28, als ich anfing, Informatik zu studieren. Zumal hatte ich die Möglichkeit, im zweiten Anlauf das zu tun, was mir liegt.
Sofia: Ich habe mit 22 Jahren angefangen, Maschinenbau zu studieren. Ich komme aus einer Bauernfamilie, sowohl meine Mutter als auch mein Vater haben den Hof bewirtschaftet. Ich liebte Tiere und wollte mit ihnen arbeiten, aber dann wurde mir klar, dass ich als Tierärztin auch Tieren das Leben nehmen muss, und das ist nicht das, was ich tun will. Und dann habe ich mich völlig verändert. Ich habe mich für eine technische Seite entschieden.

Wie werden Vielfalt und Integration denn zum neuen Normal in der Wirtschaft, zur Selbstverständlichkeit, ohne dass man immer eine Seite bevorzugen oder benachteiligen muss?
Arlena: Der Schlüssel ist ein sicheres Umfeld, in dem man Teil des Teams ist und weiss, wie man mit seinen Fähigkeiten einen Beitrag leisten kann und dass erwartet wird, dass man seine Vielfalt einbringt.
Maria: Das bedeutet, dass die Diskussion über Alter, Hautfarbe, Religion und Geschlecht auf eine sagen wir mal „reifere Ebene“ gebracht wird.
Wir könnten also aufhören, über weibliches Empowerment in Gesellschaft und Beruf zu sprechen?
Arlena: Nein! Wir müssen darüber reden und nicht müde werden. Weil es ja auch darum geht, dass wir talentierten Menschen einen Grad an Chancengleichheit geben – damit wir als Gesellschaft auch die volle Kapazität der Menschheit „nutzen“ können. Untersuchungen und Statistiken zeigen – auch wenn wir stolz auf Polestar sind –, dass wir weit von dem entfernt sind, was wir in der Branche erreichen wollen. Der einzige Weg, dies zu ändern, ist, das Bewusstsein dafür zu schärfen. Bei Polestar sind wir in dieser Hinsicht proaktiv. Wir sind so viele Frauen, weil sie sich einfach wertgeschätzt fühlen. Das macht einen grossen Unterschied.
Schweden liegt mit 42,1 Prozent Frauen in Führungspositionen an der dritten Stelle der Europäischen Union und Kandidatenländer (Lettland führt die Statistik mit 44,7 Prozent an, Polen folgt mit 43,4 Prozent, die Schweiz steht mit 31,1 Prozent an 25. Stelle; Quelle: Statista).