Meine Hände waren bei der Begrüssung schweissnass. Ich nehme an, dass man mir die Nervosität auch am unsicheren Lächeln und dem vermehrten Blinzeln ansah, nicht zu reden vom Kugelschreiber, an dem ich unbewusst herumfummelte. Wenn ich nach Absagen um Feedback bat, war es immer das Gleiche: Ich wirke zu nervös, nicht selbstbewusst.
Aber warum ist Nervosität gleich fehlendes Selbstbewusstsein? Als Studentin und während meiner Bewerbungsphase wurde mir immer wieder beigebracht, dass es wichtig ist, selbstbewusst aufzutreten. In beliebten Serien wie „Suits“ oder „Succession“ wird vermittelt, dass ein Pokerface für Verhandlungen unabdingbar ist – sprich ein gefühlsleeres Gesicht, ein Gesicht wie eine Maske. Körpersprache ist Sprache, und ich trage mein Herz nicht nur auf der Zunge, sondern auch in meinen ständig herumspielenden Händen, meinen überaktiven Schweissdrüsen, meinen unruhigen Augen.
SIE IST EMOTIONAL – ER IST VERLETZLICH
Ich habe das nie ablegen können; seit sechs Jahren arbeite ich im gleichen Team an der Uni St.Gallen, und meine Gefühle sind mir immer noch unmittelbar ins Gesicht geschrieben. So bin ich einfach. Ist das etwas Schlechtes? In meiner Forschungsarbeit zum Thema Diversity, Equity & Inclusion habe ich gelernt, dass das offene Zeigen von Gefühlen bei mir als (jung wirkende) Frau anders gelesen wird als bei einem Mann. Danke, unbewusste Vorurteile und Stereotype! Lasst uns diesen Gedanken zu Ende führen: Warum und wie spielt das Geschlecht dabei eine Rolle, ob emotionale Sprache – in Körper, Stimme, oder Worten – positiv oder negativ aufgefasst wird? Und wie wirkt sich das auf den Arbeits- und Führungsalltag aus?
Welcher Frau wurde noch nie vorgeworfen, zu emotional zu sein? Andererseits bin ich sicher nicht die Einzige, die es schon berührend und lobenswert fand, einen Mann zu sehen, der weint. Sie ist emotional – er ist verletzlich. Im Jargon der Geschlechterwissenschaften nennen wir das den sogenannten „Doppel-Standard-Bias“. Bei Männern wird das gleiche Verhalten positiv eingestuft, das bei Frauen negativ behaftet ist.
Für den Arbeits- und Führungskontext ist das ein Problem, das darüber hinausgeht, dass Frauen vielleicht in Sachen „Auftreten“ im Leistungsbeurteilungsgespräch schlechter eingestuft werden als Männer. Seine Gefühle offen zu zeigen, ist ein wichtiger Bestandteil der Authentizität, und das Sich-selbst-Sein beeinflusst stark, ob man sich einem Team zugehörig fühlt. Wenn ich als Frau weiss, dass emotionale Sprache negativ eingestuft wird, verstelle ich mich und fühle mich bei der Arbeit weniger wohl (worunter meine Leistung wahrscheinlich weiter leidet – ein richtiger Teufelskreis).
SICH NUR KEINE BLÖSSE GEBEN
Emotional sein wird oft als unprofessionell eingestuft, wie ich vor sechs Jahren während meiner Bewerbungsphase am eigenen Leibe erfahren musste. Auch bei Führungskräften wird ein „professionelles Auftreten“ vorausgesetzt. Wenn man Mitarbeitende führt oder direkt mit Kundschaft zusammenarbeitet, dann sollte man sich zusammenreissen können und Stärke zeigen. Denn: Emotionen zeigen wird immer noch mit Schwäche in Verbindung gebracht, vielleicht gerade eben, weil „Emotionalität“ als „weiblich“ eingestuft wird.
Aber wäre es nicht gerade in der Teamführung enorm wichtig, emotionale Sprache zu nutzen? Zum einen ist eine Leaderin, ein Leader auch Vorbild: Wenn Emotionen in der Arbeit unterdrückt werden, kann das den Mitarbeitenden signalisieren, dass dies auch von ihnen erwartet wird. Sich verletzlich zeigen – gerade gegenüber Untergebenen – zeugt hingegen von Vertrauen, Offenheit und Ehrlichkeit. Für die Zusammenarbeit sind diese Eigenschaften von enormer Bedeutung. Die Führungskraft ist es, die das Arbeitsklima vorgibt. Aber eben: sich nur keine Blösse geben.
SCHWÄCHE ZEIGEN IST MEINE STÄRKE
Über Jahre probierte ich, meine zittrige Stimme unter Kontrolle zu bringen. Ich habe vor Vorträgen tief durchgeatmet, jeden Konsonanten bewusst ausgesprochen, bekannten Personen im Publikum in die Augen geschaut, meine Fussballen fest auf den Boden gedrückt, um mich zu erden. Aber wozu? Wenn ich z. B. einen Vortrag dazu halte, warum es wichtig für ALLE Eltern ist, sich die Sorgearbeit egalitär zu teilen, warum ist dort meine zittrige Stimme etwas Schlechtes? Ich spreche laut genug, (meistens) langsam genug, habe Slides mit vielen Bildern und wenig Text. Ich bin vorbereitet und kenne mein Thema in- und auswendig. Vielleicht zittert meine Stimme, weil ich etwas nervös bin, vor diesem Publikum zu stehen. Es ist mir wichtig, eine gute Leistung zu erbringen. Vielleicht zittert meine Stimme auch aus Überzeugung für das Thema der geteilten Sorgearbeit. Warum soll ich meine Nervosität also verbergen? Anstatt mein ganzes Leben vergeblich mein Pokerface zu üben und eine (sprichwörtliche) Maske zu tragen, habe ich beschlossen, dass Schwäche zeigen meine Stärke ist.