Inklusion zwischen Authentizität und Rollenerwartungen

Text: Gudrun Sander und Sylvia Hodek
Bild: Ladies Drive

Ladies Drive No 66. Inklusion zwischen Authentizität und Rollenerwartungen
Ladies Drive Magazine
Als Führungskraft steht man oft vor der Herausforderung, zwischen den Erwartungen an die Rolle und dem Wunsch nach Authentizität zu balancieren. Im Idealfall, wenn man (für den Moment) die Rollen gefunden hat, die einem entsprechen, kommen die eigenen Stärken zum Tragen.

Authentizität wird gerne mit Echtheit und Zuverlässigkeit gleichgesetzt – und geniesst heute einen ausgezeichneten Ruf. Businessratgeber preisen Authentizität an: „Seien Sie authentisch!“  Abgesehen davon, dass diese Aufforderung etwas ähnlich Paradoxes an sich hat, wie die Aufforderung «Sei spontan!» – kann man sich ernsthaft aktiv vornehmen, authentisch zu sein, ohne die eigene Authentizität genau dadurch zu verraten und zu verfälschen? – trägt diese Empfehlung noch weitere Schwierigkeiten in sich: Wirkliche Messkriterien, ob ein Mensch nun gerade authentisch ist oder nicht, gibt es nicht. Es gibt keinen Lackmustest für echte Menschen. Als authentisch gilt, wenn mein Gegenüber das Gefühl hat, dass ich echt bin, in Übereinstimmung mit mir selbst rede und handle – oder eben nicht. 

Authentizität über alles?

Aber vielleicht hat mein Gegenüber eine falsche Vorstellung von mir oder Stereotype im Kopf und nimmt mich gerade deswegen nicht als authentisch war, obwohl ich es gerade zutiefst bin. Und vielleicht kann ich mir selbst gar nicht immer und überall 100% sicher sein, wer und wie ich bin. Wie oft lebe ich etwas, das ich in meiner Ursprungsfamilie gelernt habe? Und wie oft nehme ich Verhaltensweisen von Menschen an, die mir nahestehen oder die mir ein Vorbild sind? Und bin ich dann ich – authentisch? Hinzu kommt, dass ein Zuviel an authentischem Verhalten sozial unpassend oder gar sozial unverträglich sein kann. Kurze Hosen und Badeschlapfen mögen im Sommer eine wunderbare Freizeitkleidung darstellen, aber wenn ich als Chefin so ins Büro komme und Meetings mit Kunden und Kundinnen habe, dann war die Entscheidung bei der Kleiderwahl am Morgen zwar sehr authentisch, aber situativ nicht wirklich passend. Nicht passend, weil ich dann aus meiner (Führungs-)Rolle gefallen bin. 

Auch Rollen bieten Verlässlichkeit

Rollen geniessen (derzeit) nicht das hohe Ansehen, dass der Authentizität anhaftet. Soziale Rollen bestehen aus ganzen Sets von Erwartungen, Normen und Verhaltensweisen, die mit einer bestimmten Position innerhalb einer Gruppe oder einem sozialen Zusammenhang verbunden sind und scheinen eher unabhängig vom Individuum zu sein. Soziale Rollen regeln das Miteinander. Wenn ich als Chefin eines Universitätsinstitutes mit Flipflops in ein Kunden-Meeting komme, dann verletze ich diese Regeln und mein Gegenüber reagiert irritiert. Möglicherweise hat meine authentizitätsgetriebene Entscheidung am Morgen sogar das bereits angebahnte Geschäft platzen lassen, weil ich die unausgesprochenen Spielregeln nicht eingehalten habe. Denn Rollen vereinfachen die Zusammenarbeit und bringen etwas mit sich, dass (auch) der Authentizität zugeschrieben wird: Verlässlichkeit. 

Fokus Inklusion

Als Führungsperson bewege ich mich im Spannungsfeld zwischen Rollenerwartungen und Authentizität. Und auch meine Mitarbeitenden bewegen sich in diesem Spannungsfeld. 

Als Führungskraft versuche ich meinen Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, sie selbst zu sein, ihre Gedanken und Meinungen zu äussern, ihre Talente zu leben, ihre Werte in die Arbeit einzubringen. Ich versuche einen Rahmen zu bieten, wo sie authentisch sein können. Einerseits versuche ich ein inklusives Klima in meinem Team zu fördern, weil mir dieses Thema ein Herzensanliegen ist, gleichzeitig ist mir bewusst, dass Inklusion auch gut für die Leistungsfähigkeit eines Teams ist. Fassaden aufrecht zu erhalten, etwas vorzugeben, was ich nicht bin (z. B. heterosexuell, obwohl ich homosexuell oder bi-sexuell bin), braucht sehr viel Energie und diese Energie geht für den Arbeitseinsatz verloren. Menschen, die aus irgendeinem Grund schon ihr Leben lang gesagt bekommen haben, dass sie anders sind, dass sie nicht passen, oder die das Gefühl haben, nicht den geforderten Normen zu entsprechen, stecken oft unglaublich viel Energie ins «nicht auffallen» und es kann eine grosse Erleichterung sein, wenn sie wissen und erfahren, dass sie sein dürfen, wie sie sind. 

Trotzdem bedeutet Inklusion nicht «anything goes». Es gibt auch Rollenerwartungen in einem inklusiven Umfeld, die lassen sich nicht einfach vom Tisch wischen. So funktioniert unsere Gesellschaft nicht. Im Idealfall ist es ein gemeinsames Reflektieren und immer wieder neu Aushandeln: welche Grenzen setzen wir? in welchem Kontext? Dieses gemeinsame Aushandeln von Werten und Grenzen trägt zur Inklusion bei. Wenn die Mitarbeitenden mitreden können, ist zum Schluss auch die Akzeptanz für die ausgehandelten Spielregeln grösser.

Trotzdem kann es sein, dass ich in meiner Rolle als Führungsperson einmal ein Machtwort sprechen muss, Grenzen anders oder enger setzen muss. Das gehört zu meiner Rolle dazu.

Wichtig ist, im eigenen Element zu sein

Aber wie verhält es sich nun mit der Authentizität, dem sich selbst sein und den verschiedenen Rollen, in denen wir alle stecken?

Eckart von Hirschhausen erzählt gerne die Geschichte vom Pinguin: An Land eine Fehlkonstruktion – so sein Gedanke, als er in einem norwegischen Zoo vor dem Gehege steht. Dann sieht er einen Pinguin, wie er im Wasser unterwegs ist: Effizienz und Eleganz pur. Er erkennt, wie wichtig die Umgebung ist, damit das, was du kannst, überhaupt zum Tragen kommt. Es braucht das richtige Biotop.

So ist es auch mit Authentizität und Rollen: Rollen bieten Entwicklungschancen. Jede neue Aufgabe erfordert neue Rollen, die neue Möglichkeiten mit sich bringen. Es ist wichtig darauf zu achten, dass die Rollen (jetzt) zu einem passen und einen in der persönlich angestrebten Entwicklung weiterbringen. Wenn man seine Rollen bzw. sein Biotop (für den Moment) gefunden hat, dann ist man wie der Pinguin im Wasser unterwegs, dann kommt die eigene Persönlichkeit mit den eigenen Stärken zum Tragen. Und man fühlt sich wohl dabei – wie ein Fisch oder ein Pinguin im Wasser. 


Gudrun Sander

Gudrun Sander ist Titularprofessorin für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung des Diversity Managements an der Universität St.Gallen und Direktorin der Forschungsstelle für Internationales Management.

Sylvia Hodek ist Project Manager am Competence Centre for Diversity & Inclusion
www.ccdi-unisg.ch.

Sylvia Hodek
Veröffentlicht am Juni 07, 2024
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