Start-up Stories: MyCamper

Text: Dörte Welti

Ladies Drive Start-up Serie #4 - MyCamper
In der Schweiz waren Stand 2022 ganze 87 416 serienmässigen Camper zugelassen (Quelle: bfs.admin.ch, die selbstgebauten fehlen darin). Die meisten sind allerdings «totes Blech», weil sie nur in den Ferien genutzt werden. Einer der Fakten, die 2015 zur Gründung der Camper-Sharing Plattform MyCamper führte.

Für #4 unserer Serie über Startups, denen Unternehmer Roland Brack neben Kapital auch Hilfe in strategischer Entwicklung angedeihen lässt, trafen wir uns mit MyCamper Community Happiness Managerin Mirjam Affolter.

Mirjam, seit wann bist Du bei MyCamper?

Von Anfang an. Ich habe den Gründer Michele Matt an einem Anlass der Startup Academy kennengelernt. Er hat mir dort von seiner Idee, die zu MyCamper führte, erzählt und ich war sofort Feuer und Flamme. Stefan Lieberherr, der heutige CEO, kam ein Jahr später dazu und hat bis letztes Jahr das Marketing geführt. Erst war MyCamper nur ein Nebenjob. Ich habe eine Ausbildung auf der Bank gemacht mit einer Weiterbildung im Bereich Firmenkunden, bis 2018 habe ich im Verkaufsinnendienst eines Familienunternehmens gearbeitet und an der FHNW nebenberuflich Betriebsökonomie studiert.

Ladies Drive Start-up Serie #4 - MyCamper - Mirjam Affolter
Ladies Drive Start-up Serie #4 – MyCamper – Mirjam Affolter

Wie habt ihr MyCamper anfangs finanziert?

Es lief so gut und wuchs so schnell, dass wir uns 2018 dazu entschieden haben, alles auf die Karte MyCamper zu setzen. Mit Business Angels aus unserem Umfeld und dem Umfeld vom Umfeld haben wir eine erste Finanzierungsrunde gemacht. Wir konnten die noch 2018 mit ausschliesslich privaten Investorinnen und Investoren abschliessen. Nach einem Jahr Vollzeitjob haben wir schnell gemerkt, dass wir mehr Kapital brauchen, wenn wir ein spannendes Unternehmen aufbauen wollen.

Und so seid ihr in der «Höhle der Löwen» gelandet …

Wir kannten die Sendung aus Deutschland, haben erfahren, dass es eine Schweizer Variante geben wird, und haben uns beworben. Wir waren dann grad 2019 in der ersten Staffel dabei.

Ladies Drive Start-up Serie #4 - MyCamper

Mit welchem Ergebnis?

Alle fünf Investorinnen und Investoren sind eingestiegen mit einem Gesamtinvestment von CHF 300 000. Es kam noch ein weiterer Investor dazu, sodass wir die zweite Finanzierungsrunde mit insgesamt CHF 450 000 erfolgreich abschliessen.

Und sind alle noch dabei?

Ja, wir sind weitergewachsen. Wir haben inzwischen vierte Finanzierungsrunde mit Crowdinvesting gemacht.

War das erfolgreich?

Das war sehr erfolgreich. Wir haben CHF 1,25 Mio. mit der Crowd generiert.  

Das ist viel Geld. Macht das Angst?

Nein, überhaupt nicht, das ist gut. Ich glaube, es ist eine Bestätigung, dass unser Modell auf Anklang stösst.

Magst du dich noch erinnern, an den Sprung von den Angel Investors, die man aus seinem Umfeld kennt, hin zu den grossen Investoren? Haben sich die Konditionen geändert? Wurde der Druck stärker?

Ich würde nicht sagen, dass der Druck unbedingt viel stärker geworden ist von der einen Runde zur anderen. Die Zusammenarbeit ist professioneller geworden, weil wir regelmässig Reportings verschicken. Wir haben keine VCs, die in My Camper investiert sind. Ich glaube, da wäre der Druck nochmals anders. Wir haben ein sehr wohlwollendes Zusammenarbeiten mit unseren Investorinnen und Investoren. Wenn wir ein Thema haben, das uns bewegt, wenn wir Unterstützung brauchen, können wir auf alle zugehen. Es werden Intros gemacht, strategische Entscheide können gespiegelt werden – ich habe immer noch den Eindruck, es ist ein gemeinsames Projekt.

Warum geht man als junges Startup heutzutage nicht einfach zu einer Bank und bittet um Finanzierung? Sind Banken out?

Das ist noch schwierig zu sagen. Es ist häufig gar nicht so eine Option, wenn du eine Firma hast, wo du keine Zahlen der letzten Jahre belegen kannst. So ein Business Modell, das noch am Wachsen und noch nicht gewinnbringend ist, stellt ein extremes Risikokapital dar.

Ladies Drive Start-up Serie #4 - MyCamper

Wo steht ihr heute? Denkt ihr noch in Anzahl Camper?

Ja, Anzahl Camper. Und Anzahl Mietnächte ist auch eine typische klassische Zahl bei uns. Das sind die wichtigsten Kennzahlen. Wir bringen zwei Märkte zusammen, Mieter und Vermieter. Das ist ein Angebot, das gleichsam wachsen sollte. Wenn zu wenig Vermieterinnen und Vermieter auf der Plattform sind, sind die Mieterinnen und Mieter nicht glücklich, weil sie kein Fahrzeug finden, das verfügbar ist. Wenn zu wenig Mieterinnen und Mieter auf der Plattform sind, sind die Vermieterinnen und Vermieter nicht zufrieden, weil sie die Fahrzeit nicht ausnutzen können.

Ist das eigentlich Airbnb auf Rädern?

Genau, so haben wir uns früher beschrieben.

Und Airbnb hat das nie irgendwie mal das selbst versucht? Gab es keine Konkurrenzidee?

Nein, von Airbnb nicht, noch nicht. Es gibt andere Camp-Sharing Plattformen im Ausland. In den USA gibt es grosse, in ganz Europa findet man ganz viele verschiedene lokale Players.

Du sprachst Mietnächte an, wovon reden wir? Von Hunderten? Von Tausenden?

Schon von Zehntausenden Mietnächten. Auf MyCamper gibt es über 4000 Fahrzeuge zu mieten, allein in der Schweiz 2400.

Euer Verdienst ist die Provision?

Wir verdienen eine Provision bei jeder erfolgreicher Buchung. Das Inserieren des Fahrzeuges ist kostenlos.

Findest du dich mutig?

Ich mich selbst? Nein. Eigentlich nicht, nein. Lustige Frage.

Du bist da einfach mit reingesprungen …

Als ich alles auf eine Karte gesetzt habe, habe ich mich gefragt, was ist das Schlimmste, was passieren könnte. Und das Schlimmste wäre, dass es nicht funktioniert. Und was dann? Dann würde ich mir einen anderen Job suchen. Ich denke, ich bin noch jung, ich kann schnell lernen. Und es ist auch eine tolle Story zu erzählen, wenn es jetzt nicht funktioniert haben sollte. Aber noch besser ist die Story, wenn es funktioniert.

Was würdest Du jemandem raten, der noch vor der ersten Finanzierungsrunde steht? Gibt es etwas, wo du aus deiner jetzt mittlerweile über sechs, sieben Jahre Erfahrung sagen kannst, das hätte ich damals anders gemacht oder das kann man besser machen oder genauso muss man es machen?

Als genauso-muss-man-es-machen empfinde ich bei uns das ganze Bootstrapping am Anfang. Rückblickend waren drei Jahre  vielleicht ein bisschen lang. Aber so ein Bootstrapping hilft dann extrem, wenn es um Investorengespräche geht. Wir konnten eine steile Wachstumskurve nachweisen. Der Nachweis, dass es funktioniert, ist das ein extremes Proof of Concept. So fühlt es sich auch nicht nach einem großen Risiko an. Ich würde auch definitiv wieder im Team gründen. Ich hätte mir nie vorstellen können, etwas allein zu machen. Ich finde, Erfolge sind schöner im Team, da kann man zusammen feiern. Misserfolge sind weniger schlimm, wenn man sie nicht allein durchstehen muss. Am besten in einem Team mit verschiedenen Fähigkeiten nicht nur im CV sondern auch an persönlichen Stärken und Schwächen.

Ladies Drive Start-up Serie #4 - MyCamper

Stichwort Skalierbarkeit: Rechnet ihr damit, dass ihr in zwei bis drei Jahren von Airbnb aufgekauft werdet?

Nicht unbedingt von Airbnb. Who knows.

Aber ihr seid ein Unternehmen, dass das auf so ein Ziel hinarbeitet?

Ja, definitiv. Sobald wir eine gewisse Anzahl an Investorinnen und Investoren dabeihatten, war eine Exitstrategie klar.

Gibt es den ersten Bus noch?

Nein, der wurde leider verkauft. Das war Charly, er gehörte Michele. Aber er ist jetzt zweifacher Vater und hat inzwischen ein Familienmobil und keinen Bus mehr.

Gab es etwas, wo ihr mal ins Wanken gekommen seid? Fallstricke? Dilemmata?

Da muss ich gerade überlegen …

Jetzt sag nicht, es ist alles positiv gewesen …

Es gab viele Ups und Downs, definitiv. Corona war sicher so etwas, wo die Zahlen halt von einem Moment auf den anderen unglaublich eingebrochen sind. Wo wir auch mal mit Investoren gesprochen haben, die Zahlen sehen so und so aus, was jetzt? Was wir dann unmittelbar gemacht haben, war, komplett unser Marketingbudget zu kürzen, Kosten einzudämmen, mal runterzufahren ein bisschen und dann schauen, was es bringt. Wir mussten später die Marketingkosten auf Mieterinnen und Mieter Seite übrigens gar nicht mehr gross erhöhen, weil plötzlich der Ansturm so gross geworden ist.

Tauscht ihr euch mit den Investorinnen und Investoren aus und worum geht es da?

Mit einigen, nicht mit allen logischerweise. Mit grossen Investoren definitiv. Wir waren häufig mit strategischen Investorinnen und Investoren in Kontakt, um Anteile zu verkaufen oder eine Finanzierungsrunde zu machen. Und bei solchen Verhandlungen haben wir auch immer mal wieder Meinungen eingeholt. Wir haben auch mit Investorinnen, Investoren und Advisors gesprochen, wenn wir an einer Weggabelung gestanden sind und uns gefragt haben, wie geht es jetzt weiter? Wohin gehen wir? Was ist unsere Strategie?

Ladies Drive Start-up Serie #4 - MyCamper

Gab es auch Fehlentscheidungen?

Ich glaube, viele kleine Fehler gab es auf alle Fälle. Mit einer Plattform funktioniert ab und zu der Flow nicht. Als die Sendung Höhle der Löwen mit uns ausgestrahlt wurde, ist die Webseite zusammengebrochen. Wir haben nicht mit dem Ansturm gerechnet. Und es gibt eine Story, nämlich, dass wir uns nach der Sendung dazu entschieden haben, ins Ausland zu expandieren. Wir haben dann erst versucht, selbst einen MyCamper Branch in Skandinavien zu gründen, sind dort gestartet mit MyCamper Schweden, etwa zeitgleich mit einem damaligen lokalen Konkurrenten, Housecar. Sie wuchsen schneller. Wir waren immer in Kontakt mit ihnen, und haben nach ein paar Jahren entschieden, MyCamper Schweden zu liquidieren und in Housecar zu investieren. Wenn ich so erzähle, kommen mir noch mehr Sachen in den Sinn. Stefan, Michele und ich sind alles Betriebswirtschaftler. Wir haben niemanden, der programmieren kann. Wir musste also eine Agentur beauftragen, die die ganze Plattform programmiert. Heute würde ich mir in das Gründerteam jemanden holen, der programmieren kann, der das ganze Setup versteht. Im Gründerteam in Skandinavien haben wir 2 Techis, die jetzt auch Teil des Managements sind, was ein extremer Mehrwert ist. Ich würde anderen empfehlen, sich zu fragen, in welchen Bereich gehe ich und wo brauche ich wirklich Knowhow, und sich dann jemanden zu suchen, der das mitbringt als Gründer, von Beginn an.

mycamper.ch


Das sagt Roland Brack, Gründer und Inhaber bei brack.ch und Investor bei «Höhle der Löwen Schweiz» zum Investment in das Startup MyCamper:

«Das Investment in MyCamper im Jahr 2019 war eines meiner Ersten in der Höhle der Löwen und das Engagement bereitet mir bis heute viel Freude. Für mich ist ein Investment immer auch ein Investment in ein Team – und das MyCamper-Team ist sehr gut aufgestellt und hat bewiesen, dass sie ein Unternehmen auf- und ausbauen können. MyCamper hat in der Schweiz eine starke Community aufgebaut und mit der Expansion nach Skandinavien stehen wir in einer sehr spannenden und herausfordernden Phase. Ich nutze MyCamper auch selber, ich war schon mit einem Camper im Tessin und im letzten Sommer sogar mit den Kindern in Kroatien. Wir sind gerne in der Natur unterwegs und die ganze Familie hat tolle Erinnerungen an diese Reisen!»

Veröffentlicht am August 31, 2023
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