Wusstest du, dass ein Drittel aller Lebensmittel weltweit im Müll landet? Wäre Lebensmittelüberschuss und Food Waste ein Land, läge es gemessen an den CO2-Emissionen an dritter Stelle – direkt hinter China und den USA! Olivia Menzi und Karin Friedli haben nun für den Schweizer Markt eine digitale Lösung für die Industrie entwickelt, um Lebensmittelüberschüsse clever und effizient zu nutzen. Ein Gespräch mit dem Power-Duo.
Olivias und Karins Lebenswege verlaufen eng miteinander verflochten, seit sie sich vor 14 Jahren als Arbeitskolleginnen einer Zürcher Webagentur kennengelernt haben. Angetrieben von ihrem Wissensdurst und dem Bedürfnis, einen positiven Impact zu schaffen, begannen sie gemeinsam Projekte umzusetzen. Heute beschäftigt ihr B2B-Unternehmen Circunis fünf Mitarbeitende und führt einen digitalen Marktplatz für Nahrungsmittel. Ziel: Lebensmittelüberschüsse sollen im Kreislauf bleiben, Abfälle verringert werden.
Ladies Drive: Was macht euch persönlich aus, und worin seid ihr stark?
Karin: Olivia zeichnet sich dadurch aus, dass sie als gelernte Polymechanikerin einerseits viel technisches Wissen hat. Sie hat aber auch einen ausgeprägten Sinn für Menschen und ist eine hervorragende Netzwerkerin. Mich beeindruckt am meisten, dass sie sich in den letzten Jahren so ein tiefes Wissen über Lebensmittelverluste erarbeitet hat, dass ihr in der Schweiz kaum jemand etwas vormacht. Diese Kombi macht sie unschlagbar.
Olivia (die etwas rot wird): Karin ist durch ihre Ausbildung in der Tourismusbranche extrem strukturiert und kundenorientiert. Sie hält nicht nur die Fäden zusammen, sondern sie führt sprichwörtlich im Hintergrund alles zusammen, bringt den Rahmen und die Struktur. Ohne sie würde ich es nicht schaffen.
Karin (lächelt): Ich denke, wir haben auch viele Gemeinsamkeiten. Wir können uns beide voll in Themen reinknien, die wir spannend finden, und sind sehr leidenschaftlich. Unsere Werte sind sehr ähnlich. Wandel, Mut, Wertschätzung sind einige davon. Ja, und manchmal (sie lacht) haben wir beide gleichzeitig eine Wut im Bauch und können sie kanalisieren und unserem Vorhaben neuen Schub verleihen. Und wir ergänzen uns hervorragend, wenn es heisst, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Was macht denn Circunis?
Olivia: Curcunis ist ein B2B-Dienstleister und verbindet Unternehmen mit anderen Unternehmen, um Lebensmittelüberschüsse sichtbar zu machen, damit sie anschliessend effizient weitervermittelt werden können. Stell dir das so vor: An ganz vielen Orten in der Schweiz lagern noch viele Tonnen Lebensmittel, mit denen nichts falsch ist, die aber aus irgendwelchen Gründen nicht genutzt werden. Beispielsweise 15 Tonnen Nusskerne hier oder 10 Tonnen Gemüsemischung dort. Circunis stellt deshalb einen virtuellen Marktplatz bereit, auf welchem Unternehmen miteinander handeln können.
Gab es so etwas vorher nicht?
Karin: Das gab’s in dieser Form tatsächlich noch nicht. Vor Circunis hatten wir ein Projekt, bei dem es um Bananen ging. Die Schweiz importiert 100.000 Tonnen Bananen pro Jahr, ein Drittel wird ungenutzt entsorgt. Wir haben bewiesen, dass man aus dieser Ware haltbare Produkte machen kann. Dafür haben wir Unternehmer:innen mit der entsprechenden Expertise gesucht, und sie stellen diese Produkte bis heute her. Statt uns dann einem anderen Lebensmittel zu widmen, haben wir grösser gedacht: An welcher Stelle können wir das System als Ganzes verändern? Denn das müssen wir tun! Wir müssen unsere Systeme überdenken und ändern.
Olivia: Leider ist es in den meisten Unternehmen so, dass niemand verantwortlich ist, wenn eine Ware noch nicht Abfall ist, aber entgegen der ursprünglichen Planung nicht in den Einsatz kommt. Erst wenn eine Ware abgelaufen ist, ist der Prozess und die Verantwortlichkeit klar – jemand entsorgt es. Wir müssen es aber einfach, logisch und effizient machen für die Unternehmen, Verantwortung zu übernehmen und die Produkte frühzeitig zum Beispiel auf dem Marktplatz auszuschreiben. Aktuell sind System und Prozesse aber nicht darauf ausgelegt. Und weil wir ein Land sind, das über viele Ressourcen verfügt, war es lange Zeit nicht so dringend, eine Alternative zu finden.
Karin: Bei Lebensmittelüberschuss sprechen wir in der Schweiz von rund einem Drittel, der landet ungenutzt im Abfall. Sowohl in Haushalten als auch in der Industrie. Oft wird über Nahrungsmittelverschwendung in Privathaushalten gesprochen. Das ist auch wichtig, aber die Mengen in der Industrie sind enorm. Wir sind überzeugt: Mit dem erhobenen Zeigefinger wird es nicht gehen. Aber mit rein technischen Lösungen auch nicht. Darum müssen wir viel Aufklärungsarbeit bei Entscheidungsträger:innen leisten und es supereinfach und benutzerfreundlich machen, anders zu handeln.
Olivia: Stell dir ein Dorf vor, mit verschiedenen Läden – zum Beispiel einem Bäcker, einer Metzgerei. Im Dorf kennt jeder jeden, und es ist leicht, sich vorzustellen, dass Bäcker Max Metzgerin Miriam anruft und fragt, ob sie übriggebliebene Brotwürfel für ihre Wurstproduktion brauchen könnte. Unsere Wirtschaft und ihre Wertschöpfungsketten sind aber fragmentiert und globalisiert, sodass diese gegenseitige Sichtbarkeit total verschwindet. Wir helfen, dort Verbindungen zu knüpfen. Das ergibt auf verschiedenen Ebenen Sinn: Natürlich ist es zum einen nachhaltiger, Überschuss zu verwerten als wegzuwerfen. Aber es gibt durchaus auch ökonomische Anreize für Firmen, dieses brachliegende Potenzial besser zu nutzen.
Wo steht ihr denn aktuell mit Circunis?
Karin: Es ist bereits immense, mehrjährige Vorarbeit in Circunis geflossen. Wir haben lange hart gekämpft und Anfang dieses Jahres eine Finanzierung gesichert. Wir haben nun drei Jahre Zeit, uns am Markt zu beweisen. Seit fünf Monaten sind wir live. Wir bauen die Funktionen im B2B-Marktplatz laufend aus und feilen daran, wo und wie AI in Zukunft helfen kann, den Nutzen zu optimieren. Ideal wäre, dass es Circunis irgendwann nicht mehr bräuchte. Aktuell ist das aber noch in weiter Ferne. Und ganz ehrlich, es macht einfach auch enorm Freude. Aus unserer Idee ist ein Unternehmen geworden, und wir spüren eine enorme Schubkraft, weil wir tun, wofür unser Herz brennt und was richtig ist.
Olivia Menzi (42)
zweifache Mutter: Polymech, Interaction und UX-Designerin, glaubt: Technik ist nur ein kleiner Teil. Wir müssen die Menschen und ihr Verhalten verstehen.
Karin Friedli (47)
gelernte Kauffrau im Hotelfach, zuletzt Beraterin für Digitale Strategie. Sie ist überzeugt: Nichts funktioniert im luftleeren Raum, darum sind wir alle für mehr verantwortlich als nur für das, was vor unserer Nase liegt.