Als Beraterin verhilft sie unter anderem Pharmaunternehmen zu mehr Wachstum und besseren Produkten dank digitaler Transformation. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz werde mitunter in der Pharmabranche für bisher unbekannte Innovationsschübe, auch im Bereich der Gender-Medizin, sorgen. Petra Jantzer gilt hierzulande als eine der erfolgreichsten Beraterinnen mit globaler Karriere. Und dennoch – sie sei alles, aber keine Superwoman.
So offen spricht die Top-Managerin über das Imposter-Syndrom, Resilienz und darüber, wie leicht man sich verlieren kann auf der Karriereleiter.
Ladies Drive: Wir wollen mit dir über Leadership-Skills, aber auch über deine Superwoman-Kräfte sprechen.
Petra Jantzer: Kochen und bügeln tue ich nicht, just for the record.
(Gelächter)
Das mit dem Bügeln kommt mir bekannt vor. Ich ziele mit meiner Frage aber auch darauf ab, dass wir uns wahnsinnig viel auf die Schultern packen manchmal – ich denke, das betrifft fast alle in einer Führungsfunktion.
Es gab sicher Phasen auch in meiner Karriere, wo das sehr stark der Fall war, vor allem, als die Kids klein waren. Ich habe zwei Jungs, die jetzt Teenager und nur 19 Monate auseinander sind. Als sie klein waren, war das sehr, sehr anstrengend, weil ich fast durchgehend Vollzeit gearbeitet habe. Damals war ich noch bei McKinsey, und mein Mann ist Arzt mit einer eigenen Karriere. Das war wirklich viel. Auch zu erfahren, wie abhängig diese kleinen Wesen von dir sind.
Du schätzt deine Unabhängigkeit, verstehe ich das richtig?
Unabhängigkeit war und ist ein massiver Treiber mein ganzes Leben und meine ganze Karriere lang. Für mich war es schon als junger Mensch eine grauenvolle Vorstellung, dass ich irgendwo sitze und mir jeden Tag jemand sagt, was ich zu tun habe. Und ich hatte immer das Gefühl, ich will irgendwie …
… Chefin werden?
Jein. Als Beraterin stehst du ja nicht so direkt im Rampenlicht. Aber ich wollte für mich eine gewisse Unabhängigkeit, damit ich Dinge vorantreiben, entscheiden und vor allem gestalten kann und nicht irgendwo im Mittelbau stecken bleibe. Dieses innere Bedürfnis nach Unabhängigkeit und danach, auch ein bisschen unternehmerische Entscheidungsfreiheit zu haben, das war für mich mit der wichtigste Motor meiner Karriere. Ich habe studiert, einen Doktortitel gemacht, war fünf Jahre in der Grundlagenforschung und bin dann in die Beratung eingestiegen. Und ich wollte Kapital aus dem schlagen, was ich in meine Ausbildung investiert habe. In dem Moment, als dann mein erster Sohn geboren war, war ich selbst überrascht. Über diese innige Bindung, diese bedingungslose Liebe, die ich mir so nicht vorstellen konnte. Und doch war es unfassbar anstrengend. In der Zeit, wo beide Kinder noch ganz klein waren, habe ich das Gefühl gehabt, ich verliere mich bisweilen selbst. Ich habe gut funktioniert in der Arbeit, als Frau, als Mutter. Aber ich habe gedacht, ich als Person existiere überhaupt nicht mehr, ich spüre mich gar nicht mehr. Du kennst ja das Burn-on-Syndrom, das ist der neue Begriff dafür. Das habe ich auch durchlebt, aber nein, ich bin definitiv keine Superwoman.
War das schwierig für dich, diesen Umstand so anzuerkennen? Gerade auch, wenn man Ambitionen hat im Job?
Ich glaube nicht, dass ich mich jemals als Superwoman gefühlt habe. Bei McKinsey haben wir immer gesagt, der typische Berater ist ein „insecure overachiever“. Diese Unsicherheit auf eine Art, dieses Immer-sich-selbst-Hinterfragen, ist es gut genug, ist ein extrem intrinsischer Motivator. Ich hab eher gedacht: „Someday somebody will uncover“. Aber ich habe eine stark ausgeprägte Resilienz, und die wurde in dieser Zeit trainiert.
Du bist leidensfähig?
Sehr sogar. Da gibt es ja auch Forschung, die sagt, an den Spitzen der Unternehmen stehen nicht zwangsläufig die Allercleversten, sondern eben auch die, die am meisten aushalten können. Ich glaube, das ist eine Fähigkeit, die mich auch auszeichnet. Ich mag so Stereotype eigentlich nicht, aber viele Frauen, wenn es mal Rückschläge gibt, beginnen damit, sich im Grundsatz anzuzweifeln, und stellen alles infrage. Das war bei mir nicht so. Ich habe anerkannt, dass das jetzt gerade nicht so fantastisch war, und habe gesagt: Okay, Augen zu und durch. Was lernst du daraus? Ich habe eine starke, rationale Seite an mir – als Naturwissenschaftlerin –, aber auch eine intuitive. Und letztere hat mir gesagt: Du musst dir irgendwo und irgendwie Freiräume schaffen. Sport machen. Weniger reisen. Du musst Zeit für die Familie haben, nicht nur die Kinder, sondern auch für meinen Mann als Partner, mit dem ich seit bald 30 Jahren seit der Uni zusammen bin. Ich glaube, das war, wie ich mit dem dann umgegangen bin. Ich habe meine Prioritäten neu gesetzt und durchgezogen.
Es gibt durchaus noch mehr als unser Tun im Leben.
Ja, das auf jeden Fall. Es war immer so, dass die Arbeit sehr viel Raum eingenommen hat. Ich habe damals begonnen, mir genug Zeit zu nehmen, um zu schlafen – oder hab einen Motorbootführerschein gemacht, um mal was anderes zu sehen. Aber mein Mann und ich sind einfach ein fantastisches Team und so von wegen Doppelbelastung – die hat er deutlich mehr erlebt als ich. Er war leitender Arzt und später Chefarzt, der jeden Abend nach Hause gekommen ist und für die Kinder gekocht hat. Ich bin viel gereist und habe gearbeitet, aber er hat um sieben Uhr abends die Kids von der Nanny übernommen und das alles auch noch gewuppt. Er war einer der wenigen männlichen leitenden Ärzte in Zürich, der auf 80 Prozent reduziert hat. Das hat seine Karriere übrigens nicht beschädigt, aber er musste sich definitiv so einiges anhören.
Wie gesund, wenn du jetzt zurückblickst, war denn das, was du gemacht hast in deiner Karriere?
Nun, ich war sehr happy am Ende, dass ich beides hatte. Dass ich mich nicht habe in eine Ecke zwängen lassen: die Karrierefrau, die keine Kinder hat. Da habe ich gesagt, nein – ich kann beides. Ich kann eine Karriere und ich kann Kinder und ich kann mit einem Mann 30 Jahre zusammen sein.
Aber eben – denkst du, es war immer gesund, was du da gemacht hast?
Wahrscheinlich nicht. Also ich denke, zu wenig Bewegung, zu wenig Schlaf und zu viel Gewicht zugenommen, das waren sicher alles Dinge, die in der Zeit passiert sind. Ich versuche jetzt tatsächlich ein bisschen disziplinierter zu sein, trage zum Beispiel einen Oura-Ring, der mir dabei hilft, mich mehr zu bewegen und genügend zu schlafen.
Was würdest du deinem jüngeren Ich raten mit der Weisheit und dem Wissen ums Leben, das du heute hast?
Die Karriere in der Beratung war wirklich sehr rasant. Es war ein Riesensprung raus aus dem Labor, und gut fünf Jahre später war ich bereits Partner bei McKinsey. Als ich als junge Beraterin Projektleiterin wurde, gab es oft Phasen, wo dieses „insecure overachiever“ fast zu dominant war, wo ich mir zu viele Sorgen gemacht habe. Ist es gut genug? Schaffe ich das? Ich war an einem Punkt, wo ich zu mir gesagt habe: Du hast jetzt die Wahl. Du hast jetzt die Wahl, das abzustellen oder dich von der Sorge um deine eigene Performance irgendwie innerlich auffressen zu lassen. Ich hab mir selbst gesagt, dass ich nun damit aufhören muss – oder dieser Job ist einfach nicht das Richtige für mich. Ich würde vielleicht im Nachhinein meinem jüngeren Ich sagen: Sei ein bisschen gelassener. Aber ich möchte das nicht verstanden haben als einen Freifahrtschein. Im Sinne von: Nur weil ich eine junge Frau bin, heisst das ja nicht, dass jede und jeder auf mich und meine Wünsche Rücksicht nehmen muss.
Wir sollten schauen, dass wir jeden jungen Mann, jede junge Frau in der Workforce halten und ihnen ermöglichen, ein Berufsleben zu führen, das sie erfüllt und wo sie „at their best“ gedeihen können und wirklich einen Beitrag für sich und für alle leisten können. Aber man muss wissen, dass man kein Anrecht auf etwas ohne Leistung hat. Du musst in dich investieren, du musst dich bilden, du musst lernen, du musst wandelbar sein, du musst einen Leistungswillen haben. Das galt damals für mich, und es gilt auch für die junge Generation heute. Aber dennoch würde ich meinem jüngeren Ich raten: Tu dein Bestes und sei nicht ganz so arg selbstkritisch. Aber damals war die Karriere-Situation eine andere. Jeder Schritt war einfach nur knallharter Wettbewerb – denn es gab so viele, die deinen Job wollten. Aber eben, man wird kein Weitsprungweltmeister, ohne Weitsprung zu trainieren.
Was ist das, was dich und auch deine Kunden bei Accenture am meisten beschäftigt zurzeit?
Ich bin ja in der Pharmaindustrie tätig, und da gibt es Frustration einerseits, aber auch grosse Aufbruchstimmung im Moment. Die Industrie hat jetzt doch einige Jahre unter einem Innovationsstau gelitten, weil unter anderem die Medikamentenforschung komplexer wurde. Wir wollen zwar auf der einen Seite mehr personalisierte Medizin machen, aber das ökonomische Modell drum herum ist ein wesentlich schwierigeres. Mit diesen neuen „Intelligent Technologies“, also AI/Machine Learning, Generative AI etc., hat man so ein bisschen das Gefühl, man hat den heiligen Gral gefunden.
Wie verändert denn Artificial Intelligence die Pharmaindustrie?
Sehr, sehr, sehr massiv.
Inwiefern? Was verändert sich?
Pharma hat ein sehr ineffizientes Modell. Also von der Idee oder den ersten Ansätzen für ein neues Medikament in der Forschung bis zur Markteinführung vergehen in der Regel zehn Jahre. Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist ungefähr zehn Prozent, und die Kosten können je nachdem zweieinhalb Milliarden US-Dollar oder mehr betragen. Klinische Forschung wird seit 100 Jahren mehr oder weniger auf die gleiche Art und Weise betrieben. Dank generativer AI und AI/Machine Learning können gewisse Probleme effizienter gelöst werden. Also in der Biologie zum Beispiel: Was gibt es für neue Ansatzpunkte in der Ethologie oder der Pathologie oder Pathogenese? In der Erforschung eines neuen Medikaments brauchst du ja zuerst einmal eine Idee, wie du die Biologie der Krankheit beeinflussen kannst. Und wenn du das hast, dann musst du mit der Chemie kommen und überlegen: Wie baue ich jetzt ein Molekül, das dieses Zielmolekül beeinflusst, und zwar auf eine sehr spezifische Art und Weise, um eine Krankheit lindern oder heilen zu können? Dieses Vorgehen ist sehr diffizil. Und danach musst du das ja noch testen. Diese Schritte sind sehr langwierig und sehr komplex. Je mehr Daten und Informationen man in diesen Schritten nun verarbeiten kann, umso schneller erreicht man Marktreife. Und da kann KI einiges beschleunigen und vereinfachen. Denn du brauchst künftig zum Beispiel vermutlich keine Forschenden mehr, die lange Literaturrecherchen betreiben. KI kann uns helfen, Zielmoleküle schneller zu finden, Drugmoleküle effizienter zu gestalten, statt zu finden, und klinische Versuche besser zu planen. Dadurch wird das Risiko in der Medikamentenentwicklung gesenkt und die Erfolgswahrscheinlichkeit angehoben. So wird alles schneller – und kosteneffizienter. Und das ist eine Chance auch für seltene Erkrankungen, die bisher leider oft in der Forschung vernachlässigt wurden.
Oder man könnte Gender-Medizin ein bisschen vorantreiben?
Ja, auch ein wichtiges Thema. Ich habe das in den USA viel diskutiert, wo man sich viele Gedanken über unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen macht. Mit der KI können wir einfach gesagt Patientenpopulationen künstlich schaffen und die Patientengruppe, die tatsächlich physisch an einer klinischen Studie teilnimmt, erweitern, sei es um Frauen, sei es um People of Color oder andere unterrepräsentierte Gruppen. Auf diese Art und Weise machst du die Medikamente besser – für die breite Bevölkerung. Gerade Gender-Medizin ist ein wichtiges Thema, auch weil bestimmte Symptomatiken ganz anders sind. Männer- und Frauenherzinfarkte zeigen sich ganz anders, zum Beispiel. Diese neuen Technologien helfen uns, besser und spezifischer all diese Themen zu adressieren.
Frauengesundheit als Thema war lange Zeit in einem sehr schmalen Korridor definiert, die Pille und Hormone in den Wechseljahren. Es gab ein, zwei Player, die darauf spezialisiert waren, und der Rest der Pharmaindustrie hat sich relativ wenig dafür interessiert.
Das andere grosse Thema in der Industrie, schon seit Jahren, ist übrigens Talent. Zahlenmässig gibt es immer weniger Nachwuchs, und der Wettbewerb um Talente ist heute etwas ganz anderes als noch vor 20 Jahren – auch in der Pharmabranche. Employer Branding, die Frage, wie man sich als Arbeitgeber positioniert, um die besten Talente anzulocken, wird immer wichtiger werden. Darüber hinaus müssen wir ein Upskilling und Reskilling der bestehenden Belegschaft betreiben. Das heisst eigentlich nichts mehr als: lebenslanges Lernen.
Was treibt dich persönlich um, wenn du heute Richtung Zukunft blickst?
Ich habe das Gefühl, wir sind mit KI am Beginn einer neuen Ära, und das zu begleiten, das ist für mich eine grosse Motivation. Mit Accenture und meinen Klienten an der Speerspitze, ganz vorne mit dabei zu sein und zu definieren, wie neue Businessmodelle und Prozesse der Zukunft aussehen können, ist superspannend. Gleichzeitig muss man auch etwas devot sein und verstehen, dass wir ganz Vieles einfach noch nicht wissen.
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