Der Grund ist ein persönlicher:
Meine Schwägerin verstarb vor einigen Jahren plötzlich und unerwartet – ihre beiden Kinder waren damals Anfang 20. Dass sie sich nicht von ihrer Mutter verabschieden konnten, traf die beiden hart. Als ich mit ihnen zu sprechen begann, was sie gerade erlebt hatten, fiel es ihnen unfassbar schwer, diesen Verlust in Worte zu fassen. „Es geht mir eben dreckig. Alles ist dunkel!“ Wenn ich nachfragte, was sie denn damit genau meinen, blieben sie meist stumm und irritiert. Trauer kann so vieles bedeuten: Kummer, Melancholie, Schmerz, Wehmut, manchmal auch Wut und Enttäuschung, Niedergeschlagenheit, Verzweiflung, Depression, Hoffnungslosigkeit, Resignation. Während Mathematik eine Sprache ohne Missverständnisse darstellt, können Worte vielschichtige Bedeutung haben, und wir müssen hin und wieder auch die Gabe besitzen, „zwischen den Zeilen zu lesen“. Zudem können Worte ihre Bedeutung sogar verändern über die Zeit.
Aber überlegen wir uns doch mal eine Welt, in der es keine Worte gibt. Es gibt durchaus andere Wege, sich zu verständigen, sich zu verlieben, sich zu verbinden mit anderen Menschen. Was uns von anderen Lebewesen unterscheidet, ist die Gabe der komplexen Sprache – und des Erröten.
Ich habe meine Redaktion und alle Kreateure von Ladies Drive für diese Ausgabe mit folgenden zwei Thesen auf die Gedankenreise geschickt:
1 Nur was wir in Worten ausdrücken können, können wir bewusst erleben und bewusst wahrnehmen.
2Und: Je nuancierter wir uns emotional ausdrücken können, desto breiter und reicher unsere Erfahrungswelt.
Meine Lektüre diverser Bücher rund um das Thema „Verarbeitung von Traumata“ – Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS/PTSD) oder Posttraumatisches Wachstum – hat mich schliesslich zur Formulierung dieser zwei oben stehenden Thesen geführt.
Können wir ein Trauma verarbeiten, wenn wir keine Worte dafür finden? – Nur schwer. Wenn wir beispielsweise Trauer erleben, wiegt dieses dunkle Gefühl so schwer in uns, dass es uns schwerfällt, dafür die adäquaten Worte zu finden – und so schnürt uns dieses dunkelschwarze Gefühl die Kehle zu. Doch ab dem Zeitpunkt, wo ich es in Worte packen kann, schaffe ich es auch, etwas loszulassen.
Fühle ich mich schlecht? Oder deprimiert? Oder isoliert und alleine? Das sind alles Nuancen. Aber mit wichtigen Unterschieden, die uns erlauben, ein Gefühl einzuordnen. Worte sind wie ein Etikett. Sie kategorisieren und erlauben eine (kognitive) Analyse. Wenn wir die Bezeichnung für einen Baum nicht kennen, bleibt es Grünzeug. Oder es ist eben eine Bergföhre. Das hilft uns, unsere Umwelt in ihrer Komplexität zu begreifen und zu verstehen.
Wie viele Worte über Emotionen gibt es im deutschen Duden? Angeblich gibt es noch keine vollständige Sammlung emotionaler Worte für die deutsche Sprache. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass, sobald wir Dinge in Worte packen, es scheinbar banal, unzureichend, unwürdig werden kann.
Zudem kann man auch jemandem sagen, dass man sich ihm oder ihr so nah fühlt wie nur einem Seelenverwandten – und gleichzeitig völlig unwissend sein, was das wirklich bedeutet. Man kann etwas sagen und es nur als Worthülse missbrauchen – oder schlicht und ergreifend lügen. Aber betrügen wird man in so einem Falle nur einen: sich selbst. Man beraubt sich der echten und wahrhaften Erfahrung, die uns als Mensch und als Leaderin und Leader weiterbringt. Worte, Sprache sind immer eine Art Dilemma und Kompromiss. Und dennoch unfassbar poetisch und bildhaft, insbesondere im Dialekt. Das Schöne an der ganzen Sache ist indes dies: Es ist alles eine Frage des Trainings.
Vielleicht kennt ihr aus dem Depeche-Mode-Song „Enjoy the Silence“ die Zeile „Words … They can only do harm“ – damit das nicht geschieht, müssen wir uns eigenverantwortlich fühlen und verstehen, dass „Dahingesagtes“ so unfassbar wehtun und so unsäglich lange nachwirken, uns sogar in der Seele verletzen kann. Wenn wir es schaffen, eine nuancierte, sehr differenzierte emotionale Sprache zu erlernen, werden wir unser Bewusstsein schärfen und erweitern. Wir sind in der Lage, uns mit uns selbst und unserem Erleben, auch unserem Stress, auf einem ganz anderen Level zu begegnen, weil wir beginnen, bewusst wahrzunehmen und zu erfassen.
Und was, wenn wir das nicht tun? – Vergeben wir so unfassbar viel Potenzial, weil das Beherrschen und Verinnerlichen emotionaler Sprache extrem machtvoll ist. Wir vergeben uns sonst das Potenzial wahrer Verbindungen nach aussen und eines reicheren Erlebens nach innen. Wenn wir diese Chance verpassen, laufen wir Gefahr, uns zu isolieren, zu disconnecten von uns – und der Welt.
Möge ein reicherer emotionaler Wortschatz für euch den Eintritt in eine neue Ära bedeuten! Denn das ist nicht einfach nur nett oder was Schönes – sondern der Anfang von Kindness Economy und dem kulturellen Wandel, den viele von uns herbeisehnen. #gamechanger
Möge diese Ausgabe erneut vor Reichtum für neue Ideen und Inspiration nur so sprudeln! Viel Freude damit. Worte erschaffen unsere Realität. Dann kreieren wir sie doch mal so positiv und so emotional, wie wir nur können. Und so schliesse ich mein Editorial mit einem Zitat aus der Kolumne von Alex Hurschler: „Die Zukunft gehört dem Herzen“. – Tragen wir es doch wieder mal öfter auf der Zunge, ihr Lieben.
Herzlichst
Sandra-Stella
