Wir schreiben ja viel über Start-ups, Lucid Motors ist auch eines. Lucid Motors wurde 2016 als Technologiehersteller gegründet, heraus aus dem seit 2007 bestehenden Unternehmen Atieva, dass sich auf Batterien für E-Autos und Antriebsstränge für alle möglichen Hersteller fokussiert hatte. 2016 versammelten sich bei Lucid Motors dann einige Visionären, die da, wo sie bis anhin gearbeitet hatten, anscheinend keine Zukunft für sich oder die falsche für die Automobilwelt sahen. Einer der Geburtshelfer von Lucid war Peter Rawlinsons, vorher technischer Leiter bei Tesla, CEO bei Lucid Motors bis Anfang 2025. Ein anderer Akzelerator, Derek Jenkins, leitete vorher die Designabteilung von Mazda und wurde Senior Vice President of Design and Brand bei Lucid. Rawlinson und Jenkins hatten einen Plan: das beste E-Auto der Welt bauen.

Vom Batteriehersteller zum Autobauer
Es gab Ende der 2010er-Jahre viel Neuland auf dem Terrain der Elektromobilität. Der Konzern profitierte zudem von einem Milliardeninvestment durch den saudischen Staatsfonds Public Investment Fund (PIF) und baute 2018/2019 und auch in der darauffolgenden Saison Batteriesätze für die ebenfalls ziemlich junge FIA-Formel-E-Meisterschaft. Am Anfang der Automobilträume von Lucid Motors stand 2016 ein serienreifer Prototyp, der Lucid Air, aber produziert wurde er noch nicht in grossem Stil. Erst als man mit Hilfe von neuen Investoren ein eigenes Werk in Arizona aufbaute, konnte die Markteintrittsstrategie komplett ausgefahren werden. Der Lucid Air schlug im Premiumsegment auf und bekam schnell Varianten (Pure, Touring, Grand Touring und Air Sapphire), wir durften den Lucid Air Touring testen.

Elegant geschliffen
Von aussen unterscheidet sich der Lucid Air Touring nicht allzu stark von anderen Autos in dem Segment. Er ist vielleicht ein bisschen glatter, klarer, um seinem Namen (lucid bedeutet «klar») gerecht zu werden. Elegant trifft es auch. Auch wenn er Touring heisst, sieht er trotzdem wie eine Kreuzung aus einer Limousine und einem Coupé aus. Erst wenn man drin sitzt, eröffnet sich diese ganz andere Welt, wie sie sehr typisch für Produkte aus dem Silicon Valley ist. Man wähnt sich auf den ersten Eindruck in einem Riesenschiff. Das Auto ist 4,975 m lang, aber es fühlt sich nicht unangenehm gross an. Keine überflüssigen Designschnickschnacks lenken das Auge ab. Gemessen an sonstigen Glascockpits, die bei einigen Automodellen das ganze Armaturenbrett vereinnahmen, kommt einem das Dashboard des Lucid Air Touring geradezu minimalistisch vor. Das digitale Display hat Tabletgrösse, ist diskret zwischen Mittelkonsole und Dashboard angeordnet und lässt sich nach oben versenken, so dass man auch etwas darunter verstauen kann.

Fahrende Konzerthalle
Alles keine wirklichen Überraschungen. Natürlich ist das Auto keyless. Sobald man drin sitzt, läuft er. Und gibt Töne von sich, die man von Darth Wader gewohnt ist. Space mässige Töne, an den Sounds im Auto hat man wie an allem intensiv getüftelt. Für Musikliebhaber hat das Soundsystem Konzerthallenniveau, Dolby Atmos eben. Die Sitze sind bequemer als sie aussehen, hinten kann man sich sogar in eine angenehme fast-Liegeposition begeben. Man spürt, das Auto ist auf das Zurücklegen langer Strecken ausgelegt. Alles ist irgendwie grosszügig, inklusive dem verschwenderischen Panoramadach. Stauräume hat es en masse, sozusagen grosse schwarze Löcher, in denen so einiges verschwinden kann, wenn man nicht gut organisiert ist. Es fällt aber auf, dass man trotzdem Wert auf Kleinigkeiten gelegt hat, die Haptik der Oberflächen ist edel, die geriffelten Schalter lassen ein wenig Classic Car-Feeling aufkommen. Kofferraum? Na ja, so richtig richtig viel Platz hat er nicht, wenn vier Personen im Auto sitzen und Gepäck mitnehmen wollen. Der «Frunk», also der vordere Stauraum fasst 238 Liter, der hintere 627 Liter. Wenn man allerdings die Rücksitze umklappt, kommt man auf 1835 Liter, das ist grossartig.

Soweit die Batterie trägt
Der Lucid Air Touring hat sage und schreibe 628 PS (462 kW). Das merkt man nicht sofort, er reagiert eher sanft auf das Energiepedal, entlädt dann aber seine geballte Kraft. 3,6 Sek braucht er von 0 auf 100 km/h, das probiert man besser nicht innerorts aus. Als Topspeed sind 225 km/h angegeben, auch das braucht man nicht in der Schweiz, zumindest nicht ungestraft. Sehr schnell lernt man aber, mit der Kraft sparsam umzugehen, ein Blick auf den kontinuierlichen Verbrauch sollte man haben. Der Verbrauch ist mit 14,1–16,0 kWh/100 km angegeben, fährt man unökonomisch, rächt sich das schnell. Die 92 kWh Batterie soll zwar eine Mindestrange von 648–651 Kilometern garantieren, im Cityverkehr sogar 677–960 Kilometer (beides nach WLTP, je nach Ausführungen), aber das ist wie bei allen Elektroautos nur der unter optimalen Bedingungen getestete Wert. Die Vermutung liegt nahe, dass man nach 550 Kilometern eine Ladestation suchen sollte, soweit haben wir den Lucid Air Touring allerdings (leider) nie gefahren. Was ein wenig nervt: Der Lucid erkennt wenige bis gar keine Geschwindigkeitsschilder richtig. Und es kommen immer wieder Meldungen, es würde etwas mit dem Schlüssel nicht stimmen. Wir haben das angemerkt bei der Rückgabe, man tippt auf eine temporäre Verwirrung.

Einen bisschen schweben muss man
Man gewöhnt sich extrem schnell an den Luxus und das Auto ist so bequem, dass man sogar versucht ist, darin einen Powernap zu machen. Haben wir getan, zwischen zwei Terminen gab es einen Gap, der dazu einlud. Einziges Problem: Man kann den Lucid, solange man drin sitzt, nicht abstellen. Auf die Parkposition natürlich, aber die Systeme laufen weiter (10 Kilometer weniger Reichweite nach dem Nap…). Die Frage, warum das so ist, konnte der Konzern nicht beantworten. Es sei wie es sei. Was jedoch schön erklärt wurde, war die Frage, woher das eindrückliche sänftenartige Fahrgefühl stammt, wenn man dahin gleitet, und wieso er sich als nicht dezidierter Sportwagen in schnellen Kurven so perfekt an den Boden saugt. Als Antwort verweist der Konzern auf einen Podcast, in dem Chassis Controls Technical Support, Greg Massey erklärt, man habe sich alle grossen Sportwagen angesehen, wie zum Beispiel den Porsche Panamera, und die Benchmark-Limousinen wie die S-Klasse von Mercedes-Benz. Der Unterschied zwischen sportlichem Fahrwerk und Limousinen Fahrwerk ist die Art der Aufhängung. Sportliche Autos haben Federbeine, die anderen Luftfederung. Die Ingenieure wollten, dass ein Lucid Air sich besser fährt als eine Kreuzung zwischen einem Lotus und einer S-Klasse, also keine Kompromisse eingehen. Technikfreaks hören sich bitte diese detaillierte Erklärung im Podcast ab ca. Minute 30 an, die Bottom Line ist, dass Federbeine weniger Energie verbrauchen und einfacher sind, das Auto also nicht noch verkomplizieren. Fazit: Der Lucid Air Touring gleitet auf Federbeinen dahin.

Innovationskraft auf Rädern
Man hat sich also eine Menge überlegt im Lucid (ausser: Das Handschuhfach öffnet auch nur übers Display und nicht mechanisch. Why???), auch, dass das perfekte Auto nicht unbedingt superteuer sein muss. Ein Lucid kommt zwar aus den USA, ein Herkunftsland für Autos, dass sich zuerst (wieder) Vertrauen aufbauen muss, aber er ist eine smarte Entscheidung. Sie entwickeln Neuerungen mit ungeheurer Innovationskraft, wohl auch, weil Menschen dahinter stecken, die wissen, welche Fehler früher bei so ehrgeizigen Projekten gemacht wurden. Jüngst hat übrigens eine Variante des Lucid Air Touring, der Lucid Air Grand Touring, eine Strecke zwischen St. Moritz und München über Landstrassen, Autobahnen und Alpenpässe von 1205 Kilometern ohne Nachladen zurückgelegt. Und last but not least hat Lucid für mehrere Jahre als ersten globalen Markenbotschafter den jungen Shootingstar Timothée Chalamet gewinnen können (auf dem Foto sitzt er in einem Lucid Gravity, dem ersten SUV der Marke). Preis für soviel Auto: Den Lucid Air Touring gibt es ab 91 000 Franken.













