Und sieht neben lauernden Gefahren ein farbenfrohes Spektrum an Chancen. Was Weisheit in Zeiten der KI bedeutet, wie wir unsere KI-Fitness aktivieren und unsere digitale Selbstverteidigung stärken können und was wir dafür verlernen müssen, erfahren Sie in diesem Interview.
Ladies Drive: Anitra, du hast im Sommer ein KI-Bootcamp lanciert. Was hat dich dazu veranlasst?
Anitra Eggler: Als Digitalisierungsveteranin und Digital-Detox-Pionierin weiß ich: 80% der Menschen ist unterdigitalisiert, was ihre digitale Anwenderkompetenz betrifft und überdigitalisiert, was ihren digitalen Medienkonsumbetrifft. Stichwort: Smartphonesuchtis, Instascrolling, Mailswahnsinn und digitales Hamsterrad. Und jetzt kommt auch noch die KI-Disruption, und zwar schneller als befürchtet und smarter als erwünscht. Wir können das nicht stoppen. Ich will die Menschen ermutigen und darin bestärken, dass sie jetzt noch etwas ändern können und nicht total ausgeliefert sind. Ich sehe eine gesellschaftliche Notwendigkeit, Leute zu inspirieren, zu instruieren und zu motivieren, sich jetzt aufzuschlauen.
Wann kam dein KI-Moment?
Es war der Dreikönigstag 2023. ChatGPT kam, aber ohne Weihrauch, Myrrhe und Gold. Natürlich habe ich die KI zuerst an mir selbst getestet. Und ganz ehrlich, wenn ich eine PR-Tante gebeten hätte, nette Dinge über mich zu schreiben, sie hätte mir nichts Besseres geliefert. Ich habe genau zwei Minuten gebraucht, um zu begreifen: DAS verändert alles.
Was war dein erster Gedanke?
Fuck! Mir war sofort klar, mein eigener Job als Autorin und Infopreneurin ist komplett betroffen. Ich war immer eine Edelfeder. Das war mein Gütesiegel. ChatGPT kann das Mittelmass im Journalismus bereits heute abdecken. Die breite Masse hat die Wertschätzung für gut geschriebene Texte sowieso verloren. Sie wollen Bilder und Reels scrollen, suchen einen schnellen Dopamin-Kick im Kopf. Aber nicht nur Journalisten, sondern wir alle müssen unser Leben neu erfinden. Vor allem die Wissensarbeiter, Akademikerinnen und Akademiker, also unsere Eliten, und die Kreativbranche, die Kunst- und Medienschaffenden. Die Arbeit dieser Menschen wird in den nächsten drei bis fünf Jahren eine völlig andere sein. Sie wird sich so radikal verändern, wie Google den Informationskonsum binnen 15 Jahren verändert hat.
Sind sich die Leute dessen bewusst?
Es trifft uns zu einem unmöglichen Zeitpunkt. Die Leute sind erschöpft von der Corona-Situation. Alle haben das Gefühl: „Ich habe mich doch die letzten drei Jahre schon genug neu erfunden. Jetzt soll ich noch mal?“ Ich höre Top-Führungskräfte, die genau wissen, wie dringend das Thema ist, sagen: „Ich kann nicht mehr, ich habe keine Kraft. Ich muss hybride Teams führen, bin mit meiner Leadership-Aufgabe schon am Anschlag. Wie soll ich denn jetzt noch mit KI umgehen?“
Wie müssen wir der KI begegnen?
Mit maximaler Menschlichkeit. Mit rasanter Lernbereitschaft. Und mit Austausch. Es ist 5 nach 12. Die Situation ist ausser Kontrolle. Regierung und Regulierung kommen zu spät. Der EU-Akt für die KI wird seit sechs Jahren verhandelt. Du kannst dir ausrechnen, wie aktuell der sein wird, wenn er 2026 in Kraft tritt. Es wird uns niemand retten. Alle sind zu langsam, selbst was die normalen Digitalisierungsfälle anbelangt. Die Medien sterben aus. Damit fehlt uns das Regulativ für Relevanz und Wahrheit.
Düstere Aussichten …
Es ist wie ein Drehbuch für einen richtig spannenden Film, in dem drei apokalyptische Disruptionen gleichzeitig zusammenkommen: Klimakatastrophe, künstliche Intelligenz, Migration und Rechtsruck. Die Situation ist so ernst, dass die KI-Koryphäen, also die Hersteller dessen, was die Menschheit jetzt an ihre Grenzen bringen wird, offene Briefe an die Regierungen dieser Welt schreiben mit der Bitte, die KI zu regulieren. So als wäre sie vom Himmel gefallen! Sie versuchen die Verantwortung wegzudelegieren, sich eine vorauseilende Amnestie zu erteilen, indem sie die Regierungen warnen, die KI sei vergleichbar mit Nuklearwaffen und Pandemien. Das zeigt, wie ernst die Lage ist. Für mich ist die KI das Endgame. Es wird keine dritte digitale Revolution geben. Die Technologie ist in zu vielen Bereichen schneller und schlauer als der Mensch. Das ist gefährlich für den Menschen, weil die Mehrheit der Menschen nicht mit dieser Künstlichen Intelligenz aus Gründen natürlicher Dummheit umgehen kann.
Selbst für digital versierte Menschen ist es schwierig, Fake von Wahrheit zu unterschieden. Wie können wir dies in Zukunft?
Gar nicht mehr. Selbst eine digitale Forensikerin kann das nicht mehr. Es ist echt schwierig geworden, Deepfakes zu erkennen. Wir müssen künftig davon ausgehen, dass etwas erst mal nicht wahr ist, wenn wir es auf Social Media sehen.
Wie können wir dem entgegenwirken?
Indem wir den Qualitätsjournalismus stützen. Wir brauchen den Qualitätsjournalismus, denn wir können ja auch den Medien nicht mehr trauen, wenn Medienschaffende entlassen und durch Algorithmen ersetzt werden.
Wohin führt das?
Wahlbetrug, Kriminalität, Aufruhr. Derzeit halten die üblichen Verdächtigen aus den USA – Microsoft, Google & Co. – noch die meiste Zahl der KI-Patente. Hier hat ein Wettrüsten mit China begonnen. Ich schätze die chinesische Kultur, aber es ist ein totalitäres System mit einem gesunden Appetit nach Weltherrschaft und einer extrem smarten Datensammelunkultur, die wir selbst füttern. Wir dürfen nicht glauben, dass TikTok dafür da ist, die Menschheit zu bespassen. TikTok ist die chinesische Nummer-1-Datensammelmaschine, vergleichbar mit der Smartwatch, dem Sklavenband der heutigen Zeit. Es gräbt unsere Daten und unser Verhalten ab, macht die Leute dumm und manipuliert sie mit kurzen Videos.
Wo siehst du Chancen durch KI?
In der Medizin! Da freue ich mich über die affenartige Geschwindigkeit und das exponentielle Wachstum. Wir sind sehr nahe dran, Krebs zu heilen, Krankheiten früh zu erkennen, Leid zu mildern. Aber auch hier: Je grösser die Chancen, desto grösser die Gefahren. Die Guten können besser werden. Die Schlechten schlechter. Das Schlechte passiert sowieso. Aber das Gute ist harte Arbeit und kostet Zeit. Die Leute haben die Kraft und die Zeit dafür nicht, weil sie im digitalen Hamsterrad straucheln.
Was bedeutet Weisheit in Zeiten der KI?
„Unlearn we must“, sagt Yoda zu Luke Skywalker. Das betrifft in Zeiten der KI auch Weisheit, Wissen und Wahrheit, unsere heiligen drei Könige für den Geist, die menschliche Kultur, die Zivilisation. Wir müssen sie am besten noch heute neu definieren. Alle drei haben durch die Digitalisierung einen extremen Wertverfall erlebt. Wissen wird heute mit Google verwechselt. Was dort ganz oben steht, wird auch heute noch mit Wahrheit verwechselt, dabei sind das die bezahlten Anzeigen. Wissen entsteht nicht, indem ich etwas reproduziere. Wissen entsteht auch nicht dadurch, dass ich eine PowerPoint-Folie beim Vortrag fotografiere. Wissen fotografieren ist das Gegenteil von denken, etwas setzen lassen, analysieren, in den eigenen Zusammenhang setzen, bei sich selbst implementieren. Wissen hat eine totale Dekonstruktion erfahren.
Woher kommt das?
Die Generation Z ist die erste Generation, die sich unbeaufsichtigt digital selbst aufgezogen hat, und zwar mit Vorbildern, die genau das vorleben: Du musst schöner aussehen, smarter wirken und möglichst viel Reichweite haben. Wie viele Follower Bots und wie viele gekauft sind und ob du zum zwölften Geburtstag 10.000 Insta-Follower von deiner besten Freundin geschenkt gekriegt hast – das ist völlig egal! Es geht nur um die Fassade, und die wird kapitalisiert. Unser altes Weisheitsempfinden ist nicht mehr zeitgemäss. Die Weisheit, die wir kennen, wird von der Masse ebenso wenig honoriert wie das geschliffene Wort, weil die Leute nicht mehr in der Lage sind, sich auf Langtexte zu konzentrieren. Ob das ein Bot geschrieben hat, der besser schreibt als jeder mittelmässige Autor, oder ein Mensch, der nächtelang dran sass, oder einer, der die KI smart bedienen kann, weil er rechtzeitig damit angefangen hat, sich die KI zum Knecht zu machen, und jetzt einen eigenen digitalen Assistenten hat, der in seinem Stil und seiner Menschlichkeit schreibt, ist irrelevant.
Was können wir tun?
Das Einzige, was wir tun können, ist mitspielen, jeder für sich. Wir müssen uns Wissen aneignen. Ich, die Digitalexpertin, genauso wie jede und jeder andere, besonders Lehrpersonen und Universitätsprofessorinnen und -professoren. Die Politik, von der wir gewohnt sind, dass sie uns rettet, wird es nicht tun. Die Bildungsoffensive muss jede und jeder selbst machen. Und wenn man keine Kraft hat, erst recht. KI wird mehr Jobs kosten als bringen, das heisst, jede:r Einzelne muss sich mal hinsetzen und überlegen: Wo und wie könnte mich künstliche Intelligenz bei der Arbeit unterstützen oder substituieren? Jetzt hoffen alle Leute, dass KI nur die langweiligen Aufgaben erledigt. Das wird eben nicht so sein. Ich schreibe gern, aber die KI weiss, wie man den Massengeschmack bedient. Dann muss ich meinen eigenen Workflow eben umstellen, die Maschine die grosse Arbeit machen lassen und nur noch redigieren. Du wirst dadurch schneller. Du kannst einen besseren Output in kürzerer Zeit liefern. Hast du moralische Bedenken? Andere haben sie nicht! Just do it!
Deine Tipps zur digitalen Selbstverteidigung für ein Leben mit KI?
Unlearn we must. Wir müssen vorverurteilen. Sorry! Wir müssen davon ausgehen, dass News und vermeintliche Notfälle erst mal nicht wahr sind. Leider. Und das darf uns nicht davon abhalten zu helfen, es muss uns dazu zwingen, die Quelle und die Plausibilität der Nachricht zu hinterfragen. Wir müssen schlau sein, proaktiv denken und uns fragen: Wie kann meine Mutter wissen, dass die Person am Telefon wirklich ich bin und nicht mein Stimm-Avatar? Wir sind alle gefährdet von Fake, Scam und Betrug. Wir müssen total kreativ werden, was unsere eigene Sicherheit anbelangt. Digitale Selbstaufschlauung und digitale Selbstverteidigung sind Pflicht! Warum werden so viele Menschen gehackt? Weil sie ihre digitale Tür weit aufmachen. Das ist nicht smart! Mit Passwörtern wie „123456“ haben Hacker ein leichteres Spiel, als wenn sie erst unsere Passwortmanagement-Software hacken müssen. Und ja, bitte schützt das eigene Bild und insbesondere die Bilder eurer Kinder. Wir müssen uns bewusst sein: Die Dinge sind gratis, weil du und deine Daten das Produkt sind. Und: Ich empfehle regelmässig Updates zu machen. Das ist wichtiger denn je zuvor.
Haben wir überhaupt noch eine Chance?
Wir haben eine Chance zu bestimmen, wie menschlich wir uns unser Umfeld machen. Wir müssen Dinge verlernen. Das klingt unsexy. Aber es kann so schön sein! Lasst uns das Verlernen intensivieren und auch den Kontrollverlust kultivieren. Die beste Art und Weise, mit KI umzugehen, ist, sie zu umarmen. Und etwas Gutes daraus zu machen.
Mit eigenständigem Denken!
Um denken zu können, musst du abschalten können. Ich gebe in jeder KI-Bootcamp-Session einen Screen-Life-Balance-Tipp, zum Beispiel warum sich Bildschirm-Monogamie auszahlt. Gewöhne dein Gehirn wieder an Mono-Medien und Mono-Tasking. Lerne wieder zu denken und Zeit zu gewinnen. 62 Prozent der Lebenszeit eines Bürokriegers ist Bildschirmzeit. Davon gibt es sinnvolle und schlechte Bildschirmzeit wie Insta-Scrolling. Da können wir uns alle locker jeden Tag eine halbe Stunde zurückholen. Und wenn wir davon nur eine Viertelstunde in die KI-Fitness investieren und 15 Minuten in Selbstliebe und Achtsamkeit, haben wir die Kraft, die KI-Zukunft aktiv zu gestalten und uns nicht absorbieren zu lassen. Denn in Zeiten von Bots, Putin, Musk und Google sind Menschlichkeit und Lebensgenuss mein Zuckerberg.
www.anitra-eggler.com/ki-bootcamp
Alle, die Interesse hatten, die KI-Revolution aktiv mitzugestalten, hatten die Möglichkeit Anitra Eggler beim Bargespräch Privé am 28. September 2023 live zu erleben.
Verpassen Sie eine solche Gelegenheit nie wieder – melden Sie sich für Bargespräche an: ladiesdrive.world/bargespraeche
Anitra Eggler ist Web-Veteranin, Digital-Detox-Pionierin, Bestseller-Autorin, Infopreneurin, Keynote-Speakerin, Hedonistin. „Digital abschalten können ist so erfolgsentscheidend wie Bremsen beim Autofahren.“