Career Checks

Text: Christina Kuenzle

HERAUSRAGEN! ALLES ANDERE IST BEILAGE

Wie Sie mehr aus Ihrer Karriere machen können, und weshalb es sich lohnen kann, sich nicht anzupassen.
Immer lauter wird der Ruf nach „USPs“ (Unique Selling Propositions) und immer höher werden die Anforderungen an Einzigartigkeit. Bei 7,2 Milliarden Menschen auf der Welt ist es allerdings „anspruchsvoll“, einzigartig zu sein, und doch: Menschen, die um einiges komplexer sind als Schneeflocken, sollten das schaffen! Der japanische Parawissenschafter Masaru Emoto hörte in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, dass es keine zwei identischen Schneeflocken gäbe und – weil Forscher halt so sind – wollte das genauer erforschen und, wenn möglich, den Gegenbeweis antreten. 20 Jahre und Zehntausende von Schneeflockenphotos später konnte er dann auch bestätigen: Es gibt keine identischen Schneeflocken, wie es auch keine identischen Menschen gibt. Trotzdem sehen sich viele der Schneeflocken recht ähnlich, und es gibt auch Grundstrukturen, die identisch sind: So zum Beispiel haben sie immer sechs Arme. So hat also jede Schneeflocke bei ähnlichen Mustern ihr Alleinstellungsmerkmal oder ihr „USP“. Bei grösseren Konferenzen mit hohem Frauenanteil ist das gar nicht so anders: vorherrschend Platinblond, BMI 21.5, schwarzer Hosenanzug, gepflegtes Make-up, Schuhe mit Absätzen, helle Bluse und teurer, dezenter Schmuck … dann viele „Kopien“: gefärbt platinblond, BMI 26, der Rest ähnlich. Zu brünett oder grau zu stehen braucht offensichtlich schon Mut, Farbe zu tragen, wäre bereits verwegen und kommt deshalb fast nicht vor. Alles Schneeflocken, und doch jede einzigartig, was man aber erst im Gespräch merkt. Was bloss bringt uns dazu, uns dermassen zu normieren und anzupassen?

Evolutionstheoretisch ist es besser, einer Gruppe anzugehören als sich abzuheben. Wir haben also zwei Trends: Einerseits wollen wir uns abheben von der Gruppe um aufzufallen, anderseits wollen wir uns anpassen, um nicht Zielscheibe zu werden, und damit die besseren Überlebenschancen zu haben. Marc Ospel, der frühere und nicht mehr so angesehene UBSChef drückte das treffend so aus: „In meiner Position muss man sich daran gewöhnen, die Pissoirwand der Nation zu sein.“ Mit anderen Worten: Wer bekannt ist, der wird auch angegriffen. Wer herausragt, über den werden Meinungen am Stammtisch gebildet, der wird beurteilt und verurteilt, wie es der Masse halt grad passt. In der Tierwelt ist es heute noch so, dass Mitglieder einer Sippe oder eines Rudels, die ausgestossen werden, ein ziemlich gefährliches und in der Regel kurzes Leben führen. Auch die jüngere Neurobiologieforschung bestätigt, dass Langlebigkeit und Status eng miteinander verknüpft sind. Ohne Akzeptanz und Zuwendung können wir nicht überleben, und so können wir die starke Anpassung auch in Gruppen von Jugendlichen beobachten, die sich gleichförmig verhalten, um dazuzugehören (Edelmarken und Apple freuen sich!). Wo bleibt da der USP?

Ob es folglich ein Vorteil ist, einen USP zu haben, da sind sich die Wissenschafter gar nicht so einig! Entscheidungstheoretisch kann es sogar ein Nachteil sein, denn wir entscheiden uns eindeutig leichter, wenn wir vergleichen können. Vergleiche ziehen ist etwas, was das Hirn dauernd macht. Der Wirtschaftsprofessor Ernst Fehr verweist auf Experimente, welche beweisen, dass wir seltener das teuerste als das zweitteuerste Produkt kaufen, wobei wichtig ist, dass die beiden hochwertigen Produkte klar abgesetzt sind von einem dritten, eindeutig billigeren Produkt. Vergleichbar sein gilt auch in Bezug auf Sympathie gegenüber Menschen: Es ist also besser, Sie gehen nicht allein auf den „Beziehungsmarkt“, sondern in Begleitung von zwei Personen: einer ähnlichen, die jedoch weniger attraktiv ist, und einer zweiten, die ganz anders ist. So haben Sie am meisten Chancen, angesprochen, respektive gewählt zu werden.

Schauen wir nun mal Familienkonstellationen an: Oft übernimmt das erstgeborene Kind die Rolle des Musterkindes, es ist also angepasst und liebenswürdig und macht, was es soll. Die Rolle des zweiten Kindes – das ja auch seinen USP haben will – ist also die des Problemkindes, d. h. psychische Auffälligkeiten oder unangepasstes, für die Umwelt demzufolge problematisches Verhalten, sind zu erwarten. Übernimmt das erste Kind diese Rolle, dann kann das zweite Kind die positive Rolle des Musterkindes übernehmen. So haben die meisten Familien oder Gruppen ihr „schwarzes Schaf“, was jedoch durchaus systemisch bedingt ist, und so gesehen Sinn macht.
Es scheint also, dass sich nur leisten kann, einen USP zu haben, wer selbstbewusst und selbstsicher ist; wer sich selber mag und wer einen guten Rückhalt hat. Wenn wir uns erst zur „Trendsetterin“ gemausert haben, dann werden unsere USPs tausendfach kopiert und – da eine Kopie immer schlechter ist als das Original – der Trendsetter wird berühmt, begehrt und gefeiert. Soweit unser Wunschbild. Sollte unser USP jedoch nicht positiv aufgenommen werden – er wäre dann eher eine „Unique Stinking Proposition“ – dann wird es allerdings schwierig, denn das hat in der Regel den Ausschluss aus der Gruppe oder mindestens Verachtung und Ablehnung zur Folge. Das ist über längere Zeit für die meisten Menschen schwierig auszuhalten. Auch kann es sein, dass wir uns aufgrund unseres USP einen Nachteil verschaffen. So zum Beispiel könnten Sie sich den USP schaffen, mit allen Menschen gut auszukommen. Wen glauben Sie dann, würde man in das Zweierbüro mit der unmöglichsten Person im Betrieb setzen? Oder Sie werden bekannt als äusserst durchsetzungsfähige Saniererin. Was für Jobs werden Sie dann kriegen? Dass USP s nicht immer das bringen, was wir von ihnen erhoffen, beschreibt die folgende Geschichte:
Eine Studentin ging eines Tages joggen im Wald. Da sah sie auf der Strasse einen kleinen Frosch, und da sie wusste, dass Amphibien auf der Strasse von rücksichtslosen Autofahrern gnadenlos überfahren werden, hob sie ihn auf und wollte ihn eben ins Gebüsch neben der Strasse setzen, als ihr der Frosch zuflüsterte: „Küss mich, ich bin ein verwunschener Prinz!“. Sie dachte, sie höre wohl nicht richtig und betrachtete den Frosch irritiert. Und wieder hörte sie diese Stimme und sah, wie der Frosch das Maul bewegte und sie wiederum aufforderte, sie zu küssen. „Du wirst in einem schönen Schloss wohnen, nur noch Gucci Klamotten tragen, wir werden jeden Tag Sex haben, du wirst Porsche fahren und erster Klasse in den Urlaub fliegen … Du wirst es nicht bereuen!“ Da steckte sie den Frosch in die Tasche und joggte weiter. Nach einer Weile fragte der Froschgenervt: „Nun, was ist: wird jetzt geküsst oder nicht?“ Sie nahm den Frosch aus der Tasche und meinte: „Weisst du: Prinzen gibt es einige, aber ein sprechender Frosch! …“.

Sollten Sie sich jedem Ratschlag zum Trotz trotzdem einen USP zulegen wollen, dann gehen Sie wie folgt vor:

1. Betrachten Sie Ihre ungeliebten Seiten und Aspekte. (Vergessen Sie die Aspekte an sich, die Sie mögen und bewundern, denn die sind schon millionenfach besetzt).
2. Überlegen Sie, in welchem Umfeld und in welchen Situationen Ihre schlechten und hässlichen Seiten ein absoluter Vorteil sind. (Denken Sie daran: Die besten Taschendiebe erhalten Zirkusengagements, die faulsten Kollegen haben am wenigsten zu tun und die rüdesten Abzocker werden Millionäre).
3. Freunden Sie sich mit einer Ihrer sogenannten verachtenswerten Seiten an.
4. Begeben Sie sich in das Umfeld, in welchem genau diese Seite ein Vorteil ist, und bauen Sie sie aufs Allerbeste aus.
5. Arbeiten Sie konsequent an Ihrem „Brand“, aber immer so, dass Sie die positiven Auswirkungen Ihrer sogenannten Schwäche im Fokus behalten und damit Nutzen schaffen.

Die anspruchsvollere Variante, einen USP zu kreieren, wäre, dass Sie sich zum „Game changer“ durchkämpfen, d. h., dass Sie innovativ werden. Dazu bräuchten Sie allerdings eine überzeugende Idee, die vor Ihnen noch niemand gehabt oder zumindest noch nicht publiziert hat, denn nur die Künstler, Musiker und Wissenschafter werden wirklich berühmt, die etwas hervorbringen, was vorher noch nicht war. Dabei ist es weniger wichtig, ob es „schön“ ist – denn das ist eh nur Volksmeinung und nicht Expertenurteil – sondern, dass es ungewohnt und absolut neu ist. Sollten Sie das geschafft haben, dann hätten Sie Ihren USP als Urheber dieser Innovation erreicht. Es gibt den Spruch: „The early bird catches the worm, but the second mouse gets the cheese.“ (Der erste Vogel fängt den Wurm, aber die zweite Maus bekommt den Käse). Seien Sie also vorsichtig mit Durchbrüchen und USPs, denn sie könnten auch nach hinten losgehen. Als Nachahmer und Kopist ist das Leben zwar eindeutig langweiliger, aber Sie sind immerhin in grösserer, wenn auch nicht in besserer Gesellschaft.

 

*Christina Kuenzle ist Unternehmerin und betreibt mit ihrer Firma Choice Ltd. seit Jahren erfolgreiches Business & Executive Coaching. www.choice-ltd.com

 

Veröffentlicht am Juni 05, 2015

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