Maria Larsson
Mitglied der Geschäftsleitung & Verwaltungsrätin HTC High-Tech-Center AG,
Verwaltungsrätin SBW Haus des Lernens AG,
Kunsthistorikerin
Kunstreisen Verein,
Kunstfreunde Zürich
Gelassenheit
In meinem persönlichen Werdegang hatte ich, mit ganz wenigen Ausnahmen, das grosse Glück, fast ausschliesslich auf empathische Leadership zu stossen. Die Kultur- und Bildungsbranche zeichnet sich ganz generell durch ein hohes Mass an Werten wie Motivation, Sozialkompetenz und Selbstwahrnehmung aus. Die Verbindung von Idealismus, „thinking outside of the box“ und realistischem Unternehmertum versuche ich auch heute in meinen unterschiedlichen Positionen weiterzuleben. Eine der grössten Herausforderungen sehe ich in einer immer stärker werdenden Individualisierung des Einzelnen in Kombination mit steigender Intoleranz gegenüber dem Gedankengut „des anderen“. Kurz gesagt: Wir sind in der Ära der „Filter-Bubbles“ gefangen. Wir bewegen uns fast nur noch in Kreisen, welche unsere eigenen Überzeugungen teilen und bestätigen. Emotionale Intelligenz kann als ausgleichende Kraft hier ansetzen, indem wir wieder das Zuhören und das Verständnis für unser Gegenüber ins Zentrum stellen. Wir brauchen wieder mehr Neugier, Achtsamkeit und Mut, uns auf Neues einzulassen.
Empathische Leadership beinhaltet die Erschaffung eines gemeinsamen Raums, in dem Menschen innerhalb einer Gruppe ihre ganz persönlichen Talente entfalten können und aktiv dazu ermuntert werden, eigene Ideen und Visionen einzubringen. Wertschätzung und Kommunikation auf Augenhöhe sind dabei zentral. Als Leader:in muss man Ziele ganz klar formulieren. Empathische Leader:innen wissen genau, wohin sie wollen, wie viel sie von der eigenen Vision auf andere abwälzen können und wo klare Grenzen der Belastbarkeit überschritten werden. Wie diese Ziele schlussendlich dann erreicht werden, sollte aber möglichst frei gestaltbar bleiben, basierend auf den besten Fähigkeiten des Einzelnen.
Wie können Führungskräfte diese Leadership-Transformation hinkriegen?
Als Führungskraft brauche ich vor allem zuerst eine beträchtliche Portion Selbsteinsicht. „Wo liegen meine Talente, und welches sind meine Schwächen?“ Anstelle von Schwäche könnte man vielleicht auch Desinteresse nennen, denn alles, was wir ohne Leidenschaft ausführen, wird zwangsläufig nur halb so gut. Als weitere Komponenten würde ich Bescheidenheit kombiniert mit einem sehr guten Selbstbewusstsein nennen. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir heute alles selbst verstehen, beherrschen und erledigen können. Das vermochten vielleicht noch die Universalgelehrten der Renaissance, die einen Grossteil des damals bekannten Wissens in einer Person vereinen konnten. Heute muss ich einsehen, dass ich den Überblick behalten muss, aber die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze innerhalb Europas, das neue James-Webb-Teleskop oder die genaue Entstehung eines Ethereums nie ganz begreifen werde. Vor allem, wenn ich gleichzeitig auch noch die Namen aller relevanten zeitgenössischen Künstler:innen in meinem Kopf behalten möchte. Mit „No man is an island“ brachte es John Donne bereits 1624 auf den Punkt. Wir sind als Menschen Teil eines grossen Geflechts. Wenn wir das Netz weiterspinnen und ausbauen, ohne es an den Rändern zu zerreissen, werden wir schon sehr viel erreicht haben. Die Schönheit des Menschseins liegt in unserer Vielfältigkeit. Nutzen wir diese nicht, verpassen wir unsere besten Chancen. Im Handlungsbereich der emotionalen Intelligenz angesiedelt wäre meiner Meinung nach aus diesem Grund auch die Einsicht, dass keine gerechte CEO-Entlöhnung das Tausendfache eines/einer Angestellten sein kann, wie dies heute in gewissen Branchen immer mehr zur Regel wird.
Emotionale Intelligenz kann man trainieren. Wieso eigentlich nicht bereits in der Schule?
Man sollte bereits in der Schule Felder vorfinden, wo man mit der eigenen Leidenschaft Projekte anstossen kann und wo man auch scheitern darf, aber gleichzeitig Biss entwickeln kann. Je mehr man sich mit seiner Leidenschaft auseinandersetzt, desto mehr stellt man fest, dass weitere Fortschritte auch zunehmend schmerzlich sein können – das braucht Resilienztraining. Wer Neues beginnt und wagt, seinen Träumen nachzugehen, wird auf Widerstand stossen von denen, welche nichts ändern wollen. Das muss man aushalten können. Resilienz und Leidenschaft sind aber starke Triebfedern des eigenen Glücks. Lesen Sie ausserdem so viele Bücher wie möglich. Nie werden Sie tiefer in die Gedankenwelt anderer Menschen eintauchen können. Treffen Sie so viele und so unterschiedliche Menschen wie möglich. Emotionale Intelligenz können wir verfeinern, indem wir uns mit offenem Blick auf andere Menschen einlassen. Im digitalen Zeitalter werden heute viele interpersonelle Begegnungen direkt ins Netz verlagert. Für den Ausbau der emotionalen Intelligenz des Einzelnen kann das auch ein Rückschritt sein. Dies sollten wir im Auge behalten. Die steigende Vereinsamung in westlichen Gesellschaften ist eine Herausforderung.
Dos & Don’ts
Als Erstes braucht der Mensch Respekt und Selbstreflexion. Dies muss im Elternhaus und in der Schule vorgelebt werden. Wir sollten versuchen, die Talente und Stärken unserer Mitmenschen zu erkennen und zu fördern; bei Freunden, Kindern, Bekannten oder Verwandten nicht an Zuspruch und Motivation sparen, wenn ihnen etwas Gutes gelingt. Fehler zu begehen und zu scheitern gehören zum Leben und sollten als Lebenserfahrungen eigene Wertschätzung bekommen. Emotionale Intelligenz beinhaltet auch die bewusste Wahl – jeden Tag aufs Neue –, die eigenen Frustrationen und Unzulänglichkeiten nicht auf andere abwälzen zu wollen.
Mein Rat an andere Leader:innen:
Kunst und Kultur sind für mich Antennen emotionaler Intelligenz. Durch sie können wir uns in andere Welten versetzen lassen. Mich interessiert als Kunsthistorikerin und Unternehmerin, wie man Kunst in den Alltag integrieren kann und ob diese einen direkten Effekt auf unser Befinden hat. Am Talent Campus Bodensee konnte ich bereits viele dieser Ideen umsetzen, denn die Lernenden sind täglich von Kunst umgeben. Ab Sommer 2022 kommt auch der Talentcampus Zürichsee in Wurmsbach dazu.
Gute Kunst stellt immer mehr Fragen, als sie Antworten liefert, und zwingt uns somit, uns immer wieder selbst darin zu spiegeln.
Weitere Foto-Interviews in der Serie „Emotionale Intelligenz“: