Heftige Winde begleiten unseren zwei- stündigen Flug nach Thessaloniki. Während zu Hause der Regen behauptet, er hätte Ahnung vom Sommer, entfliehen wir eilenden Schrittes in die sonnen- garantierte wohlige Wärme Griechen- lands und begeben uns in den Schoss uralter Ahnen und Götter.
Im wackligen Landeanflug über dem Golf von Thessaloniki zieren einsame Wolken den stahlblauen Himmel und ziehen träge und müde im Wind gen Osten. Wir erspähen ein über und über verwuchertes, ver- lassenes, trauriges Fussballstadion. Es erinnert mich an eine Szene im Hollywood-Blockbuster „I Am Legend“ – und an die wirtschaftliche Lage unserer Feri- endestination Griechenland. Man erzählte uns schon im Vorfeld, dass vielerorts die Touristen ausblieben und die gähnende Leere in den Hotels und Restaurants das- selbe für die Kassen der Betreiber bedeu- tet. So sind wir gespannt, wie es um den Tourismus in Chalkidiki und unserem Bestimmungsort Nikiti bestellt ist. Denn wir sind unterwegs ins luxuriöse „The Danai Beach Resort & Villas“.
37 Grad. Unweigerlich steigen Schweissperlen auf unserer Stirn auf. Wasser! Der Fahrer unserer Limousine setzt uns auf die Rücksitze seines klimatisierten Wagens und reicht zwei Flaschen Mineralwasser. „One hour. The drive. One hour“, erklärt er in holprigem Englisch mit kräftig rollendem „r“.
Die Zypressen stehen aufrecht und stolz wie Zinnsoldaten am Strassenrand und säumen die sonnentrockenen braungelben Felder des Landes. Dazwischen schimmern die Olivenbäume wie Schildpatt in der Hitze. Dazu als Soundtrack: Bouzouki-Klänge und Männerchöre auf FM 97.3 – Radio Chalkidiki. Unserem Fahrer gefällt’s. Sein Finger tippt im Takt aufs Lenkrad.
Tatsächlich exakt eine Stunde später empfängt man uns im Danai – einem idyllisch gelegenen Resort mit einem umwerfenden Blick auf das tiefblaue Ägäische Meer und die Hügel von Kassandra. Wir selbst befinden uns auf dem mittleren Finger Chalkidikis: Sithonia. Die mediterrane, griechisch-weisse, stolze Architektur der Anlage mit ihren üppigen Bäumen und Pflanzen hebt sich in der flimmernden Hitze vom kitschigen Blau des Meeres ab und vereint sich in der Ferne mit dem sanften Babyblau des Himmels. Endlich Sommer! Whoop Whoop!
Manchmal entstehen solche Hotels als Investment – und manchmal sind sie eine Liebesgeschichte. Hier ist es Letzteres. Der Berliner Maschinenbauingenieur Otto von Riefenstahl (und ja, seine Grosstante war Leni Riefenstahl) lernte eine Studentin aus Thessaloniki kennen. Deren Name: Danai. Die beiden verlieb- ten sich. Der Baron heiratete die griechi- sche Studentin. Jahre später eröffneten sie gemeinsam eine Hotelanlage, die nach dem Motto „Zu Gast bei Freunden“ kreiert worden war. Jede Suite ist individuell komponiert – unsere erinnert ein wenig an Miami Vice: Glitzerkissen, mit Nieten besetzte Sofas. Die Mischung aus Individualität, Design, Natur und griechischem Charme versetzt die Gäste des Hauses nun schon seit Jahren in Feierlaune, und dazu trägt sicher auch der ausgiebig bestückte Weinkeller bei. Das Magazin „Wine Spectator“ zeichnete das Hotel eben gerade erst mit dem „Best of Award of Excellence“ aus. Und Tatsache – der Sommelier des Hauses, Apostolos, kann einem beim Dinner neben preiswerten, aber köstlichen griechischen Weinen bis hin zu edelsten Tropfen, um die einen sogar die Hersteller beneiden, alles, was das (Wein-)Herz begehrt, kredenzen. Selbst ein Abendessen im kühlen Weinkeller wird angebo- ten – wir indessen geniessen lieber die 27 Grad warmen Abende und den verträumten Blick hinaus aufs Meer. Eine Wärme, die man ansonsten eher von den Malediven kennt – oder aus der Südsee – mit dem Unterschied, dass in Äquatornähe früh schon die Dunkelheit übers Land zieht, während man in Griechenland noch lange sonnenerfüllte Abende geniessen kann – ohne dass wir je von einer lästigen Mücke attackiert worden wären. Ich glaube fast, denen ist es hier auch zu heiss.
Apropos Verpflegung: Als Grill-Liebhaber mit Vorliebe für lokale Spezialitäten ist man hinsichtlich dem eigenen Leibeswohl hier genauso gut bedient wie als Fan der hochstehenden Gault- Millau-Küche. Je nach Budget, Lust und Laune verwöhnt einen das Restaurant The Squirrel – wenn man denn einen der sechs begehrten Tische ergattern kann. Herve Pronzato ist einer der international angesagten Spitzenköche. Wir verstehen seit unserem Dinner auch weshalb. Obwohl Vegetarier wie wir in solchen Etablissements eher unliebsame Gäste sind, verwöhnte man uns mit einer verwegenen Mischung aus einer fast schon kreolisch angehauchten Küche, die mit einer mediterran-französischen Eleganz einhergeht – wie unser Hauptgang: Auberginen auf Bananen, dazu Nüsse und Limonen. Am liebsten hätte ich das dreimal bestellt! Wer indessen lieber ein Mythos trinkt (ja, Bier!), der findet hier ebenso ein Plätzchen. Zum Beispiel an der Philosophy Seaside Bar, die erst gerade neu gestaltet wurde. Man überblickt den Strand, die sexy Strandnixen und Möchtegern-Daniel-Craigs, die meist etwas ungelenk aus dem kieseligen Meer an den Sandstrand emporsteigen, mampft dabei gemütlich ein Club-Sandwich und nippt an seinem Mythos. Auch das geht.
Danais Sohn Kimon führt mittlerweile übrigens die Geschicke als General Manager. Und auch er mag die Bar. „Das ist einer meiner Lieblingsorte“, verrät er uns. „Ich bin abends gern hier, suche Kontakt zu den Gästen. Wir möchten, dass kein Gefühl der Anonymität herrscht, sondern dass wir als Besitzerfamilie für die Gäste da sind“.
Mein persönlicher Lieblingsort wurde die Terrasse des Hauses, auf der man auch das Frühstück geniessen kann. Der Blick hinaus auf die See ist stets etwas, was mein Herz erwärmt und mich weit wegträgt von den To-do-Listen zu Hause, den Bergen von E-Mails, die sich während einer Reise in meinem ohnehin chronisch übervölkerten Posteingang gerade ansammeln und den alltäglichen familiären oder unternehmerischen Herausforderungen, mit denen man ansonsten mehr oder weniger zu kämpfen hat. Der Geist taucht ein und lässt die Seele auf dem Tiefblau des Meeres wandern wie auf einem indischen fliegenden Teppich, der ohne Ziel umherstreift, so wie meine Gedanken, die auf den kleinen, unschuldigen weissen Wolken in wohlige Stille verfallen, verzückt ob der Langsamkeit, die mein Leben gerade übergiesst wie ein warmer Sommerregen, den ich am liebsten splitterfasernackt geniessen würde.
„Madam, another Greek coffee?“ Die Stimme einer jungen Frau, die zu mir an den Frühstückstisch tritt, reisst mich aus meinem fliessenden Ferienfeeling. „Yes, please!“ Ich klappe doch meinen Laptop auf und erlaube mir, eine Stunde E-Mails zu beantworten.
In der brütenden Hitze der Nachmittags- sonne lege ich mich danach, beruhigt zumal irgendwas getan zu haben, auf einen schattigen Liegestuhl und freu mich aufs nun folgende Pampering-Ritual am Strand. Einmal wird die Sonnenbrille geputzt, danach gibt’s eisgekühlte Handtücher oder ein paar frische Früchte. Wie die Göttin in Griechenland geniesse ich es, sinnlos umsorgt zu werden. Bis zum allerletzten Sonnen- strahl, den man in diesem Jahr auszukosten weiss, bleiben wir im warmen Sand. Mit dem beginnenden, jungen Abend überzieht nicht nur ein dunkles Blau die Landschaft, auch die Zikaden erwachen zum Leben und hören bis in die tiefe Nacht nicht mehr auf, uns in den Schlaf zu zirpen.
Meine Wetter-App besagt, dass zu Hause bereits wieder regnerisches Wetter auf dem Programm steht. Ich wäre gern gekommen, um zu bleiben – doch diesmal muss ich wieder weg. Als wir die Limousine zum Flughafen zurück besteigen, werfe ich einen letzten Blick zurück in die Blumengesäumten Gärten des Danai. Kein Wunder, dass es den Göttern hier so gut gefallen hat.