Die Vr-mittlerin

Text: Claudia Gabler
Fotos: Adriana Tripa

GetDiversity hat Mitte 2013 alle 229 börsennotierten Unternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz analysiert. Zu den Ergebnissen der Untersuchung, Sinn oder Unsinn einer Frauenquote, und warum viel geredet, aber wenig getan wird, durften wir die Frau befragen, die wohl am meisten über VR -Frauen in der Schweiz weiss: Dr. Michèle Etienne, Unternehmerin, Netzwerkerin und Vermittlerin von Frauen in Aufsichtsratspositionen.

Sie unterstützt Unternehmen und Organisationen bei der Suche nach Frauen in Aufsichtsratsgremien. Hier für pflegt sie mit GetDiversity ein starkes Netzwerk von Verwaltungsrats- und Stiftungsrätinnen, welche fähig und bereit sind, diese verantwortungsvollen und wichtigen Funktionen zu übernehmen. „An qualifizierten Frauen mangelt es nicht“, stellt Michèle Etienne gleich eingangs fest. Doch immer noch sei die Sensibilität nicht vorhanden, der Mehrwert von gemischten Gremien werde zu wenig erkannt, und „Mann bleibt gern unter sich“, so Etienne. „Viele Herren auf der Stufe VR gehören einer anderen Generation an, die auch während ihrer operativen Karriere selten mit gemischten Gremien konfrontiert war. Sie netzwerken anders und suchen beim bekannten Headhunter, der sich nicht gezwungen sieht, eine gemischte Liste anzubieten“, so die Unternehmerin. Anders bei GetDiversity.
Die Organisation von Michèle Etienne und Barbara Rigassi hat sich darauf spezialisiert, 50/50-Listen oder reine Frauenkandidaturen zu präsentieren. Dennoch: „Es wird viel zu viel geredet und viel zu wenig gemacht!“

 

Ladies Drive: Wie erklären Sie den Gap zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und der tatsächlichen Situation, was Frauen und deren Präsenz im Verwaltungsrat betrifft?
Michèle Etienne: Es wird viel geschrieben. Das vermittelt das Gefühl, dass viel passiert. Doch wenn man genau hinsieht, ist man effektiv noch nicht viel weiter. Viele Entscheidungsträger scheuen sich, das Zepter in die Hand zu nehmen und sich letztendlich auch messen zu lassen.

Wie wollen Sie den Druck erhöhen?
Ein WoB-Index (Women on Board), wie ihn die FidAR, der Verein Frauen in die Aufsichtsräte in Deutschland lanciert hat, wäre eine gute Ergänzung zur gesetzlichen Regelung. Einen solchen Index wollen wir auch in der Schweiz etablieren und von unabhängiger Stelle monitoren lassen. Es braucht eine wissenschaftliche Stelle, welche die Entwicklung systematisch überprüft. Niemand will in einem solchen Ranking ganz unten in der Liste stehen! Wenn keine konkreten Ziele dahinterstecke und es keine Penalty gibt, wenn die Ziele nicht erreicht werden, kann man den Erfolg nicht messen – und es bleibt leider bei Lippenbekenntnissen.

Schiessen die bestehenden Initiativen aus Ihrer Sicht am Ziel vorbei?
Das Wirtschaftsmagazin ECO hat das Thema 2007 im Zusammenhang mit der damaligen Initiative PotentiElle aufgegriffen und 2010 nochmals nachgefragt, was seither passiert ist. Die Antwort fiel ernüchternd aus! Ein zweites Thema, das ich kritisch beobachte in dem Zusammenhang: Männer werden befördert, Frauen werden gefördert. Ich sage nicht, dass es grundsätzlich falsch ist, jemanden zu Beginn seiner Karriere an die Hand zu nehmen und zu zeigen, wie es läuft. Aber irgendwann muss man den Frauen eine Chance geben, sich zu beweisen. Ich will nicht gefördert werden, ich will eine reelle Chance bekommen!

Sie sprachen in Ihrem Vortrag beim 14. Netzwerk-Anlass von GetDiversity auch über die kritische Masse. Was ist darunter zu verstehen?
McKinsey hat eine Studie herausgebracht, die besagt, dass es in einem Gremium mindestens drei Frauen braucht, damit sich etwas verändert. Diese kritische Masse ist notwendig, denn sie bewirkt, dass das Geschlecht in den Hintergrund und die Person, die etwas sagt oder macht, in den Vordergrund rückt.

Frauenquote: Sinn oder Unsinn?
Norwegen hat die Quote erreicht – und die norwegische Wirtschaft steht deswegen nicht schlechter da (lacht). Teilweise sind die Gremien vorübergehend grösser geworden, weil man die Männer zu Gunsten der Frauen nicht herauskomplimentieren wollte, aber das wird sich regulieren, wenn die Gremien vor Erneuerungswahlen stehen. Allerdings hat die gesetzlich verordnete Quote zu keinem Nachahmungseffekt in den KMU geführt. Börsennotierte Unternehmen kann man zwingen, KMU nicht. Das betrifft die Schweiz als KMU -Land in besonderem Masse.

Kommt die EU-Quote von 40 Prozent?
Die EU hat sich bezüglich der strategischen Gremien an Norwegen angelehnt, und die Norweger haben bewiesen, dass es geht. Die Quote für strategische Gremien zu erreichen, ist einfacher als in den operativen Gremien. Hier wird auch viel Polemik betrieben – eine Quote von 20 Prozent klingt gut, doch worauf bezieht sie sich schlussendlich?

Schafft die Schweiz ihr Ziel von 20 Prozent?
Auf Geschäftsleitungsebene ist das machbar. Auf das ganze Unternehmen und alle Führungsfunktionen bezogen erscheint mir das Ziel sehr ambitiös.

Was muss eine Verwaltungsrätin mitbringen?
Loyalität und Teamfähigkeit. Sie muss in der Lage sein, von der operativen auf die strategische Ebene zu wechseln. Natürlich dürfen auch spezifische Fach- und Branchenkenntnisse und ein gesunder Menschenverstand nicht fehlen. Sie braucht eine gute Kommunikationsfähigkeit ohne Dominanzverhalten; darunter verstehe ich, dass man sich zwar durchsetzen kann, aber Mehrheitsentscheide mitträgt.

Was empfehlen Sie Frauen, die ein VR-Mandat anstreben?
Mehrere Wege führen nach Rom! Es empfiehlt sich, dieses Ziel langfristig zu planen. Man muss ein gewisses Alter haben, einen Leistungsausweis mitbringen und sich auch kritisch überlegen, welchen Mehrwert man in ein Unternehmen einbringen kann. Dann muss man sich Multiplikatoren mitteilen, welche einem Türen öffnen können. Viele Frauen unterschätzen, wie knapp der Markt ist. Es gibt nur eine gewisse Zahl an VR -Plätzen, deshalb wird die Luft ganz oben dünner und der Wettbewerb grösser.

Worin unterscheiden sich VR-Männer und-Frauen?
Männer sind kompetitiver. Sie haben keine Wahl, sind in den meisten Fällen Haupternährer der Familie. Der Mann muss, die Frau kann. Frauen müssen lernen, Niederlagen besser wegzustecken, zu lobbyieren, nicht mehr „Everybody’s Darling“ sein zu wollen, Gegenwind standzuhalten und Hindernisse zu überwinden. Hier sagen Frauen oft zu früh „Das tu ich mir nicht an“. Wir haben das Thema Emanzipation noch lange nicht hinter uns. Es gibt noch viel zu tun!

 

Informationen zur Studie und zu GetDiversity: www.getdiversity.ch

Die aktuelle GetDiversity Untersuchung: Frauen in Verwaltungsräten börsenkotierter Unternehmen: ein breites Spektrum

Beispiele für Unternehmen mit drei oder mehr Verwaltungsrätinnen: Nestlé AG , UBS AG , BKW Energie AG.

Etienne: „Die ganz grossen, internationalen Unternehmen oder diejenigen, wo Bund oder Kanton beteiligt sind, sind mehr unter Druck zu handeln.“

Beispiele für Unternehmen mit einer (seit 2012 resp. 2013 gewählten) Verwaltungsrätin: Dätwyler Holding AG , Charles Vögele Holding AG , Ascom Holding AG.

Beispiele für Unternehmen ohne Verwaltungsrätin: Alpiq Holding AG , Clariant International Ltd., Graubündner Kantonalbank, Straumann Holding AG.

 

Veröffentlicht am Januar 06, 2014

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