Die Vergessenen

Text: Jessica Mor-Camenzind
Fotos: Privat

Was erwartet mich? Werde ich stark genug sein? Werde ich so viel Leid ertragen können? Diese Fragen stellte ich mir während der fast zweistündigen Fahrt von Beirut in den Süden Libanons nach Sour/Tyros.

Dass der Besuch in den syrischen Flüchtlingscamps nicht emotionslos an mir vorbeigehen würde, war mir bereits klar, als ich mich noch in der Schweiz dafür entschied, nicht nur meine Familie im Libanon zu besuchen, sondern auch die Flüchtlinge, die wir mit unserer Hilfsorganisation swiss4syria seit letztem Jahr unterstützen.

Als ich unseren Mann vor Ort, Essam Batoul Shibli, einen Libanesen, der seit Beginn des Syrien-Krieges die Flüchtlinge mit seiner Organisation „Center for Civic Engagement & Community Service“ der American University of Beirut unterstützt, auf dem Weg zu den Camps traf, war ich nach wie vor ein bisschen nervös vor dem Ungewissen.
In den Camps selber bot sich mir dann ein unwirkliches Bild. Ich stand auf sandiger, dürrer Erde, umgeben von einer Hausruine und einfachen, von der UNO aufgerichteten Zelten. Plötzlich strömten Kinder daraus hervor und liefen mir mit strahlenden Gesichtern entgegen. Sie nahmen mir jegliche Angst und Unsicherheit, indem sie mich mit ihren dunklen Augen anlächelten. Männer und Frauen begegneten mir mit einer solch positiven Ausstrahlung, wie ich sie noch nie zuvor in meinem Leben so erfahren durfte. Die Kinder pflückten Blumen, um ihre Dankbarkeit auszudrücken, und lachten mit mir, als ich mit ihnen sprach und rumalberte.

Essam erzählte mir, dass ihm ein Flüchtling gesagt hat: „Wir dachten erst, dass die Welt uns vergessen hätte. Doch dann kamt ihr, mit Kleidern, Schuhen und Heizkörpern aus der Schweiz, und wir wussten, dass wir nicht alleine sind.“
Diese Worte waren herzzerreissend, und ich wusste sofort, dass sich all die Mühe auch in Zukunft lohnt, diesen lieben Menschen jegliche Art von Hilfe und Unterstützung zu schenken.
Ich fuhr nach meinem Besuch nicht traurig oder hoffnungslos zurück, sondern erfüllt von Liebe und Demut. Die Flüchtlinge mögen materiell gesehen nichts mehr haben, aber was ihnen geblieben ist, sind unendliche Dankbarkeit, Hoffnung, Liebe und Ehre. Das ist in mancherlei Hinsicht viel mehr, als wir im Westen besitzen.
Und wir werden weiterhin helfen, mit Schulen, Zelten und sanitären Anlagen, direkt und vor Ort – und uns dafür engagieren, dass diese Menschen nicht vergessen werden!

Die Autorin Jessica Mor-Camenzind, gründete mit Freunden zusammen die Non-Profit Hilfsorganisation www.swiss4syria.ch. Im Oktober 2014 sammelte die Organisation in Zürich über 40 Tonnen Kleider und Schuhe für die syrischen Flüchtlinge im Libanon.

 

Veröffentlicht am Juni 10, 2015

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